Volltext Seite (XML)
462 »»stößige Lebe» der Päpste selbst, kurz Alles, was die Vereinsgenoffcn veradschene», das Alles ging zwei Jahrhunderte hindurch nicht nur seinen gewöhnlichen Gang fort, ivuder» wurde immer ärger, ohne daß die Eiugeweihlen der Sekte sich jemals ans Tageslicht hcrvcrwaglen, ohne daß sie den geringsten Versuch machten, die Völker um sich zu sammeln. Wer kann an einen Verein glauben, der zahlreich gewesen scyn, ganz Italien wie mit einem Netz überzogen, die ausgezeichnetsten Talente unter seinen Mitgliedern gehabt und doch kein anderes Lebenszeichen von sich gegeben haben soll, als jämmerliche Wortspielerkien. Diesem Verein nun schreibt Herr Rossetti eine» großen Einfluß auf die Reformation des sechzehnten Jahrhunderts zu. Da er aber diesseits dieser Epoche stehen bleibt, so können wir uns die Mühe spa ren, ihn im Voraus zu widerlegen. E« ist gegen alle Regeln der Logik, mitten entfernten, dunklen und mehr als zweifelhaften Grund aufzusuchen, wenn die naheliegenden Gründe deutlich und stark genug sind, um eine Begebenheit zn erklären. Luther's Reformation fand einen mächtigen Wiederhall in Europa. Italien konnte dieser Enthüllung nicht fremd bleiben, aber cs empfand sie später, al« andere an Deutschland grän- zende Länder. Und Hal man übrigens wohl jemals sagen hören, daß die Italiänischen Protestanten ihre Grundsätze »on einer alten geh«, men Gesellschaft hergclcitet bätic»? Ihre offen anerkannten Orakel wa ren Luther, Melanchion, Zwingli, Calvin und andere Reformatoren, mit denen sie in Verbindung standen. Selbst in der Zeil, wo dec Religions-Aufstand in Deutschland ausbrach, war man in Italien mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Die schönen Künste hatten ihren Gipfel erreicht. Zu Rom vollendete man den gewaltigsten und herrlichsten Tempel, dec jemals zu Ehren irgend eines Kultus errichtet worden. Michel Angelo und Raphael strengten ihren Genius um die Wette an, mu die Pracht der Römischen Kirche zu verschönern und ihre Triuuiphe zu verhcrrtichen. Niemand schien zu ahnen, daß die Herrschaft derselben bis in ihre Grundvcsten erschüttert sep. Zn mehreren Ztaliänischen Schriftstellern ter ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts (zum Beispiel im Macchiavell) ist an unzwei deutigen Symptomen leicht ein ganz anderer Geist zu erkennen, als der, welcher die Reformatoren beseelte: ein allgemeiner Skepticismus, der, wie gewöhnlich, von der größte» Gleichgültigkeit gegen alles Religiöse, worin diese Autoren nur ein politisches Werkzeug sahen, begleitet ist. Jedermann weiß, daß Dante und Peirarch die Verderbtheit des Hofes von Rom und Avison und die Mißbräuche des Kirchenregi« menlS ohne Schonung gerügt haben, aber noch nie Halle Zcmand ge ahnt, daß sie sich, wäre cs auch nur im verborgensten Winkel ihres Innern, von der katholischen Kirche getrennt oder deren Lehren ver worfen hätten. Was wir hier von diesen großen Männer» sagen, hat nicht znm Zweck, ihren Rus als Rechtgläubige wiederherzustcUeu; nur in ihrer Eigeirschaft al« Dichter müsse» wir sie rechtfertige» und de» Flecken tilgen, den Herr Rossetti ihrer Stirn ausdrücken will. Als er von Danie sprich!, ruft er aus: „Wahrlich, die Religion, diese Tochter des Hinimels, wird darum nicht ininder heilig sehn, wenn cS bewiesen ist, daß eine zitternde Muse, uni sich unverwundbar zu mache», von der Furcht bewöge» wurde, sich ihrer als Deckmantel zu bedienen!" — Was sollen diese gedrechselten Phrase» ander« sage», als daß die Furcht den Dichter zum Heuchler gemacht habe? Dame'« Muse zitternd! Paffender wäre von ihr der Ausdruck donnernd! Er hat sein große« Gedicht unter der Last eines Todesurlheil« verfaßt, al« er, von Florenz verbannt und seine« väterlichen Erbes beraubt, von «inem unsichere» Asyl zum anderen irrte; er Hal es bei sein«, Lebzeiten bekannt gemacht, obgleich die« Gedicht von der Art grar, daß e« ihm die Feindschaft vieler Mächtigen und besonders der kirchlichen Würden träger zuziehcn mußte. Er suhlte die schmerzlichste Sehnsucht nach seinem Valcrlandc; er hoffte »och, daß die seinem Gedicht gezollte Be- »undcrunz das gegen ihn gefällte Unheil rückgängig machen und daß man ihn in deuiselbcn Baptisterium mit dem Lorbeer krönen würde, wo er über die Taufe gchalle» worden. Hat er aber deshalb wohl den Florentinern im mindesten geschmeichelt oder sie nur geschont« Sagt er ihnen nicht die bittersten Wahrheiten« Und dieser kühne, stolze Geist, der im Unglück nur noch größer wurde, dieses zugleich so fromme und beschauliche Gemuih, sollte freiwillig durch eine sorlwäbrend« Lüge da« doppelte Heiligthum der Religion uud der Poesie entweiht haben! Um sein Zweideutigkeits-System zu unterstützen, erinnert Herr Rossetti an den allegorischen und dunklen Charakter der „göttlichen Komödie." Dante'S Dunkelheit rührt von seiner überaus lakonischen Kürze her, so wie von der oft veralteten und mif gewaltigen Licenzen untermisch ten Sprache; von tausend Anspielungen ans jetzt wenig mehr bekannte oder ganz verwischte Züge aus der Geschichte oder aus dem Lebe» ein zelner Männer; von einer wissenschaftlichen Sphäre, die von der unsrigcn ga»z abwcicht, indem sie aus der Physik und Metaphysik des Aristoteles, nach dem damaligen Lerständniß derselben, ferner aus der Astronomie des Ptolemäus und aus der Theologie der Kirchenlehrer, namentlich dcS Thomas von Aguino und dcS heiligen Bonaventura, bestand; miiuiilrr auch von der Sonderbarkeit dieses einsamen Geiste«, der in Allem, in Ausdrücken, Metaphern und Vergleichungen, die beirelencn Pfade ver mied. Niemals aber findet man jene verworrene Dunkelheit, die aus der Unklarheit der Gedanken und de« Stils entsteht. Ist man «st einmal in den Siu» eingedrunge», so Hal man auch etwas Wesenhaftes. Uedrigens sind der Stelle», die unerklärlich geblieben oder geworden, nicht so gar viel. Er würden ihrer noch weniger scy», wenn die alten Kommentatoren mit mehr Kritik bei ihrer Arbeit zu Werkt gegangen wäre». In dieser Hinsicht haben die neueren Erklärer den Vorzug; aber sic sind wieder mit der Denkweise de« Dichter« und seiner Ze>t- geii-ffen nicht so vertraut. Dante strebte nach Universalität des Wissens, und um ihn richtig zu beurtheilcn, muß man die Armuch seines Ma terials kcnncn, welche die Quelle seiner Irrihümcr ist. Das Mittelalter batte einen vorherrschenden Geschmack für die Allegorie. Später sieht man sie noch in der Malerei figuriren, und die dramatische Poesie hat damit begonnen. Die Persoiiisizirung einer all- geineiucn oder abstrakten Idee hat nichts Zweikeuljgcs, aber i» der Dichtkunst ist sie, ihrer Klarheit ungeachtet, stets etwa« kalt. Soll man a» die Wirklichkeit eines idealen Wesens glauben, so muß es in dividuelle Züge annehme»; dieser Fall hat in der Mythologie statt- gcfunden. Die meisten Gottheiten Griechenlands waren ursprünglich Symbole der Naturmächle oder der Scelcnkrästc; aber es waren nicht Personifijirnngc», welche die Reflexion für diesen Zweck besonders er- funden hatte, sondern vielmehr unwillkürliche Schöpfungen einer jugend lichen Phantasie, für die Alles in der Natur beseelt war. Die Tra dition schuf dann eine Geschichte dieser Gottheiten und verwandelte sic dadurch in Individuen. Eben so hat Dante in seinen Personifizirungen den idealen Theil und den individuellen Charakter dermaßen Mil ein ander verschmolzen, daß es nicht niehr möglich ist, sie zu trennen. Dec Wanderer, der die drei Regionen durchschreitet, wo die Seelen je nach ihr«» sittlichen Zustande sich aushallen, ist der natürliche Mensch; aber cs ist auch er, der Dichter selbst, Dante Alighieri, mit all scinc» be sonderen LebenSverhällnissen. Virgil stellt die noch nicht durch die Offenbarung erleuchtete Vernunft vor; aber es ist auch dec Lateinische Dichter, den das ganze Mittelalter als einen großcn Weisen verehrte. Beatrice «präsent!« die Wissenschaft der göttlichen Dinge; aber cs ist auch Beatrice Portmaki, deren keusche Schönheit auf Dante von seiner frühesten Jugend an einen so tiefe» Eindruck gemacht hatte. Was ist denn nun in dieser Verbindung so Unbegreifliches? Das Schöne ist ein Wiederschei» der göttlichen Vollkommenheit in der sichtbaren Welt, und nach der Platonischen Vorstellung verleiht cme reine Bewunderung die Flügel, deren die Seele bedarf, um sich zu de» himmlische» Re gionen emporzuschwingt». lieber einige spezielle Allegorie«! ist viel hi» und her gestritten worden, und die Kominc»laiorcn haben über den Sinn derselben nicht einig werden können. Das beweist, daß sie nicht glücklich ersundeii waren, aber man kann sie zur Seile liegen lassen, ohne daß dem Gan zen dadurch Abbruch geschieht. Die Visionen am Schluß des Fegfeners (Gesang 32), wo Dante viele Bilder aus der Apokalypse entlehnt Hai, beziehen sich auf die Intriguen und Händel zwischen Bonifaz VIII. und Philipp dem Schönen und aus die Versetzung des heiligen Stuhl« nach Avignon. Der Lichter Hal sich hier prophetischer Form«, bedienen müssen, weil diese Ereignisse in eine spätere Zeil falle», als seine ideale Wanderung, nämlich erst nach dem Jahre IZOO. Dcss«mngcachlel ist die Allegorie sehr klar, und alle Erlaulerer haben sie verstanden. Man kann von Dante i» dem bben von uns imzedeuteten Sinne sagen, daß ihn ei» an lipapistischer Geist beseelt habe; memt man aber damit die Verwerfung einer oberste» Central-Gewalt i» der Kirche und den Wunsch, den heiligen Stuhl zu stürzen, so war ihm nichts so fern, als ein solcher Gedanke. I» dieser Beziehung ist die Rede, die er den heiligen Petru« (Paradies, 17) halten laßt, entscheidend. Die Heiligkeit ter Institution an sich wird darin behauptet, ungeachtet der schrecklichen Entartung, in die sie versunken. Diese gavze Stelle ist prächtig. Das Himmelslicht, welches die Seele des Apostel« einschlicßt, erröthet vor Unwillen; das Firmament färbt sich; c« entsteht eine Finsterniß wie in den, Augenblicke, wo der Heiland starb, und es er tönen folgende Donncrworlc: „Der, welcher auf Erden meinen Platz sich anmaßt, meinen Platz, sage ich, teil erledigten im Angesichte des Sohne« Golles, hat au« memem Kirchhof cme Kloake voll Blut und Unrath gemacht, so daß der Geist de« Böse», von der Höbe der Him mel hinabgestürzt, sich dort nuten wohlgcsällt." Diese Verse zielen aus Bonisaz VIII. Zn, Verfolg seiner Rede bezeichn« ter Apostel im Vorau« das sündhafte Leben der eisten Päpste zu Avignon, Clemens' V. und Johann'« XXII., indem er denselben die Heiligkeit seiner ersten Nachfolger, die für den Glauben zu Märtyrern geworden, gezcn- überstcllt. Ist e« nun wohl überhaupt möglich, stärkere und kühnere Dinge zu sagen? Gewiß, dirse Worte Hallie» nicht bloß in Italien wie der; ter Hof von Avignon, wo damals Johann XXII. thronte, mußte davon erbeben. Der große Mann, der so zu sprcchen wagte, was halte der zu verbergen? Ist es glaublich, daß er, um seine Gedanken nur von einigen Vertrauten «rachen zu lasse», in Logogrypbe und Akrosti chen eingekleidet haben sollte, wa« ec mit Donnerstimme auf öffentli chem Markl gepredigt Halle? Dasselbe, was von Dante, gilt auch von Pctrarka. Auch er bat unumwttttden gesprochen und die Päpste feiner Zeit offen angegriffen. In seiiien Briesen gicbt er das gräulichste Gemälde vom Hofe zu Avignon. Diese Briefe, sagt Herr Rossetti, wurden erst nach seinem Tode veröffenllich». Aber so'viel wir wissen, wurden Petrarka's Briefe sehr bewundert und gingen von Hand zu Hand; die Behauptung hätte also bewiesen werden muffe»; indeß wir wollen dies bingehen lassen. Herr Rossetti glaubt, in Petrarka's Lateinischen Hirteligcdichic», einer Nachahmung Virgil«, für seine Hypothese eine bedeutende Stütze ge funden zu haben. Im sechsten dieser Gedichte werden uns St. Petrus und Clemen« VI. im Hirtengewande und unter den Name» Pamphilus liild Miiion vorgefübrt. Im siebenten stellt die Nymphe Epv, Geliebte de« Papste«, die Stadt Avignon vor. Bei dieser Gelegeiiheil gicbt uns Herr Rosselli eine Probe von seiner Griechische» Gelchrsamkeil: «nmiroflice >Ii et IßziZicurn, imli" >l»>'I!a citlä e;>i- eucea in riRrotlc,. in oz>llc>^». (Epy, die halbe Wurzel vo» Epylog und Ephknr, bezeichnet jene epikuräische Slabt im slinimaris.be» Inbc- griff, im Epilog.) Wir verweisen hier de» gelehrten Professor a» die ersten besten Schulknabcn, die vielleicht so boshaft sch» werden, ihn bci dem Glauben zu lassen, daß seine Orthographie richtig nud seine Etymologie vortrefflich sev. Die Sache ist jedoch kein Nächst! der Svhmr; ---'.ro heißt „steil"; e« ist also offenbar cine Anspielung auf