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Die anschließenden Divisionsmanöver vökn 2. bis mit 4. September spielen sich ab: zwischen Oschatz und Lommatzsch für die 1. Division Nr. 23, zwischen Wurzen und Grimma für die 2. Infanterie-Division Nr. 24 und bei Meißen links der Elbe für die 3. Division Nr. 32. Dann folgt als allgemeiner Rast tag der 5. September und die folgenden 5 Tage sind die Kaisertage, auf welche sich in erster Linie das Interesse weiter Kreise richtet. Am 6. September früh 10 Uhr wird zunächst die große Parade des ganzen XII. Armeecorps bei Naundorf südlich von Oschatz abgehalten. Ihre Majestäten der deutsche Kaiser und der König von Sachsen fahren mit der Bahn von Dresden bis Bahnhof Oschatz (Zschöllau) und von dort zu Wagen nach dem Paradeplatz. Die Parade dürfte mehr als 2 Stunden in Anspruch nehmen. Der Platz, wo sich dieselbe abspielen wird, liegt zwischen der Sttaßenstrecke Naundorf-Schweta und dem von dieser abbiegenden Straße nach Zeicha- Hohenwussen und circa 5 Kilometer von Oschatz ent fernt. Er ist am gedachten Tage um deswillen nur zu Fnß, zu Pferde oder zu Wagen zu erreichen, weil die Sekundärbahn Oschatz-Döbeln, für welche auch Naundorf Station ist, nicht für das Publikum, sondern nur für das Gefolge der Majestäten als Beförder ungsmittel benutzt werden wird. Auf dem Parade- Platze ist eine mächtige Tribüne für mehrere tausend Zuschauer vom Baumeister Zürner in Oschatz erbaut worden mit nummerierten Sitzplätzen zu 5, 4 und 3 M. Mehr als 700 der besten 5 M. Plätze (Mitte) sind seitens der kgl. Amtshauptmannschaft zu Oschatz im Vor aus belegt worden, jedenfalls für hohe Staatsbeamte und deren Familien und daher gar nicht verkäuflich. Ein gutes Glas mitzunehmen, ist bei der überaus langen Treffenlinie daher für Besucher der Tribüne ganz unerläßlich, werden doch, eingeschlossen Cadetten- corps und Unterosfizierschüler, im 1. Treffen 39 Ba taillone Fußtruppen, bezw. 1 Kompanie Cadctten und ein Halbbataillon Unteroffizierschüler in der Front stehen. Am 7. September findet das Feldmanöver des Armee corps gegen einen markierten Feind statt und zwar zwischen Mügeln und Oschatz, ein weites für alle Waffen vorzüglich geeignetes Uebungsfeld. Das Manöver nimmt seinen Anfang bei Mügeln. Der Kaiser und König Albert fahren an diesem Tage mit der Bahn bis Ostrau und dann zu Wagen auf die Sömnitzer Höhe, wo sie die Pferde besteigen. Diese Höhe bietet gleich der kegelartig aufsteigenden und als Wetterscheide in der Gegend bekannten Höhe von Hohenwussen mit Friedhof und Kirche einen prächtigen Beobachtungspunkt für das Uebungstheater mit seinen Dörfern und Gehölzen, seinen Straßen und Boden senkungen. Selbstverständlich ist auch hier wie dort ein gutes Glas unerläßlich und Helles Wetter erwünscht. Welcher Kriegsplan den Hebungen zu Grunde gelegt wird, der die Grundlage aller Truppenbewegungen zu bilden hat, das erfahren die Führer erst am Morgen des betreffenden Uebungstages und meist erst im Sattel. Der 8. September, ein Sonntag, ist zu Abhaltung eines Feldgottesdienstes bei Kleiuhorst, süd lich und ungefähr 1 Kilometer von Oschatz ausersehen. Es ist das erste Mal, daß ein solcher während der Herbstübung in Sachsen stattfindet. Es wurde bei uns nur einmal gelegentlich einer Gedenkfeier der Schlacht Lei St. Privat ein Feldgottesdienst auf dem Alaun platz bei Dresden abgehalten. Kaiser Wilhelm wird dem feierlichen Gottesdienste unter freiem Himmel bei wohnen und an diesem Tage deshalb zum zweiten Male von Dresden nach Oschatz kommen. An dem Feldgottesdienste werden alle diejenigen Truppen teil nehmen, welche in den nächstgelegenen Ortschaften Die Tochter des Deserteurs. Erzählung aus den jüngsten Tagen von Hans Bernauer. (Fortsetzung.) kNachdruck verboten.) Der junge Mann war aufmerksam geworden; er erinnerte sich an die rätselhaften Worte des Briefes und mit bebender Stimme kam es von seinen Lippen: „Mensch! Spricht der Satan aus Dir?" „Nein, nur die Vergangenheit!" entgegnete der Bettler, der in dem Antlitze des jungen Mannes deutlich die Wirkung seiner Worte lesen konnte. „Ich habe doch die Ehre, mit Herrn Grafen Emil von Hohenfels zu sprechen?" „Woher weiß er meinen Namen?" „Das thut nichts zur Sache. Erlauben Sie, Herr Graf, daß ich Ihnen Ihre Geschichte, oder vielmehr die Geschichten Ihrer Familie erzähle. Sie beginnt gleich einem Märchen: Es war einmal! Also es war einmal ein steinreicher Graf, der starb, ohne seine Erben von Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben, denn erst nach seinem Tode brachte seine, durch den Verlust des Gatten halb wahnsinnige Frau ein Mädchen zur Welt. Der Bruder des Grafen, dem nach dem Vermögen lüsterte, vertauschte das lebende Kind der Gräfin mit dem toten Kind von dem Weibe des eben nicht anwesenden Wald hüters. Die Witwe starb bald darauf und jener Mann wurde nach dem Erbrecht der Besitzer der enormen Güter. Sie sehen, Herr Graf, es ist sehr leicht, Millionär zu werden, wenn man es nur ver steht, dem Gewissen den richtigen Genickstreich zu im Quartier liegen. Am 9. und 10. Sept, findet das Corpsmanöver bei Ostrau statt, bei welchem die Truppen gegen einander im Feld stehen werden. Der Kaiser kommt auch am erstgenannten Tage wieder nach Ost rau und nimmt während der Nacht zusammen mit König Albert Quartier im Schlosse zu Schleinitz. Der Schauplatz der Uebungen dieser beiden Tage wird näher nach Ostrau, wie nach Oschatz zu liegen. Das große Biwack der gesammten sächsischen Truppen findet in der Nachr auf den 10. September auf dem Uebungsfelde statt und dürfte mit seinen bunten lusti gen Szenen gewiß eben soviel Schaulustige von nah und fern anlocken, wie die kriegerischen Uebungen am Tage. — Zur Erleichterung des Besuches der Aus stellung für Unfallverhütung in Berlin läßt die Verwaltung der sächsischen Staatseisenbahnen am 24. August, sowie am 7. und 21. September auch auf der Station Meerane Hin- und Rückfahrkarten II. und III. Wagenklasse nach Berlin zu sehr ermäßigten Fahrpreisen und mit siebentägiger Giltigkeit ausge geben. — Es werden neuerdings eine neue Art Feuer lös ch g r a n a t e n in den Handel gebracht, die sich sehr gut bewähren sollen. Mit denselben, den sog. „Jmperial-Feuerlvschgranaten", sind vor kurzem in Dresden Versuche angestellt worden, welche ergaben, daß zwei Granaten zum Löschen brennender, geteerter Holzmassen genügten. Auch im Ernstfälle haben die Granaten schon oft Dienste geleistet. So schreibt ein Kaufmann aus Norwich: „Einer meiner Leute war beschäftigt, Wachs und Terpentin über einem Feuer zu mischen, als dasselbe in Brand geriet und sich über den Fußboden ergoß. Ich warf drei Ihrer Granaten in die Flammen und verlöschten dieselben augenblick lich. Es ist das um so erstaunlicher, wenn man be denkt, daß Wasser keine andere Wirkung auf brennenden Terpentin ausüben würde, als denselben noch mehr auszubreiten." — Bekanntlich ist auch der Brand in der Unfallverhütungs-Ausstellung in Berlin durch Löschgranaten gedämpft worden. Diese modernen Bezwinger „der freien Tochter der Natur" bestehen aus dünnwandigen Glasflaschen, welche ins Feuer geworfen werden, zerbrechen und eine sofort verdampfende, den Sauerstoff aus der Luft entziehende Flüssigkeit ausströmen lassen. — Das „Sächsische Kirchen- und Schulblatt" schreibt in seiner Nummer 20 des gegenwärtigen Jahrganges aufpsZ.172: Die Plauensche Epho- ralkonferenz hatte sich dafür ausgesprochen, daß Geistliche nur bei solchen nicht kirchlichen Festen und sonstigen Veranstaltungen als Redner austreten möchten, welche von ernster Bedeutung und hervor ragender Wichtigkeit seien; daß. sie Weihungen im Namen des dreieinigen Gottes nur bei solchen Gegen ständen vornehmen, welche für gottesdienstliche Zwecke bestimmt seien. Das ev.-luth. Landeskonsistorium ist nun zwar nicht in der Lage, für alle Fälle zu treffende Vorschriften zu erlassen, hat aber doch fol gende Anschauungen zur Nachachtung in einer be sonderen Verordnung ausgesprochen: ,,a) die Weihe von Fahnen solcher Vereine, welche in der Haupt sache geselligen Vergnügungen dienen, ist abzulehnen; d) die Fahnen von Vereinen mit gemeinnützigen Zwecken oder von solchen Vereinen, die wie die Militürvereine eine gewisse öffentliche Anerkennung genießen, dürfen unterUmständen, wenn es in würdiger Weise geschehen kann, von einem Segenspruche des Geistlichen geweiht werden, jedoch wird letzterer dabei in der Regel nicht im Ornate erscheinen; e) bei einer Fahne, auf welcher das sächsische Wappen versetzen. Jener würdige Erbschleicher aber war Ihr Herr Papa!" Mit erzwungener Ruhe und Kaltblütigkeit sprach Graf Emil Hohenfels: „Was soll mir diese Geschichte?" „Nur Geduld, Herr Graf," versetzte der Bettler, „Kurze Zeit nachher unternahm das Weib des Waldhüters eine Reise wegen einer Erbschaft, wie sie ihrem Manne sagte, und kam ohne Kind zurück. Dasselbe war auf der Reise gestorben. Aber Geld brachte sie mit — viel Geld, das sie angeblich ge erbt hatte und dadurch wurde ihr Mann ein Sauf aus. Ihr aber ist das Geld nicht wohl be kommen, denn auf dem Totenbette hat sie mir — ihrem Manne — alles gestanden: daß sie der Graf gezwungen hat, das rechtmäßige Kind zu entfernen, da sich die Aehnlichkeit mit der Mutter in der Zu kunft zu deutlich zeigen könnte. Der Herr Graf hat ihr 3000 Thaler gegeben — 1000 Thaler für die künftigen Pflegeeltern des Kindes und 2000 Thaler für ihre Bemühung. Das Kind hat sie einem Waldbauer, Namens Hofer, in einem zwanzig Meilen von Schloß Hohenfels entfernten Dorfe samt der bestimmten Summe übergeben. — Das Uebrige habe ich vertrunken. Darauf ist sie gestorben. Was sagen sie nun, Herr Graf?" Graf Emil, der mit gespannter Aufmerksamkeit der Erzählung des Bettlers gefolgt war, entgegnete trocken: „Die Gerichte haben sich bemüht, die rechtmä ßige Erbin aufzufinden, aber der Waldbauer war tot — dessen Sohn und die Pflegetochter aus der angebracht ist, hat der um die Weihe derselben an gegangene Geistliche sich vorher darüber Gewißheit zu verschaffen, daß zur Führung dieses Wappens Genehmigung erteilt worden ist." — Mülsen St. Niclas, 20. August. Ein Unfall, welcher leicht schlimmere Folgen haben konnte, ereignete sich hier heute früh. Das gegen 1sts Jahr alte Söhnchen des Schlossers Heinrich Müller war in einem unbewachten Augenblick auf die Straße gelaufen und kam hier unter die mit einem leeren Kohlenwagen daher kommenden Pferde des Gutsbe- sihers Fröhlich hier, wobei es glücklicherweise nur leichte Verletzungen am Kopf und Unterleib erhielt, welche hoffentlich dem Kinde keinen Nachteil bringen werden. — Waldenburg. Der durch das Unwetter vom 12. Juli vernichtete Blätterschmuck der Bäume und Sträucher hat zum Teil wenigstens Ersatz ge funden. Allenthalben haben die Bäume und Sträucher frische Triebe angesetzt, ja stellenweise ist es sogar zu neuer Blüte gekommen; so blüht am fürstlichen Schlosse hierselbst der Flieder, ebenso dürfte in wenig Tagen auch ein am Schlosse stehender Kastanienbaum seine Blüten erschlossen haben. — In einer an derLimbacherstraße bei Chem nitz gelelegenen Sandgrube wurde am Sonntag früh ein Arbeiter beim Abgraben von Sand von den hereinbrechenden Erdmassen verschüttet, sodaß nur eine Hand von dem Verschütteten sichtbar war. Der Verunglückte wurde von einigen herbeigeeilten Personen aus seiner gefährlichen Lage ausgegraben und darauf, da er nur schwache Lebenszeichen von sich gab, auf Anordnung eines Arztes in das Kran kenhaus gebracht. Der Verunglückte befindet sich auf dem Wege der Besserung. — Annaberg. Der von hier gebürtige Tischler Schreiter, welcher seine von ihm getrennt lebende Ehefrau unter der Angabe, sich mit ihr versöhnen zu wollen, nach Leipzig beschied und dieselbe auf einer Kahnfahrt nach Connewitz in die Pleiße stürzte, wurde bekanntlich vom Schwurgericht zum Tode verurteilt, ist aber von Sr. Maj. den König zu lebens länglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden, welche er in Waldheim verbüßte. Kürzlich nun ist Schreiter irrsinnig geworden und der Jrrenstation zu Wald heim überwiesen worden. Die Kosten für seine Unter bringung hat, da er hier unterstützungswohnsitzbe rechtigt ist, unsere Stadtgemeinde zu tragen. — Mühltroff, 20. August. Einem Gutsbe sitzer in Redau wurden vor mehreren Tagen, als alle Leute des Hauses auf dem Felde beschäftigt waren, mittelst Einbruchs und nach Durchsuchen aller Schränke, Koffer und Laden gegen 100 M. Geld und 4 Stück Schlüssel gestohlen. Der Verdacht, diesen Diebstahl verübt zu haben, lenkt sich auf einen Unbekannten, ungefähr 30 Jahre alt, welcher an dem betreffenden Tage bei der Frau des Bestohlenen, sowie in einigen anderen Gütern in Redau junge Hühnchen für hohe Preise angeblich zum Verbrauch beim Greizer Vogel schießen, kaufen wollte und nach der Ausführung des Diebstahls aus dem Dorfe verschwand. Unter gleichen Vorspiegelungen trat dieser Unbekannte auch bei einem Gutsbesitzer in Staitz bei Auma in Weimar auf und entwendete bei dieser Gelegenheit Geld, Schlüssel und einen Schinken. Bis jetzt ist dieser Dieb noch nicht aufgegriffen worden; er dürfte auch in anderen Orten in ähnlicher Weise auftreten. — In Mühltroff, wo gegenwärtig das Vogelschießen stattfindet, ist es, wie anderwärts auch, Sitte, die Wachmannschaft der Schützen durch Weg tragen von Gegenständen zu foppen, selbst auf die Gegend verschwunden. Wer weiß, ob das Mädchen noch lebt?" „Keine trügerischen Hoffnungen, Her Graf!" versetzte der Bettler. „Der Sohn des Waldbauern hat die Pflegetochter zumWeib genommen und beide leben noch und besitzen sogar schon ein Stück Fa milie! Die rechtmäßige Erbin von Schloß Hohen fels ist hier die Wirtin im Hause!" „Alle Teufel!" rief Emil bestürzt. „Ich verstehe, Herr Graf! Sie hätten das Mädchen heiraten sollen, damit das Geld in der Familie bleibt!" „Dann ist alles verloren!" murmelte Graf Hohenfels dumpf und sank auf einen Stuhl. Lauernd rief der Bettler: „Noch nichts ist verloren, Herr Graf! Noch ist kein männlicher Sprosse da und damit keiner nachkommt, trennt man das Ehepaar!" Der Bettler hatte diese Worte mit kluger Be rechnung gesprochen. Graf Emil sprang auf: „Mensch! Diese Idee ist kostbar!" „Merkwürdig!" entgegnete der Stelzfuß. „Plötz lich sieht der vornehine Herr Graf em, daß ein Bettler auch ein Mensch ist!" „Aber, wie ist dieses Ehepaar zu trennen?" forschte Emil. „Das überlassen Sie ganz mir und meiner Verschlagenheit. Sehen Sie, Herr Graf, ich bin nicht nur Bettler, sondern auch Schwärzer! Dieser Stelzfuß ist nur Maskerade, in der ich täglich einige Pfund Tabak über die Grenze bringe. Da lag ich neulich hinter dem Zaun dort und hörte den Wirt mit der Markedenterin der hier einquartierten Sol-