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MIMli-Mck v MM c I früher Wochen- und Kachrichtsblatt zugleich GcsO'B-Anzchtt fiir HoWorf, Nöiilitz, PmiÄorf, Nöshorf, Ct. Wmi, tzeinrilhsurt, U»ritU» mlS Rülseii. Amtsblatt für den Stadtrat zu Lichtenstein. »». Jahrgang. —— Nr. 15. Freitag, den 18. Januar 1889. Dieses Blatt erscheint täglich (außer Sonn-und Festtags) abends für den folgenden Tag. Vierteljährlicher Bezugspreis: 1 Mark 25 Pf. — Einzelne Nummer S Pfennige. — Bestellungen nehmen außer der Expedition in Lichtenstein, Markt 179, alle Kaiser!. Postanstalten, Postboten, sowie die Austräger entgegen. — Inserate werden die viergespaltene Korpuszeile oder deren Naum mit 10 Pfennigen berechnet. — Annahme der Inserate täglich bis spätestens vormittag 10 Uhr. Deutschlands Kolouralpolitik und die Vater iandslicbe. Obwohl die Kolonialvorlage noch gar nicht dem Reichstage zur Beschlußfassung unterbreitet worden ist, so hatte sich doch gelegentlich der Beratung des Etats des auswärtigen Amtes im Reichstage bereits am Dienstag eine lebhafte Debatte über die die Kolonial politik bewegenden Fragen eröffnet. Diese vornehm lich von dem Reichskanzler Fürsten Bismarck und den Abgeordneten Woermann, Richter, Bamberger und Stöcker geführte Debatte trat schließlich aus der Form der einfachen Kritik und Auskunftserteilung ganz und gar heraus und gestaltete sich zu einer schwerwiegenden Debatte über die Kolonialpolitik und den Mangel an Patriotismus in gewissen Kreisen Deutschlands in Hinblick auf die mit der Kolonial politik verbundenen internationalen Schwierigkeiten. Es muß daher sehr zeitgemäß erscheinen, die Frage aufznwcrfen, welche Haltung von der Vaterlandsliebe gegenüber der Kolonialpolitik erwartet werden muß. Wir dürfen in dieser Hinsicht zunächst durchaus nicht die Parteipolitik, wie sie sich im Innern des Vater landes breit macht, in die Frage der Kolonialpolitik hereinziehen, denn die letztere spielt doch gewisser maßen auf auswärtigem Gebiete, und da kann Deutsch land doch nur am imponierendsten und erfolgreichsten anftreten, wenn das Ausland weiß, daß ganz Deutsch land geschlossen hinter seiner Kolonialpolitik steht. Ein geistreicher Redner oder Witzbold hätte es natür lich sehr leicht, über diese Forderung Witze zu machen, daß Alldeutschland in Kamerun oder Ostafrika eine Art „Wacht am Rhein" anstimmen solle, aber mit dieser Art etwas Ersprießliches hinsichtlich der deutschen Kolonialpolitik zu erreichen, käme man natürlich nicht weit. Mögen daher auch schwere Bedenken in Bezug auf die Erwerbung und Gründung deutscher Kolonien in Afrika auftauchen, so ist es doch das erste Gebot kluger Vaterlandsliebe, daß in Deutschland nicht diese Bedenken, sondern der einige ernste Wille der ganzen Nation, mit Kraft und Eifer die Kolonisation zu unternehmen, in den Vordergrund gerückt werden. Es ist deshalb lief zu beklagen, daß so einflußreiche und begabte Männer, wie die Reichstagsabgeordneten Richter und Bamberger, von der deutschen Kolonial politik wie von einem verfehlten Unternehmen reden. Diese Stimmen aus dem deutschen Reichstage müssen ja das Ausland, zumal England, geradezu ermutigen, uns alle kolonialpolitischen Schritte zu erschweren. Ohne Zweifel sind auch gegenwärtig noch alle Urteile über die Aussichten und Erfolge der deutschen Kolonial politik verfrüht, und zwar sind nicht nur die Unken rufe unpassend und verderblich, sondern auch die über schwänglichen goldenen Hoffnungen. Deutschland be findet sich hinsichtlich seiner Kolonialpolitik noch ganz im Anfang und bevor das schwierige Werk nicht noch weiter ausgebaut worden ist, kann man auch keine sicheren Urteile darüber fällen. Gewiß sind Ostafrika, Kamerun und Damaraland keine paradiesischen Gefilde, wo nur Milch und Honig fließt und das Gold nur so vom Boden anfgelesen werden kann, aber es sind auch keine Sandwüsten und Sumpf- und Fieberländer, sondern es sind Gebiete, welche abwechselnd Plantagen land, Wälder, Steppe und dazwischen auch diesen und jenen Sumpf, diese und jene Sandwüste bieten. Aber ungemein reich an nützlichen Produkten ist die dortige Tier- und Pflanzenwelt, zumal wenn der ordnende Geist der Europäer eine vernünftige Wirtschaft dahin bringt und die rohen, aber bildungsfähigen Neger völker allmählich für die Kultur gewonnen werden. Deshalb muß von der Vaterlandsliebe gegenüber der Kolonialpolitik weder hochfliegender Optimismus, noch krankhafter Kleingeist, sondern frischer Mut und echte deutsche Gründlichkeit und Zähigkeit, gepaart mit Vor sicht und Zurückhaltung in allen voreiligen Schluß solgerungen erwartet werden. Tagesereignisse. *— Lichtenstein, 17. Januar. Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, wird bereits nächsten Mon tag, den 21. ds., der erste Vortrag des Herrn Amberg stattfinden. Da genannter Herr eine ganze Reihe hier noch nicht gesehener neuer Experimente vorsühren will, zu denen äußerst kostbare Instrumente nötig sind, die bis jetzt nur wenige Sammlungen besitzen, so unter anderem die Versuche über den 4. Aggregatzustand und die strahlende Materie, die bereits an spiritistisches Gebiet streifen, so dürste die an und für sich schon leb hafte Teilnahme noch sehr erhöht werden. Wir raten daher jedermann, um sich einen Platz zu sichern, sich baldigst aus dem ausgetragenen Zirkular einzuschreiben. — Ob es möglich sein wird, wie erst beabsichtigt war, den Schülerinnen des Königl. Seminars Vorzugspreise zu gewähren, um ihnen den Zutritt zu den Vorträgen zu erleichtern, ist, wie wünschenswert dies auch wäre, leider fraglich. Den jungen Damen dürfte bei ihren physikalischen Studien hierorts wohl kaum etwas ge boten werden, was an die Vollkommenheit dieser Dar stellungen irgendwie heranreicht. — In verschiedenen Orten beobachtete man in den letzten Tagen starke Ketten wilder Gänse, welche eine südliche Richtung einschlugen. Erfahrungsgemäß gelten derartige Züge von Wildvögelu als Anzeichen von andauernder Kälte, oder, wie der Landmann sagt, von einem „laugen Nachwinter." Auch andere volks tümliche Beobachtungen, so au den Weiden und Erlen, sollen einen langen Winter anzeigen. — Seit Beginn unserer Zeitrechnung ist noch keine Milliarde Minuten vergangen; es fehlen daran noch 7,004,800 Minuten. Auch an der Schwelle des 20. Jahrhunderts, in der Sylvesternacht zwischen 1900 und 1901 wird die Milliarde noch nicht ganz voll sein ; es werden vielmehr bis dahin erst 999 405 280 Minuten vergangen sein. Vollendet wird die Milliarde erst sein am 28. April 1902 vormitags 10 Uhr und 40 Minuten. — Zum Gebrauche böhmischer oder sächsischer Heilguellen sind aus den Mitteln der unter Verwal tung des Ministeriums des Innern stehenden Sachs. Stiftung von 26. Juli 1811 au arme Kranke auch für das laufende Jahr eine Anzahl Unterstützungen beziehentlich Freistellen zu vergeben. Die Unterstützungs gesuche sind längstens bis Ende März d. I. bei der 4. Abteilung des genannten Ministeriums einzureichen. Außer den üblichen Lsgitimatiouspapieren und einem Nachweis über die sächsische Staatsangehörigkeit ist auch ein ärztliches Zeugnis mit beizufügen. — Zu den Klagen über mangelhafte Ausbildung der Arbeiter bemerkt die „Soz.-Korr.": Die Ent wickelung unserer Großindustrie hat namentlich in den Textilgewerben, aus welchen vornehmlich jene Klagen kommen, häufige „stille Zeiten", ja selbst völlige Ar beitspausen zur Folge, die den Arbeiter aus dem ge wählten Erwerbszweige Hinausschleudern. Der Ueber- gang von einer geschäftlichen „Saison" zur anderen nimmt oft dem Arbeiter auf Wochen und Monate sein täglich Brod, er muß sich dieses in anderen, augen blicklich günstiger gestellten Industriezweigen suchen, und damit entwickelt sich ganz naturgemäß jene beklagte Unbeständigkeit, jene oberflächliche gewerbliche Aus bildung, die nach amerikanischem Borbilde von vielem etwas, aber von allem nichts tüchtiges kann. Da dieser Zustand eng mit der heutigen Entwickelung unserer Großindustrie verknüpft ist, werden auch die vortrefflichsten Fachschulen hieran nur wenig ändern, so notwendig sie sind und so segensreich sie sonst wirken. Die Mittel zur Abhilfe liegen indes in der Industrie und in den Händen der Fabrikanten selbst. Heute drängen sich namentlich in der Textilindustrie die ge waltigsten Aufträge meist auf eine kurze Zeit zusammen. Wenn es gelingen wollte, jene Aufträge auf längere Monate zu verteilen, dadurch jene „stille Zeiten" ab zukürzen, die häufigen völligen Arbeitspausen am Saisonübergange, die keineswegs mit wirklichen ge schäftlichen Krisen verwechselt werden dürfen, zu ver meiden — dann würde bei solcher regelmäßigen Be schäftigung unsere Jndustriebevölkerung nicht nur seß hafter, sondern auch kenntnisreicher, gediegener, ge wissenhafter in ihrer Arbeit werden. -— Schreiben des Königs Johann von Sachsen an den Bürgermeister Roeck zu Lübeck (1864), mit geteilt von Archivrat Or. jur. Th. Distel in Dresden: „Wohlachtbarer Herr Bürgermeister. Soeben erfahre ich durch die Zeitung, daß Sie in den letzten Tagen Ihr fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert haben. Hätte ich früher davon eine Ahnung gehabt, so würde ich nicht unterlassen haben, zu dem wichtigen Tage mit meinem Glückwünsche aufzuwarten; so aber anch, hoffe ich, werden Sie meine nachträglichen aber darum nicht minder aufrichtigen und herzlichen guten .Wünsche zu diesem schönen Feste freundlich ausneh men. Möge der Himmel Ihnen die Kraft verleihen, noch lange den Angelegenheiten des alten würdigen Lübeck in bewährter deutscher Gesinnung vorzustehen. Die Erinnerung an die denkwürdigen Tage zu Frankfurt schwebt mir in schönen, wenn anch leider vielfach getrübten Bildern vor. — Unter Ihnen ist das Andenken an Ihre würdige und wahrhaft ehren werte Persönlichkeit und das schöne Verhältnis, in dem ich und wohl wir alle mit den Vertretern der freien Städte uns befanden, mir das wohlthuendste. Gebe Gott, daß noch einmal ein Tag erscheine, der unsre damaligen Wünsche und Hoffnungen in irgend einer Weise zur Erfüllung bringe. — Daß mein Herz stets unvermindert für das gemeinschaftliche Vaterland schlägt, brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern. Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung verharre ich, mein Herr Bürgermeister, Ihr ergebenster Johann." Dresden, den 18. Mürz 1864. — Wie durch eine geringfügige Veranlassung jemand ums Leben kommen kann, zeigt folgender Vorfall. Der Kohlenschreiber Jahn aus Döhlen, welcher im Dresdner Kontor des Königlichen Stein kohlenwerks Zaukeroda beschäftigt war, verletzte sich vor ungefähr 14 Tagen durch eine Stahlfeder am Finger. Ohne diese geringe Verletzung zu beachten, zählte er einen Posten Geld. Nach wenigen Tagen stellten sich Schmerzen an der Hand ein, die, da der Verletzte auch diese nicht weiter beachtete, bald den Arm in Mitleidenschaft zogen. Nun erst suchte Jahn ärztliche Hilfe, leider zu spät. Durch die kleine Wunde war beim Geldzählen Grünspan ins Blut gedrungen und hatte eine Blutvergiftung herbeigeführt. Die Ab nahme des Armes konnte infolge großer Entkräftung des Kranken nicht mehr ausgeführt werden und schon nach wenigen Tagen, nach Tagen unsäglicher Schmerzen, gab der bedauernswerte, allseitig geachtete Beamte, seinen Geist auf. — In der Turnerstraße zu Leipzig wurde kürzlich früh iu der fünften Stunde bei empfindlichen Kältegraden ein junger Mensch auf dem Straßenpflaster liegend und schlafend vorgefunden. Derselbe war jedenfalls in der Meinung gewesen, bereits zu Hause angekommen zu sein, hatte sich bis auf das Hemd und Hosen enkleidet und auf die harte kalte Lager stätte zum Nachtschlafe niedergelegt. — Wie außerordentlich segensreich eine Arbeits stätte für Bedürftige wirken kann, das zeigt die Ent wickelung, die jene Chemnitzer Anstalt in den ersten neun Monaten ihres Bestehens bereits nahm. Von dem Eröffnungstage am 1. April 1888 bis zum Jahresschluß wurden in der Anstalt 2182 Personen