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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeraiions- Prei, 22j Sgr. (j Thir.) »uneljädrlich, 3 Thlr. sür du» ganze Jahr, ohne Er- Höhung, in allen LheNen der Preußischen Monarchie. Literat 145 England. Das Armen-ArbeitShauS zu Liverpool. V » n Nisacd. DaS Arbeitshaus zu Liverpool liegt außerhalb der Stadl auf einer Anhöhe und in gesunder Lust. Die Gebäude der Anstalt sind geräumig, luftig und wohl unterhalten; die Britische Reinlichkeit giebt sich selbst i» Armen-Anstalten zu erkennen. Die Werkstätten sind groß und wohl verwahrt; die Höfe mit Steinplatten belegt, geräumig und offen. Das Haus ist kein Gefängniß, und mau sieht nirgends einen bewaffneten Wachtposten; es läßt sich hieraus schließen, wie gern man hier Gehor sam leistet. Bon Luxus ist übrigens auch nichts zu verspüren; denn ein Gcsammt-Wohlthäler, wie es eine Kommune ist, die sich's zur Pflicht gemacht, ihre Armen zu ernähren, schenkt nichts mit Grazie, und maii sicht nur an zu vielen Stellen, daß die Wohlthat in der Form einer Auflage bewilligt wird. Die Mittels-Personen zwischen der Kommune und ihren Armen sind kalt und ernsthaft wie andere Agen ten, sonst aber brave und rechtschaffene Leute. Die Anstalt ist gastfrei; aber der Gast ist nicht ei» erwarteter Freund, den man zum Ehrcnsitzc führt, sondern ein Armer, dem sein Armuths-Attest Zutritt giebt, und der Kost und Wohnung mit der Arbeit seiner Hände bezahlen muß. Man kann also nur wehmüthig von diesen Anstalten sprechen und das LobenSwcrthe daran nur mit Bedauern loben. Der gegenwärtige Direktor, ein ehemaliger RcchiSgelehrter, ist wegen seiner Redlichkeit und seines festen männlichen Sinnes mit diesem Amte betraut worden. Sein Vorgänger war Einer von Jenen, die ihr Amr als einen guten Erwerbszweig betrachten; er hatte sich unter einem Namen, der dem Französischen lour stobäto» analog ist, enorme Ein- künsle gemacht. Ma» wußte dies recht gut; aber die Macht des Be stehenden ist in England so groß, daß man diesen gewinnsüchtigen Menschen bis an seine» Lod — welcher der einzige Dienst war, den er dem Arbeitspause erwiesen — in Amt und Würden ließ. Der neue Direktor erließ den Arinen alle die unwürdigen Gebühren, mit denen sein Vorgänger sie belastet halte, und begnügt sich mit seinem Gehalte, das allerdings sehr respektabel ist. Das Beispiel des vorigen Ehest balle die ganze Anstatt verdorben: die Lieferanten lieferten schlechte Lebens mittel; die Milch war gefälscht, da« Gemüse übel gewählt und das Brod vermittelst chemischer Vorrichtungen aufgeblasen/ Jetzt Hai Alles ein anderes Ansehen. Di« Differenz zwischen einem habsüchtigen und einem uneigennützigen Menschen Hal große Summen eingebracht und dem Arbeitshause neue Thäligkciten geschaffen, ohne daß die Stadl mehr beizusteuer» brauchte, als früher. Der Direktor des Arbeitshauses zu Liverpool scheint ungefähr fünf zig Jahre alt zu sehn. Er ist ein kluger, gewandter und entschiedener Mann und zeigt in seinem Verkehre mit den Armen jene männliche Sympathie der Redlichkeit, die von dem willfährigen Wesen eines Plus- machers himmelweit verschiede» ist. Die Arme» fürchte» ihn, ohne ibn zu Haffen, weil sie wissen, daß er sie in Schutz nimmt, wenn es nicht vor ihnen steht, und weil er in seinem Benehmen zwischen übergroßer Gelindigkeit und übertriebener Strenge die rechte Milte hält. Dieses erklärt uns, warum ein einzelnes Individuum, dessen Gestalt nicht ein mal ansehnlich ist, wohl zweitausend Personen leiten kann, von denen eine gute Halste rüstige Leute sind und vielleicht Jeder einigen Sauer teig de« Aufruhr« im Herzen trägt; denn welcher Arme glaubt, nur durch eigene Schuld arm zu sevn? Es befinden sich hier Leute, die ihre Leidenschaften nie zu beherrschen gewußt, und deren finsterer Ge horsam selbst etwas Unheimliches bat. Dennoch erheben sich alle diese Leute und entblößen ihr Haupt voll Ebrslircht, wenn der klein- Mann vorübergehl mit seinem lebhaften und durchbohrenden Auge, seinen bc- stimmlen Befehlen, die keine Replik gestatten, seinem raschen Schrill und seiner enkschloffcnen Miene. Seine Festigkeil und Nechlschaffenbeil verlrelen bei ihm die Stelle jener milftairischen Eskorte, welche gewissen Befehlshabern oft nur schwachen Schutz verleiht. Was könnten auch materielle Kräfte hier nützen? Da« Arbeits baus ist ja kein Gefängniß. Wer es müde ist, hier zu leben, der kann sich die Pforte öffnen lassen und die vorige Freiheit oder die freie Hungerqual wieder genieße». Die Anstalt verstößt ibn nicht; sie ver- ablolgt ihm sogar eine Unterstützung für die ersten Tage, bis er Arbeit gesunde,, hat. Findel er keine Arbeil, oder kommt er nach einiger Zeit wieder in Noth, so öffnet ihm die Anstalt von neuem ihre Pforte, und man fragt ih„ nicht einmal, ob er die Arbeit geflohen oder die Arbeit ihn. Freilich jst s-j»- Rückkehr mit der des verlorenen Sohnes nickt zu vergleichen; statt eines Baier«, der ibn aufnimmt und ein Kalb Man »ränumerirt auf diese« Beiblatt der Mg. Pr. Staars- Aeitun, in Berlin in der Erpedttion (Mohrin < Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSIande bei den Wohllöbl- Post - Lenitern. l a 11 d e s. 1836 schlachte» läßt, nm seine Rückkehr festlich zu begeben, findet er einen Ches, in dessen Herzen er ein Iweitausendibeil ist, und der vielleicht beim Willkommen einiges ironische Lob nicht unterdrücke» kann. Uebrigens fühlen nur Wenige den Beruf, die traurige Freude eines Tages der Freiheit zu erproben, dem vielleicht morgen schon bittere« Elend folgt. Die Milde der Verwaltung, die Gewißheit des täglichen Brodies, die mäßige Arbeil, die Kameradschaften, welche in den Werkstätten geknüpft werden, und endlich die Gewohnheil, die den Willen des Menschen all- mälig gefangen nimml, ballen die Meisten im Arbeilebause zurück und lassen «ine Freibeil verschmerzen, deren einziger Genuß in Schwelgereien besteht, denen Mangel und Noch aller Art auf dem Fuße folgen. Die Arbeiten in der Anstalt sind vortrefflich vertbeilt und geregelt. Alle kräftige Armen erbalten Beschäftigungen, die ihren Kräften an gemessen sind. Eine» Theil des Werlbes ihrer Arbeiten schenkt man ihnen, damit sie sich kleine Ergötzlichkcilcn machen oder ihre Familien, die außerhalb wohnen, damit unterstütze» können. Die wollenen und baumwollencii Stoffe, welche zur Kleidung der Insassen nolbwendig sind, werden in der Anstalt sabrizirt. Den Uebcrschuß verkauft man an die Fabrikanten farbiger Stoffe in Manchester. Alte Männer, die zu einer anstrengenden Arbeit nicht mehr Kräfte genug haben, drehen hänfene Stricke, womit man die Schiffe kalfatert. In einem der Säle, wo die Stricke angefcrligt werden, sah ich einen alten Seemann von ungeheurer Beleibtheit — weiland ein Kriegsgesäbrlc Nelson'« — dem sein Bauch als Werktisch dicnle. — „Wollen Sic rinen unserer Zöglinge sehen?" sprach der Direktor, aus jenen guten Mann hiudeu- lend, dessen lief ins Gesichl gedrückler lederner Hut vielleicht auch schon ein Zeitgenosse Nelson s war. Er ries ihn mit fester, doch freundliche, Stimme an. Der alle Ehrenmann erhob zuerst seinen Kopf, dann sei. ncn Bauch, dann seine Beine und kam uns mit gemessenen Schrillen cutgegcn. Aus seinem Gcfichl malle sich, wie mir schien, einiger Un- mulh darüber, daß er als ein Spezimeil der guten Zucht im Arbeits pause gezeigt werden sollte. Zn seinen kräftigen und verständigen Zü gen la« mau unverdientes Unglück. Ec grüßte, sprach aber kein Wort. Wer weiß, ob nicht rin Strahl von Nelson'S Ruhme auf diesen obsku- reu Matrosen gefallen war und einen Keim persönlicher Würde, den kein Unglück ersticken konnte, in ihn gelegt Halle'). Die kluge Verlheilung der Arbeit tragt so viel ein, daß die nvth- wcndigcn Kosten der Anstalt durch den Werth der außerhalb verkauften und innerhalb konsumirlen Gegenstände beinahe gedeckt werden. Nic Kosten und die Erzeugnisse der Arbeit beben sich beinahe gegen einan der aus; und so wird e« der Stadl Liverpool möglich, die Wohllhat ihrer Armen-Taxe auf mehr Individuen aukzudehnen, ja, noch mehr Unglückliche, als im Gemeinde-Register cingclragen sind, an den Muni- zipal-Unterltutzungc» Theil nebmcn zu lassen. So bezahlt das Armen haus die Uebcrsahrt und die Nahrungsmittel aller dec armen Irländer, die, nachdem sic in England Gelraide gemäht, in Liverpool zur Rück kehr sich cinschiffen Diese Leute verlassen England s Boden gewöhnlich in einem trübseligeren Zustande, als sie denselben betraten, weil sic mit dem Erworbenen nicht zu wirlbschaslen gewußt. In ganzer Kleidung waren sic gekommen, und in Lumpen kehren sie "zurück. Es ist ein trauriger Anblick, diese Reibe halbnackter Irländer zu sehen, von denen die Meisten baarfuß und ohne Hemden sind. Mit einer in Heu ge wickelten Sichel an der Seite und einem Knvlenstock in der Hand, ziehen sie, Einer hinter dem Anderen, in ihr grünes Irland zurück, wo der Winter und alle seine Schrecknisse ihrer harren. Einige dieser Un glücklichen irren so lange aus den Straßen von Liverpool herum, bis sie von der Polizei aufgegriffen werden; denn erst durch Vermittelung der Polizei erlangen die Armen gastfreie Behandlung. Man verhört sic, mau untersucht ihre Taschen, um sich zu überzeugen, ob sie auch leer sind (Einige haben nicht einmal Taschen), und alsdann schickt man sic nach dem Arbeitshause, wo sic Kost und Nachtquartier erbalte». Am folgenden Morgen steckt man sie wie eine Heerde Hammel oder Schweine in ein Packclboot und lranSporlirt sie über den Kanal. Bedenken wir, wie sehr jede Stadt mit ihren eigenen Armen geplagt ist, so müssen wir jene barte und karg« Gastfreiheit, die de» armen Fremden ohne Freude empfängt und ohne Mitleid fortschickt, noch be wundern und preisen. Die Kost im Arbeitshause besteht vornehmlich au« Milch, Kar- »; Hier übertreibt unser Autor augenscheinlich in Eranzostscher Schrift steller-Manier Ein Britischer Matrose, aus den ein Strobl von Nelson'« Ruhm gefalle», würde gewiß nicht »bthig habe», tick im Arbeitshause von Liverpool sein Brod zu erwerben Die Veteranen Nelson s werden bekannt lich mit einer an Verzarrelung -ranzende» Sorgfalt im Marine-Invaliden- hause von Greenwich verpflegt. Magazin für die ur des Aus Berlin, Freitag den 2. Dezember