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MSgMt!-ch erscheinen drei Nummern. PränumerattonS- Prei» 22^ Sgr. (F THIr.) vierteljShrlich, 3 Tblr. für da« ganze Jahr, ahne Er tz Shu ng, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Slaats- Zeitung in Berlin in der Exoedition (Mohren < Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 89. Berlin, Montag den 25. Juli 1836. Schweiz. Der Paß von Anterne. Aas Thal von Servaz ist da« erste, in da« man an« dem von Chamonir gelangt. Wenn der Schnee von den benachbarten Gipfeln verschwunden ist, wenn die Wieses sich wieder in ihr Grim gekleidet haben, wenn die Abendsonne die Felsen vergoldet, die es einschließen, dann ist diese« Thal gar lachend bei all seiner Wildheit, Einige Hullen liege» zerstreut darin Umber, und unter ihnen ein kleines Wirihshaus, in dem ich am Abend des 12. Juni anlangte. Man kann auf vielerlei Weise aus diesem Thal hinan«. Manche schlagen die große Straße ein, welches natürlich der einfachste Weg ist; ich aber, damals ein junger Mann und überdies ein leidenschaftlicher Fußgänger, verschmähte solche breitgrtretcne Thalwege. Ein Wanderer will Gipfel und Engpässe, er will Abenteuer, Gefahren und Wunder; warum ? Weil dies eben sein Element ist. So wie der Esel sich nicht träume» läßt, daß man von der Muhle zum Bäcker anders als auf dem kürzesten, gewöhnlichsten und bequemsten Wege gehen könne, eben so wenig denkt ei» Wanderlustiger daran, daß es sich von Servoj nach Genf anders als ans -dem längste», beschwerlichsten und schrecklichsten Wege gelangen lasse. Die reisende» KausmannSdicner, die Käschänd- ler, die Millionäre und die alten Leute lhun cs dem Esel nach; die Literalen, die Künstler, die Engländer, Herr A. Dumas und ich machen es wie der Wanderlustige. Kaum war ich daher in dem kleinen Gasthof von Servoz ange- kommen, als ich mich nach der Beschaffenheit der Päße und Ausgänge erkundigte. Man nannte mir den Paß von Anlerne, eine enge Schlucht, eingeklemmt von den Fiz-Spitzcii und von der Basts des Mont Luct; de? Fußsteig ist schwierig, der Gipfel rauh und kahl; ich sah, daß es ganz etwas für mich war, und entschloß mich, am folgenden Tage mit Hülse eines guten Führer« diesen Weg cinzuschlagcn. Leider gicbt es jedoch an dem Ort keine Führer, und man konnte mir dazu mir eine» Gemsenjager Vorschläge»; aber eS sand sich, daß dieser Man» bereits von einem Englischen Steifende» gedungen war, der sich auf demselben Wege, den ich zu nehmen beschlossen Halle, »ach Sirt begeben wollle. Ich balle diesen Wanderlustige» bei meiner Ankunft auf der Schwelle des WirlhshauscS gesehen; eS war ein Gentleman von ge fälligem Aeußern, eben so eigen als ausgesucht gekleidet und von sehr feinem Benehmen, denn er erwiedcrtc mir den Gruß nicht, den ich im Vorbeigehen an ihn richtete, was bei wohlerzogenen Engländern ein Zeichen von gutem Ton und Wctikenntniß ist. Da ich jedoch hörte, daß der von diesem Reisenden Gedungene der einzige Mensch in dem Orte sey, der mich nach dcm Paß von Anterne führen könne, so kehrte ich wieder zu dcm Engländcr zurück und hoffte, ibn dabin zu bewegen, daß er mir erlauben würde, den Weg nach dcm Paß in seiner Gesell schaft zu machen, wenn ich dem Oemsenjäger die Hälfte des Lohn« zahlte. Der Engländer saß mil dcm Gesicht nach dcm Mont. Blanc gekehrt, ohne ihn jedoch anzuscbcn. Er batte eben gegähnt; ich gähnte auch, um ihm meine Shmpachie zu bezeigen; dann glaubte ich noch ein paar Minuten warten zu müssen, damit MvlorbIeit hätte, sich mit meiner Person vertrau! zu machen; so, dachte ich, würde ich mich als bei ihm eingeführt, als ihm vorgestcllt ansebeii können. Wie mir nun der günstige Augenblick gekommen zu sev» schien, sagte ich halb laut und sürs erste noch ohne mich an Jemand zu wenden: „Herrlich, ein erhabenes Schauspiel!" SS rührle sich nicht«, e« antwortete nicht«. Ich trat näher. „Monsieur", sagte ich sehr höflich, „kommen ohne Zweifel von Eha- monir? (Za.) — „Ich bin ebenfalls heute früh von dort ausge gangen." Der Engländler gähnte noch einmal. — „Ich habe nicht das Glück gehabt, Monsieur, Ihnen untcrwege« zu begegnen; Sic müssen über den Paß von Balme gekommen sevn?" — !><>. (Nein.) „Uedcr den Prarion vielleicht?" — «o. — „Ich kam gestern über die Schwarze Koppe dort an und denke morgen über den Paß von Anlerne zu geben, wenn ich nämlich einen Führer finden kann. Sie haben, wie ich höre, eine» bekommen?" — 0>. — ,M! »o! da« hol' der Teufel, sagte ich im Süllen zu mir. Dumme« Geschöpf! Dann cnt- schloß ich mich, die Sache rasch zur Enlscheidung zu bringen, und fragte: Wäre es wohl unbescheiden voll mir, Monsieur, wenn ich, falls ich keinen Führer anflrcibcn kann, Sie um die Erlaubnis bäte, mich Ihnen anzuschließen, unter der Bedingung, daß ich die Hälflc zahle?" — II H avn ein l'inclisnröoltnn (Ja, es wäre unbescheidcn.) — „In diesem Fall will ich e« nicht", versetzte ich und sulsernte mich, ganz entzückt über dies interessante Zwiegespräch. E« ist eine köstliche Zeit auf der Reise, wenn man des Abends in einer einsamen, wilden Gegend auf da« Ungefähr süß umherirrl, ohne an etwa« Anderes zu denken, al« zu schalten, was sich un« darbiclet, mit den Vorübergehenden zu plaudern und einen Appetit, den unser Marsch schon geschärft bat, und den da« bestellte Mahl bald befriedigen wird, noch mehr zu reizen. Indem ich so spazieren ging, wandte ich meine Schrille nach einem mit Trümmern bedeckten Felsen; man nennt ibn den St. Michaels-Berg. Zwei Ziegen weideten darauf; sie flohen bei meinem Anblick, ich blieb alleiniger Herr de« Platzes und setzte mich neben jungen Erlen nieder, die an diesem Orte wachsen. Ich will hier nicht etwa ein Abenteuer zu erzählen Anstalt machen. Dergleichen, lieber Lcfer, mußt du nicht erwarten. Ich saß da, und da« war Alle«. Aber da« ist auch viel, glaube mir, zu dieser Tages stunde und an diesem Orte. Das Thal liegt schon im Schallen; nur dort, wo c« nach dem Mont-Blanc hin sich öffnet, der ganz nabe ist, erhellt und särbl ein glänzende« Licht die Eisfelder diese«'majestätischen Gipfel«, dessen Zacken sich von einem dunklen Azur scharf abgränzen; ein prächtiger Anblick! So wie die Sonne sinkt, zieht der Glanz sich allmälig von den Gletschern, diesen lransparentcn Abgründen, zurück, und wenn von den höchsten Spitzen der letzte Schimmer verschwindet, scheint es, als habe da« Leben aufgehörl, die Natur zu beseelen. Dann kehren die Sinne, die bis diesen Augenblick an jene Höhen wie durch einen Zauber gebannt und gefesselt waren, wieder zum Thal zurück; die Wange fühlt den frischen Hauch de« Abendwinde«, da« Ohr hört wieder da« Rauschen de« Bach«, und der Geist steigt von den Hohen der Beschauung hernieder, um an die Nachtmahlzcit zu denken. Ein Hirl war herbeigckommcn, die Ziegen zu holen. Aus seinem Rückwege gesellte ich mich zu ihm. Dieser gute Mensch halte einige Kennünß von dem Paß von Anlerne, uwd ich würde ihm gewiß vorgc- schlagen haben, mir am nächsten Morgc» als Führer zu dienen, hätte ich nicht die äußerste Kleinmüthigkeit bei ihm wahrzunehmen geglaubt. „Gemeint Leute allenfalls", sagte er, „aber vornehme Herren,'nein! Der Schnee liegt überdies sehr hoch! Es ist erst acht Tage her, da sind dort zwei Schweine nmgekommcn; e« waren Pierre'«; und seine Frau dazu, die sic au« SamoinS von, Markle zurücktrieb. Zwei ganz auSgewachscne Schweine! Wenn sie sie noch verkauft bällc, so würde sich wenigsten« das Geld gesunden haben! Ich sage Ihnen, es ist ein schlimmer Weg im Juni."' Ich versicherte ihm auf Grund meines Rei sehandbuch«, daß der Paß von Anterne im Gegentheil scbr leicht zu übersteigen seh, weil er sich nur 7l)86 Fuß über die Mecrcsflächc erhebe, während die Gränze des ewigen Schnees erst bei 7812 Fuß eintrelc. Und da die Kraft meiner Beweisführung den Hirten nicht überzeugt zu haben schien, so nahm ich mein Bleistift und vollzog ans dem Deckel eben dieses Reisehandbuchs eine siegreiche Sublraclion, wodurch ich darlhat, daß wir von der Höhe des Paffe« aus noch 726 Fuß kahlen Felsen, folglich wcdcr Schnee noch Eis, hätten. ülä s')' klar! (Darauf ist nichts zu geben!) sagte er in seinem PatoiS. „Ihre Ziffern, auf die verstehe ich mich nicht'; aber sehen Sie, es sind jetzt zwei Jahre, da ist, in eben dem Monat, ein Engländer dort geblieben. Es war der Sohn. Ich sah seinen Baier voller Thrä- ncn und Trauer. Sic bewirthcten ihn festlich bei Ncnaud's, sic sektcn ihm gclrocknele Nüsse, Fleisch und schöne Bisse» vor; es half Alles nichts! Er wollle seinen Sohn. Man fand ihn scchSunddrcißig Slnn- den nachher, aber es war nur der Leichnam." ES schien mir ganz klar, daß dieser Mensch die Namen verwechselte, denn das Reisehandbuch war zuverlässig und die Subtraktion richtig. Ucbrigens wollle ich ja ein wenig Gefahren, und wenn ich dachte, daß an den Aussagen des Hirten am Ende etwas Wahres seh, mir durch die Uebertrcibung cincs furchtsamen GemüthS vergrößert, so fand ich, daß der Eol d'Antcrnc gerade der Paß war, der mir unter allen Pässen am meisten zusaze. Ich beharrte also bei meinem Plan, diesen Weg zu nehmen, wen» auch ohne Führer, da ich keinen auftrcibcn konnte, so doch mit dem Beistände meines trefflichen Reisehandbuchs und mil der Absicht, kurz nach dem Engländcr aufzubrechen, um seinen Fußlapsen von fern zu folgen. Als ich in'den Gasthof znrückkam, sand ich das Abendessen bereit« angerichtct. Für mich war ein kleiner Tisch gedeckt; weiterhin batte Mhlord den seinigen, an dem er in Gesellschaft einer jungen Demoisclle, seiner Tochter, speiste, die ich noch nicht gesehen halte <^ie war schön, strahlte von Iugcndsrische, und ihr Benehmen zeigte die Mischung von Anmulb und Steifheit, die man bei den sungen Engländerinnen aus den vornehmen Klaffen so oft findet. Da ich Englisch verstehe, so hätte ick von ihrer Unterhaltung profitiren können, ohne doch daran Theil zu nehmen; aber sie beschränkte sich auf den Austausch einiger einsilbigen