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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prännmeralioni- Preis 22^ Sgr. Thlr.) vicrtcliährlich, Z Tblr. für da« ganze Jahr, ohne Er- Höhung, in allen Theile» ter Preußisch!» Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf tiefe« Beiblatt ter AUg. Pr. TtaatS- Aeitunz in Berlin in ter Ervcbition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslände bei ten Wohllobl. Post - Aenncrn. Literatur des Auslandes. 102. Berlin, Mittwoch den 2j. Anglist 18A6. Spanien. Briefe über Spanicn. Saragossa, 10. Zull 1830. Ludwig XIV. sagte bekanntlich nach der Annahme des Testaments Karl s II. zu seinem Enkel Philipp V.: „Es gicbi keine Pyrenäen mehr!" Tiefe so berühmt gewordenen Worte beweisen hinlänglich, da« der groß- König Spanien nie gesehen, hast er niemals die Pyrenäen überschritten Halle. Nic Hal die Natur selbst zwei Länder strenger von einander geschieden, als Frankreich und Spanien; sic grub die sichtbaren Zeichen ihrer Trennung dem Erdboden selbst mit scharscn Zügen ein. Die Pyrenäen, diese furchtbare, fünfundzwanzig Meilen «starke Mauer zeigt auf ihren entgegengesetzten Seilen, schon aus wenig Schrille Ent- scrnung, die grellsten Konleastc. Wenn man diese« Gebirge, das sich terrassenförmig bis zum Gipfel der imposanten Bergkette erhebt, von der Französischen'Seile besteigt, wandert man inmitten der entzückendsten NaturschönbeUc». Tic Straße ton Olcron, die einzige, welche die Navarrcsischc» Guerillas bis jetzt frcigclasscu haben, führt durch einen steilen und jähen, von der Gave durchschnittene» Hohlweg, wo alle Rcichthümcr einer üppigen, wilden Natur in Ucberstuß verstreut sind. Der cngvcrschlungcnc Fußpfad folgt dem Laufe des Bergströms; an seiner Quelle angclangt, sicht der Reisende die schnecbedccklcn Gipsrl ter Berge, deren Fuß mit einer reichen Vegetation bedeckt ist; hier sind es hochstämmige Bäume mit mächtigen Laubkronen, dort ist es niedri ges, undurchdringliches Gebüsch; von der Höhe dieser riesigen, schncc- bcdccklen Gipstl stürzen schäumende Kaskaden mil furchtbarem Grräusch herab, sie umbrauscn und überströmen die Straße, die Ihr wandert. Am steilen Abhänge erbaute Hüllen, die mit Gärlcn und Feldern um geben sind, bezeugen plötzlich nicht nur die Gegenwart des Menschen in dieser Wildniß, sondern auch die Herrschaft, welche er über sic ausübt. Ich glaube nicht, daß es noch einen Ort in Europa gicbt, der reicher an großartigen und lieblichen Kontrasten ist. Liber kaum hat mau den Gipfel erklommen und steigt aus der anderen Seile wieder herab, als auch der Schauplatz sich völlig verändert; er wird zu einer schroffen, wilden, unbewohnbaren Nalur; Wüste und Lase, Leben und Tod liegen kaum zwanzig Schritte aus einander. Zwei Bcrgströmc bezeichnen die Slraßc: von Französischer Seile die Gave, von Spanischer der Gallego; der Weg vcrsolgl die lausend Windungen derselben und führt an den schroffsten Abgründen vorüber. Einige Meilen, bevor man die Eränzc erreicht, verläßt man den Wagen und besteig! ein Maullhicr, das ein zige Thier, dem man sich in -diesen gefährlichen Hohlwegen mit voll kommener Sicherheit anvcrlraucn kann. Für einen Neuling Hal diese Art zu rciscn clwas ImponircndcS, namcnllich, wenn man an der Spanischen Seile wieder herabstcigt. Millen durch furchtbare Grauil- tlöckc führt rin steiler Pfad abwärts, zur Linken von Abgründen be- gränzl, die alle mindestens eine Tiefe von drei- bis vierhundert Fuß haben; kein Bollwerk schirmt gegen,dieselben. Es bleibt dem Reisenden nichts weiter übrig, als de» Zügel fallen zu lassen und sich gänzlich der Klugheit des Maullhicr« anzuvcrlraucn; es ist inlcrcssanl, die Sicher heit und Ausdauer dieser unvergleichlichen Thicrc zu beobachten. Der Boden ist abschüssig und ungleich, aber immer wird das verständige Thier den Hinlersuß auf dieselbe Stelle setzen, welche dcr Vordcrsuß rinnahm, und wenn sie sich auSruhcn, ziehen sic die Beine unter den Lauch und hallen sich fest, bis sic sich mil gleicher Sicherheil wieder erheben. Man reise! auf diese Wcise am ersten Tage von Ecrdcs nach Eonfrav und am zwcilcn Tage bis Ayerbc. Mari' glaub! »ich!, daß man bei einer Hitze von dreißig Graden neunzrhn Slunden hinter ein- andcr reiten kann; aber sei! die Slraßcn, welche nach Bayonne und Eatalonic» führen, gcspcrrl sind, kann, man aus keine andere Weise nach Spanien gelangen. Rechnet man dazu die über alle Begriffe traurige» Gasthöfe, wo man Euch mil ranzigem Lei und mil einem Wein rcga- lirl, dcr in Ziegenfellen aufbewahrl wird, und wo man Euch Zimmer oder vielmehr Schlaftale auwcist, in welchen vier bis fünf Bellen neben einander stehen, sv hat man einen vollständigen Begriff von allen An nehmlichkeiten, die diese Reise gewährt. ' Tas einzig Interessante, das sich auf dieser Seite darbiclct, sind die Maullhierlrciber. ES sind große, krästigc, gewandte, unerschrockene Menschen, unermüdliche Fußgänger, die auf den steinigen Wegen ihre Thiere im vollen Trabe vor sich Herzogen. Ihr robuster Körper, ihre muskulösen Beine, ihre nacklen, mil Haus-Sandalen bedccklcn Füße zeigen schon den kräsligcn Menschelischlag von Aragonien, von dem sie sich nur durch rin gefälligere« und fröhlichere« Wesen unterscheiden. Bon Zeil zu Zci! begegneten wir einigen Bergbewohnern, die, nach Art ter Weiber, auf einem schlechten Pserke saßen und, da« Gewehr übcr die Schuller gchängl, aus die Jagd gingen, um die enlbchrle MittagS- Mahlzcil wenigstens am Abend zu erdculc». Und diese Leute, die ihre Tage in dcr größten Regellosigkeit hinbringen, sind dic nalürlichcn Ver bündeten aller derjenigen, welche das Joch der bestehenden Gewalt ab- zuwcrscn bemüht sind; eurer Herrschaft, die sie nicht bcdürsen, die sie nur behindert und langweilt. Je mehr man sich Aragonien nähert, nm so deutlicher erscheint auch dem Reisenden das Elend Spaniens in seiner cigtnllichstcn Ge stalt. Zuerst in Iaca, einem befestigten Platz, dcr dic Schluchten des Gebirge« beherrscht, bann in Gurrca, einem schlecht befestigten Ort, wo mau anhäll, um zu frühstücken; mau ist von einer Legion Bettler um ringt; auf den Plätzen sicht man ganze Schaareu nackter Kinder, dbc sich in dcn Pfützen wälzen und mil Ungeziefer bedeck! sind. Eilt nach Lyon und Rouen, durchstreift in diesen Slädleu die schmutzigsten und ärmsten Quailicre, und Ihr werdet »och immer keine» Begriff von dic- scm Ekcl erregenden Elend habe». Unsere Französischen Bettler scheine» von Schmutz Und Enlbchruug zu leiden; diese Spanier aber finden darin ihre Existenz; sic sind darin geboren, sic lcbcn darin fort, sie stcrdcn darin, c« ist ihnen zur andcrc» Nalur geworden. Uni übrigens dem Abcnlcucrlichen und Poetischcn wieder näher zu kommen, findet Ihr in de» schmutzigen Gasthöfen diese« Lande« ganz die Physiognomie dcr Gasthöfe des Don Quixote wieder: große, vou Pfeilern gclragcne Säle, keine Stuhle, aber eine steinerne Bank, welche rund um die Mauer läuft. Die kegelförmig gebaute Decke nimm! de» Rauch aus und dient zum Schornstein Es ist unnütz, von der schauderhaften Ratalulla"), die man Euch zu esse» gilbt, weiter zu spreche». Ihr scyd nur zwanzig Meilen von Frankreich entfernt, aber Ihr könnt leicht aus den Gedanke» geratbc», cs srvcn zwcitausc»d. Selbst dic Liebe zum Erwin» Hal nicht vermocht, dicsc angccrblc Faulheit, diese Sorg losigkeit sür de» folgenden Tag zu besiegen: eine National-Untugend, dic eine stärkere Mauer zwischen Frankreich und Spanien bildet^ als selbst dic Pyrcnäcn sind. Ei» Gegenstand, übcr den ter Reisende bei seinem erste» Eintritt in Spanien lebhaft erstaunt, ist dic Bcstcchlichkcil, ich möchic fast sagen dic Bcllclhastigkcit dcr Spanischcu Gränz-Iollbcamlcu. Dic Gesetze sind hicr nicht weniger ängstlich als in Frankreich; der Paß und dic Reise-Effekte» gebe» zu einer Menge von kleine» Chikane» Anlaß; glücklicherweise aber weiß mau seil langer Zeil ein bcwährlcS Mittel, wodurch der Eiser dcr Douancu bcdculcnd zu mäßigt» ist; ma» kann sehr lcichl cinc Ucbcrcinkunst mit ihncu treffe», vermittelst welcher man, wc»» ma» sonst will, ganz Frankreich in Spanien einschmuggcln kann: legt cinc» Piaster in ihre stets offene Hand, und c« ist abgclhan. Und wen» Ihr dicsc Ecrcmouic zufällig vergeßt, werden sic so frei scy», Euch daran zu erinnern; Ihr dürft diesen ehrlichen Leute», ohne zu ver stoßen, Euer Almosen öffentlich, in Gegenwart vo» zwanzig Personen geben; sic werde» sich weder cs anzunchmcn weigern, »och werde» sic rrrölhc». Dic Schönheit dc« Spanischen Bodcns ist anerkannt, e« ist die« eine längst gewürdigte und geheiligte Sache; nicht nur dic Romanzen hallen davon wieder, nicht allein in dcn Ballade» grüne» Eilroncn- wäldcr, lacht dic klare Bläue diese« klassischen Himmels. Greist selbst zu ernsten Werke», leset die Geschichte der Spanische» Kriege von To- rc»o; dieser ernste Historiker wird Euch auf dic blühende» Felder am User des Ebro u»d i» dic ewig grünenden Olive»wälder dicser glückli chen Gefilde führe». Daß solche Beschreibungr» früher überaus richtig gewescu sind, wer möchte es bezweifel» ? Aber heutige« Tage« sucht man im ganzen Frankreich vergebens nach einer solche» dürre» Heidestrecke, dic so kahl, so cnivölkcr! ist, al« da« Thal von Gallego, durch welches dic Straße nach Saragossa führt. Ans einer Strecke von 23 Leguas sicht man keine» Baum; ein sandiger Boden, aus welchem einige NoS- marittsiräucher kümmerlich hervorsprossru, da« ist Alle«, was mau auf dem langen Wege von Ayerbe bi« Saragossa sicht; dazu kommen einige kleine Städte, wie Gurrea und Iueraaußerdem aber kaum ein Dors; das Auge durchirrt auf cinmal einen Raum vou zwei bi« drei Meilen im Umkreis, und auf diesem ausgedehnte» Raume ist keine menschliche Wohnung, nicht da« kleinste Olive,igrhölz zu sehen; sandiger KicS, au« welchem der Rosmarin kaum sichtbar hcrvorsproßt, ein dichter Staub in einer stickend beiße» Atmosphäre, das ist dcr ganze Reiz dcr Gegend. Trotz dieser Dürre und Ocdc des Bodcns wäre es aber dennoch mög- *) Eine Art Suovc, ober vielmehr ein Brei, in bcm Brod, Wurzel», Kräuter m f. w. durch einander gemengt ß»d-