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166 an ihm» zu rachen. Die Gefängnisse sind bereits vo» denselben ange- füllt, und wir haben uns nunmehr lediglich an sie zu halten. Ge wiß, sie müssen für die Ucbrigen büßen. Wenn men wir nur glauben wollte!". . . — Bei diesen Worten machte der Redner eine bedeutungs volle Miene, und ein bei den Spaniern üblicher klassischer Schwur be schloß den patriotischen Vortrag. Er setzte seine Argumentationen nicht weiter fort, aber aus dem Leisall, den seine Rede cinärndlelc, konnte man wohl entnehmen, daß seine Zuhörer alles das billigten, was er ihnen vertrug. In Spanien kennt man noch heutzutage kein anderes Gesetz, als das der Talio, Auge um Auge, Zahn um Zahn. An jenem Abend sollte indeß dieses Gesetz nicht in Anwendung kommen, und die Nacht verging ohne ein besonderes Ercigniß. Da cs nun aber zu keinem Sliergefechl-Alboroto kam, so war mau darauf bedacht, ei» anderes an dessen Stelle zu vr- ganisiren, und man begann sogleich, fast unter den Augen aller Welt, daran zu arbeiten. Wer hätte es auch verhindern können? Drei ganze Lage vergingen mit Vordcreiiungsanstaltcn. Die Mönche sahen mit ängstlichen Blicken dabei zu, gleich einem Delinquenten, der sein eigenes Schaffet ausrichlen siebt; vor Schrecken blieben sie mehrere Nächte aus ihren Klostern fort und hielten sich in befreundeten Privathäusern ver borgen. Indeß zeigte es sich gar bald, daß ihr Schrecke» ungegründet war; das Ungewitter, das lange über ihnen zu schweben schien, sollte sich über ganz andere Häupter entladen. Während dieses Drama gleichsam hinter den Eoulisse» zur Aus führung sich vorbereitete, halte sich auf der Bühne selbst nichts verän dert: es war gerade die Saison der Seebäder, und die Tartanos (Land- kutschen) durchkreuzten sich unaufhörlich aus dem Wege von der Stadt nach Grao und von Grao nach der Stadt. Grao ist der Hafen, oder vielmehr der Landungsplatz von Valencia, das eine halbe Meile vom Meere ablicgt. Die Seebäder von Grao sind sehr einfach und fast un- begucm; in Spanien wird überhaupt auf die Bequemlichkeiten des Le bens nicht viel Rücksicht genommen. Eine schlechte hölzerne Barake auf dem stachen Ufer dient als Toiletten-Kabinct für die weiblichen Bade gäste; hier werfen sich die elegantesten und zartesten Frauen in einen langen lcinwandnen Sack, der ihnen von den Schullern bis zu den Füßen reicht, und in diesem ganz uneleganten Staate steigen sie vor den Augen aller Welt ins Meer hinab. Don Francisco di Paola, der einzige unter den drei Spanischen Infamen, der der Königin Isabelle treu geblieben, tbeilte damals diese unschuldigen Vergnügungen mit sei ner Familie; auch hier hielt sich derselbe, wie zu Madrid, von aller Po litik entfernt; denn er ist ein überaus friedliebender Man», der allen Respekt vor den öffentlichen Angelegenheiten Hal und der sich »ach nichls mehr als nach Ruhe schul. Uulerdcffcn reisle unser Alboroto allmälig heran. Während ein Theil der Bevölkerung von den Bäder» angczoge» wurde, begann der andere zu konspirircn, oder viclmchr beide Dinge gingen gleichen Schritts neben einander her; denn die Verschworenen gcnirlcn sich nicht im Geringsten: sie begaben sich nach Grao mit dcn klebrigen, und man kompirirle zur selben Zeit, während man die Lanien in den Bädern mil der Lorgnette vcrfolgle. Eines der Hänpler der Verschworenen, dem ich empfoblc» worden, ein Offizier der National-Garde, machte mir noch den Tag vor dem Ausbruche der Ememc seine Aufwartung. Des Abends führte er mich ins Tbcalcr, wo eine außerordentliche Vor stellung stattfand, aber das eigentliche Schauspiel war für mich nicht auf der Bühne, sondern im Parterre und in dcn Logen: hier spielte das Haupt-Drama. Man sprach von dem bevorstehenden Alboroto, als ob man sich von einer bekannten Komödie umcrhielle, die ciue zwcite Ausführung erleben sollte; und mein Freund, der Offizier, drückte mir, indem er mich verließ, um sich zu den übrigc» Milvcrschworcnen zu begebe», freundlich die Hand, wie Einer, der eben zum Balle gehen will; er empfahl mir, etwas vorsichtig und aus meiner Hut zu sev», ctwa wie man zu einer Tänzerin sagt: Ermüde» Sie sich nicht zu sehr. Kaurn war ich nach meiner Wohnung zurückgekehrt, als ich General- Marsch schlage» hörte. Um Mitternacht halte sich die National-Garde auf ihren Waffcnplätzcn eirigcsundcu; den» der Streich war lediglich für sic bestimmt. Die wenigen Truppe», die die Garnison bildeten, erschie ne» nicht; die Stadt befand sich in dcn Händcn der Miliz, und der Sieg sollte ihr nicht eben thcucr zu stehen kommen. Aber welchen Gebrauch wird sie von demselben machen? Wird sie, wre zu Barcelona, die Mönche niedcrmachen, oder die Klöster in Brand stecke», wie zu Murcia? Wird sic de» Stur; des Ministeriums Toren» und der Königin-Regentin verlangen? Wird sie die Eonstilulio» von >812 proklamiren? Oder endlich, wird sie sich von Madrid lossagen und dcm Königreich Valencia seine alle Unabhängigkeit wicdcrgebc»? Dies waren die Fragen, die ich mir damals selber verlegte; was in- dcß die Republik anbelras, so wußte ich wohl im voraus, daß nicht einmal der Name derselben ausgesprochen werden würde. In Spanien hegt man auch nicht entfernt den Gedanken an eine Republik; wenn man auch an eine neue Regierung, oder an eine mehr demokratische Eonsiilulion, an ausgedehntere Munizipal-Rechte und Freiheiten zu denke» wag», so kau» man sich doch nicht von der Monarchie lossagen, die als »ine »oihwendigc Bedingung und Garantie der Gcsellschast er scheint. Wenigstens war es im Jahre I8llS auf der Halbinsel also be stellt. Als ich mir jene verschiedenen Frage» vorlegtc, siel mir ein Wort des Redners ans der Saragossa-Straße plötzlich ein: ,,Wcn» man mir nur glauben wollte!".... sagte er, indcni er von den in dcn Gcfängnisscu cingcsperrlen Karlisic» sprach, und der Gedanke an cin Septcmbrisiren durchzuckte mich wie ein zündender Blitz. Ich hatte ganz recht gcratben: man ging gerades Weges auf die Gefängnisse los. Es herrschte eine gewisse Ordnung in dcm nächtlichen Zuge, uud ich fand hier weniger Erbitterung als in dem Kaffeebausc ,,znr Sonne"; aber selbst diese anscheinende Ruhe war schrecklich; sie verkündigte einen bcreits gefaßten Entschluß und ließ das grauscnhaste Schauspiel cines überdachte» und kalt bcrechueleu Biukbadcs ahne». Wenn man die Menschen beim Fackelscheine durch lausend krumme Gäßchen, durch die sonst so öden uud düsteren Straßen, durch die noch aus dem Miticl- altcr bcrstammcnde» Kreuzgänge sich drängen sah, mußte man schon un willkürlich a» eine nahe bevorstehende Schreckensstene denken. Das erste Gefängniß, das belagert wurde, war der Quartier-Thurm. Man bestürmte dcn Gouverneur, die Thüren zu öffnen; cs geschah, und das Verzeichnis; der Gefangene» ward dcn Belagerern eingchändigt. Man begann mit dem namentlichen Ausruf. Ich vermochte kaum Alhem zu holen; das Blut war mir in dcn Ader» erstarrt; die schreckliche Stunde nahte heran. Der Gefangene, dcn man zuerst hcrbeiführlc, war ein Greis mil Silber-Haare», der vor Schrecken fast wahnsinnig geworden war; er erschien mit starren; Blicke, mil halb offenem Munde und mit steifen Armen: fein ganzer Körper war gelähmt. Während dieser Zeit wiederhalltcn die Namen der klebrigen in dcn langc» Korri dors und rollten von Echo zu Echo gleich Stimme» des letzten Gerichts. Fünfundzwanzig bis dreißig Gefangene wurden einer »ach dcm andere» vor de» schreckliche» Areopag geführt. Meine Brust erweiterte sich, als ich bemerkte, daß mau dieselben nicht aus der Stelle niedcrmachtc, son dern sie friedlich »ach dcm Hauptquartier der National-Garde absührc» ließ. Die Gefangene,!, auch diejenige», die ma» nach und nach von der Eitadclle, aus dem Scrranos-Thurm und dcn übrigen Gefäiigniffcn dcr Stadt hcrbeigcsührt hatte, wurde» in ein gemeinschaftliches Zimmer eingesperrt und unter die Aufsicht der llrbanos gestellt. Auf diese Weise verging die Nacht vom Lle», und es war für mich eine glückliche lieber, raschung, so viele Mäßigung da anzutreffcn, wo man eben so leicht mit großer Strenge verfahre» konnte. Es sanden keine besondere Ercesse statt, und kaum hörte man von zwei oder drei Personen, die im Tu mult oder durch Unvorsichtigkeit das Leben verloren hatten. (Fortsetzung folgt.) Frankreich. Die Geschichte Les Mannes mit der eisernen MaSke. (Schluß des ersten Artikels.) llebrigens begnügte der Pater Griffet sich damit, die verschiedene» Sage» mit einander zu vergleiche», um die Widersprüche und Unwahr scheinlichkeiten darin nachzuwcisc»; nur zwei, seiner Meinung nach, un widerlegliche Thatsachen zog er daraus, nämlich daß der Gefangene weißes Haar gehabt, und daß seine Maske von schwarzem Sammet ge west». Sonst wollte er aber weder den Herzog von Beaufort, noch de» Herzog von Monmouth in diesem Staats-Opfer erkennen und neigte sich »och am liebsten aus die Seile dcr Persischen Denkwürdigkeiten, weil ihm dcr Graf von Vcrmandois chcr in diese gekeimnißvolle Gc- fangenschast zu paffen schien, deren Ansang er in das Jahr 168Z setzte, nicht, wie Voltaire, in das Jahr 1661, oder, wie Lagrangc-Ehancel, i» das Jahr 1669, oder endlich, wie Saint-Foi^s Ansicht es erheischte, in das Jahr 1683. Aber der Pater Griffel gab keine» Grund an, weshalb er sich gcradc für das Jahr I68Z entschied. Er bemerkte bloß, daß der Herzog von Beaufort nicht im Stande gewest» wäre, die Pläne des Königs und des Ministers Eolben zu durchkreuzen, und daß seine Functionen sich aus die cines „Großmeisters, Ehest und Ober-Intcn- dauten dcr Schiffahrt und des Handels von Frankreich" beschränkt hät te», indem das Admirals-Amt vom Kardinal Richelieu abzcschafft wor den sev, so wic er andererseits die Annahme Saint-Foiz's als lächerlich darstellte, weil es einem falschen Herzoge vo» Monmouth nicht hätte gelingen könne», die ih» zum Tode führenden Justiz - Beamlr» und Soldaten zu täuschen, und weil man überdies dcn wahren Herzog, wäre er dcm Schaffst entgangen, nach Beendigung der Englischen Revolution nicht würde in dcr Bastille haben sitze» lasst». Ungeachtet cines Briests dcr Präsidentin von Osembrav (in der Sammlung von Bussv-Rabutin), in welchem diese von dem „unend lichen Bedauern" spricht, welches der Tod des Grafen von Vcrmandois erregte, und ungeachtet des zum Lobe des Verstorbenen am Ehor dcr Kathedrale von Arras eingegrabrnen Epitaphiums, stand dcr Pater Griffel nicht an, zu behaupten, daß der Graf von Vcrmandois sich vor seinem Abgänge zur Armee cines schwere» Attentats schuldig gemacht, etwa dem Dauphin eine Ohrfeizc gegeben habe. Endlich führst er an, daß man in dem Namen Marckzialv die Worte Hst -imstal entdeckt habc, ohne jedoch dies schlechte, halb Lateinische, halb Französische Anagramm für einen Beweis auc-zugebcii, und erklärte nach allem diesen, er wolle mit seiner Entscheidung zurückbalten, bis man die Zeit der Ankunst dieses Gefangene» in dcr Eitadelle von Pignerol genau kenne, den» bis daki» werde man die Wahrheit nicht ermittel». ,,Schr wahrscheinlich", fügt er nach dcm Vorbilde des Polizei-Lieutenants d'Argenson hinzu, „wird man sic niemals erfahren." Nun bemühte sich Saint-Foix, mehr auS Vermmstgründcil als nach der Autorität von Zeitgenossen, zu bewcisc», daß der Graf vou Vcrmandois cines solchen Vergebens- gegen den Dauphin nicht säbig gewesen wäre, und daß Ludwig XIV. sich nicht zu einer so unanstän- digen Mummerei, wie die Bestallung eines Klotzes anstatt seines Soh nes, hätte hergcben können; er machte sich über das Anagramm mit Marchialp lustig und behauptete mit Unrecht, daß es nicht gebräuchlich gewesen sep, de» Grafen von Vcrmandois „Herrn Admiral" zu nennen. Dann suchte er neue Thatsachen zur Begründung seiner Ansicht hervor und versicherte, es habe in dcr Provence geheißen, daß ein Türkischer Prinz, Namens Macmoulh, in der Eitadclle der Insel Sainte-Margue- rite cingckcrkert sep. Saint-Fost suchte auch dem Pater Griffet dadurch Trotz zu bitten, daß er aus ciuc unwiderlegliche Weist ermittelt habe» wollte, dec Gefangene sev erst im Iabrc 1683 »ach Pignerol gebracht worden. Er bestimmt zuvörderst den Zeitpunkt, wo Saint-Mars zum Kommaudanten dcr Eitadclle loder vielmehr des Donjons und des Ge- sängnisscsl von Pigncrol ernannt worden, zum ersten Male richtig, nämlich als Fouquet in Folge seiner Verfügung vom 22. Dezember IV6*