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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrönumerationS- Prei« 22^ Sgr. «; Thlr.j vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a z i n für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der ÄUg. Pr. Twaw- Aeitnng in Berlin in der Expedition «Mohren-Straße No. 34>; in der Provinz so wie im Anßlande bei bru Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 10V. Berlin, Freitag den 21. August 183S. Frankreich. Georges Sand.') Fragst Du heutzutage nach den philosophischen Ideen des achtzehn ten Jahrhunderts, so wird man Dir antworten, daß ste, nachdem ste lange genug niedergeriffen Haden, endlich selbst ihrerseits gefallen sind; daß der aus ihrem Schooß hervorgcgaiigene Materialismus nichts mehr als ein Wort ohne Kraft und Stärke ist; daß die Seele ihre Rechte wieder erobert und der Körper endlich seinen gebührlichen untergeordne ten Rang eingenommen; daß das religiöse Gefühl wieder erwacht und aus dem Leichcntuche, in das man es eingehüllt, hervorgcircten ist; daß der Zweifel selbst nicht mehr eine Negation des Glaubens, sondern nur ein geringes Schwanken im Glauben ist; daß man die Moral wieder in ihre Rechte eingesetzt; daß endlich in dieser großen Reaktion, in dem herrliche» Forlschreiten zum Güten, eine ganz neue sociale Zukunft sich offenbart! Allein im Angesichte dieser schönen und vortrefflichen Bewegung werden beinahe direkte und selbst ziemlich energische Prolestalionen da gegen erhoben, nm bei der Menge gewisse besondere Sympathieen her vorzurufen. Diese Prolestalionen gehen von einer literarischen Schul aus, die den SkcpliciSmus aus der Philosophie in die Kunst verpflanzt und ihn der Leidenschaft beigemischt hat, ohne daran zu denken, daß sie dadurch ein Familien-Bündniß mit dem vorigen Jahrhundert cingc- gangen; sie glaubt, aus dieser jüngsten Vergangenheit heraus zu sehn, weil ste auch mit den Farben der Gegenwart 'ausgeschmückt ist; ihre Fahne trägt die Inschrift der Auferstehung der Gewalt des Geistes; sie giebt sich für spiritualistisch aus, ja ste brüstet sich sogar mit einer Moral, die bis zu einem gewissen Punkte grandios erscheint, gegenüber den kleinlichen Zänkereien und dem materiellen Egoismus des politischen TagcS-Geschwätzes. - Diese Schule, oder besser, diese Koterie gruppirt sich mit Entbusias- nnts nm ein Genie, das sie beherrscht, und das sie mit seinem brennen den und leidenschaftlichen Hauche erwärmt: und dieses Genie ist Geor ges Sand. Ohne Zweifel können wir nicht zu viel Bewunderung für diesen kühnen Romanenschreiber bezeugen; nicht zu oft wiederhole», wie sehr sein Gedanke warm und kräftig und sein Stil bezaubernd und anziehend ist, wie sehr er durch zahlreiche Aufregungen der Leidenschaft und des Gefühls die Seele zu erschüttern und sie endlich wieder durch den lieb lichen Reiz, mit dem er seine Gemälde kolorirt, zu beruhigen weiß. Es wird uns immer an dem richtigen Ausdrucke fehlen, um darzuthun, welches gewaltige Interesse alle seine Schöpfungen belebt, und welchen großen Künstler wir in ihm besitzen. Lasse» wir jedoch alle die pomp hafte» Exclamalionen, die man zum Lobe Georges Saud s verschwendet, ganz bei Seite! Wir wollen ihzi nicht loben, sonder» ihn studire»; wir wollen in seinen Geist eiudringen und uns von seiner Mission genaue Rechenschaft ablegen, endlich wollen wir ihn, anstatt jhn mit Enthusias mus zu bewundern, einer vernünftigen und gesunden Kritik unterwerfen. Zum Unglück werden wir wohl die Lorbeer-Krone dieses Schrift stellers ein wenig entblättern müssen, eine Krone, die er sich ans lauter Irrlhümcr» zusämmcngcflochten; wir müssen protestircn gegen seinen erkünstelten und grundlose» Spiritualismus, gegen das unnutze Palliativ .einer für die Sinne geschaffenen Moral; wir müssen darlhun, daß Eeor- *) Von den vielen Charakteristiken und Gesammtdarstellunqen lebender oder verstorbener Schriftsteller, die wir bereits Gelegenheit halten in diesen Blattern mitzuthcilen, konnte vietteicht keine zugleich so als allgemeine Be zeichnung einer ganzen Evoche gelten, wie die nachfolgende. GeorgeSSand ist der Träger und Vertreter des heutigen Französischen Romanes, wie eS Victor Hugo der des Dramas ist. Z„ Georges Sand stnde» sich, neben allen Schönheiten des wiedererwachten poetischen Bewußtsevns. alle Aus wüchse, einer Zeit vereinigt, deren ethische Bestechungen, ein ungewisses fernes Ziel vor Augen habend, chaoti,ch durch einander wogen Die socialen Unbequemlichkeiten und Regeneralions Versuche, die auch bereits in Deutsch land ihre Darsteller gefunden Haden, bilden das unerschöpfliche Thema Geor ges Sand's, der in den Augen seiner Landsleute um so mehr als ein beqei- sterter Apostel erscheint und bewundert wird, als seine gesellschaftliche Siel lung in einem scheindar so grellen Widerspruche mit der philosophischen Auf- Ube sich befindet, die dieser Autor sich gestellt hat. Es ist nämlich eine Frais, eine feingebiidete Pariserin, Mmt »linder ihren Salon belebend und "heiternd, wie die reizendste ihrer Landsmänninnen, die unter der Maske !/«»rges Sand's eine so mächtige Bewegung der Geisser erregt hat Die Darstellung wird unstreitig sehr viel zur richtigeren Erkenntniß v>e«es Charakters beitragen, der, so originell er auch ist, Deutschen Lesern °°ch auch interessante Punkte der Vergleichung mit zweien Frauen unserer L 'da,,bieten wird, die in Deutschland, die Line durch ihren.hochstiegenden ss- Geist und die Andere durch ihr tie,»örtliches Gemlst und Dar in »ionopolissische» Lehr und BildungS-Berus der Manner >n bescheidenere Schranken zurückgewiesen haben. I. L. ges Sand sich vergeblich zum Verlheidiger der Rechte des Herzens ge gen die Gesellschaft aufwitfl, daß er imisonst den Namen Gottes än- ruft, denn im Hintergründe seiner Ideen ist cs die Materie, die de» Geist beherrscht; im Hintergründe seines Witzes der Kopf, der das Herz, im Hintergründe seines Gewissens die Leidenschaft, die die Vernunft, im Hintergründe seines Lebens die Ueberzengung, die die Neflcfton, und endlich im Hintergründe seiner Theoriecn ist es der Zweifel, der Gott beherrscht. Vor Allem erklären wir hier. Niemanden persönlicb anzugreisen, außer dem Namen desjenigen, der die Bücher signirt, für die er sich verantwortlich gemacht. Was über diesen Namen, er sep wahr oder falsch, hinauSgeht. das ist nicht unsere Pflicht, zu wissen; er allein soll gelobt oder getadelt werden, und wenn cs wahr ist, daß man die Leute ins Gesicht eher zu'loben geneigt ist, so kann der Tadel dagegen einer Maske nie so kränkend scyn; darum ein für allemal, wenn wir hier gegen irgend Jemand zu Felde zicbcn, so betrifft dies nur den Herrn Georges Sand allein und keinen Anderen. Georges Sand ist doppelt zu beklagen, wegen seines ZwcisclS und seines HaffeS; wegen seines Zweifels gegen de» Himmel und wegen seines Haffes gegen das bestehende gesellschaftliche System, ein Haß, der ganz imellcklucll, ganz abstrakt und schwanger an lebhaften und bittere» Kränkungen für die Seele ist, die sie selbst in sich nährt. Dieser Zweifel und dieser Haß, mehr oder weniger durch die Eingebungen des Augenblicks und den Wechsel der Gestalten modisizirt, springen hervor oder verralhen sich in allen den verschiedenartigen Schriften Georges Sand's. Die Zukunft wird uns darüber belehren, ob dieses doppel- schncidlgc Schwert, das schon jetzt weniger scharf ist, mit der Länge der Zeit vielleicht gänzlich abgestumpft werden kann. Nachdem wir die Wunde bezeichnet, wollen wir die Veranlassungen derselbcii näher aufsuchcn. Was bat unserem Georges Sand diesen Zweifel cinqcimpft? Um dies zu wissen, wäre cs nöthig, daß wir bis zu seiucr erstcn Erziehung hinausstiegen, daß wir entdeckten, welchen Einflüssen sie unterworfen oder vietteicht welcher moralischm Vernachlässigung sic preisgegebcn war; wir müßten zuerst erfahren, wie diese Seele noch in ihrer Frischheit, in dem Alter, wo man den Glauben ohne weitere Untersuchung an und für sich selbst liebt, die verzehrenden Eindrücke des spottende» Skepti- ciSmuS Voltaire's, des sentimentale» EvmsmuS Diderot s cingcsoge», und alsdann würde cs UNS löicht scyn, seine Fortschritte auf dem Wege, der ihn bis zu seinen gegenwärtigen Ideen geleitet, zu verfolgen; — allein wir sind nur im Stande, Konjekturen über diese Erziehung auf- zustellcn, der es ohne Zweifel an aller christlichen Belehrung gebrach, cs fey denn,' daß, wie sollen wir cs nennen, dieses feurige Wesen des Kindes gelernt hätte) an Gott zu zweifeln oder wenigstens nicht an ihn zu denken, zu einer Zeit, wo die Seele sich so sehr darin gefällt, ihren Glauben in fromme Gebete einzukleiden. Wie hätte sonst wohl ein Herz vor der Zeit erstarren können, das unter dem Einflüsse der Liebe und Hoffnung groß geworden wäre? Die Losung des Geheimnisses ist folgende: Wenn man in die Welt kommt, so glaubt ma», sie völlig ansgebaut zu finden; erst im Lause der Zeit bemerkt man die Ruinen, mit denen ste überschüttet ist. Unser Georges Sand hat aber die Ruinen gleich von vorn herein gesehen, und sein junger, lebhafter und schlecht bewachter, Verstand har das Leben in der Blüthe ohne Glauben und innere Ruhe begonnen. Auf diese Weise haben sich seine inneren Leiden zu einer Zeit erzeugt, wo sein Genie mit stolzer Kraft sich entwickelte. Der Zweifel war das Picdcstal, auf welchem die Statue seines Geistes sich erbob; er erschien in seinen Auge» als eine Gewalt, und da ihn nichts darüber belehrte, daß vielmehr die Schwäche den Zweifel und die Stärke den Glauben erzeuge, so verflieg er sich in seiner Ueberspannung bald so weit, daß er Gott aus seinem Leben ganz ausstrich, ihn ableugnetc und »LthigenfallS selbst zu Felde gegen ihn zog. Dies ist also seine Rolle: stolze Sorglosigkeit und gänzlicher Un glaube. Seine feurige Einbildungskraft bedurfte eines tbätigen Lebens und besonderer RahrüugSmitlcl, um sich nicht in sich selbst zu verzeh ren: unser Jahrhundert reicht ihm seinen Spiritualismus dar, den er zu materialisiren und mit Poesie und Ironie zu erfüllen hat. Die Malene verdrängt den Geist, die fleischliche Sinnenluft den AscetismuS! Erinnern wir uns aller jener anscrwähltcn Gemüther, jener junge» Knospe» auf dem ersten Baume des ChristenlhnmS; aus welche Weise haben sie sich über die Schwächen des menschlichen Le bens emporgeschwnngen? Indem sie ihre Leidenschaften der Pflicht opferten, indem sie Leib und Seele durch das himmlische Feuer geläu tert! Aber wie viele Proben waren dabei zu bestehen, wie viel physi-