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616 Äs ji»m Gefangenen gemacht batte», er wurde also an den Schweis Pferdes befestigt. Al« sie vor ibrem Richter erscheine» sollten, -Äsre« diese nur noch Line» Gefangenen zu iuquiriren; der andere war »«eil« ein entstellter Leichnam. Da da« Kind eine ihm nicht verstand- Lch: Sprache redete, ries der General einen Dolmetscher berbei, der iVm r« Antworten de« Kinde« übersetzen inußte. Ler arme Zunge, ganz « Schmerz über den Verlust seine« Pflegevater« aufgelöst, begann be- 2»» du Geduld leine« Richler« zu ermüden, al« ter Dolmetscher, de» c»»« Unglück der armen Waise Theilnahme cinflößle, kiesen endlich zum -Sprechen bewog. Bo» fragen gedrängt, erzählte er, wa« er wußte, von dem Beginn teurer Reise, bi« zu dem unglückseligen Augenblick, der seinem Gesäbr- ««! den Tod gebracht batte. Al« der General sah. daß er durchaus -c»eu Spion vor stch habe, wollte er ibn zum Mitglied» de« Mustk- -LsvpS oinc« seiner Regimenter machen; al« er aber bald daraus cinsab, >mß dem jungen Mann auch die geringsten musikalischen Kenntnisse «bringen, gab er diesen Plan auf und machte ibn zum Bedienten de« .Dolmetschers. Dieser Dolmetscher nannte sich Uri Gusikoff, und von diesem Augrn- Äick an batte die arme Waise einen Namen. Al« der Friede wieder Lurqcstcllt war, widmete sich Joseph Gusikoff, aus Anralheu seinc- WLhlihäler«, der Musik. Joseph war mit eincm so großen und ange borene» Talente begabt, daß er, ebne eine Noir zu kennen, sich bald »srch seinen Bortrag vor allen anderen wandernden Musikern unter- die ihre Konzerte, wie er, zur Nachtzeit aus öffentlicher Straße qadrn. Sein Ruf war so groß und so weil verbreitet, daß, al« er in Lem- Lprg, ter Hauptstadt Gallizien«, sich ausbielt. der Fierst Gallitzvn ibn risUid, in einer von ibm veranstalteten großen Soiroe sich böreu zu -!Mcn. Joseph Gusikoff erschien lange nach der anberaumlen Stunde. L-c Ursache dieser Verspätung war das eben so plötzliche als uncrwar- Verschwinden seine« Wobllbätcrs, des Dolmetschers; Joscpb bat ^eit jenem Abend nicht« wieder von ibm gehört. M« er in den Saal trat, wart er mit ausmunter.ndcn Worten -empfangen. Der Furst selbst nahm ihn bei der Hand und stellte ihn an Gesellschaft vor. Jeder der Anwesenden stand da mit unbedecktem Haupte; der Künstler allein balle, mit dem Gewände der Polnischen Jude,! bekleidet., cixe Mütze aus dem Kopse, unter welcher stch eine Fülle glanzend schwarzer Locken bcrvordränglc. Seine außerordentliche -Bläffe und seine schwächliche Gestalt erwarben ihm gleich Ansang« die Lcheituabmc aller anwesenden Frauen. Alle Augen waren aus ibn gc- richtel, jede« Ohr «ar bereit, ihn zu hören. Joscpb öffnete da« Käfl- Len, in welchem seine Flöte lag. Line Bewegung der Neugier gab sich in der ganzen Gesellschaft kund, al« der Fürst, der dem Künstler älamer zur Seite war, sich bückte, um einen Gogcnstand zu betrachten, d-r auf dem Beden jene« Kästchen« lag „Was ist das s" fragte der Fürst den Musiker, indem er aus einige kleine Stkeich«» Holz beutele. — ,.E« sind Zweige von dec Sdcomorc-Pflanzc, die ich am Fuße de« Kaukasus gepflückt habe." — ..Und diese-- fragte der Fürst weiter, ine irui er einen anderen Gegenstand bezeichnete. — „Das sind einige Reste Aon dem Stroh, au« welchem da« Lager bestand, auf dem ich zur Weil gekommen bin; e« war der unheilvolle Tag, au welchem diejenige .stark, die mich gebar!" Al« Gusikoff die« sagte, brdeckle er sein Ge sicht, um seine Tbränen zu verberge». ,,L« sind also zwei Zeichen der Erinnerung an Eure Kinberjabre, Holz und Stroh, die Ihr so sorgfältig aufbewabrr f Da« gefällt mir sohl." ,.Für mich ist es von noch größerer Bedeutung, mein Fürst!" fuhr ^Gusikoff sorl. „LS ist ein Instrument, dessen Zufammenfüqung micb -o« Geister in jener Nacht lehrten, al« ich Abschied voni Grabe meiner KcMrr -nahm." >,Jn der Thal!" unterbrach ibn der Fürst, liicbt weniger erstaunt, .«LS diczcmgen, welche einen Kreis um Beide geschlossen hallen. „Und »ic nennt Ihr da« Instrument?" „Ich nenne c« nach den drei Buchstaben, in welchen da« Gchcim- -stß.meines Leben« verborgen ist, nach jenen drei Buchstaben, die in -lost« Armband gegraben sind, da« mich selbst in der Todesstunde nicht erlassen wird; denn diejenige, von der e« stammt, ist meinem Herzen lökuer, und die sanften Tröstungen, die mich bei dem Anblick desselben rrgrrisiu, tbu» meiiiem aufgeregten Gemüibc wobl!" Und bei diesen Worten schlug er de» Ausschlag seine« linken Aermels zurück, und man rbbrcklc gleich uuler dem Handgelenk ein goldene« Armband mil der -Lhrürc ,l. .i. 8. „Aus diesen drei Buchstaben habe ich die drei Worte ch-rova i -ishamo gebildet. So nenne ich mein Instrument. Jetzt, da ick Idneal Alle« gesagt habe, was ich sagen könnte, jetzt fragen Eie mich richt mehr." „Wenn ich Euch aber bäte", fuhr der Fürst fort, „uns die Tövc cucö Instrumente« hören zu lassen, würdet Jbr c« mir ablchlagcn?" „Ich würde gehorchen!" entgegnete Gusikoff, und augenblicklich crzriss er die einzelnen Stückchen Holz und Stroh und lockte mil Hülfe k»eicr dünner Klöpfel, womit er abwechselnd aus da« Hol; und das Stroh schlug, bis dahin nie geahnte Töne hervor. Man hätte glauben .-Sen, daß die Slimmc eines Engel« in diese« Stroh gebannt scv, daß res tejscr Wind durch die Saiten" einer Geisterbarst zittere. Jedermann stae d vor Erstaunen unbeweglich. Al« Gusikoff geendet balle, sank er Lu Boden. Al« er au« seiner Ohnmacht erwachte, befand er sich in seinem Immer, auf seinem Belte. Alis seinem Tische fand er mehrere Empfch- ?«r.gS-Briese »ach Berlin, Petersburg und Frankfurt a. M Daneben -kag Line gefüllte Geldbörse. Die Flöte war au» seinem Kästchen ver schwunden; e« umschloß nur sein wunderbare« Instrument. Gusikoff begriff, daß die« hinreichend scv, ihn bekannt zu machen, und er begann seine Wanderung. In Berlin war der Enthusiasmus, den er erregte, so groß, »aß die Damen nicht müde wurde», seinen hinreißende» Tönen zu lauschen, und daß sie, um das Andenken daran länger zu bewahren, sich eine geraume Zeil ä la Gusikoff srisirlen. In St. Petersburg machte er so große« Glück und gefiel so allge mein, daß man ibn dauernd zu fesseln stichle und ihm die glänzendsten Anerbietungen machte. Gusikoff wie« Alle» mit der größten Bescheiden heit, aber auch mil ungemeiner Festigkeit zurück, weil er. wie er sagte, seine Sendung erfüllen müsse. Al« er in Frankfurt a. M. angekommcu war, ließ ein sehr vorneh mer Diplomat ibm zu Ehren einen Ball vcrailstalten und lud ibn dazu ein. Die Uhr zeigte bereit« Mitternacht, und Gusikoff war noch immer lischt erschienen, Ai» anderen Morgen begab der Edelmann sich in die Wohnung des Künstlers, um nachzüleben, ob er vielleicht krank gewor den fev. Gusikoff antwortete: „Mein Herr, ich habe erfahren, daß Sie im zweiten Stock wohnen, und ich habe die Gewohnheit, mein Instrument nicht höher als bis in die Belle-Etage eines Hauses zu tragen." Bou Zraukfurl schlug Gusikoff den Weg nach Pari« ein, wo er stch gegenwärtig befindet und sich öffentlich hören lassen will. Kein Mensch weiß, wie alt er ist; er ist vielleicht hundert Jabr all, und sieht doch aus, al« hätte er kaum das Bierlheil diese« Aller« erreich!. Seitdem er sich auf der Welt befindet, har er noch keine andere Nah rung zu sich genommen, al« die, an welche ihn die Hirten de« Kaukasus gewöhnt haben; er lebt von Milchspeisen. Er schläft völlig angeklridct, iludirl niemals, belcl immer; und es genügl ibm, ein Musilflück ein mal zu hören, uni e« mil einer Sicherheit und Genauigkeit wiedcrzu- gcbeu, die an Zauberei gränzl. In Wahrheit, dieser Mensch ist kein eigentlicher Mensch: e« ist ein klagender Geist, eine lrofibcdürslige Seele, die ihrem höheren Va- lerlandc unaufhallfam entgegencilt. Gusikoff ig ei» Engel, wie Paganini ein Teufel ist; der Eine trägt den Himmel der Harmonie in sich, dec Andere die Holle der Schwierigkeiten. Den Einen führt Satan an einem Strick mit sich umher, den Ankeren leitet ein Seraph, der ihn mit angenehmen Melodiken umgaukell, die er einem Strohhalm entlockt, den ibm der Wind cnlgegensübrt. — Hva« weiß ich am Ende von ibmk — Kanz Pari«, wenn es ihn gehört und bewundert bat, wird nicht mehr von ibm wissen. Er ist ein Räthfel. Gusikoff wird, sobald er uns Verlag!. nach dem Kaukasus zurück- kchrcn. Dort beabsichtigt er, ganz allein, nur mil Hülse seine« Ge dächtnisse«, ein Instrument von ungewöhnlichem Umfange bervorzubrin- gcn, das die Musik der Sterne und die Harmonie der ewigen Sphären wicdcrlöut. um das Lob de« Ewigen würdig zu verkünden. Dem mäch tige» Instrumente, das bereit« in seinem Geist ganz ausgebildet ist, wird dasjenige, das er jetzt anwendct, zum Muster dienen. Seitdem dieser übermenschliche Plan seinen Geist beschäftigt, treibt es Gusikoff mächtig nach dem Kaukasus, um dort auf dem Grade seiner Mutter binzukuieen und bei den Klänge» seiner riesige» Seraphs-Orgel zu sterben, während er das Kleinod mit den drei räthsclhaslcu Buch staben an seine Lippen drückt. Es ist sein Wille so. Vielleicht ist es auch der Willc des Schicksal«. fl, Kntn'.-Vclo.l Mannigfaltiges. — Sanchuniatbon in Italien. Ler von Hrrrn Friedr. Wa ge,rscld in« Leben gerufene Sanchuniatbon, der in Deutschland schon frit mehreren Monaten wickec glücklich verstorben ist, und dem sowohl von der Pariser Akademie al« in England und Portugal so treffliche Leichenreden gehalten worden sind, ist am k>. Dezember in Italien von neuem aufcrstandc». An diesem Tage nämlich wurde in Mailand das letzte Heft des iöio,>Alit<nn> Ik,limu> ausgegeben, welche« seine Spalten mit eincm Artikel .,8nlln 8tnri» ün! iHnioi sti 8una« niattnw" eröffnet und damit, al« ein« Neuigkeit, die bekannte Ankün digung miithcill, mil der Herr Direktor Grvtefend in Hannover de» Pseudo-Sanchuniatbon bei dem größeren Publikum cinführle. Nun, da« bat lange gedauert, bevor die"Neuigkeit von Hannover »ach Mai land kam! Aber sie Hal auch einen gcwailigcn Umweg genommen, näm lich über England und Frankreich, wie der Iiim>pliim-, selbst cingcstebt. der übcrhaupl kein Hehl daraus mack», daß er, obwohl unter den Augen einer Lettischen Regierung erscheinend, doch noch kein Leutsch gelernt bat, denn in demselben Hefte theilt er auch einen Ausfatz über Wolf gang Menzel'« Geschichte der Deutsche» Literatur und Auszüge daraus — nach der Lckinlnn-Ah-iioviorv mit. Herrn Grolefend's Artikel ist ebenfalls au« dem Englischen, nämlich nach einer Versio» im ^lhuuuouM in« Jtaliänifche übersetzt worden; zugleich bai unser Jtaliäncr zwar durch eine i» der Ituvua ckos stoux älonsto.s befindliche Notiz einen Wink davon erhallen, daß cs mit dcm Saiichunialbon tc« Herrn Wa- gcnseld nicht ganz richtig scv, doch will er daran nicht glauben, dg die Engländer (vermutblich wegen ihrer nahen Verbindung mit Hannover) die Sache doch wobl besser verstehen müssen, al« die Franzosen. Ec ist sogar so freundlich, au« dcm Schatze der eigenen Gelehrsamkeit noch einige Data in Bezug aus Sanchunialhou, die von dessen Deutschen Herausgebern übersehen worden sind, bmzuzüsügen. La diese haupt sächlich tür Herrn Wagcnscld interessant sepn müssen, so nMcrlassen wir nicht, ihn darauf, so wie insbesondere auch aus den Wohllaut aufmerk sam zu machen, den seine Phönijjschcn Poesien: im Jtaliänischcn erhal len haben. SerauSgcgcbcn von der Redacuoq der Allg. Preuß. Sara!«-Kettung. Rcdigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Havn.