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Wöchemlich erscheinen drei Numniern. Pränumeration? Preis 22; Sgr. (- Lhlr.) .vierteljährlich, Z Lhlr. für bas ganze Jahr, ohne Er Höhung, iu allen Theilen der Prcnfischcn Monarchie. für die Man »rnnnmenrl auf diese« Deibiatt der AUg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin In der Expedition (Mohren - Strafte Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Pvst-Aeintern. Literatur des Auslandes. 27. Berlin, Freitag den 25. März 1836. Frankreich. Tourville und Andronika. Episode aus der Geschichte der Französischen Marine, von Eng. Sue. Herr von Bivonnc stieg, nach einigen nölhigcn Vorsichts- Maßregeln, die er wohlweislich getroffen hatte, um ein Unglück zu ver hüten, in seine Kajüte hinab, wo er es sich möglichst bequem machte und seine Füße auf rin Kiffen ausstreckle. Lie Offiziere, welche sich noch am Bord der „Capitane" befanden und ihre Schaluppen zur Ab fahrt erwarteten, konnten das Lachen nicht unterdrücken, als Herr von Vivonne, im Hintertheil der Kajüte nachlässig auSgestreckt liegend, seinen Steward, der an der Kajüten-Treppe stehen geblieben war, fragte: ob seine Limonade in Eis gestellt seht „Ja, gnädigster Herr!" entgegnete ehrfurchtsvoll der Steward und deutete auf einen Diener, der am Eingänge der Kajüte aufgestellt war. Dieser trug ein weites Gefäß von Blei, bedeckt mit einem Stücke Baum- wollenzeug, worin sich die Karaffe mit jenem gefrorenen Getränk be fand, das der General zwischen der Mahlzeit und besonders nach dem Mittagessen zu trinken pflegte. Herr von Vivonne bemerkte das Lächeln der Offiziere und sagte mit jener spöttischen Sorglosigkeit, die ihn charakterisirte: „Meiner Treu! de Vanch, ich glaube, daß die Herrchen da über mein Daunenkissen und über mein gefrorenes Danziger Wasser sich lustig machen! Glücklicher weise trösten mich diese Dinge über die Spöttereien, die sie Hervorrufen, gerade wie ein gewisses Thier — ich weiß nicht einmal, welches — das zu Lem Gifte, das ihm eigentbümlich ist, zugleich das Gebengist bei sich tragt... Und überdies, beim Lucullus! wäre cs einfältig, deshalb, weil man ein Kriegsmann ist, sich eine Bequemlichkeit zu entziehen. Eine sonderbare Logik, meiner Treu! Wollt Ihr vielleicht darum heule darben, weil Ihr morgen doch darben müßt, oder vielleicht gestern ge darbt habt?.... Warum soll man sich auf dieser Bahn des Ruhmes so tcufclmäßig durchrültcln lassen, wenn man sich dieselbe ganz ange nehm in einer Säusle entlang tragen lassen kann? Waren die Siege des Lucull über den Milhridat weniger ehrenvoll oder weniger wichtig sür Rom, weil Lucull bei Lucull zu Abend speiste? Was meint Ihr, de Vanch?" De Vancv, beschränkten Kopses und sür gewöhnlich das Stichblalt Vivonne's, gab sich das Ansehen, als ob er diese elwaS gesuchte klassische Phrase verstanden hätte, und antwortete: „Nein, gnädiger Herr, und cs ist recht schade, daß der Ritter von Tourville nicht mehr da ist; Sie wurden ihn bekehrt haben, ihn, der auf seinem Schiffe so streng ist, daß, wie man sagt, jeder Offizier auf einen Bedienten beschränkt "wird. Und daS ist noch nicht Alles! Hat er sich nicht die Holländische Grille augecignet, und läßt das Verdeck seiner kleinen Fregatte alle Tage waschen und abreibcn, nicht mehr und nicht minder, als ob cs der Fußboden eines Salons wäre?" „Man sagt übrigens, daß auf seinem Schiffe eine außerordentliche Reinlichkeit herrsche." „Zu dem Allen, gnädigster Herr, kommt noch, daß ter Niltcr auf die lächerlichste Weise "gekleidet ist; wie sicht er auS mit seinen Puffen von karmoisinrolhcm Band! Auch glaube ich steif und fest, daß er ein einfältiges Weibsbild ist!" „Er... ein Weibsbild!... Er, „Andronika's, der Holden, stillschmachtender Verehrer!" Ha! beim Apollo, da habe ich einen Bers gemacht! Ja, bei Gott! Andronika's, der Holden, stillschm achten der Verehrer! Ich werde an Racine einen Brief iu Versen schreiben, welcher ungefähr anfangen soll : „Andronika's, der Holden, stillschmachtcnder Verehrer!" „Aber, gnädigster Herr, was hat es mit dcr holden Andronika sür eine Bewaudniß?" „Ah! das ist eine ganze Geschichte, und obendrein eine sehr lrau- rige. Aber was diesen Seladon mit den karmoisinrothen Puffen be trifft, so ist er kein Frauenzimmer, denn er schlägt um sich, wie zwanzig Teufel, und das schon seil langer Zeit. Es sind nun, meiner Treu! zehn Jahre her, seit er das Mittelländische Meer befuhr; er begann als Freiwilliger am Bord einer Fregatte, die Hocquincourt zu Marseille Halle bauen lassen, um damit die Ungläubigen zu bekämpfen. Ich habe diese Nachrichten über den Ritter von Tourville von einem alten sturm- festen Seemann, den ich mit mir vor Algier hatte, wo er den Dienst als Capilai» eines Branders und als Lootse versah. Er war ein wahr- öfter Heide, ein Satan mit grauen Haaren, der, ungeachtet seiner zweiundsechzig Jahre, mit aller seiner Kraft trank, spielte, fluchte und niedermctzclle, so oft sich nur die Gelegenheit dazu darbot. Dieser alle Spitzbube war der gute Cruvillier." „Der berüchligle Cruvillier? — Cruvillier, der Korsar? — Sie haben den Korsaren Cruvillier gesehen, gnädigster Herr?" — „Ja wohl, meiner Treu! Ihr sepd ja ganz erstaunt!.... ES war in meinem Feldzüge vor Algier. Von diesem erhielt ich, wie ich Euch sage, die genaueren Nachrichten über die erste Seereise Tourville's. Der gute alte Cruvillier war damals Matrose bei Hocquincourt, und sie gingen in jenem Jahre den Türken zu Leibe. ES war, so viel ich mich entsinnen kann, um das Jahr 1688 oder 1639, und ich gestehe, daß nichts seltsamer war, als diesen Ritter von Tourville mit feiner zarten Figur und seinen sechzehn oder siebzehn Jahren zu scheu, wie er sich unter jene Levantischen Korsaren mischte, die schwärzer als der Teufel aussahcn, um Abenteuer anfzusuchen. Der gute alte Cruvillier erzählt, daß er an dem Tage, da der Ritter sich cinschiffte, gerade am Bord der Fregatte des Hocquincourt gewesen seh, der über irgend einen Theil der Takelage ein Gutachten von ihm verlangt habe. Der alte Ungläubige war, wie ich Euch schon gesagt habe, locker und unverschämt, wie ein Teufel. Kaum sah er die blauen Augen, die rolhcn Wangen und das weiße bartlose Kinn des jungen Ritters, als er auch schon ausruft, daß Herr von Tourville ein Mädchen ist, das Hocquincourt an Bord ge nommen hat. Und ohne sich weiter zu besinnen, überschüttet der alte Sünder den Niltcr mit tauscnd garstigcn Redensarten und sagt ihm, daß sie sehr unrecht thätc, sich in einen Mannsrock zu stecken. Aber Tourville trat einen Schritt zurück und verabreichte ihm eine so derbe Ohrfeige, daß die zicgelrotbcn Wangen des alten Korsaren erbleichten. Hocquincourt, dcr anfänglich ein lautes Gelächter anfgeschlagcn hatte, trat dazwischen, aber es war zu spät. Ler Ritter beeilte sich, zu er klären, daß er keine Evatochter scy, und nahm den Degen zur Hand, um cs zu beweise». Der gute alte Cruvillier war nicht minder erbost; er fluchte und schwor, Alles niedcrzuschweitern. Man kam überein, sich zu rappiren und sogleich ans Land zu gehen. Es geschah. Cruvillier war ein alter Ueberrcst jener gefährlichen Raufer aus der Venetianischen Schule; Tourville hatte auf mehr als eine Art aus der Akademie zu Renoncourt geglänzt. Die Eisen kreuzten sich, und nach einigen pracht vollen und verwegenen Gänge» vo» beiden Seiten erhielt die Vene- tianische Schule von dcr Akademie Renoncourt einen tüchtigen Degen stoß, wobei die letztere in Thränen ausbrach, als sic Blut fließen sah; es war das erste Mal, daß ihr dergleichen begegnete. Der gute alle Cruvillier grollte deshalb nicht mit ihm; er schenkte ihm von dem Tage an sein ganzes Wohlwollen und Hörle nicht auf, ihn die schöne Blondine mit dem Degen zu nennen. Einige Zeil nach diesem Zweikampf, welcher Tourville bei der Schiffs-Equipage besonders in Gunst sctzle, ging die Fregatte Hocquin- courl mil der des allen Cruvillier, der vollkommen hergestellt war, unter Segel. Die schöne Blondine mil dem Degen befand sich als Volontair am Bord bei Hocquincourt und verrichtete dort, wie man mir gesagt hat, alle gewöhnliche Matrosen-Arbeiten, trotz dem gering ste» Schiffsjunge», »ur daß er Handschuhe trug, um die Weiße seiner Hände zu erhalten, und seine» Kopf mit einem breiten Filz bedeckte, um sich seinen Teint nicht zu verderben, abgesehen davon, daß er sich bis zur Lächerlichkeit waschen, parsümiren und schminken ließ, und Has von einem Kammerdiener, den er eigens mitgebracht hatte; denn diese Tourville's stammen aus einem bedeutenden Hause in der Normaudie und sind nicht ohne Vermögen. Hocquincourt und Cruvillier nahmen zuerst ihren Cours nach Malta, um zu.erfahren, unter welchen Breiten sie den Ruhm für die heilige Kreuzes-Fahne auszusuchcn hätten.... das heißt eigentlich, die Ungläubigen zu schinden und ihre Frauen und Kinder ins Elend zu stürzen. Einige mitleidige Seele» bezeichneten den beiden Korsaren das Fahrwasser von Venitica und Carrera, wo sich seit einigen Tage» Türkische Kreuzer aushielten, welche fünf reich beladenen Genuesischen Schiffen auflauerten, die aus dem Meerbusen von Venedig auslaufcn sollten. Unsere beiden Verfechter der Religion begaben sich auf dcr Stelle dahin, und nachdem sie kaum zwei Stunden in diesen Gewässern gekreuzt hatten, erblickte Cruvillier, der mit seiner Fregatte „la Sainte Ampoule" voraussegelte, zwei Schiffe in seinem Lee, die er augenblicklich signalisirte, und dann beilegte, um Hocquincourt zu er warten, den» dessen Fregatte „l'Etoile de Diane" segelte bei weitem nicht so gut, als „la Sainte Ampoule". Die Turke», welche das Ma növer der Christen sahen, halsten alsobald, und Alle bereiteten sich zum Kesccht. Hocquincourt, dcr den blonden Waffertrinkcr beobachtete, sagt, daß dieser beim Herannahcn dcr für ihn neuen Gefahr nicht von der Stelle-