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322 sie den Schwierigkeilen, die sich ihr, erstens weil sie eine Protestantin und zweitens weil das Gut nicht mehr im Besitz ihrer Familie war, entgegenstellten, varzubcugen und allerlei Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen suchen. Demnächst söhnte sie vor Allem die Priester dadurch mit sich aus, daß sie das Kirchengcbäude aus ihre Kosten verschönerte; sodann aber ließ sie ein prächtiges Gemälde zu Wien ansertigcn, das sie der Gemeinde verehrte, wodurch sie die letztere in einem hohen Grade sich verbindlich machte. Hierzu kam das allgemein verbreitete Gerücht, daß die Gräfin in ihrem letzten Willen gewisse Summen ausgesetzt, die gleich nach ihrer Beisetzung in der Familiengruft der Purgstall'« unter die Armen verlheilt werden sollten; auch war die Geistlichkeit des Olts da von überzeugt, daß ihre Armen ebenfalls im Testamente der Gräfin nicht unbedacht bleiben wurden. Alle diese Dinge erzählte sie uns nicht nur mit der äußersten Gleichgültigkeit in Bezug auf ihren Tod, sondern selbst mit jener Art voll lebhaftem Interesse, mit dem Jemand von einem angenehmen Besuche spricht, den er im nächsten Frühling einem seiner Freunde abzustallen gedenkt. Ich war anfangs verlegen, wie ich mich hierbei benehmen sollte — ob ernst oder heiler — da cs Loch eben nicht artig schien, mich über die Details des Leichenbegängnisses meiner Wirthili in einem scherzhaften Tone zu unterhalten. Endlich aber fragte ich sie, ob sie nicht hier zu Lande, eben so wie in England, deshalb Schwierigkeiten finden dürfte, in einer Gruft innerhalb der Kirche bei- gesetzt zu werden, wenn es nicht in einem bleiernen Sarg geschähe? Ich machte sie darauf aufmerksam, daß es besonders, da in Oester reich die Beerdigung unmittelbar nach dem ersolgtcn Tode statt- juhabc» pflegt, zumal in einer Provinzialstadt, nicht leicht sehn dürfte, die nöthigen Vorkehrungen so schnell zu treffen. „Und denken Sic wohl", crwiederte hieraus dic Alle lächelnd, „denken Sie, daß ich wirk lich die Gefahr laufen würde, die Erfüllung des höchsten und letzten meiner Wünsche von einer solchen reinen Zufälligkeit abhäugeu zu lassen? Nein! Nein! Sie sollen sich selbst davon überzeugen!" Hierbei zog sic die Glocke und ließ ihren treue» Joseph hcrbeikommcn. „Nimm die Schlüssel", sagte sie zu ihm, „und zeige Capitain Hall meinen Sarg " Hieraus wendete sic sich zu uns und fügte hinzu: „Wenn Sie das Ling sehen werden, so glaube ich, werden Sie mir cinräumen, daß man dasselbe wohl nicht deshalb aus dcr Kirche verweisen dürfte, weil cs etwa nicht scsi oder nicht schön genug seh." Ich gestehe, daß ich nicht wenig ncugierig war, zu sehen, was für eine Schönheit an dem bleiernen Sarge sehn könnte; ich fand indes; bald, daß er nicht aus Blei, son dern aus Eisen, und zwar so geschmackvoll gearbeitet war, daß er mehr einem jener Prachtwerkc dcr Skulptur, dir über einigen alten Monu menten in der Westminster-Abtci in London hervorragen, als einem zum Gebrauche für eine wirkliche Leichc bestimmten Sa?ge ähnlich war. Nachdem wir drei große phantastisch gestaltete Schlösser abgenommeu und den Deckel zurückgelegt, bemerkte ich zu meinem Erstaunen zwei Bündel in dem Sarge, die, in wcißc Leinwand niedlich zusammen- genäht, jedes in einem besonderen Winkel lagen. Ich bückte mich nieder und entdeckte, daß cs Papiere waren, auf denen die Handschrift dcr Gräfin zu erkennen und die Worte zu lesen waren: „Unsere Briefe — I. A. Purgstall." Wir entlehnen unserem Werke noch die letzte, rührendste Scene: „Ich war nicht wenig darüber erstaunt, von meiner Wirlhin den Wunsch äußern zu hören, daß wir so lange bei ihr verweilen möchten, bis sie ihren Geist aufgäbe. Da die Gräfin dies in einem heileren und säst scherzhaften Tone aussprach, so versuchte ich, ihr in demselben Tone zu antworten: „Bitte, Madame", sagte ich, „wann glauben Sie denn eigentlich zu sterben, — denn darauf möchte cs doch wohl noch vor Allem ankommcn?" Die Alte lächelte, als sie sah, daß ich den Gegen stand auf diese Weise ausnahm und rief aus: „Sic haben sehr recht; man kann nicht von Ihnen verlangen, daß Sie auf eine unbestimmte Zeit hier bleiben, und cs wäre von Ihnen ebcn so unvernünftig, ein solches Versprechen einzugehen, als von mir, es zu fordern. Aber", fügte sie nach einer Pause von zwei oder drei Minuten in einem ernsteren Tone hinzu, „ich werde Sie nicht lange aufballen. Sie wissen wohl, wie verbängnißvoll dcr gegcnwärlige Zeitpunkt schon seil mehreren Jahren sich mir bewährt. Der 22. März ist dcr unglücklichste Tag meines Lebens. Bor vierundzwanzig Jahren verschied mein Gatte an diesem Tage, und wie ich Ihnen versichern zu dürfen glaube, werde ich auch gewiß an demselben Tage sterben!" Ebe ich noch zu Worlc kom men könnte, um ihr meine Verwunderung über ihre Reden auszudrücken, fing sic schon wiederum an: „Sie mögen wohl über eine solche Erklä rung erstaunen, aber Sie werden sehen, daß das, was ich sage, sich nicht als unwahr erweise» wird. Meine anscheinende Genesung bestand fast lediglich in einer äußeren Täuschung — im Innern ist das LebcnS- prinzip bei mir im Schwinden. Ich bin mit meiner Krankheit zu sehr vertraut, um mich nicht aus deren Entwickelungen zu verstehen. Die Hand dcs Todes ruht bereits auf mir, und ich freue mich auch, es selbst zu bemerken. Ich kann für da« schmerzvolle Ereigniß nicht besser vorbereitet sepn, als ich cs bin, und es ist mir gerade so, als wenn die Vorsehung Sie in dieser rauhen Jahreszeit deshalb hierher gesandt, um mir in den letzten Augenblicke» beizustche». Ich werde glücklich ster ben, ganz glücklich, wenn Sie mir zur Scilc sind, um mir die Auge» zu schließen — und wenn Ihre kleinen Kinder mich anlächcln werden, indem ich aus dcr Welt scheide. ES wird dies ein böchst angencb- mcs Gefühl für mich sepn, mich nicht verlassen, sondern von Freunden umgeben zu sehen. Seil mehreren Jahre» ist es mein einziger Wunsch auf Erde» gewesen, wen» ich auch nur wenig Hoffnung für die Erfül lung desselben nähren durste. Wie hätte ich auch wohl erwarten sollen", fuhr sie lächelnd fort, „daß eine Familie aus meinem Vaterlande Lust oder Muße dazu haben werde, einer so abgezehrten und verfallenen Menschengestalt, wie die meinige, ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden?" Ich versicherte ihr, daß ich und meine ganze Familie bereit wären, ihre Wünsche zu crfüllcn, und daß wir unseren Verbindlichkeiten gegen sie gewiß nachkommen würden. „Wohlan denn", rief sie aus, „so erzeigen Sie mir die Gewogenheit, über die Acquinocticn auf meinen, Schlosse zu verweilen. Dieselben werden in einigen Tagen eintrclcn. Wollen Sie mir diesen Wunsch gewähren?" — „Von Herzen gern", crwicdcrte ich; „wir werden uns sehr glücklich schätzen, dies zu erfüllen. Wir hatten zwar die Absicht", fügte ich hinzu, „gegen de» 20sten nach Wien abzugehen; aber wir wolle» vo» nu» a» vor dem 30sten nicht mehr ans Abreisen denke», und mögen Sie sich auch während der Zeit noch so wohl und munter befinden." — „O!" erwiederle sic hierauf mit einem Seufzer, „das wird schon lange genug sepn. Ich bin versichert, daß Sie mich mehrere Tage, bevor diese Zeit herankömmt, zu Grabe geführt haben, und ich werde bereit« zu denen eingethan sepn, mit denen allein ich zusammen zu lebe» gewünscht, imd um derenwillcn ich auch gern sterbe." Seitdem berührte sie de» Gegenstand nicht wieder. Allem Au, scheine nach besserte sich auch ihr Gesundheitszustand immer mehr, oder wenigstens nahm die Krankheit nicht mehr zu. Nur erschien es aus fallend, daß sie nicht mehr im Stande war, ihre Briefe zu lesen; sic ließ sich dieselben jedoch von uns täglich vorlcscn und gab dabei ein ungemeines Interesse zu erkennen Sie unterhielt sich mit uns mit der gewohnte» Lebhaftigkeit und fuhr fort, uns durch allerlei Anekdote» zu erheitern. Die Genesung erschien in der That so vollkommen, daß ich am 20. März schon bereit war, ihren Freunden zu melden, daß alle unmittelbare Gefahr vorüber sch. Kaum aber hatte ich den Brief ge schlossen, als ich zur Gräfin ins Zimmer gerufen wurde, wo ich sic in einem heftigen Fieber anlras. "Ich schickte augenblicklich einen Eilboten nach dem Arzte ab. Bevor aber dieser angekommcn war, hattc sich dic alte Frau bereits wieder erholt, und nachdem sie mehrere Stunden weit sanfter geschlafen, als sic es seit Jahren gcwobnt war, erwachte sie endlich viel kräftiger und munterer, als sie feit längerer Zeit gewe sen, so daß alle Well behauptete, die Krisis ihrer Krankheit sep nun mehr vorüber, und so werde denn auch Allcs gewiß aus« Beste gehen. Dic Gräfin fühlte sich ganz frei von allen Schmerzen, ei» Zustand, dcr ihr so außerordcntlich erschien, daß sie, wie sic selbst sagte, gar nicht wußte, wie sie denselben »och so recht in allct Vollkommenheit genießen sollte. Indessen war dies Alles doch nur mit dem plötzlichen Ausflackcrn einer Lamve zu vergleichen, die eben im Begriff ist, im nächsten Augen blicke zu verlöschen. Am 2Zstcn, kaum vierundzwanzig Stunde» nach dcr Zeil, die sic selbst als die gesahrvolle bezeichnet, hatte ihre Todes stunde geschlagen, und unsere arme Freundin war in ein besseres Lebe» hi»übergega»gen!" Außer dieser rührenden Geschichte enthält da« Werk noch viel In teressantes und Amüsantes, und überall zeichnet sich der Verfasser durch Reichlhum an Geist und Gemüth vortheilhaft au«. Wir erwähnen nur noch seiner, wie wir glauben, woblbegründcten Vcrmulhung, daß die Gräfin Purgstall da« Original vo» Diana Vernon in Rob Nop sep. - Bibliographie. krsctical remurlrs on Kenesls anck Lxockus. (Neber die beide» ersten Bücher des Pentateuch'«.) Lon M. Murray. Zweite Auflage. IO, Sh. LoninLlikurg (lall. — Erzählung aus dem 18ttn Jahrhundert. 3d Sb. HUclc — der Sachse. Erzählung au« dem Illen Jahrhundert. Von A. S. Bride. 2 Bde. 2l Sh. 8l. ?etcrshurAli, 6nnstantinaz>!e anä iXapnIi cli komania. — Vom Legationsrath Friedr. Tietz. 2 Bde. 2i Sh. Frankreich. Der Bediente des Marquis von Louvens. (Schluß.) Bei diesen Worten ergriff Herr Despin Herrn von Louvois' Hände und bedeckte sie mit seine» Lhränc». Während de« Gesprächs war die Nacht hcreingcbrochc»; Herrn von Louvois blieb kein Zwcisel über Meinung und Entschluß des Alte». So ging er denn nach dem Zimmer, wo Paul völlig angeklcidet auf seinem Bett oder vielmehr einer Art von Pritsche ruhig lag und schlief. Herr DeSpi» saß schon am Fußende des Lagers, die Äugen sehnsüchtig unverwandt aus das lebende Bild seine« verstorbene» Kindes gerichtet. Als Herr von Louvois cintrat, stand er auf und überreichte'ihm die Schenkungs-Urkunde, deren er vorhin erwähnt hatte, zugleich mit einem Wechsel als Ncukauf auf die Summe von zehntausend Franken, zahl bar im Fall diese seltsame Probe nicht zur Genüge aller Theile aus- schlage» sollte, und entfernte sich dann, ihm nochmals dic Sache, an dcr sein Lcbcn zu hänge» schien, mit ehrfurchtsvoller Verneigung und flehendem Blick empfehlend, lieber das Geräusch im Zimnier erwachte Paul; al« er seinen Herrn erblickte, fuhr er auf und war eben im Be griff, sich zu entschuldigen, nicht ausmcrksamer gewesen zu sepn. „Bleib", sagte Herr von Louvois zu ihm! „setz' dich zu mir und höre mit aller Sammlung und Aufmerksamkeit, deren du fähig bist. Du hast wohl »och nie", fuhr er lächelnd fort, „die Geschichte von den, Manne gehört, dem das Glück über Nacht kam, den c« im Bett überraschte, und denkst wohl noch viel weniger, daß du dcr Mann bist. Und doch ist dem wirklich so. Ein Wort, 'Paul, und du vertauschest meine Livree gegen de» Frak eines stattlichen Bürger«. Ein Wort, und du bist ein reicher Mann!" „Ehrlich gesagt, Herr Marquis", versetzte Paul, „das würde mich gar nicht Wunder nehmen. Lon meiner Kindheit an ist mir das pro phezeit worden, und erst vor einigen Tage» in Auvergne wieder. Der Herr Marquis werden sich erinnern, wie Sie in dem armseligen Wirlhs- hauS im Gebirg anhieltcn, um zu srühstücken, und eben Gendarmen ankamen mit einem Zigeunerweib, die sie zur Stadt in« Gesänqniß führten und deren Gesicht nocb den Herr» Marquis so srappinc. Ls