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Wöchentlich erscheinen drei Nummer». PrüinimeralionS- Preis 22^ Sgr. (j Tblr.) vierteljährlich, Z THIr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Atlg. Pr. Staaw- Zeitung in Berlin in dec Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in Ler Provinz so wie im Auslande bei Lei-. Wohllbbl. Post-Aenuern. Literatur des Auslandes. ^23 . Berlin, Montag den Februar 183V. Frankreich. Die Französische Literatur im Jahre 183L. kBv» L. Acearia».) I. Romane und Rkjsedeschresbnugrn. Unser "Jahrhundert, so sehr es auch für ernst und finster verschrieen ist, zeigt sich nichtsdestoweniger nach Productionen der Einbildungs kraft, nach Erzählungen und Novellen so höchst begierig, ja da« Ver langen, jeden Inhalt im Gewände ter Dichtung vorgesührt zn sehen, ist so allgemein geworden, daß Alle«, wa« von Gedanken und Lehren in nackter trockener Gestalt auslrill, mit Nngcdnld und Widerwillen empfangen und oft lieber abgelehnt al« genossen wird. Man verlangt eine mit verschwenderischer Pracht ausgestaltetr Philosophie, eine Phi losophie, die reicher an Bildern als an Raisonncment sev, die zu un serem Gefühle sprechen und durch Erregung und Erhebung desselben zum Gedanken führen solle. Aus dieser allgemeinen Stimmung erklärt stch da« große Glück, welche« der Roman macht — in Ihr liegt der Grund, warum stch die ausgezeichnetsten und die untergeordnetsten Geister in Ge brauch und Kultur dieser DarstellungSweise begegnen. Namentlich im vorigen Jahre Hal c« sörmlich Romane geregnet, von allen Sorten. Ich darf es mir einigermaßen zur Ebre und zum Verdienst anrechnen, über die meisten nicht berichten zu können, weil ich,fle nicht gelesen habe; e« wird genügen, die beste» unter denen, die den Titel philosophische oder historische führen, übersichtlich herauszuheben. Unter philosophischem Roman wird derjenige verstanden, in welchem das Gewebe der Begebenheiten, die Kelte der Situationen »ur erfun den und dazu da sind, um ein philosophisches System oder eine sociale These in allen ihren Beziehungen ins Licht zu stellen und im ganzen Umfange ihrer Entwickelung und Anwendung zu verfolgen. So ist der philosophische Roman gegenwärtig meiner Erachlcn« nach da« sicherste und wirksamste Mittel, dessen der Mann von Talent sich bedienen kann, um die theoretischen Grundsätze und Lehren auSzubreilen, die er reprä- fenlirt — Gift oder Gegengift, gleichviel, die Wirkung ist unausbleib lich und enorm; wir mögen nun die Neue Heloisc und den Grasen Valmont, oder Lelia (von George Sand) und Bolupt» (von Sainte-Benve) nennnen. Hier gcralhc ich nun sogleich in Verlegenheit. Soll ich die vier Romane, die Herr von Balzac diese« Jahr drnckcn lassen, al» philo sophische aussühre»? Ich darf c« nicht, kann es vor meinem Gewissen nicht verantworten, denn ich zweifle, daß Herr Balzac überhaupt rinc Philosophie hat, oder vielmehr ist seine Philosophie ein baare« Rächst! für mich, nnd ich verspüre durchaus keinen Trieb und keine Neigung in mir, mich durch vierzig Bände durchzuschlagen, um dazu den Schinffe! zu findln. So will ich denn ganz einsach de« Beifall« und Erfolge« erwähnen, dessen sich Herr Balzac erfreut, eines Erfolge«, dem er durch verdoppcilc Fruchtbarkeit zu entsprechen weiß. Seine Produktionen vom Jahre I83d sind: Pater Geriet; dic Lilie im Thäle; die Erd- senblütbe. und da« mystische Buch, von dem man gesagt hat, daß das Publikum wohl mehr Mystifikation al« Mystisches darin fin den werde. Die Romane von Madame Sand sind minder komplijirt und haben einen prononcirtcren philosophischen Anstrich als die Balzac'«; au« allen blickt dic darin enthallcne und dargtstcllic Theorie deutlich hervor, und die Schlußsoige, zu der sic führen, ist leicht zu zieht»; aber kann ich Madame Sand nennen, ohne mich in Klagen zu ergehen Über den unglückseligen verderblichen Einstuß, dcr durch ihr Talent, die« Talent ersten Ranges, auf junge Gemülher ausgeübt worden f Seit I. I- Rousseau ist das Truggewcbe verstrickender Sophismen nicht wieder mil so verlockender Beredsamkeit gewebl worden, die Im moralität nicht in so reizenden! Gewände der Verführung ausgetreten, al« in den Romanen der Madame Sand. Doch hat cs in ihren neuesten Produclionen, namentlich im Andr«, den Anschein, als wolle Madame Sand stch ernstlich Einhalt Ihuu, als wolle sie in der Thal aushören, ihre gefährlichen Lehren ferner zu predigen, und in unschäd lichen friedlichen Schilderungen auSrnhen von ihren ZerstörnngSzügen. Dcr historisch, Roman, den Waltcr Scolis Genie in der Lile- ratur erfunden und in Schwung gebracht — und zwar, dürft» wir sagen, zu hohem Voriheil und Gewinn derselben —, jst emc gute Zeit lang schon jn Frankreich einheimisch. In dieiem Genre verbündet sich dle Phantasie mit dcr Wiffcnschasi, dic Bilder der Bergangcnheit lu lebendiger Eigrnidümlichkcil mächtiger herauszubeschwöreu. Daß aber an« diesem Bund« wirklich ei» Meisterwerk heryorgehe, dazw ist erfor derlich, daß ln dem Schriftsteller Poesie und Wissen in eincm voll kommenen Gleichgewicht stehen; seine Phantasie muß einerseits kräftig und selbstständig genug seyn, um unter der Last der Gelehrsamkeit nicht zu erliegen, und andererseits doch wieder duldsam und gefügig genug, um in dies schwere Eisenzewand hincinzuschlüpscn. Diese glückliche Mischung geistiger Eigenschaften ist, wie wir sehen, äußerst selten, da unter der Fluch von historischen Romanen, die seit fünfzehn Jahren erschienen, >utre Dame sie Paris, von Victor Hugo, und Cinq- Mar«, von A. de Vigny, dic einzigen sind bene» man eine dauernde Existenz prophezeien kann. Was dic historischen Romane betrifft, dic dis Jahr 183ä gclie- serl Hal, so sind sic zum Theil schon vergessen, zum Theil freilich noch nicht. Dic Zukunft dieser lctztercn ruht im gcheimnißvcUen Schoße de« Schicksals, und ich will nicht der Verwegene seyn, in diese Myste rien eindringcn zu wollen; ich begnüge mich damit, ihren gegenwärti gen und zeitlichen Triumph in die vorliegenden Annalen einzuiragcn. Isabelle von Bauern, von Alex. Duma«, läuft demHaupt- und Grundgesetze de« historischen Romans, den, Gesetze dcr Einheit schnurstracks zuwider; das, was man cincn Mittelpunkt ncnnt, fehlt ganz in dieser Eomposilion, ei» vorherrschende«, dominirendes Interesse und Geschick, dem sich die übrigen im Romane vorkomm enden "Verhältnisse, Figuren und Interessen unicrordnen nnd auschließen. Herr Duma« Hal bewiesen, daß er Ehromkcn mit Geschick zu behandeln und zu benutze» weiß; da« ist Alle«. Der Stil in dem angeführte» Roma» ist lebhaft und feurig, aber ungleich, und c« laufen so viel Unkorrcklheilen mil lin ier, daß sich dle Arbeit al« eine sehr flüchtige und übereilte kundgiebl. Herr Delaivuche ist ein Schriftsteller von Geschmack und Geist, und wir wundern uns gar nicht, daß sein Roman Grange» c»vc Glück gemacht hat: zugleich aber müssen wir sagen, daß dic« Buch iu vielfacher Hinsicht sehr zu tadel» ist. Nur da« Verdienstliche i» de» Details hat es gemacht, daß man über dic Schwächt dcr Eonception, übcr da« Lahme dcr Handlung nnd da« offenbar Falschc dcr historische» Färbung ein Auge zuzedrückl Hal. Flavia», oder von Rom in dic Wüste, von A. Guiraud, ist vielleicht inner allen in diesem Jahre erschienenen historischen Ro mane» derjenige, der am längsten leben wird Die Ligcnfchaslen, durch die sich dic« Buch empfiehlt, sind die Größe nnd Würde des Gegen stände« — ein Vorzug, der henlzulage in der schönen Lileralur so sel ten geworden ist —, eine Fülle glänzender Schilderungen und erschüt ternder Sceiien, und vor Allem die schöne historische Lehre, deren Darstellung es gewidmet ist. Guiscriss, oderScencn an« dcr Schrecke »«zeit inBre- »agne ist das Produkt eine« jungen Schriftsteller«, Herrn v. Carne, der al« Publizist cinc« gewissen Ruse« genießt. Der genannt« Roman ist reich an pathetischen Situationen, die Zcichnnng der Charaktere ist lobenswerih, der Stil natürlich nnd fließend. Nachdem Herr A. de Vigny in seinem Stcllo die Natur nnd da« Wesen de« Dichter« und dic bcdcnklichc Lagc desselben innerhalb dcr Schranke» de« gegenwärtigen prosaischen Leben« dargcstellt, Hal er stch nun die bk« Soldaten, al« eine« zweilen modernen Paria, zu seinem Vorwürfe gemacht. Mililairische Größe nnd Sklaverei ist sein neue« Werk bclilcil, da« ans drei Erzählungen befiehl, in denen sich die bekannten und ancrkannlen Vorzüge de« de Vigny'schcn Talent« aus« glänzendste gellend machen: hohe Einfachheit in Composttion und Dar stellung, Rube, Gefühl und Tiefe, sowohl in Zeichnung dcr Charaktere, al« in der Erzählung der Begebenheiten. Der Verfasser betrachtet die Lage de« modernen Soldaten, wie sic durch das Svstcm dcr stehende» Heere begründet und gestaltet ist, in ihren Hanplpnnklen und erthei» ihm gegen die Strenge des Dienste« und da« Herbe der Subordination, al« einzigen Stütz und Haltpunkt, dic Idee der Pflicht und des Eides, die er in da« einzige Wort: Ehre zusammensafil. Die Ehre! da« ist nach Herrn de Vigny'« Meinung der wahrhafte und alleinige Gott der Armee, dcr einzige, dcsscn Kultus stch aufrecht erhält, dessen Altar ein fester Punkt zu seyn schein! ans dem dunklen wüsten Meere, wo jede andere Religion, jeder andere Glaube versinkt. Diese Ansicht erregt uns eine um so größere Belrübniß, al« Herrn de Vignv'S literarische Vergangen heil zu begründeten Hoffnungen aus ganz andere Dinge berechtigte Sic wird, wie wir hoffe», vo>i einer Feder, welcher mehr Muße vergönnt jst al« der unsrige», bekämpft und widerleg! werden. Diese Feder wird ohne große Mühe da» Leere und Ungenügende dcr vo» Herrn d« Vigny zum Gebrauch dcr Armee crcirlen Religion darihnn; sic wird dem Krie, ger eink» verbindlicheren, würdigeren, iu sich wahrhafteren und zugleich köstlicheren Koder verlegen, al« den der Ehre Die« wären di« Roman«, dis mir werlb geschienen, öffentlich er