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262 tesialionen. Man redete sich mit bekümmerter Miene a», man theilte sich mit schwacher Stimme traurige Ansichten der Zukunft mit; es war eine schreckliche, bedeutungsvolle Ahnung, die die Kemüther beunruhigte; die schauderhafte Borempstndung aller der widerwärtigen Ereignisse, die jene verhängnißvolle Rückkehr über Frankreich herbeirief, machte alle Herzen erstarren. Man bedauerte weniger die auSgcwanderte Königs- Familie; denn so sehr diese auch persönlich geliebt wurde, so konnte sie doch nie zu einer großen Popularität gelangen, sondern man fürchtete vielmehr den, der eben wieder ankam, und zwar gewiß nicht mit Un recht! Man hatte einen auswärtigen Krieg, einen Kampf aus Leben und Tod, oder wenigstens einen militairischcn Despotismus vor den Augen, der fortan nur als ein unerträglicher Anachronismus angesehen werden konnte. Frankreich hatte in der That von der Frucht des Le- benSbaumeS genossen; denn gar Viele, wie Paul Louis Courrier, halten sich in die octroyirte Charte gleichsam hineingelebl und waren mit ihr auch am Ende gar wohl einverstanden. An dje Stelle trügerischer Täuschungen hinsichtlich der glänzenden Eroberungen und des Waffen- ruhms waren gesundere, vernünftigere Ideen, reellere und dem Geiste dc»sortschrcilenden Civilisalion angemessenere Bedürfnisse getre ten. Schon hatte man von besseren Zeilen gelräumt und sich ein günstigeres Bild von der Zukunft des Vaterlandes auSgemalt: da kam die Katastrophe des 20. Marz, um auf einmal die Zukunft zu kompro- miltiren und Alles wieder in Frage zu stellen. Obgleich das Weller herrlich war, sah man doch nur wenige Equi pagen fahren, auch bemerkle man unter der Menge wenig Frauen von elegantem und anständigem Aeußeren. Dafür aber zeigten sich Dirnen im Uebersiusse, die Alle in der Hand oder am Gurte ein großes Bouquet Veilchen, als das Svmbol der Wiedervereinigung, trugen' Die Gendar men und viele mit Ehrenzeichen geschmückte Männer, die man an ihrer triumphirenden Miene und an ihrer militairischcn Haltung gleich als verabschiedete oder ans halbem Sold stehende Offiziere erkannte, trugen ebenfalls solche Bvuqucte in den Knopflöchern. Am Nachmittage kam die Avant-Garde der Grenadiere der Insel Elba auf dem Earrouffrl-Platze an. Das steife, hccbmülhigc Wesen dieser alten Krieger, die düsteren und verachtungsvollen Blicke, die sie auf die Menge warfen, bewiesen hinreichend, daß sie in Paris als Sieger entzogen, und daß das Territorium von ihnen als erobertes Land betrachtet wurde. Als Trabanten eines Mannes hallen sie auf- gebört, die Verlkwidiger des Valerlandcs zu sev», und erinnerten an jene ungestümen Prätorianer, die ihrem Häuptlinge den Weg zu einem gar schlecht descstigten Throne bahnten. Sie würden sogleich in dem cbcmaligen Hotel Cambacörüs einquarlirt, über dessen Eingang man an demselben Tage die Inschrift: Quartier der Braven sctzle; allein gleich den Morgen darauf ließ man die Inschrift wieder abnehmen, weil sie zu Herausforderungen und Streitigkeiten zwischen den Grenadieren der Insel Elba und ihren Kameraden unter den Linien-Truppen Anlaß gegeben, die durch die besondere Auszeichnung der Ersteren sich gewisser maßen verletzt fühlten. Ich ging nach dem Palais-Royal, fand dasselbe aber beinahe ver ödet; die Läden waren sämmllich geschloffen. Zudeß war ich Zeuge des einzigen Beispiels einer kühnen Hingebung, des einzigen Aktes einer energischen Opposition, der an jenem Tage in der Hauptstadt vorkam. ES war ein Neger, der sich gegen einige Gendarmen und mehrere Bo- naparnsten wehrte, die ihn wegen royalistischer Aeußerungrn nach der Wache schleppten. Er hörte indeß nicht auf, aus allen Kräften zu ru fen: Es leben die Bourbonen! Nieder mit dem Usurpator! Nieder mit den Verrälher»! Gewiß ein merkwürdiger Umstand; ein armer Afrikaner, vielleicht noch Sklave, war es, der vor den Augen des Triumphators zu »Gunsten des beleidigten Rechts die Stimme zu erheben und im Namen der vom Schreck betänblen Bevölkerung zu protestiren wagte; er übernahm cS, das öffentlich zu proklamier», was alle Welt in der Stille tief empfunden. Vielleicht halte jencr Unglück liche bisher von den Wohklhaten der verbannten Herrscher-Familie gelebt. Als ich nach dem Earrouffel, dem bentralpunkle des ganzen Dra mas, wieder zurückgekehrt war, drängte sich die Menge unter dem wic- dcrhollen Ausruf: Es lebe der Kaiser! uni einen Mann zu Pferde, der die Kaiserliche Livree trug (grün und Gold). Es war sein Courier Moustache, der anzuzeigcn kam, daß der Kaiser in einigen Stunden eintreffen werde. Mau hielt mit Ungestüm sein keuchendes schäumendes Pferd an, und er verbreitete inner dir, welche ihn zunächst umgaben, die wichtige Nachricht, die er mnzuthcilen hatte. Er war mit Staub be deckt, sein Gesicht triefte von Schweiß; seine bewegten Züge, seine kur zen abgebrochenen Worte, kurz Alles bezeugte, daß er'seinen Weg in der möglichsten Eile zurückgelegt. Kaum war er vom Pferde gestiegen, als er, von einer Gruppe eifriger Bonapartistcn und vieler Neugierigen umringt, in dao benachbarte Hotel mehr getragen als geführt wurde. Die Scene war besonders wegen des auffallenden Kontrastes merkwür dig, den hier der übertriebene Enthusiasmus einer Partei gegen das niedergeschlagene und traurige Wesen der anderen bildete. Der Kaiser hielt in der That des Abends gegen neun Uhr seinen Einzug; cS war, als wenn er absichtlich die Nacht abgcwartet hätte, nm sich in aller Stille nach den Tuilerieen gewissermaßen durchzuschleichen. Er wollte dem eiskalten imd trüben Empfangt answeichen, den er, wie Rovigo ihm vorher wohl angedculct, von Lem achtbareren Theile der Pariser Bevölkerung zu erwarten hatte. Als er auf dem Carouffelplatze ankam, begrüßten ihn nur ans den untrrsien Reihen der Volksmenge die lauten BivatS. Aber als der Kaiserliche Wagen die Glocken-Pforte passirte, machte sich ein allgemeinerer und einstimmiger EnthufiaSmns Lust. Kaum hatte der Kaiser den Wagentritt berührt, als ei» Dutzend seiner eifrigsten Parteigänger ihn aus ihren Armen empfingen und ihn mitten nn'-r lauten Acclämalionen im Triumphe bis in seine Zimmer trugen. An dem ernsten Blicke und an den düsteren Zügen Napoleon'« aber war es leicht zu sehen, wie wenig er mit der ihm zu Theil ge wordenen Ausnahme und besonders mit dem tumultuarischen Triumphe zufrieden gewesen. Der Kaiser, der keineSwegeS die populären Formen der Bürgcr.Könige liebte, wollte selbst die Beweise enthusiastischer Er gebenheit nur aus einer gewissen ehrerbietigen Entsernung dargebracht haben. Am nächstfolgenden Tage nach seiner Ankunft richtete er folgende merkwürdige Worte an den General Hayo: „Endlich bin ich wieder angckommen; die Sache hatte eben keine große Schwierigkeiten. Es handelt sich nun nur darum, mich für die Zukunft hier zu behaupte». Ich wiederhole zwar vor aller Welt, daß wir Frieden haben sollen, aber dem ist keineSwegeS so. Wir müssen dem Auslande die Stirn bieten; aber wie? Die Bourbonen haben mir meine Bürger verdorben; von Cannes bis hierher hat fast eine Million Bauern mir den Weg über laufen. Wollle ich ihnen zu Gefallen die Priester und die Adeligen alle anfknüpfen und die Beute umrr sie venbeilen lassen, so würden diese Leute für mich ins Feuer laufen; allein ich mag auch nicht das Haupt einer Jaqueric scyn. Es bleibt mir jetzt mir meine treue Armee übrig, auf die ich rechnen könnte. Versuchen wir es, so viel Vortheil als möglich aus derselben zu ziehen; an unsere Posten, General! Los geschlagen !".... Hundert Tage später batte das Schwert das rerbängnißvolle Ur- cheil gefällt. Der große Besiegte von Waterloo zog in Paris als Flücht ling ein und verbarg sich im Palast Elisöc-Bourbon. Frankreich batte bereits sein Schicksal von dem seines cbemalige» Beherrschers unabhän gig gemacht, und die enttäuschte Bevölkerung sah mit derselben Gleich gültigkeit, die IS Jahre später den unglücklichen Karl X. nach Cher bourg begleiiete, den gestürzten Kaiser an Bord des „Bcllcrophon" sich flüchten. skibl. b niv.) Ein Englisches Urthcil über die heutigen Französischen Romane. (Fortsetzung.) Die erste von Balzac'S Scenen des Privatlebens ist La Ven detta (die Rache). Die einzige Tochter eines Korsischen Freundes von Bonaparte, den er vornehm und reich gemacht, befindet sich gleichwohl als Pensionairin in einer Maler-Schule, wo sic die Bekanntschaft eines proskribiricn Offiziers der alten Armee macht, den sie, trotz aller Billen und Ermahnungen ihrer Aeltern, beiralbct. Die Abneigung der Acltern gegen diese Verbindung entsprang, beiläufig bemerkt, aus einem alten Familien- Haß, den ein kürzlich erlittenes Unrecht von neuem augefachl hatte. Die junge Frau ernährt anfänglich sich selbst und ihren Gemahl mit ihre», großen Talent als Malerin — aber sie kommt allmälig aus der Mode, und jetzt bricht das Elend herein. Die Acltern sind uner bittlich; und so müssen denn Kind, Muller und Galle, Eines nach dem Anderen, im buchstäblichen Sinne des WorlcS vor Hunger sterben! Den bejabrlcn Aellern kommt die Reue zu spät — die Muller stirbt vor GewiffenSpein, und der Vater steht jetzt einsam da in der Welt, um bald nachher, als Strase für seine Grausamkeit, am gebrochenen Herzen zu verscheiden. Die Moral der Vendetta scheint darin zu bestehen, daß Later und Mutter eine wohlverdiente Strafe erlitten — diese Moral ist gut; aber Herr Balzac spricht kein Wort des Tadels gegen de» Ungehorsam der Tochter, oder gegen das nnveranlworlliche Bcncl'mcn der sogenannten Hauptstadt des kivUisirlen Europa s ans, die eine bcwunderle und lie benswürdige Künstlerin mit ihrer Familie verbungern läßt! Das Gemälde mag objektive Wahrheit genug habe»; aber ein großer Mo ralist hätte unseres BedünkenS nicht allen Tadel auf die Häupter der gekränkten Aeltern fallen lassen. Die zwrilc Erzählung heißt: I,c8 Nungors sic- I'luoansinito. Eine Gräfin von Restaud hat in einem lange fortgesetzten schuldvollen Leben den Namen und das Eigcnlhum ihres Gemahls auf Kinder übertragen, die nicht die seiniar» waren. Sie verkauft ihre Juwelen, um die Schulden ihres Liebhabers zu bezahlen; sie borgt für diesen Herrn große Summen bei einem Wucherer, de» ibr Mann bezahlen muß; und auf ihrem Todbeltc verbrennt sic cine Urkunde, die ihrem ältesten Kinde (dcm einzigen, das ibr Mann für das scinige hält), zum Nachibeil der Bastarde, einen größeren Theil an der Erbschaft znsichcrt. Und diese Geschichte wird einer jungen Dame und ihrer Familie erzählt, um eine Verbindung dieser Dcmoisclle mit dcm Sobnr jener liebenswürdigen Aeltern einzuleitrn. Für Pariser mag das eine moralische Vorlesung seyn; uns aber erscheint sie als cine Vorlesung zum Besten des Sillcn- verdcrbcns. Die dritte Geschichte, der „Ball von Sccaur", ist vcrglcichungs- wcise harmlos; dies kommt aber daber, wcil dcr Stoff einer Schrift stellerin von guten Sittcn und gutem Geschmack angchört. Auf dem Balle von Sccany (dcr, beiläufig bemerkt, sich von einem Tanz in einer Bude aus dem Jahrmärkte zu Greenwich nnr wenig unterscheidet) ver liebt sich eine vornehme junge Dame in einen wunderschönen Jüngling, den sie bis dabin nicht gesehen, und diese Leidenschaft bat schon einen hoben Grad erreicht, bevor sie entdeckt, daß der Geliebte zu seiner Schönheit und seinen sonstigen Vorzügen auch Vermögen und den edlen Namen Longueville besitzt. Diese Entdeckung kommt ihr sehr zu statte»; denn obgleich sie auf dem Balle von Sccaur sich verlieben kann, bat sie doch den aristokratischen Entschluß gesaßt, nie einen An deren zu heiratben, als einen Pair von Frankreich. Aber ach! wie man in England „Howard'S und Ruffell'S zuwcilen Schube putzen siebt", so kann auch wohl ein Longueville einem Leinwandlade» in ter Slraße St. Denis vorsiebcn; und leider! ist dem wirklich so — der Held wird entdeckt, wie er eben Zwirnband verkauft, und seine stolze Geliebte bin- tergebt ihn auf eine skandalöse Welse. Merkt aber nun, was folgt! Der Ellenritter schwingt sich mit einem Mal zur Würde eines Pairs von Frankreich empor. Und die bocbmütbige Schönheit siebt sich gezwun gen, ihren eigenen Onkel odtr Groß-Onkel zu lwiralbrn.