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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS- Prei« 22) Sgr. sj Thlr., vierteliShrlich, Z Thlr. für dar ganze Jahr, ahne Er- Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man prinumerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staat«- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren, Straße No. Z4>; in der Provinz s» wie im Anstande bei dm Wohllöbl. Post- Irmlern. Literatur des Auslandes. I30. Berlin, Freitag den 30. Oktober WllEMMbLWSMKSMWS»« — 1835 Frankreich. von öunn ll'Xutrieiie. (Don Juan d'Ansma, oder der Beruf.) Drama in fünf Akten, in Prosa, von Casimir Delavigne.') Bericht von Jule« Janin. So eben komme ich her — von einem Lustspiel, einem Trauer spiel, einem Roman, einem Sluck Geschichte; denn was ich mit ange sehen, war das Alles zusammen und auf ein Mal, und ich habe zu gleich einen Dichter und einen Prosaiker, einen Zögling Racine's und einen Schüler Victor Hugo s gehört. Wie nun? Soll ich weinen oder soll ich lachen? Der Witz des Autors hemmt meine Thränen, so wie sie fliesten wollen, und will ich lachen über seine Späste, so drücken mir wieder Schrecken und Grausen den Mund zu. Zerrissen und ausgerie- ben fühlt man sich, und ist doch froh und dankt den Göllern, der Spielball dieser zügellosen poetischen Laune zu sehn. Man ist fest ent schlossen, an seinen literarifchen Grundsätzen zu hallen, sie unter keiner Bedingung preiszugcbcn, und doch vom ersten Moment an, so wie der Vorhang aufrollt, Scene für.Scene, Akt für Akt von einem Extrem ins andere geworfen, vom großen Svstem zum kleinen, von der Tra gödie zum Drama, mit dem einen Fuß im Kothurn, mit dem anderen im Soccus, lassen wir uns führen und hinschleppen wie die Kinder, rechts und links, hier und dorthin, zu Mitleid und Possen, zu Schrecken und Lust, überall hin, wo und wie der Dichter es will, und welcher Dichter? Der Mann, gegen den wir rebellisch gewesen sind unser gan zes Leben lang, der Schriftsteller, aus dessen harmonischer Feder so viele sünfaklige Tragödien geflossen, der Einzige, der noch" Monologe und Recitative zu machen versteht, mit einem Wort, Casimir Delavigne, der, nachdem er sich in allen Formen versucht, die sich ein Mann von seinem Geiste, seiner Beharrlichkeit und seinem Fleiße nur zu unterwerfen ver mag, nachdem er als Dichter »ach tlasflschcn Prinzipien in seiner Si- cilianifchen Vesper ausgetreten, als moderner Poet im Paria, nach mittelalterlichem Geschmack im Ludwig XI., in Byrons Weise im Maring Faliero, in Shakespeare's Manier in den Kindern Eduards, als Lustspiel-Dichter in den Schauspielern und der Schule der Alten, und zwar bisher immer in Versen, in schönen, harmonischen, eleganten Versen, voll Glut und Leidenschaft — dieser Mann, sage ich, erscheint plötzlich heut, dies Alles, was er uns bisher vereinzelt dargebolen, zusammcufasscud und vereinigend in einem Werke: Tragödie und Drama, Lustspiel und Elegie, und, was noch mehr ist, er tritt auf, wie er noch nie gelhan, als prosaischer Schriftsteller. — Don Juan d'Austria ist eine Tragödie in Prosa, von Casi mir Delavigne. Nun sage noch Einer, daß wir nicht unter dem Scepter der Prosa leben! Nach solch einem Triumphe, den sie erfoch ten, leugne noch Einer die Allgewalt dieser gewöhnlichen Sprache; die denn doch nicht so gewöhnlich und gemein sehn muß, wie man denkt, da nach und nach alle Dichter sie annehmen und zu der ihrigen machen, Victor Hugo, de Vigny, Casimir Delavigne endlich. Fragt man, wozu ihnen denn ihre Poesie gefrommt habe? so ist die Antwort: eben dazu, nm gute Prosa zu schreiben. Dies zum Lobe der Prosa, die nie Verse schreiben lehrt. Machen wir uns denn daran, dies Drama Scene für Scene zu verfolgen. Es ist dies keine Kleinigkeit, wir sagen es im Voraus; denn die dramatische Handlung, die uns vorliegt, ist nicht minder lang und verwickelt, als die Hochzeit des Figaro. Der Held des Stückes ist der berühmte Don Juan d'Austria (oder auch, wie Manche übersetzen: Don Johann von Oesterreich), einer der Helden des sechzehnten Jahrhunderts, jener Zeit, die an großartigen Charakteren so reich war. Don Juan war der natürliche Sohn Karl's V., deS großen Kaisers, der eine Zeil lang der Herr der Welt war und sich in ein Kloster zurückzog, um der ermüdenden Langeweile einer un umschränkten Allgewalt") zir entrinnen. Wer sich über das Leben Johann'« von Oesterreich unlervichlen will, der lese Branlüme; er hat dies edle große Leben mit einer Achtung und eincr schonenden Mäßi gung geschrieben, die ihm, wie wir ihn kennen, diesem Kammerdiener der'Geschichte, sonst nicht eigen waO- Das ganze Zeitalter Karl'S V. ist voll von den Großthalen Don JuOn's. Er war der Vielgeliebte Spaniens, als es unter der rauhen finsteren Herrschaft Philipp s II. seufzte. Don Juan s tapferes Schwert erneuerte die Thaten des Cid. Die Ungläubigen halten das Gewicht dieses Schwer.'cs zu empfinden, und die Sa,'locht bei Lepanto ries Spanien die Wunder seiner alten Tapferkeit aus ') Zur».' ersten Male aufaeMrt am l« Oktober aus dem TheSlre FrancaiS. ") Ein g.roser Bklchichtsforschcr ist Her» Janin eben nicht. den Kriegen mit Granada wieder vor Augen. Solch ein Stern ging in Don Juan auf. Er war ein Held, der das erhabene Blut, das in seinen Adern floß, nie Lügen gestraft, ein Feldherr, der Schlachten ge wann, wie Franz I., den sein Kaiserlicher Vater zu Paaren getrieben und besiegt, sie gewonnen hatte; ein Castilianer, streng gehorsam seinem König; rin Spanischer Christ, der Schrecken der Ungläubigen, aber auch ein großmüthiger Sieger, so daß die Niederlande, so siegreich er ihnen auch gegenüber stand, doch blutige Thränen weinten, als nach seinem Tode Philipp II. sie dem Herzoge von Alba übergab. Der Held Don Juan starb, drriunddreißig Jahr all, bei Namur am I. Oktober 1878; seine Asche ruht im Eskurial. Es ist keine Kunde vorhanden, daß Philipp II. eine Thräne um ihn vergossen habe. Doch zu unserm Drama. Die Handlung geht unweit Madrid vor, im Hause eines Edelmannes, Oucrada, eines ehemaligen Rathcs Kaiser Karls V. Als das Fräulein, welches Karl im Geheimen liebte, ihm den Knaben Don Juan gebar, übergab er denselben der Obhut Quexada's, seines Freundes, der ihn in der Spanischen Frömmigkeit erziehen sollte; es sollte aus Don Juan dereinst eine Zierde der katholischen Kirche, ein würdiger und friedfertiger Kardinal werden. So hat Quexada denn gethan, wie ihm geheißen. Ec Hal seinem Zögling den bestmöglichen Unterricht ertheilk, und am gulen Beispiel hat es ebenfalls nicht gefehlt; aber ach! Die fromme Saat hat nicht die erwarteten Früchte getragen. Mit achtzehn Jahren träumet Don Juan von Nichts, als von Schlach ten und Freiheit; Liebe und Ruhm sind sein LebSn. Als Omerada ihm eröffnet, daß ibn das Kloster erwartet und der Altar seine Stätte wer den solle, gerätb der Jüngling außer sich und wirft die Maske, die er bisher vorgenommen, von sich. Denn bis, zu diesem Momente hat ec sich still und demülhig und geduldig bewiesen, wie ein schüchternes Mäd chen, und Quexada nicht anders gemeint, als daß das höchste Ziel der Wünsche des Jünglings der Römische Purpur sch; ater Sei dem Worte Kloster bricht Alles hervor, was in ihm flammt und tobt. Er liebt, er gesteht es seinem väterlichen Freunde, in Krieg und Schlacht will er hinaus, auch diesen Wunsch lheilt er ihm mit. Vergebens sucht der erstaunte Luexada die empörte Leidenschaft der Jugend zu beschwichti gen. Don Juan ist taub für Alles. Es lebe die Freude; ES lebe der Krieg. Einen Degen soll man ihm geben und ein Weib; nur einen Degen, denn ein Weib hat er schon, die er liebt, die ihn wieder liebt, und mit der er morgen vor den Altar will. Quexada ist vor Bestür zung und Erstaunen außer sich. In diesem Augenblick wird ein Herr vom Hose Philipp's II. gemel det; cS ist Philipp II. selber. Ein Jüngling von Karl's V. Blute, ei» achtzehnjähriger Jüngling, sein Bruder, beunruhigt schon die finstre argwöhnische Majestät. Philipp II. will sich endlich selber überzeuge», was an dem Knaben ist, ob er ungefährlich genug, das; er ihn als seinen Bruder anerkennen dürfe. Die Scene ist vortrefflich. Don Juan, der nicht weiß, wer sein Vater ist, eben nur erst erfahren hat, daß er nicht Quexada's Sohn ist, und den König von Spanien für einen einfachen Hofbeamten hält, schüttet, wie ein Kind im Stnrme seines Herzens, seine Liebe und seine Hoffnungen unbekümmert vor ibm aus. Er ist nun sein eigener Herr, und so will er sich denn morgen mit seiner Geliebten verbinden und in acht Tagen Soldat sehn. Nie mandem will er gehorchen, keinen einzigen Gedanken seiner Seele verber gen, ins bunteste Gewühl der Menschen, ins Getümmel der Well will er hinein; kaum weiß er, so sortgeriffen von seinem Drange ist er, was Königliches Ansehen, Ehrfurcht und Gehorsam vor dem Könige heißt. Man kann sich das Erstaunen des kalten Despoten denken, als er in einem Sohne Karl'S V. solche Begeisterung und Willenskraft, solch ge waltiges Streben und hohen Muth entdeckt. Doch faßt er sich und hält an sich; denn schon fürchtet er das junge unbändige Roß, schon geht er damit um, cs klug zu zähmen und auf die günstige Schatten seite zu lenken. So wird denn zwischen Beiden verabredet, sich noch am selben Abend bei jenem schönen Mädchen, das Don Juan liebt, zu treffen. Armer Don Juan! So ist die Exposition, einfach, klar, voll von Interesse und Leben. Auf der einen Seite der Jüngling, der die Ketten seiner Erziehung endlich zerbricht, auf der anderen der Königliche Inquisitor, die junge reine Seele ausforschend; dazu das Erstaunen und der Schrecken des Erziehers, der zwischen den beiden Söhnen Karl's V. steht, ohne seinem, Zögling fagen zu dürfen: „Ihr sprecht mit Eurem König!" — Dies sind die Elemente, die den ersten Akt bilden. Der zweite Akt beginnt mit einem Gespräch zweier Frauen von Liebe. Die eine ist jung, die andere alt; die eine spricht, die andere hört zu. Beide erwarten den Jüngling, die Alte voll Erinnerung, die Jungk voll Hoffnung. Dies schöne Mädchen heißt Rahel oder Donna