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284 Die Sullamm>e»-Töchter Mahmud'« bewohnlcn damals das neue Schloß in Beilerdei; einigemal fuhr mein Kalk ihren Fenstern vorbei, und am Gitter zeigten stch unbestimmte Abriffe weiblicher Gesichter. Die Tochter des Sultans genießen in ihrer Jugend kaum mehr Frei heit, als die Obaliske» des Serails; Mahmud bejucht sie aber oft, liebt es, sich nach seinen Regierungs-Arbeiten im Kreise der Seinigen zu erholen, beschäftigt sich, wie man versichert, selbst mit ihrer Erziehung und nimmt, wie einst die Beherrscher von Sparta, Theil an den Spielen der miuterjährigen Binder. Man muß nun abwarlen, ob der Sultan die innere Familien-Po- lilik des Serails verändern oder die Grundsätze seiner Lorsahren bei- behattcn wird. In solchem Falle ließe die Menschenliebe wünschen, daß sich seine Familie nicht vermehren möge. Die Zeil rückt heran, wo man Mahmud und seine großen Pläne unparteiisch wird bcurtheilen können; der Ersolg wird es zeigen, ob er sein Bolk und seine Zeil begriff, ob er einen faulen Baum mit einer frischen Rinde bedeckte oder seinen Fasern neuen Lebenssaft cinsiößte; jedoch dürfen die Zeitgenossen mcht nach dem Erfolge allein über Männer aburlhciien, welche die Vorsehung ins Leben rief, um das Schicksal einer ganzen Nation zu verändern, sie von dem Schult ter Bergangenheil zu reinigen, den die Zeil geheiligt halte, und sie völlig umgcschaffen der Zukunst zu überliefern, straft des Willens, Selbst verleugnung und Adel der Gesinnung — diese Hauptzügc eines Mannes, der sein Bolk umgestalicn will, finden sich in allen Maßregeln Mahmud s vor. Ob er seinen Zweck erreichen wird S Oder sollten dergleichen Männer, gleich den Propheten, niemals in ihrem Lande etwas geltens Der Sultan setzt großen Werth aus die Meinung des ausgeklärlcn Europa von seiner Person und läßt sich sogar die von ihm handelnden Artikel aus Europäischen Zeitungen übersetzen. Er hat cS an sich er fahren, wie die öffentliche Meinung Europas hochmülhig, grundlos, launisch und veränderlich in ihren llribeilcn ist. Anfangs lobte sic laut seine Festigkeit und trug ibn schnell in die Listen großer Männir ein; die Freunde der Aufklärung waren entzückt über seinen Plan, die Tür ken auszubilden, und erwarteten von Tage zu Tage in Stambul eine Oltomanifchc Oper eingcsübrt zu sehen Dann wurden sie kälter gegen ihn; die Hintcrmsse im Innern des Reichs, die des Sultans Handlungen auf jedem Schrill hemmten, schrieb man seinem Mangel an Voraussicht, seiner Schwäche zu; endlich machte man ihm sogar seine srühercn Großthaken streitig und gab vor, Mahmud habe sich am großen Tage des 4. Juni schwach und charakterlos gezeigt, bei der Entdeckung der Iauilscharcn-Verschwörung sich im Kreise seiner Magna ten umgeschen, welche Köpfe ihn mit den mächtigen Verschwörern an«- söhncn könnten, worauf die Magnaten, um der ihnen drohenden Lebens gefahr zu entgehen, sich entschlossen hätten, gegen den Willen des Sultans zu handeln, in Folge dessen nur ihnen der Sieg zu verdanken sch, den man allgemein dem Sultan zugcschrieben. Wer aber den Vorgang der Dinge näher sah und Mahmud näher kennen lernte, der glaubt daran nicht. Der Haupt-Charaktcrzug Mahmud s, die Haupt-Triebfeder seiner Tbätigkeit von dem Tage an, wo er aus den Ecsänguisscu des Serails auf den Thron der Ottomanen stieg — ist eine unbeugsame Halsstarrig keit. Der Plan, die Ianiischaren zu vertilgen, war nicht das Kind einer augenblicklichen Laune, sondern ein ihm seit langer Zeil lieb gewordener »Gedanke, den die Rache seiner Seele cinzchaucht Halle. Als er nach dem Tode seines Bruders, des schwache» Mustapha, als der Einzige scines Geschlechts dastand und von der Unverletzbarkeit seiner Person überzeugt war, hätte er sich lieber unter den Trümmern der Monarchie, die ebne ibn nicht existire» konnte, begraben, als dem Fanatismus der Ianiischaren nachgezcbe». Abgesehen von seinen großen Reformations-Pläne», hält man Mahmud für unvergleichbar gebildeter, als die lauge Reihe der Sul tane, seiner Vorfahren. Ganz besonders rühmt man im Serail seine Handschrift; seine Höflinge sagen, jeder seiner Buchstaben sev ein Siern, würdig, anstatt des Bildes der Zwillinge am Himmel zu glänzen. Aber zu größerer Ebre gereicht Mahmud das Bestreben, den Stil seiner Kanzleien zu verbessern und ihn von den bombastischen Metapher» und seltsamen Hyperbel» des Orients zu befreien, die besonders unter den jetzige» Verhältnissen der Türkei lächerlich sind. Im Anfänge seiner Regierung hieß es in dem Bericht über ei» Gefecht, in welchem die Türke» eine» kleinen Vorihcil über den Feind erhalten, sie hätten so viele feindliche Köpfe abgebaucn, daß man im Stande gewcscn wäre, mit denselben eine Brücke zu erbaue», nm alle Eiaur's in die Hölle lransporlirc» zu können. Er erlernte den Stil der Europäischen Diplomatie durch buchstäb liche Ucbcrsrklingeu vieler der Pforte von Europäischen Gesandtschaften überreichter Noten. Ungeachtet der eingewurzelte» Verachtung der Tür ken gegen alle Schriften, in denen nicht Sonne, Sterne, Mccrcssand und alle Millionen von Metaphern des orientalische» Wörterbuches verkamen, gefiel dem Sultan der einfache, klare und ausdrucksvolle Stil der Euro päer; wie man sagt, ist er der beste Nedacleur der diplomatischen Note» scines Reiches; und Esad-Escndi behauptet, die so sehr gerühmte Schreib art Firdnssi'S werde von der des Sultans bei weitem übertroffen. Mah mud liebt Literatur und Dichtkunst, besonders wenn sie ihm schmeichel»; am liebste» jedoch hört er sich mit Peter dem Großen vergleichen. In früheren Jahre», wo er, gleich semc» Vorfahren, seine Zeit nicht vor der Fronle und nicht zu Pferde, sondern müßig im Harem zubrachte, war seine liebste Beschäftigung, Emaille zu malen, und seine Arbeit zeichnete sich durch reinen Geschmack aus. Nach Türkischen Re ligions-Begriffen muß jeder Rechtgläubige, welchen Standes er auch sey, irgend ei» Handwerk lernen. Fast alle Sultane unlerwarscu stch diesem Gebrauch i Mabmud's Vater drehte sehr schön Bernstein, und Selim zeichnete Muster aus Musselin zu Dameuklcidern. Nord - Amerika. Amerckamsche Naturschildermigm. Von N. P. Willis. Derselbe Amerikaner, dessen Skizzen von England (pencillinzs tsie "->)-) wir vor einiger Zeit erwähnt haben, (S Nr. 18 des Magazin») hat jetzt unter dem »lwas gesuchten Titel „Inlclinxs öl' ^<i- vonlur«" (Abenteuer-Zuflüsterungen) ein Seitenstüek zu jenem Buche herausgegeben, in welchem er sich vornehmlich mit seinem Vaterlande beschäftigt. Wir geben daraus zur Probe folgende Schilderungen eines Amerikanische» Winters und eines Amerikanischen Frühlings: Der Eintritt eines Amerikanischen Winters. „Der erste strenge Frost war gekommen. Der blutrothe Zuckcrahorn mit feinem glän- zencen zarten Laube prangte »och mitte» im Walde, gleich ter Standarte des Sultans in der Mitte des Türkischen Heeres; die einsiedlerische, aber weit um stch her schauende Beherrscherin der Wildniß, die Birke, mit ihren Anibrablättern, dm Geistern des abgeschiedenen Som mers, bekränzte den Saum de« Gehölzes mit einem Schimmer von blassem Golde; die breite Sykomore und die sächerarlige Katalpa brei teten ihr saffrangelbes Laub in der Sonne aus, "das gleich den Schwingen eine« Goldkäsers von allen Setten mit Gold besprenkelt war; die Königliche Eiche mit ihrem nackten, kakle» Wipfel hüllte noch immer ihren majestätischen Stamm in reiche Farbenpracht ei», gleich einem gesallene» Monarchen, der noch einmal sein Staalszcwand aiilcgt, um nur im Purpurschmucke seinen Geist auszuhauchen; die schlanke Pappel mit dem silbernen Laubwerk stand gebleicht in der Mitte des hmstcrbendm Waldes da und ließ ihr« dumpfen Klagen in die weite Lust erschallen; der flimmernde Tulpenbaum, der Svbarit des Pflanzen reichs, trank, obschon seines goldenen Kelches beraubt, noch immer das berauschende Mittagslicht mit seinen lieblichen Blattem ein; die wild umhcrwachsenden Weinstöcke, bereits entblößt von der edlen Frucht, mit der der Sommer sie ausgeschmückt, glichen in ihrem Untergänge noch einer Frau, die bei ihrem Tode mit einer fast himmlischeren Glorie umgeben ist, als in der sie während des Lebens erschienen war; aber ganz im Kontrast mit den in ihrem Hinscheiden noch glorreichen Ge fährten, standen dort einsam und abgeschlossen die Tannen mit ihren lrübeii, trauernden Wipfeln, matter und niedergeschlagener als je. In Europa vermag man sich kaum einen Begriff von diesem wunderbaren Natur-Phänomen zu machen; der Wechsel «rill i» Amerika nicht all- mälig ein, sondern er ist das Werk einer Nacht — eine« einmaligen Froste«. Es ist als wenn Myriaden von Regenbogen durch die Baum stämme durchschimmcrlen — als wenn ein Meer von Sonnen sich über den Weste» ergossen hätte, die ihre goldenen, purpurnen und karmoisiilrothen Strahlen über die wilde Gegend umher verbreiteten. Es scheint, als wenn jedes Blatt von diesen zahllosen Bäumen besonders auSgemalt worden wäre, um die stolzen Farben der Tulpe zu überstrah len — als wen» durch irgend ein elektrisches Wunder alle Farben hier auf einmal au« dem Herzen der Erde emporgeschoffcu wären, als wenn die Saphire, Smaragde und Rubinen alle ihre verschlossenen Farbe» entlassen hätte», um durch die Wurzeln der Waldbäumc binaufjusteigen, als wenn sie, gerade so wie die Engel der Vorzeit die Leiber der Hinge schiedene» beseelte», auf eimnal in die hinscheidrnden Blätter gefahren wären, um dieselben wenigstens noch aus eine Stnnde mit ihrer herrlichen Glorie zu umgeben " Der Eintritt eine« Amerikanischen Frühling«. „Dit Lust war lieblich und warm; der Himmel war heiter und von der Bläue des EhrysopaS überzogen; die Südwinde entschlüpfte» plötzlich den tro pischen Gegenden und sanden da« Blumenreich noch im Schlafe unter dem schneeigen Mantel verhüll», ganz unempfindlich gegen die Küsse, di« sie ihm zuwarfen. Plötzlich aber erfüllte sich die Lust mit einer eigen- ihümlichen Musik. Die Wasscrtropsen löste» sich einzeln von dem Schnee ab, und wenn man rund um stch her blickte und aus den, ganzen weilen Erdlcppich keine Spur irgend einer Verwandlung oder Aenderung ent deckte, so schien es, als wenn Myriade» von kleinen Glöckchen unter dem Boden selber melodisch ertönten — vielleicht waren'« Gnomen, die, durch das Geräusch des btranuahendk» Sommer- plötzlich ansgeschreckt, mit ihren Silbrrfingerche» um sich her wühlten und die schlummernde» Blumen erweckten. Die Gebirgsströmc waren au« den Usern getreten und rauschten gleich den muntern Kinder» de« Thals auf die Ebene» herab; da« dumpfe Gekrache des Winde« begleitete da« lärmende Rau sche», und endlich erhebt sich ei» Sturm und Lu hörst den gewaltigen Stoß einer unter der Erde berstende» Schncelavine, die gleichsam deu Takt zum Hochgesauge der Natur schlägt. Während eine« Tage« sank die Schnceflächc vielleicht um einen ganzen Fuß; indeß ward dies nur da dem Auge bemerkbar, wo man e« etwa an einem Baume abmeffen konnte, an dem der Schnee herab fiel, oder an einen, Felsen, von bem die dicht angewachsene Schneedecke sich plötzlich loswand. Der niedrige See nahm indessen die Gewässer der um ihn her schmelzenden Gebirgs- massc» in seinem eisigen Bette auf und gewahrte ihnen, indem er sie in eine seichte stille Lagune berabließ, wo sie durch eine leichte Krvstall« scheide von den weiteren Tiefen getrennt blieben, diejenige Ruhe wieder, die ihnen auf den Höhen ihres Mutterlandes versagt war. Und so — o welche große Moral der Natur — so geschieht es auch, daß zuweilen der Niedrigcrstcbendt, der anfangs, wie der gesroriie See, d»m HLHcrge- stcllten unempfindlich und kalt sich zeigt, diesen dennoch im Unglücke aufnimmt, und wenn sie endlich die Ucberzeugung gewonnen, daß sie beide aus einem und demselben Elemente zusammengesetzt sind, lassen sie sofort die fremden Schranken fallen und beide verfchmelzen in ein Wesen, i» eine Natur!" Hcrau«gegeden von der Redaktion ter Allg. Preuß. Staat«-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.