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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prännmeration«- PreiS 22^ Sgr. (^ Tbtr.) vierteljährlich, Z Tbtr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man vränumcrir« aus dieses Beiblatt der Allg. Pr. SlaaiS Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren Straße Nr- 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 45 Berlin, Mittwoch den 13. April 1836. Frankreich.- Die Geschichte des Mannes mit der eisernen MaSke. Lom Bibliophilen Jacob. Zweiter Artikel. Ala die Bastille in die Gewalt des Lölkes siel, wurden die Thüren der Gefängnisse mit Anschlägen geöffnet; man fand aber nur acht Ge fangene zu befreien, während man zahllose Opfer im Innern dieser finsteren Beste begraben gewähnt Halle; nun hieß es, der größere Theil der Lerbaslelen seh wenige Tage vorher im Geheimen anderswohin ge schafft worden. Das Andenken mehrerer berühmter Gefangenschaften schwebte noch über dem Schult, den man schnell hinweggerauml balle, nm an demselben Orl, wo Jahrhunderte lang so viel Thränen gestossen waren, die Inschrift: „Hier wird getanzt", auszurichlen. Ohne Zweifel stand der Geist der eisernen Blaske den zerstörenden Patrioten vor Augen, denn als einer der Sieger die große Gefangenen-Liste als Tro- phäe auf der Spitze eines Bajonetts herbeibrachle, erwarlelc die Muni- zipal-Lersammlung des Stadthauses in feierlichem Schweigen, daß das Geheimniß des Despotismus aus diesen blutigen Seilen auslauchen werde: aber Folio 120, dem Jahre 1098 und der Ankunft des maskir- len Gefangenen von der Insel Sainle-Marguerile enlsprcchcnd, war ausgerisscn und durch ein Blatt von frischerer Schrift ersetz! worden! In den mtterirdischcn Räumen der Bastille cnldeckle man ganze Gerippe, in de» Latrinen zerstückelle und verweste Gebeine; da erinnerte man sich schaudernd der schrecklichen Behauptungen, die Eonstanl von Rennevillc in seiner Geschichte der Bastille aufgestellt und die man leichtfertig als bloße Mährchen und Lerleumdungen behandelt hatte; man glaubte nun, daß eine Menge von Verbrechen und rachsüchtigen Tbaten in dem undurchdringlichen Dunkel dieses Staats-Gefängnisses verborgen sepcn, und daß die ganz mit Namen und Zahlen bedeckten Wände wohl genauere und wahrhaftigere Proscriplions-Listen enthalten möchte», als die Verzeichnisse der Kanzlei Es mischten sich daher einige Neugierige in das rasche Zcrstöruugswerk und untersnchlen den Thurm von la Bcrlaudiörc, den die eiserne Blaske fünf Jahre bewohnt hatte, und in welchem sich also wohl noch Spuren von ihrem Aufenthall fin den konnten; aber so sorgfältig man auch Alles zu entziffern suchte, was mi! der Spitze eines Messers oder eines Nagels auf die steinernen Wände, auf den hölzernen Fußboden, auf die Schlösser, aus die Mö beln, auf das Fenstcrblci eingcgrabe» war, nichts unter allen diesen lranrigcu Archiven Halle irgend einen näheren oder serncrcn Bezug auf den unglücklichen Marchialp, und man zwcifclle nicht mehr an der pünktlichen Vollziehung der Befehle Ludwig s XIV. zur Tilgung jeder Spur von dieser seltsamen Mummerei, Mehrere Personen sragten sich jedoch, warum der Leichnam des Gefangenen nicht gleich den anderen, deren Ucbcrreste man Vorland, lieber der schmutzigen Jungfer") der Bastille, als dem geweihten Acker des Kirchhofs von Er. Paul anver- lraul worden sev; auf diesen Einwurs konnte man indeß irwiedcrn, daß die in den Gräben entdeckten menschlichen Gebeine ohne Zweifel einer früheren Zeil angehörten oder doch nur die Verruchlheil von Subattern-Bcamlen anttagten, die vielleichl einen Mord begangen bal len, um sich der Habseligkcilen eines Gefangenen zu bemächligcn; über dies war im Jabrc 1703, wo Marchialp starb, Ludwig XIV. ganz in der Machl der Frau von Mainlcuou und seines Beichtvaters, des Pater Lachaise, die ihn z" einem so gewissenhaften Frömmler gemacht halten, daß er gewiß selbst seinem größten Feinde nicht den Beistand der Kirche und ein christliches Bcgräbniß verweigert haben würde. Uebrigens blieben nicht alle Nachsorschungen fruchtlos, wenn dem letzten Blatt des „Zeitvertreib eines Französischen Patrioten", einer pe riodischen Sammlung, zu glauben ist, wo am 13. August 1780 von „einem Stück Papier" erzählt wird, „welches ein Neugieriger, der sich die Bastille anscben wollte, zusällig unter mehreren anderen Papieren fand; dieser Zettel enthüll", setzt der Rcdacleur hinzu, „die Nummer 04,389,000 und folgende Worte: Fouquel, von der Insel Sainle- Marguerile mit einer eisernen Maske an langend; sodann drei X. X. X. und darüber: Kcrsadion." Der Journalist versicherte, de» Zettel selbst gesehen zu habe», und steuerte einige flüchtige Bemer kungen zur Unterstützung der Ansicht bei, zu welcher die wirkliche oder angebliche Entdeckung jenes Papiers geführt balle. War dieser merk würdige Zettel, dessen Zweck eben so dunkel ist wie sein Inhalt, in der Thal vorhanden? Die politische» Zeilumstände waren zu ernst, als "i So hieß ein mit einer lautbur bedeckter Set in de» Gefängnissen, wo man dlewniqen, seren man »ich insacbeim entledigen wollte, in die Abzugs t-male -margm-zte daß man viel Aufmerksamkeit aus ein solches Aktenstück verwandt halte, dessen Authentizität jetzt unmöglich mehr ermittelt werden kann; auch halte der „Zeitvertreib eines Französischen Patrioten", wovon 30 Num mern vom k». Juli bis zum 13. August erschienen, nur sehr wenig Leser, denn die Ncvolution, die schon hinter den Köpfen des Gouverneurs der Bastille, Herrn Delaunay, und des Herrn 00» Fleffelles, Prosoß der Kansmannschafl, nach dem Schall der Lärmglocke cinherstürmie, gönnte Len Patrioten keinen anderen „Zeitvertreib" mehr, als den Dienst in der Bürger-Miliz. Nichtsdestoweniger wurde jener Zettel nebst den Betrachtungen des Redakteurs unter dem pomphaften, blendenden Titel: „Große Ent deckung! Entschleierung des Mannes mit der eisernen Maske" in Ok tav, 7 Druckseiten stark, wieder aufgelegt und auf den Straßen ver kauft, die damals vermöge der Preßfreiheit von einer Unzahl fliegender Blätter und Broschüren überschwemmt wurden; und diese neue Ansicht, so ohne alle Beweise, ohne Namen eines Verfassers, ohne irgend eine historische Gewähr unter das Publikum hingcworfen, machte selbst gegen Autoritäten wie Voltaire, Lagrange-Ehanccl, Saint-Foix und Griffet, die bei ihren Erörterungen niemals Fouquet mit ins Spiel gebrach! hat ten, »och einigen Eindruck; man erinnerte sich dabei an eine Stelle im „Zeitalter Ludwigs XIV.", wonach der Minister Ehamillard gesagt haben sollte, die eiserne Maske „seh ein Mann gewesen, der um alle Geheimnisse Fouquet's gewußt." Leute von großer Einsicht gingen so gar so weil, daß sic glaubten, Ehamillard, den »ns Saint-Simon als einen „wahrhaften, rechtlichen, dem Staat und dem Könige so wie sei ner Geliebten treu ergebenen und überaus hartnäckigen" Eharaktcr schil dert, habe die Wahrheit gesagt, ohne jedoch seine» Eid z» brechen und ein Geheimniß zu vcrralhcn, das die Ebre seines "Gebieters hätte bloß- steilen können; vielleicht wollte Ehamillard auf Fouquet hindeuicn, ohne ihn zu nennen, nm sich so, nach einer in jenen jesuitischen Zeilen sehr beliebten Moral, sein Gewissen rein zn erhalle»; wer konnle auch um Fouquel'S Geheimnisse besser wisse», als Fouquet selbst. Was den Zettel betrifft, der dieser Auslegung als Basis diente, so scheint er mir nicht so ungereimt, wie mehrere Kritiker geglaubt haben: I) die unverständliche Nummer 04,389,000 verbarg vielleicht einen Sinn, der sich in Buchstabe» übertragen ließ, denn der Gebrauch der Ziffer» war damals in Staatsgcschäslcn sehr gewöhnlich; oder diese seltsame Zahl war aus Nachlässigkeit unrichtig wiedergegebc», vielleichl auch durch Schmutz unleserlich geworden; in diesem zweilen Fall könnte man täs Jahr der Ankunft des Gefangenen in der Bastille, 1098, und gleich dahinter die Nummer der Liste, 9000 oder lieber 900, darin finden; 2) die drei X. X. X. lassen sich auch auf verschiedene Art ganz gut üuslegen; es kann die Bezeichnung eines Registers, einer Serie, eines Schranks scyn, denn die Archive der Bastille waren so beträchtlich, daß ein besonderer Beamter unter der unmittelbaren Aussicht des Gouver. ncurs dafür ernannt war; nun unterscheidet man aber in allen großen Sammlungen von Büchern nnd Papieren die Abtheilungen durch Buch staben des Alphabets, die, wenn cs nölbig ist, doppelt und dreifach wiederholt werde»; 3) was den Eigenname» Kcrsadion anbelangt, der Brctanisch ist, und den man besser Kcrsadion oder Kcrsaliou liest, so halte man vielleicht Fouquet mit diesem Name» belegt, nach dem in den Staals-Gefängnissen herrschenden Brauch, weil häufige Namens- Aendcrungen die Neugier der Gleichgültige» und die Schritte der Bc- lhciliglcn von der rechten Spur ablenkten; so bcbauplet Herr von Palieau, der Man» mit der Maske sey i» der Bastille unter dem Namen La lo ur bckannl gewesen, und in den Registern de« Kirchspiels St. Paul finden wir ihn unter dem Namen Marchialp bezeichnet. Dieses Blatt Papier hätte also zu einem allgemeinen Gesangenen- Kalaloge gehört und wäre bestimmt gewesen, de» wahren und den sal- schc» Namcn des Gcsa»gencn, die Nummer des Bandes, in welchem sich die genaueren Nachweise und Bemerkungen über denselben befanden, die Nummer des Earions mit den darauf bezüglichen Dokumenten, das Jahr und alle sonstige Hinweisungen aus Sammlungen von Akten stücken, die nicht mehr vorhanden sind, anzugebeii. Es läßt sich leicht darthun, daß die Archive der Bastille vor und während ihrer Erstür mung geplündert worden, daß das HaupoRcgistcr selbst, zu dessen Ver nichtung man im Jahre 1789 weder die Zeil noch den Beseht Halle, schon im Jahre 177» zahlreiche Verstümmelungen und Abänderungen erlitten, und endlich, daß, wahrscheinlich um dasselbe Jahr, Französische Beamte beauftragt worden, alle aus Fouquel bezügliche Papiere in de» Archiven von Pignerol aufzusuchen und sorlzunehmen. Da sich aber jenes Blatt Papier nicht erhalte» bat, und da seine Existenz durch keine öffentliche Ausstellung erwiesen ist, zn der sich die Menge eben so gedrängt haben würde, wie zu der Letter von Latudc