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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS Kreis 22^ Sgr. (^ THIr.) vierteljährlich, 3 Tblr. für das ganze Jahr, ohne Er Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die ur des Aus Man »ränumcrirt ans dieses Beiblatt der AUg. Pr. Stams- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Ttraäe Nr. 34); in der Provinz so wie im Ausland? bei den Wohllödl. Post - Aemtcrn. 38. Berlin, Freitag den 13. Mai 1836. F r a n k r e i ch. Die Pferderennen zn Chantilly. Lon Jules Janin. Seit den Tagen des großen Condö, der in einem jener Momente fürstlicher Lust den Marstall von ChauUllv crdanle, Hal, wie alles Große auf dieser Welt, auch dieser Marstall die Wechsel des Glückes zn er fahren gehabt. Und von allen großen Monumenten, die jemals Rcvo- lulioncn bestehen gemußt, ist der Marstall von Chantilly vielleicht auf der ganzen Erde das größte, welches völlig unversehrt geblieben ist. Der Stall hat das Schloß, der Stall hat den Wald gerettet, und so oft cs jetzt in unseren Taacn wieder lebendig wird ans diesem frischen Aasen, iu diesen hnudmjährigen Wald Getümmel und Getöse wieder cinkchrt, das alte Schloß vom fröhlichen Ruse ter Jugend ertönt, vom Jagdhorn das schlummernde Echo wieder erweckt wird,'der Hirsch durch das Dickicht bricht und das vcrbänznißvollc Halali hinter ihm her er schallt — wenn jetzt noch an diesen schönen Orten die Pariser Jugend und die reizendsten Frauen, die Zier und der Glanz unserer Weltstadt, sich einfindcn, wenn noch heut Alles Leben und Gegenwart ist unler dem Laubdach dieser Bäume, so verdankt Chantilly dies einzig und allein jenem Marstall, den der große Co'ndü seinen alten getreuen Gejährten von Lens, Rocroy und Freiburg erbaute. Ueberall, wohin wir sehen, stehen die alten Paläste verlassen, selten schallt rin Fußtritt durch die öden Gemacher, und Gras und Unkraut wuchert in den Gängen der Gärten; sic sind nicht mehr die Wohnun gen dcs Lebens und der Tbätigkcit. Denn das Leben der Fürsten vor Allem treibt jetzt mitten in dem Strom der Geschäfte, aus dcr Woge dcs Tages, im Getümmel dcr Menschen, da, wo die Bewegung der Geister am lebhaftesten ist; an die Stelle endloser Jagden und träger Ruhe siud als Unterhaltung für unsere Fürste» jetzt die Dcpulirlen- und die Pasts-Kammer getreten. Die stolzesten Paläste sehen im ganzen Jahre kaum einmal ihre Herren. Das Schloß von Eu wird manches Jahr gar nicht besucht; Fontainebleau, aufs wundervollste rcstaurirl und zu dem allen Glanze, in dem cs zu Franz des Ersten Zeiten strahlte, wieder erhoben, wird nie wieder einen Franzl, in seinen Mauern sehen; Ludwig's XIV. Versailles, diese große Ruine, so sehr zur rechten Zeit und von so geschickter Hand aus dem Schutte, iu den sie zu versinken drohte, hcrvörgchoben, ist einer neuen ruhmvollen Bestimmung gewid met; da es kein Palast sür den König mehr sehn kann, so soll dcr Palast Ludwig's XIV. fortan ein M»seum wcrdcn sür das Volk. Und so würdcn, wäre nicht dcr Marstall in Chantilly, auch Palast, Eartcn und Waldungen der Condö'S gegenwärtig höchstens ci» anständiges Bürgerhaus, das in Geduld alljährlich harren würde, bis sein junger Herr und Besitzer acht Tage aus Urlaub käme, um doch wenigstens ein mal zu scheu, was die Rosen und die Schwäne und der Fischteich machten. — Bon dem Moment an, wo Jedem die Nolhwcndigkcit anf- crlcgt ward, lhälig zu sepn und lebendigen Theil zu nehmen an den Angelegenheiten des Landes, wo dcr schwelgerische Müßiggang aufhörtc, und für die Großen noch mehr als für irgend Einen, vor Allen aber am meisten für dm König und mehr noch sogar als sür seine Söhnc — gab es keine Schlösser im eigentlichen Verstände mehr. Die Herren dieser schönen Besitzungen Hausen nicht mehr darin; cS gehl nicht, cS ist ihnen durch den Lauf dcr Dinge unmöglich gemacht; kaum daß ihnen freisteht, im Frühling einmal zu kommen und nachzuschcn, was dcr Maurer gearbeitet hat und wie dcr Garten im Stanke gehalten wird. Aber wenn alle Schlösser lcer stehe», die Alleen und Säle von Ver sailles und Fontainebleau öde liegen und verlassen, für Chantilly und seinen Marstall war ein solches Loos auf die Dauer unmöglich. Dec Palast freilich, dcr konnte ruhig warten, bis dcr Herzog von Aumale berangewachscn war, der schöne Wald geduldig harren, bis die achtzehn Jahre seines jungen Besitzers voll geworden; Garten, Wiese, Hans und Landschaft, das Alles wäre in Erwartung seines Herrn und Gebieters ein großer Park, ein großer Hof, ein wenig größer als der dcs College Heinrich'S IV., geworden. Aber die Ställe des großen Conde, was wäre aus diesen gewor den unter der Zeil? Still und verlasse» lagen sie in Trauer um den alten Ruhm, um jene Zeiten, als aus dem Norden die Könige kamen und mitten unter den Pferden des Prinzen mit Fest-Gepränge das Mabl einnahmen; als die Thore sich tagtäglich öffneten und die Rosse binauSstürmten in die Ebene, die Berge hinan, beim Schmettern dcr Fanfaren aus dcr Fährte des flüchtigen Hirsches. Aber, wie gesagt, lange sollte es nicht so bleiben; der herrliche Marstall konnte und sollte mw kurze Zeit in diesem traurigen Zustande verharren. Wie ibn aber wicdcr füllen? Woher die Zahl dcr Gäste nehmen, die so stolzer Woh nungen würdig wären? Wie das erstorbene, Leben, das Gewühl der früheren Regsamkeit ihm wicdergcbcn? Das war kein Kinderspiel, nicht einmal mehr ein Fürstcnspiel. ES gicbl keinen Fürsten mehr, dcr allein und aus eigenen Mitteln dir Ställe von Chantilly füllen könnte. Und doch ist das Mittel, sic zu füllen, gefunden worden. Man ist aus den Einfall gekommen, und dcr Gedaukc ist eben so sinnreich als königlich, nicht die Jagd, fondern das Wettrennen aufzu- ruscu und einzuladcn, im Marstall von Chantilly seinen Sitz zu neh men. Geöffnet worden sind die Stätlc, nicht nur sür die Pferde des Prinzen, sondern sür alle erlesene Renner; der glückliche Sterbliche sey wer er wolle, dem sie angehLren, der so reich ist und so gut, gestellt im Leben, um schöne Pferde gern haben und um sie hegen und »siegen zu können mit der edlen großsinnigen Leidenschaft, die weder Mühe noch Opfer sür ihren Gegenstand scheut. Wenn die Ställe von Chaniillv aufs neue wiederballen von dem Gewieher der schönsten Pferde Frank reichs, die Höfe sich wieder mit Menschen füllen, diese beschäftigt, den Bewohnern dcs stolzen Palastes zu schmeicheln, Andere, ihnen Dienste zu leisten, wieder Andere, sie zu zähmen und zuzureilen — was ist daran gelegen, ob all' diese Pscrdc Allen gehören oder einem Einzigen? Aus allen Theilen des Reiches eilen die edle» Renner auf den ersten Rus hierher. Ohne ein Zeichen von Verwunderung, von Erstaunen treten sic ein in die köstlichen Zcllcn; man gerast) in Versuchung, zu behaupten, sie dächten und wüßten, daß ihre Behausung nicht mehr als angemessen ihrem Range und ihres edlen Ursprunges nur würdig seh und gehörig dafür, denn Jrglichcr von ihnen bringt seinen Namen, seine Ahnen, sein Wappenschild, seinen Königlichen Stammbaum, den wahrhaftigsten und unbestreitbarsten unter allen Stammbäumen auf dcr Wclt. Von dcr Begier nach Ruhm getrieben, kommen Alle, und so schön und jung, so heiß und stolz, daß die hohen Mauern bcbcn vor Lust und Triumph. Edle Renner in dcr Tbat, dic Hoffnung dcr zu künftigen Generation, sey es nun zur Schlacht oder zur Lust. Mögen sie denn kommen! Oeffnct ihnen die Ställe von Chantilly, bereitet sic vor, rüstet sie zu zum Wettlauf auf den Morgen — ihnen allein dic Ehre! Wir Andere» aber, die wir nur Menschen sind, eilen herbei zu Hausen in unserem Sonntagsstaat, drängen uns und keuchen, schweben erwartungsvoll ans den Fußspitzen, bereit, mit Miseren Händen und Herze», so viel nur immer an ihnen ist, dem glorreichen Kampf, der beginnen soll, Beifall und Lorbeern zu spenden. Und wahrlich, noch gestern prangte Chantilly in nicht gewöhnlichen, Festcsglanz. Das ganze reiche Paris, das seine galante Paris, das so gar in seine Erholungen, in seine Spiele und Thorbcitcn den Nutzen zu verflechte» weiß, war gekommen und hatte sich auf der grünen Flur versammelt. Im Walde war eine Regsamkeit und ein Leben, wie an den Götlerscsten dcs heiligen Hubertus. Von den niedlichsten Füßchen der Schönsten unter den Schönen wurde der Rasen der Ane getreten, lieblich und leicht, gleichsam um ihn zu gewöhnen an den windschncllen Tritt einer andere» Schonen, der Boiante; der Marstall balle scinc volle Bedeulsamkcit wieder erlangt, in dcr Fülle seines alten Stolzes stand er da; cs war dcr letzte Tag des königlichen Rennens; es war der Tag dcr großen Preise, dcs lautesten Zujauchzens, des stürmischsten Beifalls; eine Wonncstunde für die Pferde, für die jungen Männer und für die Frauen — drei Aristokratiecn, dic sich vortrefflich unter einander verstehen. Die Männer sowohl als dic Frauen, alle warcn festlich geputzt und geschmückt, den Kämpfern zu Ehre, die die glorreiche Bahn durchmessen sollten. Die grüne Aue von Chantilly war die Renn bahn — im Nimbus einer Olympia erschien sie — und ohne Staub; der Sicgcsprcis bestand sür de» Besitzer in einer Geldsummc, hinrei chend, einen Sterblichen glücklich zn mache», und für das Pferd in einem Lorbcerkranz, unsterblich genug, de» Ruhm eines Rosses für eine Ewigkeit zu gründen. Um Mühe lind Triumph auf s höchste zu stei gern, halte man die Hindcrnisse ans cine Weise vervielfacht und kom- plizirt, daß es zum Erstaunen war. Dic Stunde war gekommen, die weite Arena füllte sich mit dcr schönen Wclt, auf allen Bäumen saßen Zuschauer, die Reiter prangten im bunten Farbenschmuck, alle Fenster des Palastes warcn von jungen Schönen besetzt. In den Ställen, in ihren Ständern stampften dic kampfbegicrigcn Reuncr, ungeduldig nach Ruhm, kcn Boden mit den Husen — mit flammenden Augen, aufge blasene» Nüstern und flatternder Mähne, scheinen sie alle nur aus einem Munde Vorwärts! zu rufen. Run schmettern die Trompete»; die Dragoner aus ihre» Pferden hallen dic andrängendc Menge in Zaum. Denn jetzt nabt dcr cntschei- dendc Momcni, jci>t will Jeder heran, Jeder schauen und staunen; mit jedem Augenblick kommen in Tchaarcn noch immer neue Zuschauer an