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Wöchentlich erscheinen . drei Nummern. Pränumeration«- Breis 22; Sgr. Wr.) vierteljährlich, Z Thlr. snr da« ganze Jahr, ohne Er höhung, i» nlleu Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Mg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße - Nr. Z4); in der Provinz so wie im AnSlanic bei den WohNöbl. Post > Slcmtcrn. Literatur des Auslandes. 69. Berlin, Mittwoch den 8. Inin 1836. Frankreich. ' George Sand und die Institution der Ehe. Von G. Nisard. °) George Sand haßt, oder, nm mich eines gelinderen Ausdrucks zu bedienen, nimm! ein Aergerniß an der Institution der Ehe. Ich sage ein Aergerniß, denn ich traue ihr, wie jeder ihr an Geist und Anmulh ähnlichen Frau, vielmehr Caprice, hartnäckiges Beharren ans dem eige nen Sinne als cigentiichcn Haß zu. Doch Caprice oder Haß, gleichviel, immer bleibt es ausgemacht, daß die Che noch keinen leidenschaftlicheren und, wie es scheint, unversöhnlicheren Gegner gehabt hat, als George Sand ist. Indiana, Valentine, Lelia und Jacques sind nur verschie dene' Darstellungen eines und desselben Gedankens, nur mannigfache anders modifizirte Entwickelungen der einen und nämlichen Scheu und Abneigung. So oft die anstrcteudcn Personen Unrecht haben, so ist es Loch nie die Ehe, die Recht hat — und haben dagegen die Personen Recht, so hat die Ehe unbedingt Unrecht. So ost cs Ungelegrnheiten und Streit giebt, muß die Ehe die Zeche bezahlen — für alles Unglück und Ungemach muß sse herhallen und das Vad ausbaden. Kein Schrift steller ist so lief in die unendlichen Widerwärtigkeiten und Unseligkeitcn einer unglücklichen Che cingedrungen, keiner här die Ursachen der Ab neigung und Antipalhicen zwischen Gatten so geschickt zu aaalysiren, so die drohenden Symptome in ihren feinsten Fäden zu verfolgen, die langsam schleichenden, aber unvermeidlich ausiretcndcn Wirkungen in ihrer Noihwendigkeil heranzuführen verstanden, keiner endlich so wenig seinen Triumph, den Triumph seines innersten Herzens im Moment der Katastrophe verhehlt, wie George Sand. Im Jacques wird der Mann gelobt und gepriesen, der so klug ist, seine Schande vorherzusehen und dem Liebhaber der Frau eigenhändig die Thür des Hauses zu eröffnen, wie zur Ausgleichung einer unpassenden Ehe, zu einer Ausgleichung, die durchaus in der Ordnung und völlig gerecht ist. Der Liebhaber ist die Person, die, anstatt ein Unrecht zu begehen, vielmehr das durch eine Ungleiche Ebe begangene Unrecht wieder guunacht; der Ehebruch ist die Strafe für ein Verbrechen, das gegen die heiligen Gesetze der Na tur begangen. Pflicht ist ein leeres Wort, es giebt keine Pflichten, als etwa die einzige für einen Mann, der da merkt, daß er überflüssig in seinem Hause sey, den Platz zu räumen und sich im Nothfall in das erste beste Wasser zu stürzen und die Welt in dem Glauben zu lassen, er sey verunglückt als Opfer einer maßlosen Neugier nach den Schön heiten der Alpen-Gegenden, wie es im Jacques geschieht, dem letzter- schienenen und vielleicht bedeutendsten Angriff George Sand'S auf die Ehe. Den Stand eines Ehemannes der falschen Würde, deren er sich angemaßt, zu entkleiden und in Mißkredit zu bringen, dies kann als der eigentliche Zweck der Werke von George Sand angegeben werden, und wir müssen gestehen, daß sie denselben mit einem Geiste, einer Aus dauer und Beharrlichkeit zu verfolgen gewußt hat, die sonst nicht so leicht eine Frau, auch aus das, was ihr vor Allem am Herzen liegt, zu verwenden pflegt, hauptsächlich aber mit mehr Talent, als der Himmel den meisten unserer Moralisten verliehen hat. Auch hat die Sache ihre sehr wahre Seite: es glückt nicht Jedem mit der Ehe — und ganz abgesehen von dem eigenen Leben George Sand'S und ihren Privat-Verhältniffen, denn wir haben weder das Recht, noch liegt cs in unserem Gcschmacke, uns Änderungen in dieser Beziehung zu gestatten°°) — so wollen wir gern glauben/ daß es sich selten «reffen mag, daß das Glücksrad der Ehe einer Frau von bedeu tendem Geiste einen ihrer würdigen Gatten znsührt. In solchem Falle ist die Ebe dann das greulichste Verhältniß von der Welt, ein Zustand, ') Dieser Aufsav befindet sich ebenfalls in Len unseren Lesern bereits be kannten Reise-Erinnerungen aus Belgien, wo der Verfasser, voin schlechten Wetter gezwungen, ru Hause zu bleiben, ein Buch von George Sand liest und die folgenden Betrachtungen daran knüpft. Wir sehen hier einen Freund der Schrittstellerin, einen Franzosen, der, obwohl er über die Gefahren lächelt, die mit der Lektüre ihrer Werke verbunden sevn sollen, doch in dem llrtheil Uber den zum Theil ganz unwahren und zum Theil rein subjektiven Charak ter derselben sowohl mit deni Enqlandcr als mit dem Genfer übereinstimmt. Nisard'S Auisassung George Sand'S ist jedoch so anziehend, daß man auch nach allem Vorangeqangenen diese Betrachtungen mit Vergnügen lesen wird. ") Fast alle .«rUiker George Sands haben bisher immer noch geglaubt, ihre Unparteilichkeit dadurch dokumcntiren zu müsse», daß sie sich von jedem Seitenblick auf die P c rsönlichkeit der Verfasserin loSgesagt haben. Da durch aber ist ihr, wie uns scheint, gerade das meiste Unrecht zugesügt wor den. Denn eben in ihren persönlichen Verhältnissen, in ihrer Erziehung, in ihrer Vcrhriralhung an einen Mann, Ler sich ihres Geldes wegen bei ibren Acltcrn um ste bewarb und der, empfindungslos für ibren Geist, sogar ihren Körper mißhandelte, mochte »och die größte Rechtfertigung des Jrrthumö z« suchen sepn, Leni ihr außerordentliches Talent sich hingegeben hat. dessen Widerwärtigkeit über allen Ausdruck und über alle Beschreibung geht, und der gerade so viel Bitteres und Unseliges, als eine glückliche Ehe Holdes und Schönes, mit sich führt. Heroischer möchte eS dann vielleicht seyn, sich zu überwinden, sein Eiend vor den Augen der Welt zu verbergen und seine persönlichen Leiden nicht zu einer allgemeinen Lebensfrage zu erheben — oder wenn eine so gekrankte Frau das Be- dürfniß einer Entschädigung in der öffentlichen Stimmung und der Mei nung des Publikums über ste empfände, so möchte es gar wohl als ein höherer Triumph ihrer Weiblichkeit erachtet werden, wenn sie in solchem Falle sich lieber bewogen fühlte, das Glück, das sie sich geträumt, als die Schmerzen und die Schmach, die sie erduldet, zu schildern und schriftlich niederzulegen, durch welchen Schatz von Geduld, Entsagung und schweigendem Äusharrcn eine unglücklich verheirathetc Frau über alle Stürme und Qualen, die über sic verhängt werden, hinwcgzukom- men und zu einer Art von innerem Frieden und stillem Gleichmuch der Seele zu gelangen vermag, der den flüchtigen Freuden und langen Ver irrungen einer Scheidung bei weitem vorzuziehen ist. Aber was auch die Moral in solchem Falle gewinnen möchte, die Schriftstellerin würde offenbar dabei verlieren. Und muß es »ich! Jedermann willkommener und erwünschter seh», wenn der Autor wahr ist gegen sich und das Publikum, und wenn auch auf eigene Kosten? Auf den Trümmern der Tyrannei, der gestürzten Ebe, erbaut George Sand nun den Tempel und Thron der Liebe. Da ist ihr dann kein Mann schön, kein Mädchen rein genug und so voll Anmuth und Schön heit, um der Gegenwart dieses Gottes werth zu seh». Hier Hal George Sand ihre ganze Gewandtheit entwickelt und ihren verständigen Geist als geschickter Reformator bewiesen. Ihre Ehe, die Ehe, die sie an- greist, ist immer die alte trübselige aus dem I7ten und 18ten Jahr hundert mit all ihrem Gebrumme und Geleise, mit geistlosen Rechte» und mechanischen Gewohnheiten ohne Gefühl statt der lebendigen Freu den, und der Hahnreischaft statt der Zärtlichkeit und Neigung. Ihre Liebe dagegen ist ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, jung und frisch, von allen jenen stereotvp gewordenen Langweiligkeiten, die man ihm so viele Zeitalter hindurch aufgebürdel, befreit, reich an lebendiger Vernunft, mit einer Logik ausgcstaltct, gegen die Nicht« Stand hält, einer Dialektik, wie die des großen Arnaud, nur daß ste in Betreff der Sache interessanter ist, sprudeln» von Geist, aller Hülfs- mittel, aller Kenntnisse und Kunstgriffe mächtig, aller Dinge kundig, im Mittelpunkt der Gegenwart, nie stutzig und befangen, nie sich ver rechnend, nie ihres Zieles fehlend — eine Liebe, die Künstler und Im provisator, Dichter und Philosoph zu gleicher Zeit, naiv und doch mit allen Subtilitäten des Verstandes vertraut ist, in Morgen-Träumen sich wiegt und da« genaueste Detail des Positiven mit wachem Blicke de, herrscht, die an Tugenden so reich ist, daß auch ihre zweifelhaften Hand lungen noch in Purpur gehen — mit einem Wort: eine Liebe, die un bedingt über die Ehe den Sieg davontragen würde in dieser Welt, wenn die Männer und Weiber alle schön wären und das Leben der Männer nicht länger dauerte als von zwanzig bis dreißig, und da« der Frauen nicht länger als von achtzehn bis fünsundzwanzig. Und nun die Frage: Ist wirklich eine Gefahr vorhanden, wenn Ideen dieser Art verlheidigt und vopulär gemacht werden durch da« Ta lent? Wir antworten: Vielleicht, cs ist möglich — aber gewiß keine so große Gefahr, als man vermeint. Wer freilich George Sand'« Schriften durch die inquisitorische Brille betrachtet, der wird Ketzereien die Hülle und Fülle finden, allerdings; wer ste aber mit klaren gefunden Augen, ohne Leidenschaft, unparteiisch liest, der wird bald zu der Ein sicht kommen, daß nur für diejenigen Leute Gift darin enthalten, die schon selber davon ergriffen und voll sind, oder für jene anbrüchigen Naturen, die der erste schlechte Roman, der ihnen in die Hände kommt, stark genug ist, über den Haufen zu werfen. So groß das Genie, so unendlich die Kunst ist, die George Sand in seinem Kriege gegen die Ehe an den Tag gelegt, so verkehrt sich ihr doch unter den Händen säst immer der Effekt, den sic bervorbringen will. ES ist dies das unvermeidliche Loos eines Kampfes, der sich gegen eine Institution richtet, die so alt ist wie die Welt, die auf den Grund lagen der Jahrhunderte ruht, die selbst in den Zeiten heilig gehalten worden, wo die Frau dem Manne nicht gleich stand, und an den Orlen, wo sie durch das Gesetz nicht angeordnci und geboten war, aus freiem Triebe der Menschen, durch einen Instinkt der Vernunft ine Leben trat. Wenn die Individuen der Institution nicht angemessen sind, so ist e« nicht die Schuld der letzteren. Das ist es, was von allen Gestalten, die uns George Sand vorsührt, gesagt werden muß, was von Allen gilt. Die einen sind widerwärtige abscheuliche Charaktere, fluchen und schwö ren, sind auffahrend und jähzornig, wie der Mann der Indiana, der