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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prämnncration« Preis 22^ Sgr. (Z Tb>r.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußische!: Monarchie. Magazin für die Man vrämnncrirt auf dieses Beiblatt der AUg. Pr. Swais- ZciNuig in Berlin i» der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllvbl. Posi-Hennern. Literatur des Auslandes. 74. Berlin, Montag den 20. Juni MW 1836 Frankreich. Ein Besuch bei Bernardin de St. Pierre.") Noii Leon Gozlan. Ich melde ein Ercigmß, von dem die Pariser nicht eher offizielle Kenntniß habe» werden, als wenn es vorüber ist; sie, die doch Alles gleich erfahren, was die Welt von einem Pol zum anderen gebiert, die von den fernsten Dingen unterrichtet sind, von der Gesundheit des Kö nigs von Ebina und von den Sitten im Monde; dies simple, gewöhn liche Ereigniß, das de» Leuten auf dem Lande so schnell bekannt wird, ihnen, denen es doch an Zeitungen, belletristischen Blättern und Tele graphen fehlt, ist ganz simpel — ich bitte nm Verzeihung, daß ich meine Erzählung mit einem Logogryph begonnen habe — ist — der Frühling. Der Pariser kennt Alles, nnr den Frühling nicht. Und doch be schäftigt sich keine civilisirte Stadt so viel mit dem Frühling wie Paris. Noch sind die schrägen Schieferdächer mit einem Schneeteppich bedeckt, noch steigen weißgräue Rauchsäulen von diese» Schieferdächern empor, da denkt Pari« schon sehr ernstlich an den Frühling. Ihr glaubt viel leicht, der Pariser grabe die Erde um, wie Virgil cs im ersten Gesänge der Gcorgika empfiehlt; er beschneide seine Bäume, baue Gehäuse aus Stroh und Binsen für seine Bienen und sehe nach seinen Melonenbee- ten; — weit gefehlt. Er beschäftigt sich mit dem Frühling auf seine Weise. Zuvörderst nimmt er seine von den Wintcrncbcl» durchweichten und von den Regengüssen ansgehöhltcn Dachsteine fort und ersetzt sie, mit großer Gefahr für die Vorübergehenden, durch neuen Schiefer, dem im nächsten Jahre ein ähnliche« Schicksal bcvorsteht. Der Schicserstein ist sein erster Frühlingskranz; dann pflastert er seine Straßen, streicht die Fenster seiner Kaffeehäuser an, vergoldet die Simse seiner Läden, während seine Journale mit Anpreisungen von Stoffen, Zeugen und Dioden für den Frühling gefüllt sind, und wenn er sich so einen papier- nen und steinernen, eiyen Zeug- und Schiefer-Frühling zurecht gemacht hat, kaust er nachträglich noch zwei Klafter Holz und läßt sich von neuem einheizcn. So leben die Pariser und der Frühling zusammen, so lange es einen Frühling und Pariser giebt. Ich kann also den Parisern al« eine wirklich erlebte Begebenheit melden, daß ich für sie den Frühling von I83V gesehen habe. Ich dringe ihnen die frohe Botschaft voll Wohlgeruchs, das lieblich duftende Evangelium ttnserer Felder. In diesem Augenblick ist der Baum ein Blülhenstrauß. Nicht den abscheulichen Flieder, diese verpestete Schand- blume, die aus den Misthaufen von Romainville wächst, um den Busen der Dirnen in der Vorstadt des Tempels zu schmücken, nein, den blü henden Zweig eines Apfelbaums schwinge ich in meiner Hand. Sey mir gegrüßt, du lieber Apfelzweig! Warum soll die Taube von ihrer Wanderschaft über die Gewässer der Sündflulb den Oelzweig, ein so bitteres, herbes Gewächs, mitgebracht Habens Warum nicht einen süßen Apfelzweig s Gewiß, cs ist cin Fchler in dcr Ucbersetzuiig der heiligen Schriften; die Taube kehrte mit einem Apsclzweige im Schnabel zur Arche zurttck. Der Apfelbaum eilt allen Blülhcn des Frühlings voran, auch der Rückkehr aller Bögel; die Flüsse find noch getrübt von ge schmolzenem Winterschnee, die Saat ist noch nicht länger als das Haar eines Kindes, da erfüllt schon der Apfelbaum die Luft mit seinem Wohl geruch, die Erde mit seinen rosa und weißen Blättern. Dieser Anfang ficht beinahe aus wie ein Hirtengedicht. Warum giebt es keine Hirtengedichte mehr? Nachdem man die Todesstrafe fast abgeschafft, hat man doch da« Epos beibehalten, diese Lüge von drei oder vier Tausend Versen über eine lügenhafte Person, über einen Hel den! Man besingt Helden. Die Berühmtesten sinnen auf ein Helden gedicht und leiten es mit einer Vorrede ein! Heldengedichte also giebt es noch, aber keine Hirtengedichte. Und doch findet man wohl noch schöne Meiereien, fette Weiden, üppige Kühe auf den Wiesen, reizende Milchmädchen, Sonnen-Untergänge wie zu den Zeiten Birgil's, grüne Eidechsen und müde Reisende! Wo ist die Poesie, die diese Seite der Natur verherrlicht s Da« Drama und der Romau verschlingen Alles. Ohne Zweifel erklärt das Drama die bürgerlichen Leidenschaften, wäh rend der Roman sie schildert; aber darin beruht nicht das ganze ge sellige Leben. Man schreibt zu viel bloß sür dir, deren Sitten man ') Unsere Leser vcducsen nicht erst dcr Hinweisung, daß hier der liebens würdige Verfasser der Erzählung „Paul und Virginie" und der „Natur Stu- dicn" gemeint sei). Freilich i» Bernardin de St Pierre schon seit dem I. 48t4 »scht mehr am Leven, doch dieser Besuch gilt nicht sowohl seiner Person, als der Lurch seinen Geist noch belebten ländlichen Wohnung des Abaeschieb denen; kopirt. Die Literatur nimmt ihre Gemälde nur aus dcr Stadt. Unbe kannt sind ihr die Felder und die zwanzigtausend Gemeinden Frank reichs. Vernachlässigt von dcr Pocsic, hat sich die Ekloge zur Malerei geflüchtet und ihr die Sorge anvcrlraut, sie nicht ganz in Vergessenheit gcrathcn zu lassen. Ein großer Dichter wird komnicn und die Natur wieder da aufnchmcn, wo Virgil sic gelassen Hal, damit sic auch i» dcr Poesie wieder zu Ehren gelange. Nicht daß ich an das goldene Zeit alter dcr Felder und, an die Milchströmt, woran nichts Erkleckliches zu sehen sehn würde, an die goldenen Aepsel und au die Tugenden der Landlcute glaubte, aber mir scheint, daß die Literatur zu städtisch und nicht ländlich genug, koch besonders, daß sic zu Parisisch geworden ist. Werden wir aber noch lange bäurisches Wesen in den Dörfern finden, wird man fragen, und ländliche Sitten auf den Feldern s Ach, ich fürchte mich, darauf zu anlwortcn. Die Civilisalion folgt dem Laus de« Wassers, wie die Cholera; die Industrie klettert aus die Bäume; der Nasen weicht schon, um den Eisenbahnen Platz zu machen. So sprach ich bei mir selbst, indem ich meine Pilgerschaft zum Landhause Bernardin de St. Pierre'S anlrat, wo in Folge eines Todes falles cin Mobiliar-Vcrkauf statlfindcn sollte. Uulerwcgcs hoffte ich die Ekloge zu finden; aber ich fürchte nur, den Frühling gesunden zu ha ben, zu dessen Bolen ich mich machte, — einen noch unbefiederten Frühling und zu fern von der Stadt, um bald dorthin zu fliegen. Bor meinen Augen hatte ich schöne grünende Ebenen, geschmückt mit breiten Blumengürieln, von der Art, die man später vertilgt, weil sie, wie man sagt, den Wachslhum de« Fulterkices, des Hcilighcus und des Buchweizens ersticken. Alles, was nicht unier den Zahn des Men schen oder des Pferdes fällt, wird ausgerottct. So vor mir hinschlen- dernd hoffte ich, wie der gute Doktor Margarita«, jede dieser kleinen Blumen begrüßen )n können, da sah ich plötzlich, als mein Blick sich erhellte, daß die zarbigeu Streifen, die ich für Blumengürlcl gehalten halte, bunte Lcinewand waren, die einen Naum von mehreren Meilen bedeckte! O du bunte Leincwand-Natur! du warst, cS nicht, die Virgil besang. Dee Wiesengrund von St. Jean-en-Isle, diese« Meer von Nasen, ist ein Trockenplatz sür Leinewand. Es waren allerdings Blu men, was ich gesehen hatte, aber Blumen von der Art, wie sic zu Mühlhausen in den Gärten der Herren Obcrkampf wachsen, Blumen, aus dcr Indigo-Färberei heroorgegangen. Drei Vierteimeiltn weit be decken Lumpen die schönsten Fluren der Brie. Hier war es nicht, wo ich die Ekloge mit dem langen grünen Haar, im Schilfe seufzend, zu suchen hatte. Mit schmerzlichem Gefühl eilte ich an dieser künstlichen Prairie vorüber, nm so schnell als möglich nach dem poetischen Mekka zu flt- langen, wo ick mich von meiner Täuschung erholen wollte. Meine Ekloge war sehr krank. Als ich eine Anhöhe erreicht hatte, eine in dcr Bric ziemlich sel tene Erscheinung, so daß man wohl dabei verweil«, labte ich mich einen Augenblick an der Aussicht ring« um mich her; acht bis zehn Meilen weit grünte e« nach allen Richtungen bin. Die Brie ist ein Meer ohne Wasser, eine ganz gleiche Fläche Die Mühle, an der man vorbeige- kommen, sieht man noch eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden lang. Die unbarmherzige Mühle will uns gar nicht verlassen. Sie ver folgt uns wie cin ungeheurer grimmiger Maikäfer. Auf diesem Occau ohne Jnscln und Vorgebirge schwimmen in weiten Fernen einige Meier- Höfe, die man sür Dörfer hält, so groß sind sie, und einige Dörfer, die man sür Mcierhöfe hält, aus dem entgegengesctzten Grunde Nichts ist ermüdender, als diese drei monotonen Dinge, die man in unendlichen Zwischenräumen auf dem Wege zerstreut findet, die Meierhöfe, die Dörfer und die Mühlen. Ein Meicrhof vereinigt in sich eine Nation, ein Land, eine Eivi lisation, welches Wort man übrigen« hier nicht in seiner vorlheilhaftesttn Bedeutung zu nehmen bat. Das Huhn ist der ganze Inbegriff des Mcicrhoss; ganze Schwärme dieser Thiergaltung ficht mau auf den Dächern und in den Höfen einer Meierei 'unaufhörlich mit Fressen be schäftigt. Ma» tritt hinein, da stößt man auf Hühner; man schaut in die Pscrdeställe, unter die Schuppen, in das Wohnhaus, überall Hühner, nichts als Hübner! Ei» Meierhof ist eigentlich ei» große« Bund Stroh, auf dem ein Huhn hockt. Diese Tausende von Meierhösen, an« denen kein Ton hervordringt, die keine Spur von Lebe» verrathen, außer einigcm spärlichen Nauck zu Mittag und Abend, steheii in gar keiner Beziehung unter einander. Man kann wellen, daß sic alle ihre besondere Aussprache und ihren eigenlbümlichc» Gedankenkreis haben. Vermöge einer oder zweier jährlicher Sendungen von Hübnern, Eier» und Heu wisse» die Meierhöfe bis aiss ungefähr zehn Meilen,