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Wöchentlich erscheinen drei Nnmmern. Prämimerations- Preis 22^ Sgr. (^ Lhlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie, Magazin für die Man xränumerirt aus diese« Beiblatt der Mg, Pr, TtaatS- Zcitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den Dodllöbl. Post - Acmtern. Literatur des Auslandes. 34. Berlin, Mittwoch den 4. Mai 1836. Frankreich. Die Rhone-Inseln. Aus 3ules Janin's neueslem Romane - „Der Kreuzweg.'") Ich muß es bekennen, indem ich diese Erzählung beginne, empfind' ich in meiner Seele jene unschuldige Dichtersrsude, die ich schon wun der wie fern von mir, schon weil hinter mir glaubte. Mein Gemüth ist siiß bewegt von der Begebenheit, die ich eben au meinem inneren Auge vorübergehcn lassen und nun Euch Anderen vorsühren will. Wo her kommt mir diese Freude, diese ungewohnte? Dies seltsame Inter esse für meinen Helden? Wie so scheint mir diese ganz gewöhnliche Fabel mit einem Male so voll und reich an Interesse und Reiz? Ist es der leise Hauch der Lüfte, der durch mein Haar säuselt und die Lei denschaften dieses Herzens schmeichelnd lind in Ruhe wiegt? oder ist es der Einfluß dieses Baumes, der mich unbemerkt beherrscht, der hohen Eiche, in deren Wipfel das leichte Eichhörnchen umherklimmt, während die laue September-Sonne ihr Antlitz in dunstig Gewölk verhüllt, auf daß der Bogel, der in den höchste» Zweigen zwitschert, noch Heller und schöner^ fingen möge, und mit ihm der Dichter, der am Fuße des mäch tigen Stammes fitzt und schreibt? Nein, das ist es nicht, meine Freude rührt wo anders her; mein Glück ist über diesen Baumen, diesem Ze phyr, diesem Bogel, diesem Strom und all diesem Gemurmel und Ge sang der Natur. Meinetwegen möchte ein Sturmwind plötzlich nieder- rauschen auf den Vogel und mich, und, durch die Aeste der alten Eiche sausend, den Bogel verjagen, und mit den dürren Blättern des Baumes auch diese armen Blätter Papier, die ich hier beschreibe, mit davon- führen; ich würde ganz so glücklich bleiben, als ich bin; möchten Wind und Sturm doch mit mir machen, was sie wollten, gelassen wie die kunstreiche Spinne, die ihr Gewebe immer wieder von vorn anfängt und in den Fäden, die fie aus ihrem Leibe hervorgesponnen, sich wiegt und schaukelt, so würde auch ich dies Buch zum zweiten, zum dritten Male wieder beginne», und immer voll des nämliche» ungelrüble» Glückes, mich spielend ergehen, wonnig auf und nieder schwebe» in die sem Gewebe, das mir aus Kopf und Herzen sich entspannen. Und ver langt der Leser nun endlich zu wissen, warum ich mich so glücklich fühle, indem ich die erste» Blätter diefer Geschichte niederschreibe? Weil es eine Erzählung ist, die von Jugend und Leidenschaften übcrschäumt und deren Held nicht mehr als zwanzig Jahre zählt. O, die Jugend! die Jugend! — Zn einem Buche, in einem Drama, in einem Traum, in der Welt, überall, Alles vermag sie zu geben, zu ergänzen und zu erfüllen. Gesegnet sey einem Jeden der Tag seiner Geburt! Mit welchem Auge sieht uns der Morgen des Tages alljährlich an, an dem wir zuerst das Licht der Welt erblickt! mit süßen Blicken milder Zärtlichkeit, wie ein Vater, der da scheidet und nach und nach sein zurückgelassenes Kind aus dem Gesichte verliert. Habt Ihr das nie erfahren, meine Freunde? nie stille gehalten zu Ueberschauung und Sammlung auf dein Gipfel dieser Eurer Echicksalsstunde, in der Euch zuerst Bewegung und Ge danke kam? — dieser Stunde, die ein Stückchen Zeit, ein Nichts im Raume, ein Echo der Jahrhunderte ist, wie Ihr selber ein Bruchstück der Menschheit, ein Wiedersehen, de« ewigen Gedankens, ein Hauch aus dem Odem des Schöpfers sevd. Eure Gebnrisstunde war Eure erste Sklavin, sogar noch vor Eurer Mutier; de» Glocken, die zu Eurer Taufe geläutet, gab sie den Klang und schwang sich dann in die Ewig keit zurück, wo sie Eurer harrt. O, Stunde meiner Geburt! du meine Zwillingsschweflcr — wie fern und weit liegst du von mir, in Nacht versunken, erblichen dein friedlich Licht! Verhüllter Stern, nach dem ich die Arme ausbreile, geh' mir wieder auf — o, du holde Stunde, du mein wie keine, die mich aus dem Schoß meiner freudetrunkenen Mutter ans Licht bob, mich in die weiche Wiege bettete und, mich trän kend mit süßem Schlummer und heiliger Milch, mir die Seele ein- hauchte! Aber sie ist sern, dahin, aus der dunstigen Weite nur noch spärlich glitzernd wie ein erlöschender Stern — und kein Wort, kein Seufzer bringt sie zurück. Ich strecke meine Arme nach ihr aus, -nur die leere Luft umfass' ich; Eurhdice, meine Eurhdice, wo bist du? — Eurhdice! hallt öde das Echo nach. Kehren wir der Gegenwart den Rücken und steigen durch die Wildniß der Stunde» Jahre auswärts zurück ins Vergangene. — Beim Jahre 1804 machen wir Halt, dem schönen Jahre, welches das Kaiser reich ins Dasehn rief und auch den Helden meiner Erzählung. Beide, das Kaiserreich und mein Held, Prosper Chavignp, stehen aus einen. ') r>« "t,«mjn Sc ti»er-c. 2 Val. t-arl,, und demselben Blatte der Zeil, das eine in der Geschichte Frankreichs, der Andere in den Registern und Kirchenbüchern seines Dorfes. Zur- nämlichen Zeit, als der kleine Chavignp in den Windeln lag, Ihat der Kaiser seinen Sammetmantcl mit den goldenen Biene» a». Und mm, welch' ein Wechsel des Schicksale! Das kleine Kind ist ein Mann gc- workezi, und das Kaiserreich, sein Milchbruder, ist todt, todt bis aus die letzten Sprossen. Die Windeln des kleine» Prosper sind nur zu seinem eigenen Gebrauch gewesen und haben keinem anderen Herrn ge dient, imd der Kaiserliche Sammetmantel, ach du lieber Gott! ist vier mal unterdessen umgeändert und neu zugeschniltcn worden für qar ver schiedenartige Inhaber: für einen legitimen König, für einen Pfaffen- König, für einen König in KindeSgestalt und für eine Revolution! 1804! Eine denkwürdige Epoche — ein schönes Jahr, um aus die Welt zu kommen! 1804 ist der Anfang eines neue» Jahrhunderts, ein Jahrhundert voll gewaltiger, schnell vorüberrguschcnder Revolutionen, Revolutionen, die vierzehn Tage dauern; ein Jahrhundert, das alle frühere höhnt und parodirl, vor Allem die Vergangenheit des siebzehn ten und die von 1789, Richelieu wie Robespicrre, Corneille wie Io- delle. Ein Jahrhundert, da«, ohne viel Aufhebens von den Verlusten zu machen, die cs treffen, und gleichsam als dürft' e« sie nur eben mit leichter Mühe ergänzen, die großen Namen der Geschichte, Bonaparte s Namen und Condö'S, erlöschen sieht — das auf der Schwebe steht zwischen Gut und Schlecht, in solcher Milte zwischen beiden, daß kS sich eben so wenig de« Schlechte» fähig, als »»tüchtig zum Eulen er weist, keuchend und mall von Arbeite», die cS selber nicht vollbracht; von Kriegen sich erholend, die cs nicht begonnen; rin Jahrhundert bürgerlicher Art und dabei sogar ohne bürgerliche Leiden schaften; ein Spekulanten-Jahrhundert, das ü la Hausse und ä la haisse auf- und abwägt über ein Gerücht, das ihm zugekom- mc» ist, es weiß selbst nicht woher, und das nicht anders zu leben ver mag, als in diesem Schwindel und Strudel. Meiner Meinung nach, sind alle unsere redlichen Skeptiker, aus denen »och das Bische» gute Gesellschaft, das wir behalten haben, besteht, im Jahre 1804 geboren worden. Vier Jahr früher auf die Welt kommen, war zu früh; um ein Zweifler z» werden, hieß vier Jahre vor sich haben zum Glauben an den Ruhm. Der recht zeitgemäße Man» heut zu Tage ist der, der auch nicht einmal mehr zweifelt, deu» auch noch der Zweifel ist ein Glaube. An gar nichts glauben, nichts bewundern, das ist unser sozi ales Evangelium. Der zeitgemäße Mann unserer Tage glaubt durchaus an gar nichts, an den Kaiser Napoleon weniger als an irgend Einen, an den Ruhm noch weniger als an die Tugend. Wer du auch sevn magst, lieber Leser, Gott bewahre dich davor, heut zu Tage ein zeitge- gemäßer Mann zu sepn. .... Unser junger Held, Prosper Chavignp, kam an einem schöne» Frühlingstage aus die Welt, an guter Stelle, weit, gar weil von Paris; im anmuthigsten Winkel der Erde wurde er geboren, zwischen einem schönen Strom und einem hohen Berge, im schönsten Theile des südli chen Frankreichs, in einem Dorse, das nicht auf der Karte steht und nicht einmal eine» Friedensrichter hat, ein so ruhiges und friedliches Dörfchen ist cs! Prosper Chavignv war das erste Kind seiner Aclter» und der letzte seines Namens, und heiß und zärtlich wurde er geliebt von seiner Mutter und seinem Bater, dem Winzer, Jean Chavigny. Sein Vater besaß ein massiv gebautes Hänschen, das'dem Vater und schon den Uralter» seiner Frau gehört hatte. Wenn die Tbur de« Hauses ganz offen stand, so konnte man von der Straße aus durch den langen Flur und den Garten am Ende desselben den Rhone sehen — man hätte den Strom auf den ersten Blick für den bewachenden Hund halte» mögen, so erschien er in der Ferne durch die Umgränzung des Laubes. Ich glaube nicht, daß ein schönerer Strom unter der Sonne zu finden ist als der Rhone; er hat eine mächtige Stimme und gewal tige Arme, und leuchtend und glänzend, geht er mit großen Schritte» einher, frisch und voll immer seinen Platz behauptend, breit und stolz wie ein vornehmer Herr in der Fülle seiner Freiheit in übermüthiger Muße. Wenn der Tag schön werden soll, so ist der Strom Morgen« mit Nebel bedeckt; die an seinen User wohne», freue» sich, we»n er fie beim Erwache» recht finster anstcht. — So hatte unser Kleiner als» den Rhone zum ersten Freund und Gespielen. Der Rhqne hatte ihn begrüßt, als er auf der Welt kam, und in seinem Silberblick wuchs er auf — er hielt dem Kinde den kleinen Spiegel feiner Flut vor, daß es sich beschauen konnte, spülte ihm glänzende Kiesel ans User, wiegte ihn in Schlummer mit seinem klagenden Gemurmel und weckte ihn wieder mit rauschender Stimme. Das Kind seinerseits gab Liebe für Liebe — es gehorchte dem Strom, wie es seiner Muiter gehorchte. Weun der Strom ihm sagte: Schlafe mein Kind! so schlief es lächelnd