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586 und ergrifft» die Ruder. „Wohlan Kameraden", ries der Liculcnant, „nehmt die Brandung wahr und stoßt ab!" Die Brandung loste heran, aber keine Hand rührte sich, und das Boot dlieb an seiner Stelle. Thornville stand unmuthig aus, um die Ursache zu erfahren. Da nahm Patterson das Wort: „Da sehen Sie ja, Herr Lieutenant, daß Alles fiir nichts ist; Ihre Leute verstehen fich nicht aus unsere Lote; sie können eben sowohl gleich über Bord springen, denn die Brandung wird sie doch allcsammt ersaufen. Nein! wenn es doch einmal vorwart« gehen soll, so müssen Sachverständige herbei. Bleiben Sie ruhig sitzen, aber schicken Sie Ihre Leute sorl! Heda! Ihr Bursche (zu den Fischern gewendet)! wer Hal Lust, Hand ans Werk zu legen?" Thornville lhal, wie Patterson ihm gerathcn hatte, und gleich ka men auch mehrere rüstige Fischer auf das Boot loS; aber jetzt gab e« ein neue« und unerwartetes Hinderns. Die Frauen, welche eine Zeit- lang stumme Zuschauer geblieben, klammerten sich an ihre Mämier, Bruder und Söhne, und baten sie um Goltcswillen, ihr Leben nicht so freventlich aufs Spiel zu setzen. Als das nichts helfen wollte, wen- tclen sie alle pdvsische Kräfte an, die ihnen zu Gebote standen. Die« war aber das Glücklichste, was sich für Thornville ereignen konnte: die noch kurz vorher so apathischen Fischer hielten cS für schimpflich, weiblicher Gewalt nachtugrden, und schlenderten ihre Frauen mit wah rer Wuth von sich. Thornville hatte die Freude, sein Boot mit vier Ler geschicktesten Steuerer bemannt zu sehen. An diesem Augenblick sah man den Unglücklichen, der bisher an der Windseite des Wracks gehangen, da« Lau, welches sein Daschn etwas gefristet, loslassen und >n das Wellengrab bmabstürzen „Entsetzlich", rief Thornville, „die Beiden am Bordermast sind allein noch am Leben. Jetzt rudert zu! ES ist die höchste Feit." Alles am User verstummte vor angstvoller Erwartung. Durch Thorn- ville'S kaltblütige Entschlossenheit ermuthigt, wendeten die Fischer alle Kräfte an, das Boot durch die Brandung zu arbeiten. Bald schwebte es auf dem Kamm der schäumenden Woge, bald wurde eS durch die Riesenkraft de« Element« gegen den Strand zurückgeschlcndert. Thorn ville halte eine Leine au das Boot befestigt, deren andere« Ende die Leute am User scsthielte». Endlich halten unsere kühnen Schisser die Brandung hinter sich und ruderten nun dem Wrack frisch entgegen. Der eine von den bei den Ueberlebcuden im Takelwerk nickte seinem Unglücks-Gefährten freu, big zu; aber den Letztere» Halle schon alle Kraft verlassen. Er sallele die Hände wie zum Gebel und — stürzte hinab in die Fluchen! Unlerdeß waren die Reiter dem zertrümmerten Schiffe sehr nahe .gekommen; »och ein paar Ruderschläge mehr, und mau halte e« erreicht. Der einzige Ucberlebende auf dem Wrack stürzte sich hinab in da« Boot. Da rollte plötzlich eine fürchterliche Woge über da« Wrack und stieß den Fischcrkahn zurück. Jetzt arbeitete man au« Leibeskräften, den Bug tc« letzteren von dem Wrack ab- und der See znzulenken. Ei» paar Augenblicke schien da« Boot sicher; aber ei» neuer Wasserberg, noch gewaltiger al« der vorige, kam über da« Wrack hcrangcrollt; da« Boot konnte dieser Wucht nicht widerstehen: c« füllte sich und sank unter. Alle Frauen am User schrieen wie au« Einer Kehle; aber die Küsten- wächler und Fischer zogen mit vereinigter Kraft an der Leine, und e« gelang ihnen glücklich," da« Fahrzeug sainml ter Mannschaft, die sich fest ängeklammcrt Halle, an den Strand zu ziehen. Alle waren bald am Laude und in Sicherheit; nur Thornville batte da« Bewußiscpn verloren. Einer seiner Füße halte sich in die Leine verwickelt, und so kam er in immer dringendere Gefahr, je stärker man da« Seil anzog. Zum Glück balle der Brave nur eine bedeulcnde Quantität Wasser geschluckt und einige Quetschungen erhallen. Er lcbte bald wieder auf, und jetzt gab e« einen allgemeine» Znbel. Der vom Wrack Errellcle fiel vor Thornville auf die Kniee. Die Gefühle des Letzteren könne» nur mit empfunden, nicht beschrieben werden. Seine und aller Nebligen Aufregung war so groß, daß man Frost, Wind und Schnee darüber vergaß. Endlich nahm Freund Truman eine Gelegenheit wahr und sprach zu Thornville: „Herr Lieutenant, Sie sieben, meiner Uhr zu folge — die, beiläufig bemerkt, sehr pünktlich geht — nun schon 38 Minuten und 10 Sekunden in ihren durchnäßten Kleider» da; jetzt will ich Ihnen drei Gründe angebeu, warum Sie sich erkälten werden. Ersten« geschieht dies von wegen des Winde«; zweitens, von wegen de« Schnee«; drillen«, von wegen de« Wasser« au Ihrem Körper, da«, streng genommen, schon nicht mehr Wasser ist, dieweil es Eis ist. Er lauben Sic mir, Lieutenant Thornville, Ihre Frau von Ihrem gegen wärtigen Zustand zu informiren, dieweil sic Ihnen dann trockne Kleider schicken wird." Der Lieutenant lehnte die« Anerbieten mit Dank ab und machte sich gleich selbst auf den Weg. Möge der Leser seinen Empfang und Hie zärtlichen Borwürfe seiner Gatlin sich selbst ausmaleu! Bon allen Orten, die bi« auf zwanzig Mile« in der Runde lagen, kamen gratuli- rendc Besucher, und für den Gerellelen sowohl al« für die hülfreichen Fischer liefen Subskriptionen ein. Thornville erhielt auch eine goldene Medaille nebst verbindliche»! Schreibe» von Seilen der Königlichen Humanitäts-Gesellschaft. Mehrere Wochen verstriche» und Alle« ging allmälig wieder im gewohnten Geleise. Aber diese Zeit der Ruhe sollte nicht länge dauern. Eine« Abends kam Paddy M'Shane, einer tcr Boowmänuer, ganz außer Alhcm in die Wachstube geraunt und schrie, sobald er de» Lieutenant erblickte: „Beim Henker, Sir! Jetzt haben wir sie erwischt!" „„Wen erwischt, M'Shane?"" — „Wir habe» sie, Sir — rin Hundert, zum allerwenigsten. — Ich sah sic mit meinen beiden Augen!" Erst nach einem halben Dutzend Fragen erfuhr der Lieutenant, daß M'Shane eine Anzahl Leute gesehen hatte, die zum Theil in Ge büschen, nahe der alten Thal-Wache, steckten und ohne Zweifel verbo tene Waare landen wollten. Thornville rüstete sich, dieser Botschaft gemäß, sammelte seine Leute und führte sie an den bezeichneten Ort. Sic stiegen von den Klippen zum Strande hinab und marschirten dann, bald über Felsenstücke hin- wegschreitend, bald durch'« Wasser watend, vorwärts. Thornville hatte diesen beschwerlichen Weg gewählt, weil er besorgte, die Schmuggler könnten oben aus den Klippen Spione ausgestellt haben. Unsere Küstcn- Wächter hatten eben eine große vorragende Felsenmaffe umgangen, al« sie rin Boot bemerkten, da« unlängst gelandet war. Eine Gesellschaft von ungefähr hundert Personen stand am User. Thornville befahl seinen Leuten, ihre Säbel zu ziehen, ihre Pistolen bereit zu halten und ihm zu folgen. Die Matrosen auf dem Schleichhändler-Boote, da« mit Taback befrachtet war, kehrten den Bug desselben gegen den Strand, damit die Ladung desto bcgucmcr ausgcschiffl werden'könnte. Berschiekene Grup pen von Männern, Einige mit Knütteln bewaffnet, gehorchten den Be fehlen zweier Anführer, welche die eigentlichen Schmuggler waren. Der ganze Troß der klebrigen sollte nur die Ladung an bestimmte Orte lransporlircn, wo Fuhrwerke zum weiteren Transport derselben bereit standen. Thornville und die Scinigen wurden erst bemerkt, al« sie sich den Schmugglern bi« aus wenige Schritte genähert batten. Da schrie plötz lich Einer: „Die Küstenwache!" und rin panischer Schrecken verbreitete sich über Alle. Der Schrecken war aber nur momentan: die Schmugg ler zogen sich zusammen und bildeten, mit den Knüllclmänntrn im Bor- tergliede, ein furchtbare« Corp«, da« dem Lieutenant und seinen zehn Mann Tod und Bernichtung drohte. Die Matrosen waren unlerdeß auch nicht unthälig; sie strengten sich aus Leibeskrast an, da« Fahr zeug wieder flott zu machen. Als Truman dies bemerkte, flüsterte er dem Lieutenant Etwa« in« Ohr, empfing dessen Ordrc und sagte dann laut: „Folgt mir, Paddy, wir Bride wollen den ersten Schlag lhun; dieweil der so gut al« eine halbe Schlacht ist." Dann stürmten Beide auf da« Boot lo«, und Truman rief: „In de« König« Ramen nehme ich Besitz von diesem Boote und seiner Ladung, dieweil Ihr keinen Zoll bezahlt habt!" Aber Truman hatte sich ein wenig verrechnet; denn die Mann schaft de« Bootes griff nach Rudern und Stanzen, und schien zu hart näckigem Widerstand entschlossen. „Aha! so habt Ihr'« gemeint?" sprach M'Shane; „wohlan denn! wir werden zu Alt-Irland« Ehre ei» Hühnchen mit Euch pflücken." Dann lhal er aus gut Irisch einen Lustsprung, schwang seinen Säbel über scjnem Kopfe und rannte in Begleitung Truman'«, der gaiiz Kalt blütigkeit und Disziplin war, gegen die Tbemnänner los. Zwei gegen Bier ist ein Mißverhällniß; allein die, bösartigere Waffe der Küsten- Wächter wog diesen Nachtheil beinahe ans. Der Kampf wurde jedoch verzweifelt hitzig, und das Boot kam im Berlasise desselben zweimal in den Besitz jeder Partei. Plötzlich empfing M'Shane einen solchen Schlag auf den Arm, daß er seinen Säbel fallen ließ: ein Matrose raffte den Säbel gleich auf und wollte nun dem Irländer den Garaus machen; dieser aber zog sein Pistol, feuerte und halte da« Bcrgnügen, zu sehe», wie sei» Feind, „gleich einem Aal, sich im Sande wälzte." Als die andere» Drei den Knall hörten und das Schicksal ihre« Kameraden sahen, ließen sic von Truman ab und gaben Fersengeld. Der Ober-Bootsmann schickte ihnen eine Kugel »ach, lras aber nicht. Dan» fragte er M'Shane, ob er verwundet seh. Dieser beschwerte sich über Schmerzen im Arm. „Schlagt Euch", sprach Truman, „Euren Arm au« dem Kopse und bedenkt, daß wir die Schlacht gewonnen Haden, dieweil kein Feind mehr vor nn« sicht." Thornvillc und die Ucbrigen waren unlerdeß nicht müßig gewesen. Sie marschirten gerade auf da« Haupt-EorpS lo«, feuerten ihre Pisto len ab und fielen in der Berwirrung über die Schmuggler her. Der Kampf wurde allgemein, dauerte aber nicht lange. Thornville « Häuf lein war gut eingeübt und durch Eintracht mächtig; unter den Leuten der Schmuggler aber herrschte große Unordnung. Da sie wohl wußte», daß ihnen schwere Strafe drohte, wenn sie ergriffe» würden, so flüch tete» Biele die Klippen hinan. Die NädelSsührcr kämpften entschlosse ner, waren aber bald überwältigt, und Bier von ihnen gaben sich ge fangen. Diese und der Leichnam dessen, den M'Shane erschossen hatte, wurden nach der Wachlstube geschleppt, wohin man auch den Taback lranSportirlt. Dieses Scharmützel machte große« Aussehen, und in der ersten Zeil tonnte sich Keiner von den Küstenwächttrn in den umliegende» Dörfern blicken lassen, ebne insullirt zu werden. Die Schleichhändler wurden zu zwölfmonatlicher Einsperrung und Zwangsarbeit verurtheilt; der arme M'Shane aber erhielt dic Aufsorderung, vor den nächsten Assisen zu erscheinen und wegen de« gclödlelcn Matrose» sich zu verantworttn. M'Shane könnte seine Empörung darüber nicht znrückbaltcn. ,,Wa«!" ries er, „mich behandelt man wie einen Berbrecher? Mich, den Seine Majestät selbst dazu bestellt hatte, den Matrosen umzubrin- gen? Pfui der Schande! DaS ist mir ei» schöner Dienst! Der Mensch Ihut also auch Böse«, wenn er GuleS lhnt? — Hole mich Dieser und Jener, wenn ich mein Lebtage wieder diene!" „„Mac Shane"", sagte Truman, ,,„da« versteht Ihr nicht. Ge setze sind Gesetze, dieweil sic Gesetze sind, und Keiner von Sr. Majestät Unterlhanen dars den Gesetzen zuwider handeln, dieweil eine ParlamentS- Akle dagegen ist. Nun aber habt Ihr, M'Shane, einem großen Ge setze zuwider gehandelt, dieweil Ihr jenen Man» au« der Welt schafftet; also müßt Ihr Euch richte» laßen, al« hättet Ihr ibn ermordet; allein e« ist kein Mord, M'Shane, dieweil ein andere« Gesetz eristirt, daß Euch zur Pflicht macht, Jeden todtzuschicße», der ein anderes Gesetz übertritt; und darum, M'Shane, könnt Ihr Euch daraus verlassen, daß man Euch freisprechen wird, dieweil Ihr den Man» erschosset, während er da« Gesetz übertrat, und dieweil e« zu Eurer eigenen Berlheidigung geschah."" Die Zeit der Assisen kam: M'Shane stellte sich, obwohl mit großem