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574 „Lein Mann bcurcheilt die Lache nach seinen Gesuhlt», aber nicht nach Lenen der ganzen Armee. Er wird keinen Menschen glauben machen, daß sich nicht ein Regiment finden weide, das sich seines alten Generals erinnere und Anstand nehmen werde, auf ihn zu feuern." Während sie so sprach, dachte die Königin nicht allein a;i Herrn von Ladüdohöre, sondern auch an die Offiziere, denen wir in den Ge birgen von Zabern begegnet waren und die gerade einen Theil des Armee-Corps des Marschalls Ney ausmachcn sollten. Nach dem, was dorgefallen war, konnte man wohl kaum in Zweifel über das sehn, was sie ihun würden. Lie Marschallin war von dec Bestimmtheit, mit der die Königin schauplete, daß man nicht auf den Kaiser schiessen wurde, überrascht. „Mein Gott", sagte sie, „erinnern Sic sich doch, welche Angst wir bei alt' den fürchterliche» Kriegen ausgestandcn haben. Ich habe Sie, als endlich der Friede zu Stande kam, eben so glücklich gesehen, als ich selbst cs war." „Ich spreche Dir meine Meinung, aber nicht meine Gefühle aus. Ich bcdaurc mit Dir die Zurückkunft des Kaisers, und ich würde Alles in Ler Well darum geben, wenn sie nicht ersolgt wäre, denn von allen Seiten betrachtet, sehe ich nur Unglück für ihn und für die ganze Welt oaraus entstehe». Aber wenn Du mir versichern willst, daß der Kaiser von den Franzosen mißhandelt werde», daß nicht ein einziger Mensch seine Sache vcrtheidigcn wird ... so sage ich Dir, daß cs un möglich ist — daß Du dabei den Mann vergissest, von dem Du sprichst, und auch die Nation, für die er so viel gelhau hat. Da aber sehr viel Militairs wie Dein Mann denken werden, so werde» wir einen Bür gerkrieg haben, und es ist uns wohl erlaubt, darüber zu seufzen, denn nichts ist gräßlicher." Die arme Marschallin halte Thränen in den Augen, war ganz außer sich und schien alles Unglück, das sie treffen sollte, vorher zu sehen. Zwei Tage nach der Abreise ihres Mannes ging sic nach den Tuilerieen und kam nachher zur Königin. Niemals war Jemand wie sie empfangen worden. Mem war zärtlich gegen sie gewesen, halte ihr geschmeichelt. Ihr Gemahl wird unser Retter sehn, sagte man ihr, und man wiederholte ihr die Versprechungen, die er dem Könige ge macht. Er wird seine Schuldigkeit lbun, Halle die Marschallin crwie- derl. Aber daß er den Kaiser in einem eisernen Käfig zurückbringen würde, halte der Marschall Nch niemals gesagt. Dies war eine Verleumdung. Die Bewegung war so groß bei Hose und in dec Stadt, daß Jeder für sich in Sorgen war und Niemand einen vernünftigen Rath zu gcben vermochte. Die Königin fühlte die Gefahr ihrer Stellung und ergab sich ihrem Schicksal, wie Jemand, der im Voraus aus jeden Schlag, der ihn treffen kann, gefaßt ist. Sie sagte mir: „Von allen Seiten sehe ich sür mich nur Leiden, und ich werde kein Mittel finden, ihnen zu entfliehen, es bleibt mir also nichts, als mich mit Muth zu waffncn, und das «Hue ich auch." Die Nachricht, daß der Oberst Labödohöre, der zu Chambmv in Gar nison gelegen batte und nach Grenoble beordert worden war, anstatt gegen den Kaiser zu marschiren, sich mil ihm vereinig! und mit dcr ganzen Besatzung zu ihm gestoßen sey, traf bald daraus ein. Die Tborc ocr Stadt hatten sich dem Kaiser geöffnet, der unter dcn laulcste» Frcudenbczcugungen eingezogcn war. Der Oberst Labüdovüre, als der Erste, dcr das Beispiel der Abtrün nigkeit gab, gehörte zu der venrautcn Gesellschaft der Königin. Kein Zweifel herrschte also darüber, daß alles das vorher verabredet gewesen und durch die Verschworenen auSgcsührt worden sey, von denen inan sie umgeben glaubte. Dir in ihrer Eigenliebe gekränkte Partei, für die kein Schwertstreich geschehen war, nahm überdies mit großer Begierde zu dieser Auslegung ihre Zuflucht. Aber um dcr Verschwörung mehr Wahrscheinlichkeit zu geben, mußte man die Verschworenen scstnehmen, und damit beschäftigte man sich jetzt. Gras Pozzo di Borgo, der die Seele und der Rathgeber dcr Bour bonen war, war zu klug, um nicht einzuschcn, daß man de» Kaiser Napoleon in Wien angrciscn müsse, indem man dort gegen ibn alle Kräfte des Kongrrssrs vereinigte, der, einmal ausgelöst, nicht leicht wie der zusammcngcbracht werden konnte. Er reiste also ab, um sich zu Len verbündeten Mächten zu begeben. Nach dcr Abrcisc des Botschafters sah sich Butrakin allein mit Len Interessen Rußlands beauftragt. Er erfüllte die Vollmacht dcr Protection, mit der er von seinem Sonverai» beauftragt worden war, indem er mir sagte, daß die Sicherheit der Königin in Gefahr sch, daß man sie bei Hose beschuldige, an dcu jetzigen Begebenheiten Theil zu nehmen, und daß man die'Frage aufgewvrscn habe, ob man sic nicht gefangen nehmen solle. Ale ich die Königin daraus vorbercireie, sagte sie mir: „Ich kann das nicht verhindern, sie können mit mir machen, was sie wollen." Diese Ergebung vermehrte nur meine Angst um sie. Gewöhnlich hatte sie einen sesten Willen und einen Ausweg beim Unglück; welches Mittel blieb ihr jetzt übrig, um de» Gefahren zu entgehen, die sie umringten? Sie überließ sich ihnen ganz und Halle keinen Men schen, an den sie sich wenden und von dein sie Rath annehmc» konnte. Ich ward ganz krank darüber, den» ich fühlte meine Obnmacht, ihr zu Helse». Traurig und hcrabgcstimmt war tch in mcincm Zimmer, als man mir eine Dame meldete, die mich dringend zu spreche» wünsche. Es war Dew. Ribou, die ich früher bei einer Freundin meiner Muller gesehen hatte. Daß sie seitdem die Hofmeister!» der Kinder des Her zogs von Otranto geworden war, und daß sic in dem Hotel, das dicht an da« uusrigc stieß, wohnte, wußte ich noch gar nicht. Als sie in mein Zimmcr cintrai, schien sie sehr bewegt. Ihre Anhänglichkeit au Le» Herzog und seine Familie war ohiie Gränzcn. Sie sagte mir also ob»c Vorrede, daß dcr Herzog von Otranto die Königin zu sehen wünsche, und daß sie mich um Gotteswiüen bäte, ihr zu sagen, ob Ihre Majcuäi verrit wäre, ih» zu empfange». Ich ging zur Königin hinauf, die in ihrem Kadinet Allein wat, „Wae kann dcr Herzog von Otranto von mir wollen?"-sagte sie »sir. „Ich liebe dcn Vian» nicht sehr. Seine Inlrigucn für die Scheidung meiner Mutter haben ihn mir nicht sehr empfohlen, aber ich will ihn Loch empfangen. Die Lage, in dcr wir uns befinden, ist zu ernst, als daß ich nicht jeden Nath, dcn man mir in diesem Augenblick geben möchte, annehmc» sollte. Sage Lem Fräulein Ribou, daß dcr Herzog nur komme» soll." FouchL kam sogleich und sprach sehr lange mit dcr Königin. Dem. Ribou erzählte mir während dcr Zeit, daß sie in tvdtlicher Angst schwebe, weil der Herzog in jedem Augenblicke Eesahr laufe, festgcnvm- mcn zu werden, daß cr sich bis jetzt nicht habe verbergen wollen, daß man aber Alles veranstalten müsse, damit er sich durch La« Hotel dcr Köni gin retten könne — daß sic schon eine Leiter an Lie Mauer nebenan gestellt habe, und daß cs nur LcS Schlüssels, dcr »ach der Straße Lailboul führe, bedürfe, damit er von dieser Seite cntflichcii könne, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Ler Haushofmeister der Königin hatte allein diesen Schlüssel, und cs war ziemlich schwer, ibn lurans- zubckommen. Nachdem dcr Herzog fort war, licß »nch die Königin rufen und sagte, daß sic sehr gern darein willige, daß der Herzog aus die Art, wie er cs wünsche, sich retten könne, und daß sie nicmals Iemandcn, der sich ihr anvertraue, eine solche Gefälligkeit abschlagen würde. „Er ist nicht sehr ruhig über die Ereignisse, hie uns bevor- stehen", sagte sie; „cr wollte Butrakin sprechen, cs ist ihm aber nicht mcbr möglich; cr hat mich gebeten, ihm einige Woric für den Kaiser Alexander zustcllen zu lassen; bitte ihn doch, zu Dir zu kommcn. In der Gegend von Lao» haben sich die Chasseurs von der Garde, "an ihrer Spitze die Generale Lcscvre-Desnouclics und Lallcmand, empöre. Man Hal diese Bewegung Unterdrückt, aber andere können auf anderen Punkten ausbrechcn, deren man nicht Herr werden dürfte. Dcr Graf von Artois ist von Lyon znrückgekchrt- Er glaubt die Sache dermaßen verloren, daß er Fouchn diese Nacht Hal holen lassen, um ihn zu bitten, die Ruder des Staals zu ergreisen; Lieser hat ihm geantwortet, daß cS nicht mehr Zeit seh, daß zu viele Fehler gemacht worden, als daß sie nicht in dem Kampf gegen dcn Kaifcr nntcrlicgcn sollten, und daß er eine solche Verantwortlichkeit nicht mehr übernehmen könne. Dcr Her zog erwartet nun, festgcnommcn zu werden. Er rätb mir auch, nicht in mcincm Hause zu bleiben, denn durch meinen Einfluß, sagt man, seyeii die Ereignisse so eingetrelen. Ich muß mich darein ergeben, ver kannt zu werden. Fordere meinem Haushosmeister den Schlüssel mei nes Gartens ab und schicke ibn an Dem. Ribou. Fouchö hat mich dermaßen mit den Cbouans erschreckt, die in Pari« sind, daß ich mich sehr freue, meine Kinder nicht mcbr bei mir zu haben. Er fagl, man schwanke noch zwischen zweien Wegen. Ob man alle Personen, die man fürchtet, gefangen nehmen, oder ob man auf ihre Häuser eine Anzahl jener Leute loslaffen soll, die, indem sie raube» und morden, diesen Verbrechen den Anschein einer Volksbewegung gebe» könnten." — „Mein Golt, gnädige Frau, ich beschwöre Sie, bleiben Sic die Nacht nicht hier." — „Wo soll ich denn hin?" — „Gehen Sic zu Ihren Kindern." — „O neinl Wären sie in Sicherheit, wenn mau mir durch ZusaU folgte? Ihre Spur ist jetzt verloren, und ich will mich Lem nicht anssetzcU, Laß man sie vielleicht durch meine Schuld finde» könnte. Ich verbiete einem Jeden, sich von hier dorthin zu bc- gcbcn." — „Aber Sic haben doch Freundr." — „Gewiß", sagte sic, lind sie namilc mir eine Damc, die ziemlich nabe wohnte. Nachher fügte sie hinzu: „Aber wozu sich verbergen, cs ist nicht möglich, daß man mir etwas anhabcn will." „Der Herzog von Otranto",, bemerkte ich. „ist ein kluger Mann; er weiß besser als, irgend Jemand, was die Polizei, unter dem Borwand dcr Sicherheit des Staats, für Maßregeln ergreifen darf. In des Himmels Namen! Setzen Sie sich nicht der Gefahr aus, ergriffen, vielleicht gar gefangen zu werden, und..." — „O neckt, Las Volk von Paris würde es nicht zugebcn. Ich habe nur einen gewaltsamen Einbruch in mein Haus zu sürchlen und wir haben dann noch Zeit, daran zu denken." Mehrere Herren ihrer gewöhnlichen Gesellschaft kamen zu dcr Kö nigin; der Herzog vo» Vicenza war unter dcr Zahl. Er war vom Lande hercingekommcn, weil cr sich sicherer in Paris glanbtc. Die Königin sagte ihncii Alles, was sie erfahren balle, und bat sie, sic nicht wieder zu besuche», weil sie zu vsci Argwohn errege. Dcr Herzog von Vicenza dachte über die Rückkunft des Kaisers gerade wie die Königin; cr war sehr betrübt darüber und überzeugt, daß die Mickten nicht die Verbindungen mil ihm erneuern würden, und daß nach allem bereits erlebten Unglück da« erschöpfte Frankreich keine zweite Invasion des Feindes würde ertragen köuncn. Butratiii besuchte die Königin; cr begnügte sich nicht, nur von mir zu erfahren, was der Herzog vo» Otranto von ihm verlangte, cr wünschte es aus Leu, Munde der Fürstin zu hören und es sogar schrift lich zu haben. Sie erfüllte den Auftrag des Herzogs, Ler Larin be stand, dcn Kaisri von Rußland offen zu fragen, welche« scinc Absichten in Ansehung Frankreichs wären? Ohne Zweifel glaubte damals der Herzog von Otranto, daß ein Bürgerkrieg entstehen und daß Ler Kampf lange dauern würde. Ma» muß ibm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er die Mickle» vcranlasscn wollte, in diesem Kampf nicht zu intcrveniren. Während dieses ganzen Tages war unsere Auslegung außerordent lich; der Gedanke, daß Lie Königin i» Gcsabr schwebe, war nicht dazu gemacht, uns zu beruhigen, und sie bestand daraus, »echt aus ihrem Hause zu gcben. Gegen Abend ließ dieselbe Person, die dcr Königin schon Winke gegeben batte, daß man Lem Prinze,i Engen Fallstricke lege, indem man ihm Spione nach Wicn »achgeschickt habe, ibr sagen, daß man eine Unternehmung gegen die Hotels Ler Herzöge von Otranto und Rovigo vorbercilp, und Laß man de» Versuch einer Volksbewegung i» der Hoff nung eines Ausstandes wagen und vielleicht sogar dir Plünderung dcr