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Wöchentlich erscheinen tret Nummern. Pränumcrätions- Prei« 22h Sgr. Thtr-i vicrtcljöhrlich, Z Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prSnumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staat«- Zeitung in Berlin in ter Expedition Mehren-Straße No. 34); in der Provinz sch »je im AuSlande bei dem Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. III. Berlin, Mittwoch den 16. September I83K. England. Shakespeare und Scott. °) Shakespeare und Scott sind nicht bloß für England, sondern auch für die übrige gebildete Weil zwei ter beliebteste» und gelesenstrn Schriftsteller; sie ergötzen und erheitern Hundcrttausende. Sie blei ben stet« frisch und neu, und wenn wir sie auch zum zwanzigsten Male lesen, erscheinen sie uns immer noch so jugendlich und überraschend, wie die Wiederkehr des Frühlings den Greis »och eben so entzückt, als den Jüngling. Sie baden das Gebiet der Phantasie mit glänzenderen und natürlicheren Geschöpft» bevölkert, als irgend andere Werkmeister in der Kunst, „die nicht gelehrt wird und nicht gelehrt werden kann", und mitten mtter all den Entdeckungen und Erfindungen der verschiedenen Wissenschaften — von dem geblümten Musselin, der damascirten Seide und de» Brett-Nägeln, die durch die Kraft des Dampfes angesertigt, von den Statuen, die durch Maschinerie zugehaucn, von den Schiffen, die durch Dampf gegen de» Wind und gegen die Fluch getrieben wer te» — bis zu de» Männer», die auf dem Meeresgründe cinhergehe», und den Frauen, die in der Luft stiegen — sind dch Erfindungen Shakespeare'« und. Scott's immer noch die wunderbarsten und geist vollsten, ja, wir möchten sagen, auch die nützlichsten- Watt, Arkwright, Fulton, Rennie und Telford, sammt dem ganzen Geschlechte der wissen schaftlichen Erfinder, denen wir gern alle gebührende Ehre zugcstehen, diese Männer haben unsere Straßen geebnet und geglättet, unsere Tage reisen abgekürzt, entfernte Länder einander nahe gebracht, uns selbst in Purpur und Scharlach und seingezwirnle Leinwand vermittelst eines geringen Kostenaufwandes gehüllt; kurz, sie haben uns mit allen phy sischen Bedürfnissen des Lebens im Ucberstuffe versehen; allein es be durfte noch ter Geister von höherem Rangt, um die Phantasie zu be leben und zu »ähren; darum mußten Shakespeare und Scott mit ihre» Werken und Schöpfungen hervortreken, und als geniale» Werkmeistern und Erfindern gebührt ihnen auch der erste Rang unter allen den wissenschaftlichen Entdeckern, die seit de» Zeiten Jason'« bis auf die Tage unseres John Roß geblüht habe». Die kleine so eben erschienene Schrift über beide Dichter ist ganz nach unserem Geschmacke geschrieben; wir stimmen dem Autor fast in allen seinen Ansichten bei, und wir haben auch mit demselben gefühlt, daß unsere beiden Magiker, der nördliche und der südliche, in der Be herrschung des menschlichen EharaktcrS eine genaue Aehnlichkeit mit ein ander haben. Sie waren beide große Nachahmer, aber keine Kopisten. Sie benutzten die Geschichte und mündliche Traditionen von allerlei Komplotten, wunderlichen Ereignissen, Sagen und Andeutungen. Sie hauchten Leben und Gefühl in das, was lobt war, riefen die Heroen, die Weisen, die Witzlinge und die Schönheiten früherer Zeil wieder ins Daseyn; sie gossen einen solche» Reiz über jede besondere Scene und verlieben allem lÄnzelucn einen solchen Zauber, daß die längste Nacht in ihrer Gesellschaft kurz erscheinen mußte. Ihre vorzüglichsten, ja selbst ihre niedrigsten Charaktere sind sür uns Geschöpfe von Fleisch und Blut, von Gefühl und von Seele; wir könne» sie nicht als cnt- körperl und ohne Substanz anschen; doch nehmen wir hier einen Unter schied zwischen den von Scott und von Shakespeare geschaffenen Charakteren wahr. Die Charaktere des Ersteren erscheinen so reell, daß wir sie selbst zu unserer Bekanntschaft rechnen. Aus de» Bänke» Liddcl'S sehen wir uns »ach Andrew Dinmont nm; wenn wir durch Glasgow kommen, so begeben wir uns nach dem Salzmarkte, in der Hoffnung, Bailie Jarvie aufznswden, und wen» wir Aberdeen besuchen, so erwarten wir, Dugald Dalgettp auf dem Wege zu begegnen. Die Charaktere Ehakc- speare's dagegen erwecken selten solche lebhafte Erwartungen — und warum ? Weil sie mehr poetisch sind; sie sind mehr von der physischen Masse entkleidet und erheben sich über gewöhnliche Svmpathiecn. Das Drama, oder wenigsten« die Poesie verlangt dies; die Prosa nimmt dagegen einen untergeordneteren Rang ein, und Scott formte seine Charaktere demgemäß. Wir denken uns unter den Helden und Heldinnen Shakc- spearc« nichts als Geschöpft der Einbildungskraft, hcrausgchoben aus einem geringfügige» Material in der wirklichen Natur; wir können kaum glaube», daß Wesen, die so schön und so tadellos sind, wie Imogen und Julia, je eristirlen; allein wir haben wohl schon in der Wirklich keit Leute gescheit, die einer Julie Manncrmg »»v einer Diana Per- non ähnlich sind, und wir glauben gern, daß Sir Walter auch das klebrige hierzu sah. ') Bei Gelegenbcit des knrftich erschienene» „p.-ran«! ok 8i»»i<e«pe!>r<! l-t-ink tl>6 uul)l>tau«.-v yj vu tüv kittäreü Uitturc of lüeir Wenn wir aber auch diesen Unterschied zwischen den Schöpfungen Shakespeare'« und Scott's wahrncbmcn, so wollen wir damit kcineswe'ges sagen, daß der Letztere, indem er cs nicht eben so machte, wie der Er stere, damit einen Fehler beging; im Gegeutheil, wir sehen das bei ihn» al« einen großen Borzug an. Wir hörten einmal Coleridge behaupten, daß, während Shakespeare alle feine Charaktere aus dem Menschen i» seinem unverfälschten Natur-Zustande schöpfte, Scott sich damit be gnügte, sie aus dem verschiedenen Beruf und den Beschäftigungen des Lebens herzuleiten. Dies, dachten wir, und denken es noch, war un recht; nicht daß diese Bemerkung ganz ungegründct wäre, aber unsere Sprache und unsere Gedanken werden stets durch unsere Lage gesärbl; rin Soldat unterscheidet sich nicht nur durch seinen Blick, sondern auch durch feine Sprache von einem Gesetzgeber; die Monierest eines Land- mauncS sind nicht die eine« Höfling«; wir haben nicht nöthig, mehr Beispiele anzusühren; es ist genug, daß die Charaktere des großen Novellisten natürlich und echt sind. Der Geschmack Scott's war der seiner Zeit, so wie der von Sha kespeare ebenfalls seiner Zeit entsprach; sic schricbc» Beide sür die Well; sie gingen den Weg, den die Welt um sie Hec ging; sic stellten keine Versuche an, neue Schulen zu bilden, und doch find sic Begrün der von solchen in dem wahrsten Sinne des Worte« geworden. Sie licbtcn Beide hcimathliche Gegenstände und ergötzten sich daran, die gewöhnliche» Ereignisse de« Lebens oder der Geschichte in eine zugleich, natürliche und nationale Form und Gestalt zu bringen. EL war der Fehler,von dem Zeitalter Shakespeare'«, daß es hohen Rang und edle Abkunft zu sehr überschätzte und Alle«, was nicht Edelman» war, als „niedrig, gemein und plebejisch" ansah. Es war aber der Ruhm der Tage Scott's, den Menschen zu ehren, wie er von Gott erschaffen wurde; mit Burn« zu reden: „Ein Mensch ist immer und überall nur ein Mensch", und endlich die einfache» Kinder der Hütlcnbewobncr mit aller Achtung und Ehrfurcht zu betrachten. Dieser Unterscheidung der Zeit haben wir die in bunte Gewänder gehüllten Narren und Heroen von Eastcheap und die äußere Ausgelassenheit der kühnen Heomcn von England bei dem südlichen Poeten, so wie da« Daseyn der Dinmont«, der Headrigs und der Ochiltrccs in den Novellen des nordischen Barden zu verdauten. Beide Poeten waren Männer von reichem Gemüthe und unbegränzter Sympathie; allein wollte» wir jene Unterscheidung Beider durch die Annahme erklären, daß Scott mehr von diesen Eigcnschaftcir besaß, als Shakespeare, so würden wir mehr sagt», al« was wir gerate fühlen; indeß ist es doch nichtsdestoweniger wahr, daß imftr Englischer National-Dramatiker kein treue« Gemälde von dem socialen Leben seiner Zeit geliefert hat; cr war mehr Hofmann, fürchten wir, al« Scott, und obgleich selbst ein Jäger, halte cr doch nie eine herzliche Liebe sür seins müsikalen Landsleute gewonnen: für „Hob (Robert), Dick (Richard) und Hick (Christian) mit den derben Knütteln und den benagelten Schuhen." Shakespeare und Scott gleichen einander auch darin, daß sie weder ihren Gegenstand »och ihre» Charakter jemals ganz erschöpfen, sondern stets die volle Herrschaft über dieselben ansüben. Jene« Ungeheuer von Witz, Falstaff, wird offenbar von seinem Erfinder nur aus reinem Muth- willen geiödlet, und nicht weil cr erschöpft war, denn einige von seinem letzten Einfällen sind gerade die besten, und wir wisse», daß der Autor sich selbst zügeln und Anhalten mußte, sowohl in Ochiltrce al« in Dal- getty, damit nur nicht durch ihren Humor die übrigen Charaktere zir fehr verdunkelt würden. Ihre Behandlung zeugt von der leichtestem und glücklichsten Manier; auch gicbl sich bei ihnen da« Gefühl der Schicklichkeit nicht minder kund, al« ihre Behaglichkeit; Alle« ist am rechten Platze, Nicht« außer Reihe und Glied, und die Einheit ihrer Bestrebungen ist um so wunderbarer, da sie dieselbe keineSwege« stu- dirt und beabsichtigt zu haben scheinen. Aber ein Mann, der der Na tur folgt, wird selten gegen Regeln verstoßen, denn die Regeln liegen eben i» der Natur; eine Wahrheit, die von Walpole wohl anerkannl ist, indem er sagt, Gil Morice beobachtete alle die Regeln des Horaz,, aber auf eine solche Weise, daß man leicht bemerken konnte, der Schriftsteller habe weder von Horaz noch von seinen Regeln ;e etwas gehört. Unter den drei Vorlesungen, au« denen da« un« vorliegende Merk' besteht, gefällt uns die erste am besten; in derftlben bezeichnet der Ber- saffcr die Haupt-Charaktere de« Genius von Scott, so wie ihre Aehn lichkeit oder ihren Kontrast gegen die von Shakespeare gehalten; der Raum gestattet uns hier nur "einen kleinen Theil dieser interessante»!: Untersuchung mitzutheilen. „Eines dcr Haupt-Attribute de« Shakespcareschcn Genin«, da«, wel che« ihm stet« und von Allen auf die eine oder die andere Weise ztt:.