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bothen stattfinden sollte, wurde Herr Maurermeister W. aus Wurzen, während er die Versammlung leitete, von Unwohlsein befallen und später von einem Schlag anfall betroffen, der seinen Tod herbeiführte. Der Verstorbene hatte sich während des Wahlkampfes um die freisinnige Sache sehr bemüht, ohne den damit verbundenen Aufregungen gewachsen zu sein. 8 Berlin, 7. Oktober. Der Kaiser trifft morgen vormittag in Kiel ein, woselbst das englische Geschwader erwartet wird. Wahrscheinlich wird der Kaiser den Zaren dort begrüßen und seinen kaiser lichen Gast nach Berlin bez. Potsdam begleiten. Der sür den Zaren bestimmte Hofzug, der am Sonnabend hier einlraf, mußte sofort iu Reparatur gegeben werden, da er bedeutende Defekte aufwies. Unter anderem war eine Karpenterbremse demoliert. Die Reparaturen müssen bis Mittwoch abend be endet sein. 8 Die „Allgemeine deutsche Ornithologische Ge sellschaft" zu Berlin hat die Kennzeichen der deutschen Raubvogel zu sicherer Bestimmung derselben in einer Tabelle zusauuncnstellen lassen, deren weite Verbrei tung unter Jägern, Naturfreunden und in den Schulen wünschenswert ist. Die Tabelle ist unentgeltlich auf Verlangen von Herrn Professor Dr. Cabannis zu be ziehen, Museum für Naturkunde. 8 Drei Gymnasiasten in Berlin unternahmen Selbstmordversuche. Zwei von ihnen trafen sich mit einem Revolver tödlich und verstärken bald darauf, der dritte ist schwer verletzt. Als Grund für die That wird besonders nicht erfolgte Versetzung angegeben. 8 Der Kaiserliche Salonwagen und diejenigen Wagen, welche das Kaiserliche Gefolge bei der großen Reise des Kaiserpaares im Süden aufzunehmen be stimmt sind, werden jetzt für ihre nächsten Ziele her gerichtet. Personen, welche den Kaiserlichen Zug ge sehen haben, versichern einhellig, daß damit das Höchste an glänzender und bequemer Einrichtung erreicht sei. 8 Die Kaiserin Friedrich tritt ihre Reise nach Athen über Dresden, Wien, Venedig am 19. Oktober vormittags an. 8 Nachdem die land- und forstwirtschaftliche Versicherung für das ganze Gebiet des Deutschen Reiches (rund 8 Millionen Personen) iu Kraft steht, trat heute das Reichsversicherungsamt zum ersten Male zur Rechtsprechung in land- und forstwirtschaft licher Rekurssache zusammen. Der Präsident vr. Bödiker leitete die Verhandlung mit einer die Be deutung der land- und forstwirtschaftlichen Unfallver sicherung behandelnden Ansprache ein. § Die „Post" bestätigt, daß die bekannte Er klärung des „Reichsanzeigers" auf spezielle» Befehl des Kaisers eingerückt worden ist. 8 Die „Kreuzztg." erklärt, daß ihr Chefredak teur, Frhr. v. Hammerstein, kaum geneigt sein dürfte, unter den jetzigen Politischen Verhältnissen sich bei der nächsten Reichstagswahl um ein Mandat zu bewerben. 8 Beschränkung des Luxus in Offizierskreisen predigt ein Leitartikel der „Kreuzzeitung" über Heer und Gesellschaft. Es heißt in demselben: „Man kehre nur in der Gestaltung des Offizierlebens zu den gesunden Grundsätzen der Altvordern zurück erschließe starkem Christentum, männlichem Auf- und Einblick iu die soziale Not der Zeit eine Freistatt in seinen Reihen, regele nach dieser der kriegerischen Jugend Brauch und Lebensgewöhnuug und man wird bald genug den Einfluß erkennen lernen, den eine gesellschaftliche Macht, wie der Offizier es bei uns ist, — noch immer auf die weitesten Kreise der Gesellschaft aus üben kann. Beispiele sind Riesen. Um Geld und Geldeswert. Roman von M. Widdern. -- ' (Nachdruck verboten.) Fortsetzung. Sie beendigte den Satz nicht, aber die guten blauen Augen Lillis blickten neckisch in das wunder schöne Gesicht ihres Gegenüber. „Kein „Vielleicht," Frau Senator" — sagte Katharina da aber mit einer gewissen Erregung. „Kein „Vielleicht" in Ihrem Sinn! Für mich existiert nur ein Mann — und das ist mein Bruder Guido. Neben seiner männlich stolzen Erscheinung muß jeder andre in den Hintergrund treten." Die Senatorin blickte kopfschüttelnd vor sich nieder. Dann sah sie Katharina forschend in das Gesicht. Zum zweitenmal an diesem Morgen klang es nun nicht eben freundlich, als sie sagte: „Nehmen Sie es mir nicht übel, Katharina — aber diese große Liebe zwischen Schwester und Bruder scheint mir doch etwas übertrieben — wenn nicht unnatürlich." Ein Blitz zuckte aus den schwarzen Augen des schönen Mädchens: „Frau Senator, so sprechen Sie, Weil Sie meinen Bruder noch nicht kennen." — Lilli Vormissen schüttelte das anmutige blonde Köpfchen. „Katharina, ich will Ihnen ja gern glauben, daß Ihr Bruder das Ideal eines Mannes ist," erwiderte sie jetzt — „aber ich meine — Schwestern pflegen das doch für gewöhnlich nicht in dieser überschwenglichen Art anzuerkennen. Aber das ist ein Streiten um Kaisers Bart," setzte die Dame dann hinzu, welches um so weniger am Platz ist, als ich noch in den Morgenstunden eine kurze Ausfahrt unternehmen möchte. Von maßgebenden Stellen ausgehend, würde eine auf Beseitigung des überschäumenden Luxus hinwir kende Aktion sich sehr bald auf den verschiedenen Gebieten des geselligen Lebens, wie nicht weniger auf dem volkswirtschaftlichen und auf dem ethischen, in der allererfreulichsten Weise fühlbar machen." 8 Schwerin, 7. Okt. Se. Maj. der Kaiser hat aus Anlaß Allerhöchst seines hiesigen Besuches dem Bürgermeister 2000 M. für die Armen der Stadt übersenden lassen. 8 Schwerin, 7. Oktober. Bei der Abreise des Kaisers aus Ludwigslust siel ein junger Hand werker von einer Ehrenpforte. Derselbe war sofort tod. 8 Hamburg, 7. Okt. Heute mittag wurde die Gewerbe- und Industrieausstellung feierlich geschlossen. 8 Stuttgart, 6. Oktober. Das Eisenbahn unglück bei der Wildparkstation. Der „Württ. Gen - Anz." veröffentlicht den nachstehenden Brief eines Fräulein Steinhausen aus Rottweil, welche sich in dem Unglückszuge befand, an ihren Vater Rechtsan walt in Rottweil: Mein lieber Papa und liebe Ge schwister! Kaum von der Kirche zurückgekehrt, beeile ich mich, nun ruhiger geworden, Euch ausführlicher zu schreiben. Ihr wißt ja, daß ich mit Herrn Major v. Dedekind von Rottweil zusammen fuhr im Nichtrauch- Coupee. Der Herr Major und ich sprachen noch ahnungslos mit einander — da ein schauderhafter Lärm und Gckrach, ein Jammerschrei aus hundert Kehlen, markerschütternd. Ich sah, wie die Decke wankte und einstürzte, wie die Vorderwand auf mich heransauste, daun wurde es dunkel um mich, ich fühlte noch, daß mein Körper herumfuhr wie ein Ball, und ehe meine Sinne schwanden, packte ich meinen Rosenkranz, dachte an den Himmel, an Gott und meine arme Seele und an Euch. Das Alles geschah mit Blitzesschnelle. Wie lange ich so lag, kann ich nicht sagen. Als ich zu mir kam, fühlte ich, daß mein Haar über meinen Kopf hing und noch eingeklemmt war, ganz fest und voller Holz- und Glassplitter; ich sah mich herum, konnte aber in dem Dampf und Gezisch einer Maschine dicht neben mir nichts sehen und hören. Ich fühlte aber keine Schmerzen und versuchte mich zu bewegen, das ging nicht, ich steckte bis an den Kopf in Trüm mern. Unter mir stöhnte es herzzerbrechend. Ich rief, wer da sei: „Oh, helfet! ich muß sterben!" Ich drehte mich mühsam um und sah, tief unter mir den Kopf von Referendar Karl Gutheinz und Rechtsan walt Löwenstein. Geisterbleich, mit ganz verzerrten Zügen starrten sie mich an, wir weinten herzbrechend, als wir unsere Stimmen wieder hörten. Daß diese Beide» verwundet waren, sah ich gleich. Ich suchte nun de» Herrn Major; durch ein Loch konnte ich ihn endlich auf de» Schienen sehen, aber blvs de» Kopf, blutüberströmt und schwer stöhnend. Noch Jemand ganz unter uns röchelte schauderhaft; ich konure aber Niemand mehr sehen. In dieser schrecklichen Lage ver brachten wir, ich denke eine Viertelstunde, bis man mich zuerst heraustrug und mich unter eine Tanne setzte. Was jetzt für Szenen aufeinanderfolgten, kann ich nicht beschreiben; ich weine, wenn ich nur daran denke. Fünf Tote allein kamen aus dem ersten Dritterklassewagen. Man zwängte sie alle zum Fenster heraus. Grauenhaft! Wie ich lebe, weiß ich nicht; es ist ein Wunder. Alles sagt es, und sprachlos starrte mich der noch lebende, auch blutende Kon dukteur an, als man uns endlich auf unser Jammer geschrei unter Balken, Eisenstücken, und Rädern rc. fand. „Ja, leben Sie?" „Gott sei gedankt", und die Hellen Thränen liefen ihm übers Gesicht. Ganz zuletzt fand man auch Den, der so gestöhnt, aber jetzt ganz still geworden war. Der Aermste hatte den Willibald hat mir da von einer arme» kranken Frau erzählt, die ich vor Jahren gekannt und welche jetzt einer durchgreifenden Hilfe dringend bedürftig ist. Da will ich denn selbst an ihr Schmerzenslager treten, uni »ach dem Rechte» z» sehen — und — ihr Los zu erleichtern." — Für die Dauer eines Augenblicks legte sich ein düsterer Schalten über das Gesicht der schönen Katha rina. Nun aber blickte sie schon wieder hell und freundlich zu ihrer Wohlthäterin hinüber. „O, Frau Senator, nicht wahr, und Sie erlauben mir, daß ich Sie begleite?" „Erlauben?" Lilli klatschte wie ein Kind in die Hände. „Wie kann hier von erlauben die Rede sein! „Ich bin ja im höchste» Grade erfreut, daß Sie mit mir fahren wollen, denn ich wünschte nur Ihre Be gleitung. Trotzdem aber wage ich nicht, Sie gerade darum zu ersuchen. — Ich weiß eigentlich nicht, wie ich dazu kam, aber ich glaubte — Sie — liebten so arme Leute nicht. Und das Elend flöße Ihnen mehr Ekel als Teilnahme ein." — Katharina fühlte sich innerlich in hohem Grade darüber betroffen, so richtig beurteilt zu werden. Natür lich gab sie dieser Empfindung keinerlei Worte, sondern sagte im Gegenteil: „Ich begreife Sie nicht, Frau Senator! Hab' ich nicht auch an mir selbst das Elend kennen gelernt? Konnte man elender sein als ich es war, als Sie mich barmherzig über die gastliche Schwelle dieses Hauses führten?" — „Still — still — o still doch, von der alten Geschichte," rief Lilli, dann erhob sie sich rasch. — „Ich will mich zur Ausfahrt ankleiden! Gehen auch Brustkasten eingedrückt, ganz platt, und Blut tropfte ihm aus dem Mund. Äuch eine Wange mit Ohr war weggerissen — doch genug. Ich kann das Alles unmöglich beschreiben. Während wir so in dem Wald saßen, schrie ein Jedes ums Telegraphieren, und nur der Major und ich konnten das von der Jammerstädte aus thun. Das Telegramm wurde von einem Kinde nach Stuttgart getragen. Nach zwei Stunden endlich kamen Aerzte, Wein und Wasser. Ein ganzer Sanitätszug kam von Stutt gart und brachte uns alle im langsamsten Tempo, Schritt für Schritt nach Stuttgart, um 3^/4 Uhr hielt man an der Kriegsbergstraße. Menschen auf den Dächern nach Tausenden umstanden, soweit man sehen konnte, den Platz. Niemand durfte zu uns her. Sanitätsmänner holten uns Fiaker zur Fahrt. Die Leute umringten meinen Wagen mit flehentlichen Bitten, ihnen näheres zu sagen. Aber ich konnte kein Wort sprechen. Ich zitterte nud war totmüde. Als endlich meine Freundinnen, die mich erwarteten, mich zerstört aber gesund erblickten, stürzten sie mir auf der Straße entgegen, alle laut weinend. * * I» den Revieren von Görgöny in Ungarn wurden in der Umgebung der mit Kukuruz bebauten Felder 16 Bären aufgespürt. Der frühe Eintritt des Winters hat diese Räuber Heuer sehr früh aus dem Gebirg herabwechseln lassen, demzufolge sich auch be sonders gare Gelegenheit zur Jagd auf dieselben dar bietet. Ende dieses Monats dürfte» infolgedessen größere Treiben stattfinden, da der Jagdleiter von Görgäny ei» diesbezügliches Gesuch an die Kaiser liche Domänenvcrwaltuug eingeschickt hat. * * Petersburg, 7. Okt. Die zuweilen inspi rierte „Nowoje Wremja" bespricht den für die Russen höchst ärgerlichen Entschluß des deutschen Kaisers, de» Sultan in Koiistantinopel zu besuchen, und führt aus, daß dieses Ereignis der russischen Politik Deutsch land gegenüber die größte Zurückhaltung zur Pflicht mache. Es sei Zeit, von Deutschland eine kategorische Erklärung über die bulgarische Frage zu verlangen, Deutschland müsse Rußlands Entschlossenheit kennen, Rußland dürfe eventuell nicht länger unparteiischer Zuschauer am Balta» bleiben. Was aber die Haupt sache sei, niemand erwarte, daß Rußland jemals seine „Aktionsfreiheit" mit der Politik von 1870 vertauschen werde. * * Paris, 7. Okt. In Kochinchina ist Lemyre de Villers, in der Kolonie am Senegal ist Admiral Ballon zum Deputierten gewählt. Nach der neuesten Aufstellung über die Wahlergebnisse zählt die neue Kammer 365 Republikaner und 241 Mitglieder der oppositionellen Parteien. * * Paris, 7. Oktober. Nach dem offiziellen Bericht des Ministeriums des Innern ist das Gesamt ergebnis der Stichwahlen bis jetzt: 124 Republikaner und 45 Oppositionelle. Die neue Kammer wird dem nach enthalten; 362 Republikaner, nämlich 236 ge mäßigte und 126 radikale, und 205 Mitglieder der Opposition, nämlich 100 Royalisten, 58 Bonapartisten und 47 Boulangisten. * * Rom, 6. Oktober. Die Provinz Cagliari ist gestern von einem heftigen Orkan heimgesucht worden, welcher großen Schade» angerichtel hat. In der Stadt Quarto wurden mehr als 200 Häuser zer stört, aus denen bis jetzt 10 Leichen herausgezogen sind. Man befürchtet, daß unter den Trümmern noch mehr Personen begraben sind. I» Guarluccio sind 30 Häuser eingestürzt. * * Aus Rom wird mitgeteilt, Kardinal Fürst Hohenlohe werde das deutsche Kaiserpaar bei dessen Sie, Katharina und machen Sie Toilette, in einer halben Stunde hält der Wage» vor der Thür." Katharina gehorchte, aber als sie oben vor dem Spiegel das prachtvolle Haar ordnete, welches vorher von einem eleganten Morgenhäubcheu bedeckt gewesen, stampfte sie unmutig mit dem zierlich bekleideten Fuß den Boden: „Infam!" kam es leidenschaftlich über die Lippen. „Nun muß noch in der elften Stunde — dieser Doktor Grimani wie vom Himmel herab in unsre Pläne schneien. — Und doch — Guido ist un widerstehlich, — wenn er es sein will. Und hier niuß er es sein wollen, wenn — er — sein Ziel erreichen will," setzte sie Hinz». — - Der Tag hatte heute der Abwechselungen eine große Menge gebracht, wenn sie auch wenig erheitern der Natur waren. Nun aber erwartete die Senatorin in zierlicher Haustoilette die Rückkehr Katharinas vom Bahnhof. Sie hatte ihrer geliebten Gefährtin auf die Seele gebunden, den Brnder, wenn er seine Effekten im Hotel abgegeben, gleich hierherzusühren. Jetzt horchte die kleine Frau mit einer gewissen, ihr selbst unerklärlichen Unruhe auf die Straße hinaus nach dem Rollen der Näder — ihres eignen Wagens. Denn Frau Lilli hatte Katharina selbst das Angebot gemacht, den vergötterten Bruder in der Vormissen'schen Equipage vom Bahnhofe abzuholen. — „Was bin ich nur für eine seltsame Person," flüsterte Lilli, während sie jetzt mit schnellen Schritten im Gemach auf und nieder ging. „Da klopft mir das Herz fast zum Zerspringen bei dem Gedanken, diesem Guido Münde — Aug in Aug gegenüberstehen zu sollen." — (Fortsetzung folgt.)