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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PranumcrationS- PreiS 22^ Sar. Thtc.j vierteljährlich, 3 Td». für das ganze rladr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man vränumcrirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Twar«' Zeitung in Berlin in Ler Expedition (Mohren-Straß« No. 34i; in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. Post-Semlern. Literatur des Auslandes. 108. Berlin, Mittwoch den Ü. September 1835. England. Die philharmonische Gesellschaft in London. Wenn der Englische Musikus aus der Provinz i» London ankommt, so gebt er zuerst in die Oper und ergötzt sich an Talenten von fremder Abkunft. Er kebrt über lang oder kurz nach Haufe zurück, preist die Verdienste einer Malibran oder Grisi, und beklagt die künstlerische Mittelmäßigkeit seiner Heimath, bi« ihn — auf einem zweiten oder dritten Besuche in der Hauptstadt — sein gutes Glück bei den Phil harmonikern einsübrt, wo er zum ersten Mal die Trefflichkeit der vater ländischen Musik in ihrem ganzen Umsange erkennt. Er mischt sich da in rin Publikum, das eben nur um der Musik willen hcrbciströml; er hört ein Orchester, das nur lebendiger Eifer für die edelsten Interessen der Kunst geschaffen hat, und fühlt die ganze Seligkeit, welche der Genius und Enthusiasmus, wenn sie die rechte Anwendung finden, dem Sterb lichen bereiten können. Die philharmonische Gesellschaft, obgleich noch von jungem Datum und außerhalb Londons wenig beachtet, ist das nährende Prin zip, die wahre Pstanzschule der Instrumental-Musik in England. Sie ist keine öffentliche Anstalt zu nennen, da sie nur wenige Mitglieder und Subskribenten zählt, und wir hallen es eben deswegen für Pflicht, einige ihrer Details zu enthüllen. Die große» Institute aus dem Kontinent sind meistens von den Regierungen selbst" errichtet worden und stehen unter der Leitung berühm ter Künstler. Die philharmonische Gesellschaft aber verdankt ihre» Ur sprung einigen wenigen Individuen und ist nur in der Sonne ihres eigenen Enthusiasmus zur Reise gelangt. Ehe diese Gesellschaft ins Leden trat, war die Instrumental - Musik lange in einem Zustande der Erschlaffung. Die Stifter ahnten jedoch kaum, daß sie eher zur Umbil dung als zur Wiederherstellung derselben die Bahn brachen. Man trug schon längere Zeit die Fesseln der alten Schule nicht mehr so geduldig, wie vordem; die Havdnschen Shmphoniecn hatten der musikalischen Eompo- siüon einen neuen Impuls gegeben — Mozart batte die Sprache ge lehrt, die jedes Instrument führen soll — und unsere Lindley'S, Nichol- son's, Harper s und Wilman'S fühlten, daß es ein Ziel gäbe, ihrer Kräfte würdiger, al« das untergeordnete Ami des AccompagnirenS. Unter solchen Umständen wurde die philharmonische Gesellschaft durch Era- mer, Dance und Eorri gestiftet, und die Gesetze, die man damals aufstcllte, sind im Wesentlichen dieselben geblieben. Die Gründung erfolgte im Jahre l8IZ. In dem kurzen Zeitraum von 22 Jahren ist die Societäl" eine der bedeutendsten ihrer Klaffe geworden und besitzt da« prächtigste Orchester in Europa. Biele Ursachen baden zusammengcwirkt, nm der philharmonischen Gesellschaft jenen Borrang zu geben, den ihr die feinsten Kenner, Aus länder und Inländer, nicht abstreilen. Auf dem Kontinente — vor züglich in Deutschland — bat jede Stadt ihr Mustk-borpS und ihr Kon zert, und alle sind in gewissem Betrachte gut zu nennen. In England aber ist die Hauptstadt der Brennpunkt, welcher jeden Strahl des Ge nies endlich einsaugt. London ist die einzige Sphäre, wo da« Talent zu seiner Entwickelung Raum hat oder zu haben sich einbildei; in London also baden die schönsten Talente ihr Zenich erreicht und sind so lange in ungestörter Verbindung mit den Philharmonikern geblieben, daß die vollkommenste Amalgamation erfolgt ist, die ein verwandtes und individuelles Fühlen und eine generelle Biegsamkeit und Fähigkeit, sich anzuschwiegen, erzeugte, welche das ganze EorpS für die feinste Abschat tung des Ausdrucks empfänglich macht. Jeder Impuls dringt elektrisch durch Alle, und während sic in vollkommenster Eintracht wirken, leisten sie dem Direktor unbedingten Gehorsam. ES gilt in diesem Orchester kein Unterschied de« Ranges; man wählt zu den RipieniS keine Mu siker, auf die man nur insofern rechnen könnte, als sic mit dcm Strome sortschwimmen, sondern Musiker, die durch langt Erfahrung tüchtig ge worden sind, und die mit jedem Talente der Ausführung allgemeine Kenntniß von Eomposilion, Orchester-Wirkungen und klassischer Musik verbinden. Derjenige Musiker, welcher ein Kenzerl der Philharmoniker zum ersten Male hört, vernimmt auch zum ersten Male jene melodische Unterredung der Instrumente, welche die Kunst in ihrer wahren Voll kommenheit bcrvorbringen mnß. Kein einzelnes Instrument kann mit der menschlichen Stimme in die Schranken treten; aber auch keine Combination von Menschenstimmen bringt eine solche Wirkung hervor, wie ein schönes Orchester; denn Worte, mit Tönen gepaart, geben unseren Gefühlen eine bestimmte Richtung, während bei der Instrumental-Musik Jeder nach Ersorderniß seines Temperamente« ernst oder heiter gestimmt wird. So z. B. kann Beethovens Pastoral-Symphonie den klassischen Gelehrten an Virgils Bncolica oder Georgien erinnern — den gebildeten Englischen Leser an Shakespeare s wunderbare Schöpfungen — Sccuen, die er selbst ge schaut, werden Manchem die Phantasie lebhaft anrcgen, und der Dichter und Enthusiast werden vermuthlich schaffen. Alle diese Beobachtungen haben wir bei pbilbarmonischcn Hörern gemacht; aber an keinem ande ren Orte sind wir von den „Wogen der Melodie" w anmuthig getra gen worden, daß selbst ihr Niedersallcn unsere Träume nicht stören konnte. Bei solchen Talenten, wie heutige Instrumental-Musiker sic ent wickel», und bei den schnellen Fortschritten, welche die Instrumental- Composilion in so kurzer Zeit gemacht, ist es unmöglich, der weitere» Vervollkommnung dieser Kunst ein Ziel zu setzen. Bor einem Jahr hundert gab cs noch keine Symphonieen; drei Menschenleben — das Leben Havdn'S, Mozarts und Beeth oven'S — haben auSgcreicht, um die Svmphonie zur Reife zu bringen. Jeder von diesen dreien ist, obgleich sie auf einander folgten, seine eigene Bah» gewandelt; Havd» charaklerisirte Einheit und Klarheit des Plan«, Anmuth de« Ausdrucks und skrupclbasie Beschränkung aus die Sphäre der Svmpathieen seine« Publikum«; Mozart war der Schöpfer reicher Harmonier», mannigfach und leidenschaftlich in seiucn Gefühlen, kühn im Versuchen neuer Wir klingen; Beethoven bat Hobe melodische Einfalt, schneidende Kontraste und kühne Originalität. So erweckt jeder dieser Meister in dem Mu- silcr eine andere Welt von Gefühlen, dringt verschiedene Kräfte zur Entwickelung und fordert demnach die Ausbildung der Instrumental- Musik in jedem Stile — ein Vortheil, den die philharmonische Gesell schaft ganz besonders gesübll hat. Spohr ist nicht so leicht zu ana- lvsircn; al« individueller Violinist verlangt er ost mehr, al« irgend ein Orchester zu leisten fällig ist. Er hält nicht inne, nm die Möglichkeit, oder vielmehr die Wahrscheinlichkeit des Mißlingen« zu bcdenkcn, sondern er schreibt, al« wär' es für eine Quartett-Partie und nicht für ein voll ständige« Orchester. Er ist seinem Zeitalter vorangeschritten, und die Popularität seiner Werke wird nur von kurzer Dauer sevii. Dennoch dürscn wir es kaum beklagen, daß sein Genins in gewissem Betrachte über da« Ziel hinweg geschritten ist, weil dieser Umstand der philharmo nischen Gesellschaft eine schöne Gelegenheit gegede», ihre außerordent. liehen Kräfte an seinem letzte» und gewaltigsten Werke, der Svmphonie über Pfeiffer« Ode an die Töne, zu erproben, und zwar mit dem glücklichsten Erfolge. Diese Symphonie bat einen Streit darüber veranlaßt, wie weit da« wahre Gebiet der beschreibenden Musik sich erstrecken dürfe. Die Wirkung derselben aus das Publikum war verschiedenartig; der schlichte Tonkünstler bcnribeilte und bewunderte sie nur de» Regeln der Tonsctzung gemäß; aber diejenigen, welche Musik und Dichtung zusammen lesen, mag die Musik mm den Worten des Dichters sich cmschmiegen oder nicht, wurden durch die aus dem Konzert.-Zettel beigefügte Ucbersetzung der Ode in ihrem Genüsse gar nickt gestört und sanden vielleicht in Spohr viel mehr, als in dem Dichter selbst, weil eine Modulation oft so viel sagt, als eine ganze Stanze. Aber die Kritiker schlugen Lärm, und ein Schriftsteller wagte die Behauptung, „das legitime Gebiet der Instrumental-Musik sev das Schwebende und Unbestimmte." Wir wolle» die Stärke dieses Argu mentes nicht prüfen und bemerken nur, daß e«, in seiner ganzen Aus dehnung angewc»dct, aller beschreibenden Musik de» Garaus machen müßte. Einem solchen Prinzip zufolge, würde Havdn'S lebendig beschrei bende Symphonie über: „In lichtem Glanze", keine positive Ideen er wecke», oder der Phantasie kein wirkliches Gemälde Vorhalten; unsere Meinung aber ist die, daß, wenn auch jeder Individuum, wie vorhin bemerkt, je nach der Verschiedenheit seines TemperamentcS bei dieser Symphonie verschiedentlich empfindet, doch Jedem die ausgehende Sonne vorschwebcn muß. Der Kritiker, dem das Unbestimmte so theuer ist, mag immerhin dabei denkc», sie stiege durch einen Londoner Nebel em por; da« thut nicht« zur Sache. Der wahrhaft legitime Zweck der Instrumental-Musik ist da« Er regen lebendiger und allgemeiner, aber harmonisch wirkender Eindrücke. Kleine Details würdigen eine Eomposilion herab, aber Alles, was die Klarheit und Lebendigkeit der musikalischen Beschreibung sördcrl, sollte von dcm Künstler eben so bock geschätzt werde», wie eine Eindeckung in der Wissenschaft von dcm Philosophen Beethoven hat in seiner Pastoral - Svmphonie bewiesen, welchen Effekt musikalische Beschreibung machen kann, und e« scheint nur noch die Frage übrig, ob Spohr in dem gegenwärtige» Falle rin schickliches Thema gewählt, und ob er treuer Dolmcisch desselben gewesen. Da« Letztere kann nur denen zweifelhaft bleiben, d.ie seine Eomposition nicht gehört, und über da« Erstere könnt»