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— Leipzig. Wie der „Deutsche Radfahrer" schreibt, sind die zwei böchsten Auszeichnungen für Tourenfahren auf dem Dreirad an 2 Mitglieder des „Leipziger Dreiradvereins" seitens der „Allgemeinen Radfahrer-Union" soeben verliehen worden. Herr Oskar Reinhold erhielt den höchsten Titel „Meister fahrer auf dem Dreirad", Herr Gustav Günther den 1. Preis. Erstgenannter Herr benutzte zu allen seinen Reisen ein deutsches Rad aus der berühmten Fabrik von Seidel u. Naumann, vom hiesigen Vertreter F. Rowald, Petersstraße 6, bezogen. — Die Fahrrad-Ausstellung in Leipzig gewinnt von Tag zu Tag mehr au allgemeinem Interesse und verspricht! alle Erwartungen zu übertreffen. So viel sich heute übersehe» läßt, wird die deutsche In dustrie auf dieser Ausstellung einen Triumph feiern und der englischen, die bisher glaubte, für alle Zeiten das Monopol auf dem Gebiete der Stahlrad-Fabrika tion zu besitzen, mindestens gleichberechtigt zur Seite treten. Von militärischer Seite ist das Stahlrad als Transportmittel schon längst gewürdigt worden, wes halb denn auch in militärischen Kreisen besonderes Interesse für die Ausstellung herrscht. Die sonst so üblichen Ausstellungspreise finden keine Berücksichti gung; es ist trotzdem ein ungeheurer Andrang, den zu bewältigen selbst die großartigen Räumlichkeiten des Krystallpalastes nicht ausreichen. Die Zahl der angemeldeten Radfahrer hat bereits das zweite Tau send überstiegen. — Zwickau ist eine derjenigen Städte, welche auf die frühesten und reichsten Beziehungen mit dem Hause Wettin zurückblicken können. In seinem Natsarchive sind noch zahlreiche nngedruckte Origmat- Urkunden von Fürsten aus dem Hause Wettin aus dem 14. Jahrhundert vorhanden. Die älteste Ur kunde ist ein Schutzbrief des Markgrafen Friedrich von Sachsen vom 11. Juni 1308 für diese Stadt, welche, als damalige freie Reichsstadt nach Kaiser Alb rechts Tode unter den Schutz des genannten Mark grafen getreten war. Zwickau wurde zwar nach einigen Jahren wieder freie Stadt, trat aber dann völlig nnter die Oberhoheit der Wettiner. — Zwickau. Oeffentliche Verhandlungen vordem Kgl. Landgericht, Strafkammer IU, am 22. u. 23. Jan. Der Bergarbeiter Friedrich Albin Köhler aus Leukers dorf, zuletzt in Lichtenstein aufhältlich, scheint als Wehrpflichtiger, in der Absicht, sich dem Eintritte in den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen, das Gebiet des deutschen Reiches verlassen zu haben. Auch heute erschien derselbe uicht, wurde aber dessen ungeachtet nach 8 140, Absatz 1 des Neichs- strafgesetzbuches zu einer Geldstrafe von 200 Mark, eventuell 1 Monat Gefängnis verurteilt. Der Schiefer decker Heinrich Carl Friedrich.Holschuh aus Mülsen St. Jakob, geb. 12. August 1802 zu Haara, mußte wegen Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von 2 Monaten verurteilt werden. Der Vorfall trug sich am Abend des 31. Oktober v. I. ün Schanklokale der Henriette verw. Schubert iu Mülsen St. Jakob zu. Dortselbst geriet Holschuh mit dem Weber Christian Ehrhardt Bochmann beim Kartenspiele in Streit, welcher insofern in Thütlichkeiten ausartete, als Holschuh mit seinem Bierglase nach Bochmann stieß, sodaß letz terer sofort rücklings zu Boden stürzte. Die Ver letzung, welche derselbe im Gesichte davoutrug, ist nur eine geringfügige gewesen. Holschuh, welcher gestän dig war, versicherte, daß er von Bochmann durch Schimpfreden gereizt worden sei. Bochmann mußte zugeben, den Angeklagten einen „ordinären Menschen" genannt zu haben. — Geyer. Der hiesige Gewerbeverein und der naturwissenschaftliche Verein aus Annaberg besichtigten am 21. Januar die ihrer Vollendung entgegengehende Dynamitfabrik. In zwei Gruppen geteilt und geführt vom Direktor Brückmann und vom Bergverwalter Fröbe, unternahm man eine gemeinsame Wanderung durch das großartige Etablissement. Die einzelnen Fabrikationsaulagen, gegen 40 an der Zahl, sind mit Erdwüllen umgeben, zu deren Aufführung die Bewälti gung von 50,000 ebm Land nötig war. Manche Wälle erreichen eine Höhe von 11 in und messen an ihrer Basis 23 in. Die Fabrikanlage umfaßt im ganzen ein Areal von 40 alten sächsischen Ackern. Beim Bau der Fabrik hat mau sich von dem Grund satz leiten lassen, alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen, welche irgendwie die Arbeiter bei der Fabrikation des gefährlichen Sprengstoffes schützen können. ß Se. Erlaucht der Graf zu Schönburg-Vorder glauchau ist am Mittwoch nebst Gemahlin in Berlin eingetrvffen und im Hotel Kontinental abgestiegen. 8 Posen, 23. Januar. Das hiesige Schwur gericht verurteilte heute deu Pvstuuterbcamten Wein- garth, welcher iu der Nacht zum 21. Juli v. I. aus dem Postamt iu Rawitsch die Summe von 39,250 Mark gestohlen hatte, zu sechs Jahren Zucht haus. 8 Lahr i. B., 23. Januar. Der Dekan För derer ist heute nachmittag von einem Handwerksbnr- schen namens Ada ermordet worden. Der Mörder, welcher irre Reden führt, hat sich nach der That selbst der Polizei gestellt. Derselbe war erst heute früh ans dem Gefängnisse entlassen worden, wo er wegen Nmhertreibcns drei Tage gesessen hatte. ** Paris, 22. Januar. In der Nähe von Grenoble ist ein Gendarm lebendig begraben worden. Der Mann hatte sich furchtbar betrunken und fiel in einem Zustand vollständiger Besinnungslosigkeit. Man glaubte umsomehr, er sei tot, als der Körper ganz starr und kalt war. Ohne einen Arzt hinzuzuziehen, begrub man deu armen Teufel nach 22 Stunden, im Glauben, er fei infolge des Mordsrausches am Schlage gestorben. Als der Totengräber nach dem Begräbnis damit beschäftigt war, die Erde auf dem Grabe sest- znmachen, hörte er, wie der Begrabene an die Sarg- Wände klopfte. Mau eilte ihm schnell zu Hülfe, allein der Aermste war diesmal wirklich tot. Bei den An strengungen, deu Sarg von innen zu offnen, hatte er sich die Hände verletzt und deu Kopf zerschmettert. Der Fall macht viel Aufsehen, aber ähnliche Dinge kommen in Frankreich häufiger vor, als man glaubt und werden auch so lange nicht zu vermeiden sein, als wir nicht eine geregelte Leichenschau haben, an der es jetzt vollständig fehlt. ** Aus Geuf wird dem Neuterschen Büreau der seltene Fall berichtet, daß ein namhafter Nihilist seine Verirrungen bereut hat und von der russischen Regierung Verzeihung erlangte. Es ist dies ein ge wisser Thckomiro, der bis ganz kürzlich der Führer der nihilistischen Flüchtlinge war, aber seine früheren Ideen aufgab und gleichzeitig in seine politischen Glau bensgenossen drang, sich der russischen Regierung zu unterwerfen. Er ist vom Zaren begnadigt worden und wird demnächst nach Rußland zurückkehren. ** Schwyz, 21. Jan. Als der Pfarrer Reichlin in Steinerberg an einem der letzten Abende heimkam, bemerkte er, wie ein verdächtiges Subjekt das Pfarr haus umschlich. Er that, als sähe er uichts, und bald erlosch das Licht im Pfarrhause; der unheimliche Geselle, ein gemeingefährlicher Mensch, Namens Götz, der bereits 12 Jahre im Zuchthaus gesessen hatte, hielt den Zeitpunkt zum Einsteigen für geeignet und erbrach die Thüre. Statt der erwarteten Schütze fand Schloß Bergenhorst. Novelle von Marie Widdern. -------- - (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Kein Mitleid mit der Betrügerin, keins!" rief der Justizrat ernst. „Wenn jemand bei dieser ganzen Geschichte bedauernswert, so ist es Baron Witchingen und der Generaladministratvr der grüflich Bergen- horstschen Güter. Der alte Mann ist rechtschaffen durch und durch, er geht zu Grunde, wenn er erführt, wie tief seine Tochter gesunken." Alle schwiegen. Da erhob sich Lucie wieder. „Es ist die höchste Zeit für mich!" sagte sie. „Ja, geh, Kind, zum letzten mal in den Skla vendienst, welchem Du Dich meinetwegen unterwor fen. Morgen —" Sie schanderte. „O, wie mir vor dem Morgen graut!" hauchte sie. Und noch zum Abschied wie derholten ihre Lippen: „Wenn wir unser Glück nur nicht auf den Trümmern erbauten, in das Hildas ganze Existenz fallen mnß!" -i- Die Gräfin war in sehr schlechter Lanne heim gekehrt. Es hatte eine Szene zwischen ihr und dem Doktor gegeben, in der Bollner wieder energisch gezeigt, daß er sie ganz in seinen Händen halte. Er erklärte ihr unumwunden, zu dem Verlangen berech tigt zu sein, daß sie sich ohne viele Worte in all seine Bestimmungen füge. Die schöne Frau gab infolge dessen auch manche Erklärung, die sie bei reif licher Ueberlegung in einer langen, schlaflosen Nacht gewünscht Hütte, lieber nicht gegeben zu haben. Eine tätliche Angst peinigte sie, sie fürchtete sich vor dem Doktor und konnte den Morgen kanm erwarten, um ihm Versöhnung zu bieten. Ach, Hilda wußte sehr gut, daß dieser Mann sie mit einem Wort verderben konnte! Und daß er sie verderben würde, wem: sie ihm nicht blind gehorche, seine demütige Sklavin wnrde, blieb fraglos. Freilich, ihr Schicksal wurde dann auch das seine. Aber er hatte ihr genug gesagt, daß er gefeit sei gegen jede Gefahr und es ihm nicht darauf ankäme, seinem Dasein ein Ende zu machen, wenn er sähe, daß er — bereits auf schiefer Ebene stände. Gegen alle Gewohnheit klingelte die Gräfin schon gegen 6 Uhr nach ihrem Kammermädchen, um sich für das Frühstück ankleiden zu lassen. Hilda wußte, daß Bolluer die Morgenstunden liebte und sie lesend in der Sünlenhalle zubrachte. So hatte sie beschlossen, ihn dort anfzusuchen. Sie wollte sich ihm dabei von ihrer liebenswürdigsten Seite zeigen, mit ihrer ganzen Schönheit glänzen. Lucie machte ihr deshalb heute auch alles nicht recht und immer wieder mußte sie der Gebieterin eine neue Toilette anlegen, ehe sich Hilda so weit gefiel, daß sie erklärte, es sei jetzt gnt und das Mädchen könne gehen. Lange, lange stand sie dann aber noch vor dem prachtvollen Spiegel und beschaute sich darin. Sie zupfte an den Falten ihres langschleppenden Morgengewandes von weißem Kaschmir und zog an der Spitze des kleinen Häubchens, das auch nur schneeweiß der Frauen wegen, kokett auf dem üppi gen, aschblonden Haar lag. er aber nur einen streitbaren Pfarrherrn, der ihn zu Boden warf und so in seine Gewalt zu bringen ver stand, daß die Polizei den bitter Getäuschten in Em pfang nehmen konnte. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 24. Januar. Der Reichstag beriet die Zölle und die Ver brauchssteuern. Abg. Gehlert (Reichsp.) beschwert sich über die Ausführung der Bestimmung des Zollgesetzes, welche die zollfreie Einfuhr von Brennholz gestattet. Der Begriff Brennholz sei offenbar für die gemeinen Sterblichen, für den Bundesrat und für viele deutsche Zollämter etwas ganz Verschiedenes. Staatssekretär von Maltzahn sagt eine Prüfung zu und antwortete auf die Frage Hoffmann's, daß der Bundesrat den Antrag ans Aufhebung des Iden titätsnachweises abgelehnt habe. Der sächs. Bundesbevollmüchtigte Golze legte die Schwierigkeit einer Unterscheidung zwischen Nutz- und Brennholz dar und sagt möglichstes Entgegen kommen für den Bedarf der Spielwarenindustriezu. Auf eine Anfrage Strnckmann's erwidert Staats sekretär v. Maltzahn, daß der Bundesrat der Be seitigung des Petrvleumfaßzolles nicht zugcstimmt habe und daß der Errichtung eines Reichstarifamtes verfassungsmäßige Bedenken entgegenstünden. Abg. v. Kardvrff wünscht das Brennereigewerbe gegen die Nachteile zu schützen, welche ihm aus deu Privilegien der im Hamburger Zollanschlußgebiete belegenen Brennereien erwachsen. Staatssekretär v. Maltzahn erwiedcrt, daß diese Vergünstigungen bei den Verhandlungen über den Zollauschluß garantiert seien. Eine besondere Be vorzugung sei damit nicht beabsichtigt, sondern nur die Bewahrung des Gewerbes vor gefürchteter Be nachteiligung. Die Beschwerde soll indes; geprüft werden. Abg. Dr. Gamp (Reichsp.) will die privilegierten Brennereien auf den Export beschränken, Ivas regie rungsseitig für unansführbar erklärt wird. Abg. Brömel meint, die Vorteile der betreffen den Brennereien bestünden hauptsächlich in der zoll freien Einfuhr des Getreides. Vielleicht entschließe man sich daraufhin zur Aufhebung des Identitäts nachweises. Auf eine Anfrage des Grafen Mirbach erklärt Staatssekretär v. Maltzahn, daß die verbündeten Regierungen die Aufhebung des Jndentitätsuachweises ablehnten, weil die Interessen Deutschlands in dieser Frage keine einheitlichen seien und die Tragweite eines solchen Schrittes sich auch nicht übersehen lasse. Zn dem Titel Tabakssteuer beantragt die Kom mission Prüfung der Frage, in wie weit eine Er leichterung der Formen der Veranlagung nnd Er hebung der Tabaksstener sowie der Steuersätze für Tabak sich empfehle. Abg. Menzer (kvns.) null entweder eine Ermä ßigung der Steuer auf inländischen Tabak oder eine Erhöhung des Zolles auf inländischen. Abg. Duvignean ist gegen Zvllerhöhnng. Die Tabaksbauern sollten bemüht sein, ein besseres Pro dukt zir liefern. Abg. Müller (Marienwerder) bestreitet, daß es die deutschen Tabaksbauern an der nötigen Kultur verbesserung fehlen ließen. Staatssekretär v. Maltzahn sagt die gewünschten Erwägungen zu. Der finanzielle Gesichtspunkt könne uicht außer Acht gelassen werden. Die Resolution wird angenommen, ebenso der Titel Tabaksstener Nun erst schlüpfte sie aus dem Gemach, eilte die Treppe hinab und trat in die Säulenhalle, in welcher der Doktor mit einem Buch in der Hand beim Kaffee saß. Er studierte so eifrig, daß er die Annäherung der fchönen Frau gar nicht bemerkte. Erst als sie, hinter ihm stehend, ihre Hand ans seine Schultern legte, fnhr er auf und wandte sich nach der Störerin nm. „Ah, gnädigste Gräfin!" sagte er mit kaltem Hohn und maß sie mit einein Blick, der das Blut heiß in Hildas Wangen trieb. „Welch eine reizende Morgentoilette Sie heute angelegt haben? Wählten Sie dieselbe nur, um — unserm lieben Patienten zn entzücken?" Hilda wich einen Schritt zurück. Ein stolzes, strafendes Wort schwebte auf ihren Lippen. Aber sie besann sich schnell wieder und alle Kraft zusam mennehmend und all ihr Talent zur Schauspielkunst, trat sie wieder dicht an den Mann heran den sie jetzt haßte, glühend haßte, nnd an welchen sie sich doch gebunden fühlte für alle Zeit. „Spotten, höhnen Sie nicht, Guido!" hauchte die Gräfin und schlug die schwarzen Angen so hin gebend zu ihm auf, daß sich der Doktor unwillkür lich von seinem Platz erhob. „Hilda!" stammelte er. Sie reichte ihm die Hand, an der der breite Ehering glitzerte, und wie ein Hauch kam es über ihre Lippen: „Ich schmücke mich, Guido, um Ihnen zu ge fallen. Meine Persönlichkeit sollte mir zu Hilfe kommen, wenn ich Sie bitte: Verzeihen Sie mein gestriges Benehmen! Ich bereue tief!"