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Sonnabend: Ostafrikanische Vorlage. Der Reichskanzler wohnte zeitweise der Sitznng bei und hatte eine Besprechung mit v. Bennigsen und Frankenstein über die Ostafrikanische Vorlage. Die Reichstngskommission für Alters- und Jn- validitätsversicherung nahm ein Amendement Buhl an, nach welchem unter Umständen die Rückgewah- rnng der Beiträge ermöglicht und die Wartezeit anch durch freiwillige Versicherung erfüllt werden kann. Dresdner Plauderbriefe. III. (Nachdruck Verbote».) Es ist kein Wunder, wenn unser Dresden mit der Zeit in den Nus einer theaterfeindlichen Stadt kommt. Während die 3 Theater Münchens allabend lich gut besucht sind, während die vielen Theater der Reichshauptstadt durchweg (mit Ausnahme der König lichen) gute Geschäfte machen, steht unser schönes, neues Hoftheater an 2 Abenden der Woche finster und leer, das kleinere Neustädter Haus ist trotz der zahlreichen Abonnenten nur selten ausverkauft, und unser kleines nettes Residenztheater kämpft, trotz der klugen und umsichtigen Leitung seines Steuermanns, nur mit der äußersten Anstrengung gegen die widri gen Wogen, d. h. gegen die erdrückende Zahl von Menschen, die nicht hineingehen. Ging doch noch vor wenig Tagen das Gerücht durch die Stadt, Di rektor Karl wolle die Flinte ins Korn werfen und anderswo seinen Weizen schneiden. Glücklicherweise scheint jedoch vorläufig sein Bleiben gesichert zu sein und der starke Besuch, dessen sich augenblicklich seine Gäste, die „Wiener Schrammeln", mit ihrem „Pfeifen, Zwitschern, Tirolieren" erfreuen, läßt hoffen, daß sich mit der Zeit wieder mehr Gäste in das kleine Haus auf der Zirkusstraße gewöhnen. Aber wie kommts, daß unser „teures", präch tiges Hoftheater in der Altstadt nur an 5 Tagen den Musen geöffnet ist? Es ist eben zu groß und — Gott sei's geklagt — so raffiniert unpraktisch ge baut, daß einem an den meisten Plätzen, z. B. ans den Seitengallerien, in Wirklichkeit Hören und Sehen vergeht. Die Hinteren Platze in den Seitengallerien sind ja überhaupt nicht zum Sehen eingerichtet (wenn man die Aussicht auf das gegenübersitzende Publikum abrechnet); und die Atustik auf diesen Plätzen ist un gefähr dem entsprechend. Aus allen diesen Gründen hat man das Schauspiel nach der Neustadt auswan dern lassen und nur die Oper in der Altstadt ge lassen. Wer nun mit Richard Wagner der Meinung ist, das Orchester müsse in der Oper unsichtbar bleiben, der kann ja jene heimlichen Versteckplätze nur mit Freuden begrüßen; schade nur, das; dort eben auch der Bühnenraum selbst dem scharf bewaffneten Auge ein nie gesehenes, fernes Zauberland bleibt. Ach, wie wehmütig denkt man in solcher Lage an unsere prächtig praktische alte Bretterbude, an das Jnterimsthcater zurück! Nun, trotz dieser leider unab änderlichen Mängel füllt sich ja anch dies Schmer zenskind bis unters Dach, wenn so köstliche Darbie tungen wie z. B. am letzten Sonntage die Meister singer den Kunstdnrstigen gereicht werden —sowohl wirds einem aber nicht alle Tage. Auf so einen Sonntagsbraten kommen dann auch einige Male Schweinsknöchel oder ausgekochtes Rindfleisch nnter dem Titel „Trompeter von Säckiugen", „Schön Rohtrant" u. s. w. u. s. w. Wer ist daran schuld? Doch in erster Linie der Geschmack unseres Publikums und erst in zweiter Linie unsere Intendanz, welche diesem Geichmacke vielleicht allzu nachgiebig Rechnung trägt. Dieser Geschmack des „Hilda!" rief er außer sich. „Ist das auch Ihr Ernst? Hilda, Hilda, noch einmal beschwöre ich Sie, spielen Sie nicht mit mir!" Da fühlte er seinen Hals von ihren weichen Armen umschlungen und eine süßberauschende Stimme flüsterte an seinem Ohr: „Nein, Guido, ich spiele nicht mit Dir, Du hast mich überwunden, nnd ich, ich liebe meinen Meister so heiß, so glühend, wie dieses Herz nur zu lieben vermag! O Guido, führe mich, wohin Du willst! Ich darf Dir ja angehören — dieser Ring an meinem Finger bindet nicht mehr — die Hand ist frei, die ihn trägt!" Zum ersten mal hatte er seine Lippen auf den kleinen Mund der Syrene gedrückt und ein Gefühl überschwenglichen Glückes bemäch- tibte sich der Seele des Mannes, der Hilda geliebt, seit er den ersten Blick in ihr Antlitz gethan. Ueber- wältigt beugte er seine Kniee vor ihr. Mit dem Geständnis ihrer Liebe schien das Verhältnis zwischen diesen beiden jungen Menschen ein gänzlich verän dertes geworden zu sein, aus dem Herr» war der Sklave geworden. Und Hilda?! Sie duldete seine Zärtlichkeiten; sie erwiderte sie, nnd doch brannte der Haß unaus gesetzt in ihrer Seele, dachte sie, während seine Lippen ihren Mund küßten, wie glücklich sie sein würde, wenn ein Plötzlicher Tod diesen Mann von hinnen riefe, noch bevor sie ihr Versprechen gehalten und die Seine geworden wäre. Stunden vergingen — dem Doktor im Fluge, der Gräfin langsam, qualvoll. Da plötzlich wurde die Thür aufgerissen, der Diener des Doktors stand jN höchster Aufregung auf der Schwelle. Publikums, der in tiefinnerlichen Zusammenhänge mit I unserer nervenüberreizten, effektdurstigen, lärmenden Zeit steht, hat es bereits dahin gebracht, daß die Oper j zur alleinherrschenden Goldprinzessin, das Schauspiel aber zum ärmlichen Aschenbrödel geworden ist. Was bedeutet heutzutage die hohe Kunst des Schauspielers, das tiefinnerste Seelenleben des Menschen dichterisch verklärt zur Darstellung zu bringen — was bedeutet all sein Mühen und Studieren gegenüber dem hohen C eines talentvollen Droschkenkutschers? Nimmt sich das bescheidene Honorar eines Mimen im Verhältnis zu den Riesengagen unserer Sänger nicht aus wie ein Taschengeld. Und trotz alledem ist das Blümlein Zu friedenheit im Herzensgarteu dieser „großen Männer" selten zu finden; sie kennen überhaupt außer dem Moos nur eine Pflanze: den kranzgewundenen, Wagenrad - großen, Zirkusreifen-förmigen Lorbeer. Aber der Geschmack unseres Publikums hat noch mehr auf dem Gewissen. Er hat jenes unglückselige Monstrum verschuldet, das nicht Fleisch noch Fisch ist, jenen halb gesprochenen, halb gesungenen Unsinn, der an den unpassendsten Stellen von einem noch un passenderen Couplet unterbrochen wird: die Operette. Und da haben sich denn die gewissenlosen Operettea- fabrikanten (sie kommen höchst selten einzeln, sondern fast immer kompanieweise vor) hingesetzt und haben unser Publikum nach Herzenslust mit ihrem Welschkohl gefüttert, bis ihm davon ekel geworden ist. Aber uni sich den verdorbenen Magen ausznkurieren, verlangt es nicht etwa nach der gesunden Hausmannskost eines kräftigen, gehaltreichen Volksschauspiels — nein, es steigt noch eine Stufe höher auf der Leiter der Nerven überreizung und der Geschmacklosigkeit: es verlangt nach dem scharfen Nixoä pielclW des Viktvriasalons und füllt allabendlich dessen Räume zum Erdrücken. Da hat man doch etwas für sein Geld! Ein Kunst schütze, der alle Augenblicke seine Frau beinahe er schießen kann, Trapezkünstler, die jede Minute Hals und Beine brechen können, unglückselige kleine Menschen, Kretins, die man künstlich in ihrer Entwickelung auf- gehalten hat, und die in diesem jammervollen Zustande die großen und vernünftigen Menschen kopieren; ab gerichtete Ochsen, Gänse, Seehunde, Schweine und keusche Chansonettensängerinnen — das ist etwas — das regt doch einmal die Nerven ein bischen ans und rüttelt die 5 Sinne einmal durcheinander. Ich hätte zu schwarz gemalt, meinen Sie? Wahr haftig nicht! Mög' es die Zukunft bessern. Vermischtes. * Die Geheimnisse eines Bagnos. Mit Menschen blut geschrieben ging kürzlich dem König Humbert ein anonymes Schreiben zu, worin ihm mehrere Galeeren sträflinge die Anzeige erstatten, daß im Bagno zn Livorno zwei Sträflinge von den Aufsehern in der Isolierzelle erdrosselt worden wären, weil sie ihnen vorher in einem Anfall von Tollwnt Widerstand ge leistet hätten. Wenige Tage darauf ging wiederum eiue mit Blut geschriebene Anzeige im Qniriual ein, worin auf das Inständigste um die Bestrafung der Schuldigen gebeten wurde. Aehnliche Briefe erhielten auch der Jnstizminister uud der erste Staatsanwalt in Livorno. Auf Veranlassung des Königs, der den mysteriösen Fall aufgeklärt wissen wollte, wurde eine Untersuchung eingeleitet, die allerdings einüberraschendes Ergebnis chatte. ES wurde durch Zeugenaussagen festgestellt, daß der Sträfling Armenante thatsüchlich in der Isolierzelle, an Händen und Füßen gekettet, in der Zwangsjacke tot vorgefunden worden war. Anfangs hatte man Selbstmord annehmen wollen, doch die gerichtlichen Sachverständigen bestritten die Möglichkeit einer solchen That bei der Lage, in welcher sich der Gefangene befand, und stimmte mit den An zeigenden überein, daß Erdrosselung vorliege. Trotzdem war damals die gräßliche Affaire von den Oberen vertuscht worden. Nunmehr weigerten sich jedoch die Sträflinge, die Namen der Mörder zu nennen, weil sie befürchteten, man könnte sie aus Rache auf dieselbe Weise umbringen. Erst als mau ihnen versprochen, sie sofort in ein anders Bagno zu versetzen, erklärten sie, daß der Aufseher Marzoltani mit mehreren anderen den Armenante erdrosselt hätte, um ihn dafür zu bestrafen, daß er einem von ihnen in der Wut den Finger verletzt hatte. Ja, es ergab sich weiter, daß noch ein anderer Sträfling auf dieselbe Weise in der unter der Erde gelegenen Isolierzelle ums Leben ge bracht war. In Folge dessen wurden die beschuldigten Aufseher festgenommen und haben jetzt ihre wohlver diente Strafe zu gewärtigen. In den nächsten Tagen schon werden sie vor dem Schwurgericht erscheinen. Die mit Blut geschriebenen Briefe an den König liegen bei den Akten. * Nimmersatt bestraft. Als der König Max von Bayern, bekannt durch seine Gutmütigkeit, einmal am Tegernsee weilte, begegnete ihm auf einem Spazier gange ein Bauer, welcher meinte, wenn der König eine schöne Aussicht liebe, so möge er ihu einmal be suchen, denn sein Haus stehe auf einer Anhöhe, von der man eine weite Aussicht habe. Der König be suchte den Bauer und fand die Aussicht in das Thal herrlich, der Bauer aber war traurig und klagte, daß ihm ein Stück Rindvieh gefallen. Der König tröstete ihn und ersetzte ihm den Verlust mit Geld. Einige Zeit darauf kam der König wieder. Ter Bauer war abermals traurig, denn es war ihm ein Pferd gefallen. Der König tröstete ihn und kaufte ihm ein anderes. Zum dritten Male kam der König und zum dritten Male jammerte der Bauer, daß ihn ein Unfall ge troffen. Da sagte der König: „Da mir, so ott ich zu Dir komme, ein Unfall vorangeht, io will ich nicht mehr zu Dir kommen, sonst könnte nach und nach Teins Wirtschaft zu Grunde gehen." Damit ging Max fort und kam nicht wieder. Amtliche Bekanntmachungen. lieber den Nachlaß der am. 4, Ievtember 1888 verstor benen Johanne Christliebe Veriv. Vieweg geb. Günther aus Mülsen St. Niklas wird heute, am 21. Januar 188ö, vor mittags "si12 Uhr das Konkursverfahren eröffnet. Ter Rechtsanwalt Fröhlich in Lichtenstein wird zum Konkursver walter ernannt. Konkursfordernngen sind bis zum 18. Febr. 1889 bei dem Gerichte anzumclden. Es wird zur Beschluß fassung über die Wahl eines anderen Verwalters, sowie über die Bestellung eines Gläubigerausschusses eintretenden Falles auch über die in 8 120 der Konkursordnung bezeichneten Gegenstände nnd zur Prüfung der augemeldeten Forderungen auf den 28. Februar 1889, vormittags 10 Uhr vor dem unter zeichneten Gerichte Termin anbcraumt. Allen Personen, welche eine zur Konkursmasse gehörige Sache in Besitz haben oder zur Konkursmasse etwas schuldig sind, wird ausgegcben, nichts an den Gemeinschuldncr zn verabfolgen oder zu leisten, auch die Verpflichtung auferlegt, von dem Besitze der Sache nnd von den Forderungen, für welche sie aus der Sache ab gesonderte Befriedigung in Anspruch nehmen, dem Konkurs verwalter bis zum 11. Februar 1889 Auzeigc zu machen. Königliches Amtsgericht zn Lichtenstein. Geyler. Familiennachrichteu. Geboren: Hrn. Apotheker Kamprad in Penig ein K. — Hrn. Brauereidircktor Konrad Müller in Elberfeld ein M. Verlobt: Frl. Marie Lehmann in Knautkleeberg mit Hrn. Paul Grünert in Steinpleis. Getraut: Hr. Pfarrer Ernst Graupner in Arnoldsgrün i. Vogtl. mit Frl. Klara Türk in Dresden. Gestorben: Hr. Kammann O. Griesbach in Roßwein.— Fran Rosine Friederike Veriv. Wagner geb. Gerlach in Leipzig. „Es ist Besuch im Palais", stammelte er. „Zwei Herren, von denen der eine schon einmal hier gewesen. Und sie haben ohne alle Umstünde die Zimmer gesucht, in denen der Herr Graf wohnen. Und jetzt sprechen sie mit ihm. Und der Herr Graf sind dein Jüngeren, dem, der schon einmal hier ge wesen, nm den Hals gefallen. Die Herren küßten sich herzlich." Mit einem leisen Ruf des Entsetzens war die Gräfin in einen Sessel gesunken. Der Doktor stand totenbleich, aber kalt und entschlossen mitten in der Halle. Jetzt machte er dem Diener eine befehlende Bewegung und sagte ruhig: „Bitten Sie die Herren noch ein weniges zu verziehen, wir sind gleich auch zur Stelle." Der Diener gehorchte. Kaum aber hatte er sich entfernt, als der Doktor aufgeregt Hildas Hand faßte und mit flie gender Hast sagte: „Wir sind dem Verderben Preis gegeben, Hilda, wenn wir nicht fliehen, oder unserem Leben ein Ende machen." Sie schauerte: „Ich mag noch nicht sterben — fliehen wir." „Wieviel hast Du von den Revennen des Grafen gespart?" fragte er. „Gegen 90000 Mark! — Aber der Familien schmuck der Bergenhorst ist mindestens doppelt so viel wert." „Kannst Du Dich in fünf Minuten, mit Geld und Kostbarkeiten versehen, am Hinteren Ausgang des Palastes einfinden?" fragte er wieder. „Selbst verständlich in Hut nnd Mantel." „Ich will es versuchen", hauchte sie. „Dann schnell, schnell! Wir sind entlarvt, Hilda, bedenke das!" Sie nickte wie abwesend. Nun flog sie die Treppe hinauf nach ihrem Ankleidezimmer. Im Nu hatte sie aus einem Schränkchen Gelder uud Kost barkeiten genommen. Der Mantel Ivar um ihre Schulter gelegt, ein Schleier über den Kopf gewor fen. Uud eben wollte die Unglückselige das Gemach verlassen, als sie zu ihrem Entsetzen Pucie bemerkte, die gerade im Begriff war, einzutreten. Mit einem Wehelaut sank Hilda in einen Sessel. Lucie aber trat ruhig auf die Vernichtete zu und, ihre Hand auf das Haupt der Verbrecherin legend, flüsterte sie: „Sie wollen fliehen, Gräfin, ich sehe es! Zögern Sie nicht, noch ist es Zeit — wenige Minuten später und Sie wären verloren! Ja, fliehen Sie, fliehen Sie, ich will mein Glück nicht auf Ihr gänzliches Verderben erbaut wissen!" „Ihr Glück!" stammelte Hilda. „Mein Gott, wer sind Sie denn?!" Da richtete sich Lucie vor ihr auf. „Ich bin die Braut oes Mannes, den Sie um sein Erbe bringen wollten", sagte sie. „Aber noch einmal, fliehen Sie, Gräfin, Justizrat Glöckner ist auch hier, er spricht mit Baron Wilchingen und beabsichtigt, sofort die nötigen Schritte zu thun, um Sie — in Sicherheit zu bringen." (Fortsetzung folgt.)