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602 „Da Volks die Fülle vom vornehmsten Rang und Stande allzumal i» der Stadl eingefchlossc» war, als da sind Lords, Ritter und Herren aus den Gegenden ringsum, außer den Soldaten und Burgern, welche alle oder meisientheils jede» Sonntag getreulich die Gebete und Pre digt zu hören kamen, so war die Menge so erstaunlich groß, daß die Kirche, ich kann wohl sagen, gar drückend und zu», Ersticken voll war. Nun muß wohl gemerkt werden, daß sic dazumal die Sitte in dieser .Kirche hallen (vou welcher ich in keiner anderen Kathedrale gehört, so dazumal bestand), daß immer vor der Predigt die ganze Gemeinde einen Psalm sang, mitsamml dem Chor und der Orgel; und man muß auch wissen, daß dazumal dort eine gar herrlich, gewaltig, stark, voll und mächtig tönende Orgel war, welche (wie ich von Glaubwürdigen erfahren) cm Tausend Pfunde gekostet Halle. Diese Orgel, wie gesagt, fing (so wie der Psalm vor der Predigt kam) mil all ihren Registern zu spielen an, und das Chor da;»/ und der Psalm begann. Und wenn nun dieser ungeheure zusammenstimmende Einklang des Gcmciude-ChoruS, ich kann wohl sagen, wie ein Donner einsiel, ja so, daß ordentlich der Grund und Boden unter uns erbebte, o, des unaussprechlichen Wonne gefühls, in welches meine Seele da gerietst, o, der erhabenen Andacht, zu welcher ich da fortgeriffen ward, so daß kein Naum mehr übrig blieb in meinem ganzen Menschen, beides, körperlich und gsislig, für irgend Niedrigeres al? göttliche und himmlische Entzückungen!" Diese Schilderung, fo wunderlich sie auch ist, girbt doch den Ein druck, den dec Gesang einer zahlreichen Gemeinde macht, sehr treu wie der. Ur. Bmncy erklärt sich in feiner Abhandlung über diesen Ge genstand, auS dcm Grundt, weil die Musik eine Kunst fest, wider die Ausführung von Gemeinde-Gesängen in der Kirche und zitirt folgende Stelle aus Popc's Dunciade dagegen: Und jede Kurael schwillt. Die wenn schwindsücht'ge Amgen mvrnmkvoll nch bläß», Mir odtigatev Nasi ein Lied helauSjukrabn. Hogarth nimmt den Doktor etwas hart mit; er führt Stellen aus der heiligen Schrift an, um zu beweisen, daß bei den ersten Christen schon diese Sitte geherrscht stabe, und er zeigt, daß cs cinige niedrigere Musik-Gattungen gebe, in denen wenig Studium erforderlich sco, um sie so auszusührcn, daß man sich daran erfreuen könne. Unserer Mei nung nach muß auf beiden Seiten etwas nachgcgcbcn werden; wenn l)v. Burney mit Unrecht auch den gewöhnlichen Liedergeiang nur von einem bestimmten Sängcrchor auSgcsührt zu scheu wünscht, so lehrt doch andererseits auch die Erfahrung, wie wenig Herrn Hogarth'« Duldung in dir Wirklichkeit zu vcrthcidigcn ist. (Schluß folgt.) Bibliographie. (iootho IMÜ hin ccmtomjinoaoioc-. (Gocthe und seine Zeitgenossen.) Bon Mstrs. Sarah Austin. Zweite Auflage. Z Bde. 2k Eh. Lnnlc nf küo llonnuumttmus. (Die Kirchen und Sellen des töten Jahrhunderts. 7j Eb. 1'nGmR 'vurh-.. (Thomas bampbell'S Dichtungen.) S Sh. Irooolleclinn-i eto. lEriuncrungcn aus Lasayctte's Privatleben.) Bon l>o. I. Cloquet. Aus den, Französischen. 12 Sh. (»illmrk tiui-no^. — Bom Bers, der .INst stoin»«". Z Bde. ZU Sh. H>e Uuth. (Die Erde in physischer Hinsicht, nebst Darstellung ihrer merkwürdigsten Phänomene.) Von Higgin. Sh. Italien. Acht Tage in den Gebirgen zwischen Rom unv Neapel. Vor länger als dreißig Jahren ging der Weg von Nom nach Neapel jenseits Bellctri und des durch seinen Wein vormals berühmten Sclia vou der Campagna Romana ab. Dieser Weg, auf welchem man dcu lödtlichen Ausdünstungen der Pontmischcn Sümpfe entging, zog sich nahe an sünsunkvicrzig Meilen gegen die bergigen, gefährlichen, aber pittoresken Gegenden von Scrmonctta, Piperin» und Maroni bis nach Tcrracina. Diejenigen, welche sich nick! fürchteten, konnten den Weg durch die Sümpfe wählen, aber der Weg durch daS Gebirge verdiente den Vorzug. P pst Pius VI., der einen zum Theil geglückten Versuch gc- macht halte, die Poulinischm Sümpfe ausirocknen zu lassen, ließ zu Anfang dieser Ebene, an der Römischen Seite, eine Säule mil der pomphaften Inschrift aufstellcn: .,()Iii» zwlus I'ontina, nunc ->Aev t^nnlinus.'' Diese Säule ist noch vorhanden. Die Französin babcn bei ihrer letz ten Herrschaft über Italien das vom Papst Pius angrfaugcnc Wcrk vollendet. Sie legten eine breite und prächtig erbaute Straße mitten durch die Ponliuis.hc Ebene, nachdem sic vorher die Gewässer abgeleitet, die während der letzten fünfzehn Jahrhunderte die alte Appische Straße, die von Rom na.u Tcrracina führte, zerstört hatten. Horaz beschreibt uns dieselbe in scincr Brmdisischcn Reise. Als ich mich vou Rom nach Tcrracina begab, statte ich diese Rö mische Straße benutzt, ans. der Rückreise wählte ich den Weg durch das Gebirge. Ich wollte mich an der erhabenen Einsamkeit, den hochgelege nen Höhlen tcr Räuber und den Belskischcn und Römischen Altcrthü- mcrn erfreuen; dazu die Orangen- und Oiivcn-Bäume, dic AloL, der Lorbeer, die vuoca rclurin^a und dic hohen, jähcn Felsen! herrliches, prachtvolles Schruststcl! Wohl werlh, daß mau mit der Keckheit eines Abenteurers sein Leben wagt, um diesen großartigen Anblick cinige Stunden lang zu genießen. ES gicbl keinen Winkel in dem Theil Italiens, ter sich längs der großen Straßen an den Alpen erstreckt, den man nicht auf das sorgsäl- rigste durchforscht, ergründet, ja um und um gewühlt und auf jede mögliche Wcisi beschrieben hätte ES gebt den bcmcrkenewcrthcn Ocrt- lichkeitcn Italiens, wie cS feinen alten Schriftstellern gebt. Jedermann t'ennl sic, entweder aus eigener Anschauung, oder doch dem Ruse nach. Wer Italien unter seiner abschreckenden Gestalt sehe» will, für den fehlt cS nicht an Mitteln zur Entzauberung. ES ist ein Land, we nig wärmer, aber unendlich viel schmutziger als Frankreich, unk, im Ver gleich illil England, ei» außerordentlich armes Laud. Rom ist eine einsame, armselige Stadt, wo Bettler, Mönche, Fremde, Künstler und Priester die Straße» durchkreuzen. Kennt ihr einen trostloseren Ort, voll lödteudcr Langeweile, als Venedig, mit dem saulcnden Wasser in seinen Kanälen, sciucu traurigen Straßen und den Gefängnisse» gleichenden Wohnungen, die von übelriechenden Gräben umgeben sind? Ihr scvd von dem Klima des Landes bezaubert f Glaubt dcu Dichtern und Malern ja nicht, im Oktober ist cs in Venedig kalt und nebligt, Florenz hat scinc» Ncbclmonat (Gunmiro) so gut wic Paris, Neapel ist eine Stadl voll Spitzbüberei, Unwissenheit, Fanatismus und Unreinlich- kcit. Die Lombarden-Siädle haben ein zwitterhaftes Ansehen, sie ge hören weder dem Süden noch dem Norken an. In der Campagna Romana, in den Toskanischen Gefilden, in den von dem Adriatischen Meere umspülten Ebenen, zu Venedig, Ferrara und Ravenna, an den poetischsten Orlen, werde! ihr euch das Fieber hplcn, wen» ihr einen sentimentalen Abend-Spaziergang unternehmt, oder euch träumend in deni Schattet! eines Baumes niedcrlaßt. Und auch dies Fieber ist »och zu prosaisch, uni euch zu lvdtcn. ES wird euch krank mache» und an die Pforten des Grabes fübren, dann wird es euch zwar verlassen, aber ihr werdet einen siechen Körper, eine» safrangelben Tein! behalten. Genug von diesem klassischen, gemeinen, ciusältigen Italien-, die sen, Italien der Postillone und der" Touristen. Wir "halten es mil der Ilalischen Wüste, mil jencu einsamen Gegenden, die zwar selten ein Reisender aufsuchi, die aber nichts desto weniger dem Alterlhums-Fbr- scher wie dem Frcimde des Pittoresken einen Schatz vou Wahrnehmun gen darbielcn. Einen allgemeinen Aufruhr, einen Schrei des Erstaunens und des Schreckens erregte es, als mau in der Gaststube der Ostcria zu Terra- eina von meinem abenteuerlichen Vorhaben erfuhr. „Allem — zu Fuß — ohne Begleitung! — Sie sind verloren! — Die heilige Jung frau möge Sie auf Ihrem Wege begleiten, Ranur I'-u!o<mn'," sagte der Gastwirlb mit einer Miene de« Mitleids, die mich zittern machen sollte, „ehe Sic abrcisc», werden Sie wohl ihn», Ihr Testament zu machen und Golt ihre Seele zu befehlen." Immerhin, antwortete ich, geben Sie mir nur etwas zu frühstücken, damit ich nicht nüchtern sterbe. — Während ich ein szmz.rwto und ein ngrn-üulcc von wildem Schwein aß, drehte sich das Gespräch uni mei- ucu Pia» und dic Gegenden, dic ich zu bcsuchcn gedachte. Dic schreck- tichstcn Abenteuer wurden in dieser Gesellschaft von Englischen, Nusst- schcu, Lettischen und Französischen Reisendem erzählt, die sich sür eine Skunde in dem Gasthofe von Tcrracina zu'ammcnfandrn, uni sich spä-^ ter m dicsic Well nichl wieder zu scheu. Man cezählle besonders viel von dem berüchtigten Räuber CckariS, welcher gefangen wurdc, als cr sich wenige Tage vorher des Fürsten Lucian Bcmrparte aus bissen Villa zu Tusculum hatte bemächiigen wollen, und statt dessen de» Malcr desselben culfühne. Ei» komischer Mißgriff, welchen man über kurz oder lang i» Frankreich zu einem Vaudeville benutzen wird, denn woraus macht man nicht in Frankreich rin Vaudeville! Ein anderes Mal hatte dieser Cesaris eine ganze Pcnstons-Anstalt mit jungen Mädchen aufgehoben unb in scinc Berge entführt; arme schüchterne Landen in der Mille von Wolfen! Die ganze Päpstliche Gendarmerie, die Dragoner, die Milizen, dic Sbirren, Frciwilligc, Soldalcn und Spione lagen wider Cesaris zu Felde, uni sich den Preis zu verdiene», welcher vo» dem Gouvcr»eme»l und von Lucian Bonaparle auf scinc» Kopf gcsetzl war. Diescr Kops soll jetzt sehr emgelrockuel »»d gebleicht scvn, seit mm ibn, einem alten Ge brauche zufolge, am Tborc von Sonnino, dem Geburtsort dcs Räubers, hinter einem eisernen Gittcr zur Schau gestellt hat. AIS ich nun bin- ausging, nm mich ganz entschiede» auf de» Weg zu machen, mül-schte man mir eine glückliche Reise, wie man zu einem Platine, der einem gewissen Tode cnlgegcn gehl, sagen würde: „Auf Wiedersehen"; oder als wenn man zu einem bercils mil kcm Tobe Rmgeukri: sagt: „Leben Sie wohl." .Es war zur Zeit des Karnevals-, inan porodirtc zu Tcrracina die hüpfctidc» u-nd springend cn Thorhciicn Roms; es war ein großes Ge wühl von Masken in den Slraße». Ich ging bei der Kathedrale vor über; sie war facher ein Tempel des Jupiter; die Vorderteile dicscs Gotteshauses wird noch jetzt von Marmorsäulen getragen, di- einst zu diesem heidnischen Tempcl gehörten; Banerburscho sprangen als Harlc- linc und Policinclle aus deni Mist umher. Wenn man Terracina verläßt, geht der Weg gerade auswärts ins Gebirge, eine Gegend, dic einen surchlbarcn Eindruck macht, bis zur völligcn Enlmulhigimg den Mann herabstimmcr.d, dcr sich allein vou diesen rauhen Natursccnen umringt sicht. Ich kam bci cinigem altcn Gemäuer vorüber; es war der Ort, wo vor nugesähr dreißig Jahren das Dorf Maroni gestanden batte. Die Häuser "waren verlassen, ohne Eiiifricdignng, ohne Gcräth, ohne irgend Etwas, das aus eiu gesell schaftliches Lebeu hindcutclc; mitten unter diesen Rumen erhob sich die sichtlich verfallene Kirche; durch hundert Ocffnnngcn hielt der Wind einen freien Durchzug; dcr Altar war zertrümmert; die Uberrcslc zweier Leuchter lagen am Boden; die Tcmpelschäuder hatten hier furchtbar gehaust. Ich ging eilenden Schrittes an diesen trostlosen Trümmern vorüber; von Zeit zu Zeit sah ich einen Hirten, dessen Flintenlauf unter dem braunen Mantel hervorschauie, Hütter einem Felsen lauern, oder in dcr Krümmung cineS Wegcs, edcr aus dem Gipfel eines Hü gels mir entgegen treten, fürchterliche Erscheinungen in einem Lande, wo jeder so ausgerüstete Mensch ein verwegener Bandit seyn kann. Dcr Wog war gleichwohl geebnet. Eine üppige Vegetation umgab mich; eine sorgfältige Kultur des Bodens war uichr zu "verkeimen; ich sing wieder am nur" bcitcre Bilder im Geiste m sehe», als plötzlich ein heftiger, mit furchtbarer Gewalt kcrabströmcndcr Regen meinen Muth aufs neue rüederschlug. Wohin sollte ich gedenk Wo in dieser Wüste