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gewesen, einst an diesem Orte gejagt haben. Als er hier etwas ausgeruht und geschlummert hätte, sei ein Reh gekommen, und da er gerufen: Wer da? habe sich das Reh vor ihm niedergeworfcn und seine Lauste auf den Schoß gelegt. Da habe sich denn der Bischof entschlossen, die Bäume auszurotlen, eine Stadt anzu legen und an den Ort, wo das Reh zu ihm gekommen, das Rathaus zu bauen, und die Stadt habe damit den Namen Werda bekommen." — Annaberg , 16. Januar. Zu einem origi nellen Wettbeiverb ist dieser Tage durch den städtischen Musikdirektor zu Annaberg eingcladen worden. Der selbe hat nämlich für die drei besten Gedichte, welche sich in harmloser Weise mit lokalen Ange legenheiten befassen und nach einer bekannten gesang lichen Melodie geschrieben sind, drei Preise ausgesetzt, über deren Zuerkennung aber nicht eine Jury ent scheidet, sondern über welche Gedichte das konzert besuchende Publikum in der Art zu Gericht sitzt, daß dieselben einzeln öffentlich gespielt und gesungen werden und darauf die absolute Majorität entscheidet, welchen von den Gedichten die Preise zuznerkenuen sind. Den Lokalpoeten Annabergs ist also eine dankbare Aufgabe gestellt, die ihnen nutzt nur klin genden Lohn verheißt, sondern auch noch die Aner kennung des Publikums verschafft. — Stolpen. Der kürzlich wütende orkanartige Stnrm trat auf unserer Hohe mit solcher Gewalt auf, daß er den Pavillon des Schützenhauses, der aus Ziegeln gebaut ist, nmwarf und das Dach ein ziemlich weites Stück forttrug. In Langenwolmsdorf und Allstadt stürzte er je eine Strohfeime, bezw. Feldscheune um und richtete an den Dächern mehrfachen Schaden an. — Schandau. Die seit Montag auch hier herr schende bedeutende Kälte von durchschnittlich 11° hat bewirkt, daß der Elbstrom von der Landesgrenze Herrus- kretschen-Niedergrund bis weit nach Böhmen hinein vollständig zngcfroren ist. Das sehr starke Eis bildet wenig glatte Flächen, vielmehr hauptsächlich mächtiges Schollengeschiebe, welches die dort aller Orten unzu treffenden Stromübergünge erschwert und während der Nachtzeit die Passanten zur Vorsicht mahnt. Diese Eisdecke ist aber trotzdem für den Verkehr mit den gegenüber liegenden Ortschaften als sehr günstig zu bezeichnen. Der Wasserstand der Elbe ist ungemein gering und befördert so die Grnndeisbildungen. — Ein höchst seltenes Begräbnis, wie es nirgends in unserem Sachsenlande vorkvmmt, vollzog sich am Mittwoch nachmittag in Schandau. Es galt, aus dem hart an der Grenze nnd am Fuße des Großen Winterberges gelegenen Schmilka einen Toten nach dem Schandauer Kirchhofe zu schaffen, eine Aufgabe, welche zur harten Winterszeit schwer zu lösen ist. Der Ort entbehrt bekanntlich jeder Vcr- bindungsstraße nach Schandan und den benachbarten Ortschaften, so daß der Elbstrom als einzige Straße, sowohl im Sommer als auch im Winter benutzt werden muß. Nur wenn der Strom zu ist oder sehr stark mit Eis geht, ist man dort genötigt, die Leiche auf Waldwegen durch das Schrammstein- und Win-- terbergterrain nach Schandau zu bringen, was bei unbeschncitem Weg immer noch vier Stunden Zeit beansprucht. Trotz der 10 Grad Kälte unternahmen es jedoch die beherzten Schiffer aus Schmilka, die Tote, eine 88jährige Geisin, mittelst Fahrzeugs bis zur Einmündung der Kirnitzsch, der sogenannten Bindung, durch die Eismassen zu fahren. Diesmal hatten es die Leidtragen vorgezogen, sich zn Fnß nach Schandan zn begeben, nur einige der Ange hörigen fuhren mit. Während der Sommerszeit Schloß Bergenhorst. Novelle von Marie Widdern. (Nachdruck Verbote».) (Fortsetzung.) Leo errötete. „Ich war zufällig in Gontcn, als die Nachricht kam, daß Baron Wilchiugen gestorben. — Justizrat Glöckner glaubte im Sinne Onkel Ber- genhorsts zu handeln, wenn —" Er kam nicht weiter — die seidenen Portieren zu dem Nebenzimmer waren anseinaudergeschlagen worden nnd zwischen den Falten des schweren, brennend roten Stoffes zeigte sich eine zarte, sylphen- hafte Frauengestalt. „Hilda!" kam es unwillkürlich über die Lippen Lev von Guntruns. Aber im Moment faßte er sich auch schon und verbeugte sich kühl vor der schönen, eleganten Frau, die noch reizvoller, noch verführe rischer erschien ins? dem schwarzen, langschleppenden Trauergewand, das sie zu Ehren des Heimgegangenen Schwagers trug. „Ach, gnädigste Gräfin!" rief der Doktor da und ein blitzartiges Lächeln znckte um seinen Mnnd. „Erlaucht kommen zur glücklichen Minute gerade recht, um einen lieben Verwandten zn begrüßen. Herr von Guntrun ist ohne alle Frage Tag und Nacht gereist, um dem armen, Heimgegangenen Baron die letzte Ehre zu geben. Wie bedauerlich ist es daher, daß er trotzdem zu spät kommt!" „Zu spät!" Die zarte Frauengestalt hatte sich höher aufgerichtet. Sie nahm nicht Anstand, ihre Züge deutlich sprechen zu lassen — von all dem und bei irgend angenehmer Witterung ist es üblich, sich dieser höchst pietätvollen Wasserfahrt anzuschließen. Z Berlin, 18. Januar. Der Abg. Temper, Vertreter für Zwickau im Reichstage, hat heute vor mittag in seiner hiesigen Wohnung, Königgrätzer- straße 38, einen Schlaganfall erlitten. Er wird von seinen parlamentarischen Kollegen, den Doktoren Götz und Kruse, behandelt. ß Hamburg, 18. Januar. Vor dem hiesigen Schwurgericht fand gestern die neuerliche, von dem Reichsgerichte angeordnete Verhandlung gegen den früheren Redakteur Benary statt, der bekanntlich wieder holter Sittlichkeitsvergehen beschuldigt war. Die Ver handlung, in welcher 49 Zeugen vernommen wurden, dauerte von OstO Uhr morgens bis i/s12 Uhr abends und endete mit der abermaligen Verurteilung des An geklagten zu 2^2 Jahren Gefängnis, worauf ihm die verbüßten fünf Monate Untersuchungshaft angerechnet werden sollen. ß Ans Böhmen. Die weitbekannte Wallfahrts stätte Philippsdorf beging am vorigen Sonntag in festlichster Weise die Feier ihrer Entstehung, die Gründung der „Gnadenstälte". Philippsdorf be stand in den früheren Jahren ans einigen einsamen Hüllen, als auf einmal im Jahre 1864 ein Wunder geschehen sein soll, indem ein krankes Mädchen dort gesund geworden war. Philippsdvrf wurde hiernach Wallfahrtsort. Strenggläubige Katholiken begaben sich nach dem Dörflein, um das gesund gewordene Mädchen zu sehen; Kranke und Krüppel wanderten meilenweit dorthin, um sich Hilfe zu holen. Man beschloß eine Kirche auf der Wundcrstclle zu errichten. Das Bauprojekt fand begeisterte Aufnahme, und so wurden denn Geldmittel gesammelt und der Grund stein zn dieser Kirche noch in den sechziger Jahren gelegt. Volle 10 Jahre dauerte aber die Errichtung der Kirche, indem man mehrmals wegen ausgegange ner Geldmittel mit dem Bauen aufhören mußte. * * St. Gallen, 16. Jannar. Die milde Witterung der letzten Tage wurde vielfach zu Berg besteigungen benntzt, aber leider ist auch schon der erste Unglücksfall zu melden. Am 10. d. IN. un ternahmen die Herren Rohrer, Engler und Zahnarzt Meyer von Buchs eine Partie nach dem Hohenkasten (1799 Meter), dem sogenannten „Rigi der Ostschweiz", wo sie, von Schnee überrascht, die Nacht in dem Wirtshaus oben zubrachten. Am Freitag morgen in aller Frühe traten die genannten Bergsteiger den Rückweg an; der glatte Weg und heftiger schneesturm, der sich eingestellt, machte den Abstieg besonders schwierig. Zahnarzt Meyer glitt aus und stürzte in die eine Viertelstunde tiefer liegende Alp Soll hinunter, wo er mit zerschmetterter Hirnschale auf gefunden wurde. Seine Leiche wurde noch gleichen Tages nach Buchs gebracht. * * Paris, 18. Januar. Gestern gerieten im Vassy-Departcment Hame Marne, 3000 französische Eisenbahnarbeiter mit italienischen Arbeitern in einen Kampf, wobei zwei Italiener verwundet wurden. Durch das Eingreifen der Gendarmen gelang es, abends die Ruhe wieder herzustellen. * * Eine an das trojanische Pferd erinnernde Geschichte wird aus einem französischen Grenzorte berichtet: Vor einigen Wochen traf in einem kleinen französischen Städtchen an der Nordgrenze ein Ca- rousselbesitzer mit einem glänzenden Neit-Carousfel ein. Alles war ordnungsmäßig gepackt und die Grenzwächter waren sehr geneigt, der Bitte des Be sitzers, die Pferde recht schonend zu behandeln, da alles neu lackiert sei, zu willfahren. Leider war, was dem Carousselbesitzer jedenfalls unbekannt war, kurz vorher ein alter Praktikus an dieses Zollamt versetzt worden. Dieser hielt es für geboten, sich die Pferde etwas genauer anzusehen, trotzdem der Besitzer auf schnelle Expedition drängte, um seine Bude im benachbarten Dorfe aufschlagen zu können. Das Re sultat der Untersuchung war denn auch recht interessant; der Beamte fand an allen Pferden sehr künstlich ein gefügte Bauchklappen, und als er diese entfernte, ent quollen den Pferdebäuchen zwar keine griechischen Helden, aber doch tausende von Cigarren- und Tabak paketen, welche auf diese Weise über die Grenze ge schafft werden sollten. Natürlich mußte die Dorf jugend für's Erste auf das Vergnügen, Carvussel zu reiten, verzichten. * * London, 15. Januar. Im Generalpost- amtsgebüude in Chester brach am Sonnabend Abend Feuer aus, wodurch 24 Telegrapheninstrumente zerstört oder arg beschädigt wurden. Der durch den Brand augerichtete Schaden wird auf 7000 bis 8000 Lstrl. geschätzt. —„Jack, der Aufschlitzer," der Frauenmörder von Whitechapel, soll, wie telegraphisch gemeldet, in Tunis verhaftet sein. Eine Ergänzung der immerhin noch fragwürdigen Nachricht bringt folgende Londoner Depesche der „Frankf. Ztg.": Die Regierung erhielt ein Telegramm des britischen Konsuls in Tunis, welcher meldet, daß dort ein Mann wegen Ermordung einer Frau verhaftet worden ist; derselbe gesteht ein, in Whitechapel gelebt zu haben. * * London, 18. Januar. Heute vormittag fand in einer Kohlengrube bei Hyde (Grafschaft Cheshire) eine Entzündung schlagender Wetter statt. Bisher wurden 7 Leichen herausgeschafft. Tresduer Plauderbricfe. II. (Nachdruck verboten.) Je näher das Wettiner Jubiläum heranrückt, desto öfter hört man die Frage: „Welche Thatsachen liegen denn eigentlich dem geplanten Feste zu Grunde? Be ginnt nicht die Reihe der Wettiner Fürsten erst 1123 mit Konrad von Wettin?" Ich halte es darum für ein verdienstliches Werk, wenn ich über jene Zeit von 1089—1123 die wichtigsten Einzelheiten, die ich aus allen möglichen Chroniken und andern glaubwürdigen Quellen znsammengetragen, zur Kenntnis Ihrer werten Leser bringe, zumal uns in dieser Angelegenheit fast alle Geschichtswerke im Siiche lassen. Gegründet wurde die Mark Meißen bekanntlich schon 927 vom Kaiser Heinrich I. (dem Städteerbauer) als Bollwerk gegen die nach Westen zu vordringenden Sorben. Doch waren die eisten Verteidiger dieses Grenzlandes nicht erbliche Fürsten, sondern mehr mili tärische Befehlshaber, die wieder abberufen werden konnten. Um's Jahr 1080 umfaßte die Mark Meißen ungefähr das Gebiet des jetzigen Königreichs Sachsen, nur reichte es im Westen bis an die Saale, im Osten bis an den kleinen Nebenfluß des Bober, die Queis. Im Norden stieß an Meißen ein anderes Grenzland, die Ostmark, welche merkwürdigerweise fast ganz jene Hälfte unseres Königreiches umfaßte, welche 1815 zu Preußen geschlagen wurde. Sie grenzte im Osten an den Bober und nordöstlich an die Oder (fast bis Frank furt) und reichte im Westen etwa bis Magdeburg und Halberstadt. Häufig wird die Ostmark auch „die Lausitz" genannt; bannt aber dieser Name nicht zu Irrungen Veranlassung giebt, sei ausdrücklich hervorgehoben, daß die Ostmark nicht etwa unsere heutigen beiden Lauschen umfaßte, sondern daß die jetzige Oberlausitz zur Mark Meißen gehörte, während die Ostmark im Osten aus der heutigen Niederlausitz und im Westen aus einem Hohn und der Genugthuung, die sie in diesem Augen blick innerlich empfand. „Aber Herr von Guntrun", sagte sie dann so ruhig, daß kein Uneingeweihter auch nur hätte ahnen können, welche Beziehungen noch vor ganz kurzer Zeit zwischen diesen beiden jugendlichen Menschen bestanden. „Aber Herr von Guntrun, weshalb machten Sie sich denn diese Kosten? Ausdrücklich, um Sie nicht in Ihren pekuniären Verhältnissen zu derangieren, haben wir es, mein Gemahl und ich, unterlassen, Sie von dem Todesfall in Kenntnis zu setzen!" „Frau Gräfin!" brauste Leo auf. Er hatte das Gefühl, als wenn Hilda ihn in das Gesicht ge schlagen. Aber die schöne Frau lächelte nur. Dann trat sie näher an ihn heran. Ihre Augen schauten in katzenartiger Wildheit zu ihm auf, während sie doch mit so lieblicher, sanfter Stimme flüsterte: „Non äisu, ist es denn eine Schande, arm zu sein?! Etwas lauter, höhnender noch setzte sie hinzu: „Und kann es Sie beleidigen, wenn ich Sie ersuche, bei unserem Banquier eine Erstattung der Reise kosten —!" Er unterbrach sie: „Kein Wort darüber, Frau Gräfin, wenn ich bitten darf! — Lassen Sie es genug mit dem sein, was Sie mir bereits gesagt. Doch noch eine Frage, ehe ich mich entferne", sagte er, tief atemholend. „Kann ich den Oheim sprechen? Er hat zwar ausdrücklich gewünscht, daß alle Be ziehungen zwischen uns abgebrochen, aber —" „Es bleibt trotz Ihrer Bemühungen bei dem Beschluß meines Gatten", setzte Hilda rasch hinzu. „Uebrigens empfängt Graf Bergenhorst überhaupt niemanden. Er ist, seitdem er jenen Sturz vom Pferde gethan, von dem Sie, da Sie sich so lebhaft für ihn interessieren, auch wohl Kunde erlangt haben, am liebsten nnr in meiner und seines Arztes Ge sellschaft." „Das heißt, Frau Gräfin, Sie wünschen es nicht, daß ich Ihren Gemahl sehe und spreche. O, und ich muß anerkennen, daß Ihre Gründe dazu außerordentlich triftige sind!" „Herr von Guntrun!" Ihr schönes Gesicht verzerrte sich. Unwillkürlich ballte sich die kleine Hand. Aber sie faßte sich auch jetzt wieder nnd erwiderte mit einer graziösen Verneigung: „Das soll ein Stich sein, Verehrter! Aber er trifft nicht. Ich zürne Ihnen auch llicht seinetwegen. Je nun, mein Bester, ich erkenne eben auch an, daß den Ver wandten Graf Bergenhorsts meine winzige Person sehr — sehr unbequem sein muß, trotz ihrer Kleinheit ein großer Stein des Anstoßes." „Aber ich sehe, Sie wollen sich entfernen, mein Herr", setzte die Gräfin hinzu, „und ich wage nicht, so egoistisch zu sein, Ihre kostbare Zeit länger in Anspruch zu nehmen,* als zu dem Bescheide notwen dig ist, daß — Graf Bergenhorst kein Interesse mehr für den hegt, der sein Erbe geworden wäre, wenn —", sie trat ganz dicht heran nnd zischelte ihm in das Ohr, „er nicht geglaubt hätte, ein Mäd chenherz von sich stoßen zu können, wie sein zer brochenes Steckenpferd. Und damit Gott befohlen, Herr von Guntrun", setzte die schöne Frau wieder laut hinzu und machte ihm von neuem eine tiefe Verbeugung. Wie eine glitzernde, zischende Schlange