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Wöchentlich erscheinen drei Numnicrn. Pränumeration?- Preis 22) Sgr. lf THIr.j vlertcliäbrlich., >! THIr. für do? ganze Jahr, ohne Eri höhttiig, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. Magazin für die > Man pränumerirt auf LiescS Zweiblatt Ler Altg. Pr. Ttaats- Aeitung in Perlin in Ler Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in Ler Provinz so wie im Auslande bei den Wohllobl. Poft - Aenneem Literatur des Auslandes. 124. Berlin, Freitag den ist. Oktober 1836. England. stil'. Ziici^liipmull (Herr Schlsssfähnrich Wohlgemuth.) Bon Capitain Marryat. London, I8ö6. 3 Bde. Ist Capitain Marrval einer der fruchtbarsten Novellisten, in einer Zeil leihst, wo ein Roman von drei Bünden weniger Muhe und Ge danken kostet, al? ein Kopffchütteln und ein Federstrich, so ist er auch einer der unterballendsicn. Ec bat eine ganz eigene geistreiche und ge- nnitblichc Laune, die ihn nie verlasst, so rasch und lebendig sich auch die Handlung in seiner gcräuschigen Erzählung fortbcwcgt; er weiß einen Plan herrlich anzulegcu und auszuführcn, indem er kübü das Reich der Möglichkeiten durchfliegt; er steuert seine Heiden mit unermüdlicher Kraft durch Strudel und Brandungen, die jeden minder zuversichtlichen Pa- linurus in den Abgrund reißen und verschlingen wlirden; kurz, er scheint das Glück jenes vierfüßigen Hauslbiercs zu iheilcn,^das, wie man cs auch werfen mag, immer auf die Fuße zu stehen kömmt und zu neuem Kampf gerüstet ist. Da baden wir ihn wieder so tapscr als je, und wer eine recht muntere Geschichte liebt und gern von Herzen lacht, der kann, um sich die Langeweile zu vertreiben, nichts Besseres Ibun, ais sich aus einen Kreuzzug mit Heern Schiffsfähnrich Wohlgemuth be geben. Capitain Marryat's Romane haben mancherlei Verdienste. Sic schlagen einen neuen Weg ein, ste find von einer Ader des vortreff lichsten, einfachsten gesunden Sinnes durchflochlen und haben immer einige bcwnndcrnswenhe humoristische und pathetische Stellen. Ihr cigenihümiichster Werth ist aber, wie gesagt, die gute Laune, in der ste geschrieben sind; und gute Laune in einem Birch wie an einem Freunde ist cine der geselligsten Tugenden; sie reißt uns unwillkürlich hin, ste steckt an, mau verzeiht um ihretwillen tausend Fehler; sic ist wie ein moralischer Sonnenschein, dcr über Alles ringsumher seinen Glanz ver breitet. Capilciin Marryat's Schriften athmcn sämmtlich diese gute Laune. Seine Helden gerochen in die Enge und wieder heraus, ganz wie es im wirklichen Leben zu gehen pflegt," denn manchmal scheint ein Bien sch ordentlich dazu geschaffen, um zu zeigen, daß cs geborene Glücks kinder in dcr Welt giebl. Die Laune gebt unscrcm Verfasser nie aus, sic fließt und schwillt mit dcr steigenden Kluth der Erzählung, und dar auf, so wie auf den starken Effekten, beruht weil mcbr dcr Erfolg seiucr Werke, ais auf der Wahrheit ihres allgemeinen Eindrucks. In rein literarischer Hinsicht möchte gar Manches daran auszusetzcn scyn, was auch dem flüchtigsten Leser in die Augen fallen muß. Dcr Stil ist überaus lose und nachlässig; er gleicht einer groben, mit derben Pinscl- strichcn hingeworfenen Decorationsmalerci und macht auch fast eine äbniichc Wirkung. Wo er sich auf ernste Auseinandersetzungen entlaßt, wird er matt und verworren. Aber dcr beständige Wechsel in den Charakteren und im Dialog und der bunte Reichlhum dcr Geschichte reißen, den Leser wider Willen und Neigung seines kritischen Gefühle mit sich fort; er bewundert die Mannigfaltigkeit dcr Erfindung und erstaunt über dic merkwürdige Leichtigkeit, womit dcr Bcrsasscr drama tische Situationen schafft und anbäusk. Die Korm, in welcher die Be gebenheiten erzählt werden, sicht in Capitain Marrvat's Schatzung dem Stoffe nach und gilt ihm als Nebensache. Untergeordnete Rücksichten sind ihm sehr gleichgültig, und wenn nur dcr Gegenstand in. Ganzen anziehend ist, so gicbt er sich keine Mühe, an dem Ausdruck zu feilen, wohlklingende Perioden zu bauen und seine Schriften durch seine Ma- krrci zu verschönern. Seine Romane sind wib aus dem Slcgcreif ge- schriebnm sie haben ganz das Breite, Ungebundene und Massive, dic srcicn Züge und stilistischen Mängel einer Improvisation. Wo der Endzweck ist, durch Gruppirung dcr Sccncn Eindruck her- vorzubringcn und individuelle Charaktere hervorlrctcn zu lassen, da ha ben wir bei Capitain Marryat nicht imunr eine kcnsegucntc Zeichnung und Durchführung zu erwarten. Wir verlieren in seinen belebten Novellen ost dic Identität einzelner Personen und seben nach und nach dic Lein wand mit einer Menge von Charakteren sich füllen, dic alle dieselbe Sprache reden und leicht die Rollen unter einander verwechseln könn ten, ohne daß man cs schr merken würde. Indeß wenn auch dadurch manchmal einige Verwirrung entsteht, so wird sich doch am Ende bei jeder Person irgend eine hervorstechende Eigenschaft geltend machen, und man wird inne werden, daß das Ganze sich auf fcharse Beobach tung de« Lebens gründet. Erscheint die Wirklichkeit in diesen Romanen etwas karikin und roh behandelt, so müssen wir doch anerkennen, daß sie überall die Grundlage bildet, und daß, wenn sich auch an den Theilen bei genauer Analyse mancher Fehler zeigt, doch das Ganze zu sammenhängend und natürlich ist. Es wäre aber Unrecht von der Kri tik, wenn sie auf einzelnen Stellen verweilen wollte, dic uns, so wie abgerissene Begebenheiten in dem wilden Lcbcn eines Seemanns, über trieben und unwahrscheinlich Vorkommen mögen; die allgemeine Wahr scheinlichkeit ist cs, nach dcr das Talent "des Verfassers strebt und worin dcr Lcscr die eigentliche Ursache von dcr Wirkung seiner Schrif ten finden wird. Herr Schiffsfähnrich Wohlgemuth bildet in mancher Hinsicht einen Kontrast zu Capitain Marryat's früheren Dichtungen. Das Scelcbcn ist hier verständlicher, hat weniger von dem zotenhaften Kauderwälsch und gilbt ein faßlicheres Bild von diesem Dienst, als cs ein Land bewohner durch die bloße Schiffssprachc erhält. Dic Geschichte ist ein Panorama von Abenteuern, dcr Held cin Glückskind; in lausend ver kehrten Begriffen auscrzogcn, wie so viele einzige Söhne, ist er doch so glücklich, die meisten derselben durch ein wenig Ersahrung zu brwäl- ligcn, ehe sic eingewurzelte Vorurtheile werden. Er wird vom Zufall in einen völligen Strudel von Ereignissen geworfen, treibt wie cin Kork auf dcn Wässern umher und zicbl sich zuletzt, nachdem er mcbr Prü fungen bestanden, als sonst dcn Schiffssäbnrichcn Vorbehalten sind, aus dem Dienst zurück, um in dcn Genuß cincs beträchtlichen Vermögens zu treten, das er durch den Tod seines Vaters erbt, und sich dcr Wonne des häuslichen Glücks im Verein mit einer Siciliancrin zu erfreuen, dic cr auf seinen Reisen kennen gelernt. Dic Moral des Ganzen be ruht in dcr praktischcn Veranschaulichung des trügerischen Wesens der Lehre von der Gleichheit. Herrn Schiffssähnrich Wohlgcmuth'e Vater gehört zu den Vcrthcidigrrn der gleichen Menschenrechte und impft seine Grundsätze srüh dem Gemuih seines Sohnes ein, dcr aber, trotz dieser Nivcliirungs-Prinjipicn, in Allem scincn eigenen Weg gebt. Dieser Theil dcr Geschichte ist mit großem Humor behandelt; "dic Vertbcidigcr dec Gleichheit werden fortwährend durch dic lächerlichsten Umstände ge schlagen; dic Pachter weigern sich, den Zins zu zahlen, weil ja doch alle Mcnschcn gleiches Recht an da« Land hätten; dcr wilde Knabe wird gcbctzt und" gcpuffi, weil er Acpfel stichst, dic er sich anzueiguen das vollkommenste Recht zu haben glaubt; und als der junge Herr Wohlgemuth zur See geht, in dcr Ucberzcugung, daß alle menschliche Dinge gleich und eben sehen, entdeckt cr am Ende an dcr strengen Mannszucdi aus einem Kriegsschiffe, daß er in sehr irrigen Ansichten auscrzogcn worden. Einem schlagendere,i Beispiel von dcr Nothwcndig- kcit bestimmter Abstufungen und gcmcssener Unterordnung kounlc er nicht begegnen, und dic Art und Wcisc, wie dies durch die Streitigkeiten der Offiziere und das Einschreiten dcr ^ibcrkn entwickelt wird, bietet viel Stoff zu. komischer Satire. Die Aclicrn unseres Helden sind mit nachlässigem, aber zierlichem Pinsel skizzirt; Herr Wohlgemuth der Aclierc (frühere Humoristen wür den ihn Junker Wohlgemuth genannt haben) bat drei Steckenpferde: Gleichheit, Argumcuiirung lind Schäbcllchre; besonders brennt er vor Begierde, Alles haarklein zu argumcnlircn. Diese fixen Ideen arten bei dem allen Manne zuletzt in Wahnwitz aus, während dcr Jüngere, dcr sich in zwei derselben auch gewaltig verliebt bat, vermöge seiner prak tischeren Richtung, verbunden mit einem srurigcn Temperament und einem athletischen wohlgcsormlcn Körper, sic samml seinen unzähligen Abenteuern glücklich überwindet. Dcr Anfang von Capitain Marrvat's Romanen ist gewöhnlich mit größerer Sorgfalt und Haltung geschrieben, als der spätere Fortgang ter Geschichte. Je mehr dcr Schauplatz sich erweitert, um desto nachlässiger wird dcr Stil, ter oft zu völliger Schlaffheit ausartct. Eben so ist es auch in dcr vorliegenden Erzählung; die ersten Seiten sind glatt und trefflich. „Herr Nikodemus Wohlgemuth — so hieß ein Gentleman brunte» in Hampshire — war vcrheiralhcl und Halle, seinen Umständen nach, schr Wohlgemuth lcbcn können. Gar manchcs Paar tritt Wohlgemuth in den Stand dcr Ebe und findet nichts hübscher, als Kinder zu ha ben, aber cs fühlt sich nicht immer so Wohlgemuth, wenn cs, sie ernäh ren und erziehen soll. Hcrr Wohlgemuth "hatte nun zwar in letzterer Hinsicht keine Ursache, nicht woblgcmulh zu fcyn, denn cr bcsaß keine Kinder; aber erhalle gar gern welche gehabt, wic die meisten Mensche» gerade nach dem am sehnsüchtigsten streben, was sie nicht erlangen kön nen. Nach zehn Jahren gab Hcrr Woblgcmulh dic Sache auf, er machte aber einen schlechten Tausch. Man sagt, die Philosophie scv ei» Trost bei scbfgcschlagcnrn Hoffnungen, obwohl Shakespeare versichert, sic Helse nicht einmal gegen Zahnweh. Herr Wohlgemuth wurde also Philosoph, der beste Beruf, den cin Mensch erwähle» kann, wenn er zu weiter nichts taugt; das wüßte schon cin gewaltiger Dummkopf seyn, der nicht Unsinn zu reden verstände. Eine Zeit lang konnte Hcrr Wobl gcmulh nicht mit sich eins wcrden, aus welcher Art von Unsinn der