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358 üppig wie die Poesie selbst, hat in diesem Jahre (I8Z4) erst ein Prä ludium, ei» Capriccio gespielt. Wir erwarten jetzt die Ouvertüre, etwas Großes, Gehaltvolles, doch noch haben wir nichts gehört, und wieder holen bloß, wie der schon beim Stimmen der Instrumente seiner Ka pelle entzückte Sultan Mustapha: „Wie schön! wie herrlich!" Auf Puschkin kann man mehr als auf jeden anderen das anwenden, was wir von dem Schicksale unserer Poeten gesagt haben. Von ihm wird man sagen: „Er war in der Welt und die Well Hal ihn nicht erkannl!" Im vorigen Jahre sind zwei Russische Original-Trauerspiele erschie nen: Torquato Taffo von Nestor Wassiljew Usch Kukolnik, Von dem Verfasser selbst eine dramatische Phantasie genannt — und Rußland und Bathory, ein historisches Drama vom Baron Georg Fcdorowilsch Rosen. Beide Produkte, besonders das erstere, müssen die Aufmerksam keit aller Freunde der Literatur auf sich ziehen. Tasso, der Mann zweier Wellen, groß, erhaben, unsterblich für die geistige Well, schwach, unbedeutend, wahnwitzig in den Augen der ma teriellen irdischen Menschen, ist ein wahrhaft poetischer, für das Drama geschaffener Charakter. Unser junger Dichter hat den Charakter und das Schicksal des Sängers des befreiten Jerusalem glücklich aufgefaßl und benutzt, und uns namentlich nicht nur den geschichtlichen Taffo, sondern überhaupt den Poelcn, den fremden Gast in unserer Well dargcstellt, indem er denselben mit Personen und Umständen in Verbindung bringt, wie cs das Schicksal dem Anscheine nach absichtlich mit seinem Lieb linge und Märtyrer getban. Die ganze Tragödie ist von vollendeter Schönheit; die gelungenste«! Sccncn derselben aber sind: Die Unterre dung Taffo'S mit seinem Genius im Gefängnisse und später sein Tod. Noä) ist dies Trauerspiel nicht i» Scene gesetzt worden, doch hat der Autor, meiner Ansicht nach, nichts dabei verloren. Das Ideale, die poetische Erhabenheit des Gegenstandes dieses Drama s, tritt nicht mit der fühlbaren Wirklichkeit, welche das Theater-Publikum verlangt, als Nebenbuhler in die Schranken. Ich bin überzeugt, daß unsere Zu schauer bei der ersten Scene, wo Taffo in dem Hause seiner Schwester für verrückt gehalten wird, sich vor Lachen ausschütten würden, wie wenn in deni „Aerger aus Verstand"") der verrückte Lscbaxski aus dem Balle mit Lobeserhebungen überschüttet wird; und so bin ich auch überzeugt, daß sie die Scene mit dem Wahnsinnigen nicht verste hen würde», in welcher doch ein so tiefer Sinn liegt. DaS historische Drama des Baron Rosen zeichnet sich durch Ver dienste anderer Art aus, indem es ein poetisches Gemälde das Russischen Ledens im Ui len Jahrhundert darstclll. Er hat bewunderungswürdige Charaktere jener Zeil gewählt, als: Johann, Biclsky Goduuoff, Ba thory Samci.-kv, Kurbsky n. A, schildert dieselben vortrefflich und er dichtete sehr glücklich noch einige Personen (wie z. B. den Zaarcwitsch Johann, den die prosaische Geschichte gar nicht kennt), und läßt diesel ben, ihrer Stellung gemäß handelnd, an die Sonne trete». Die meiste Beachtung in diesem Drama verdient die Sprache der handelnden Personen. Der Verfasser bindet sich nicht an die beengenden bedingen den Gesetze des Anstandes und der Zartheit im Ausdrucke, sondern wählt Worte, welche, seiner Ansicht nach, deutlicher, kürzer und kräfti ger Gedanken und Gefühle aussprcchcn, regelt dieselben nach der Russi schen Volts-Syntax, und bewirkt dadurch einen bewundernswürdigen Effekt. Man kann sagen, er wälzt die Sprache um — bisweilen zwar nicht ganz glücklich, aber wie wäre dies zu vermeiden, wenn er sic von den Fesseln befreien will, welche der früheren dramatischen Sprache durch die Regeln Boilcau'S, durch das Beispiel Sumarokoffs und die Gebräuche der Seminare und Kanzcleien angelegt worden sind. Ebre und Ruhm dem jungen Helden, der sich auf die Pbalanr der falschen Klassiker wie Arnold Winkelried auf die eherne Mauer der Feinde stürzte! Fliegt ihm nackt, junge Poeten und vollendet den Sieg der Wahrheit und der Natur über die Lehren der Lüge und den Un sinn. Ucbrigens muß man anderer SeitS auch zugeben, daß taS Drama deS'B. Rosen als Drama eine strenge Kritik nicht aushallcn würde, wenn nicht in demselben mehrere für Uns durch ihre geschichtliche Be deutung wichtige Personen in die Scene gestellt, und die Handlung so wie das Anziehenbe im Stücke für Moskau und Pskow besonders von dop peltem Interesse wären. DaS dritte poetische Erzeugniß dieses Jahres ist das rührende Ver- mächtniß eines zu früh vom Glanze der Well geschiedenen Talentes. Die Kaiserlich Russische Akademie hat nämlich den poetischen Nachlaß des leider am >9 November IW im I8lc» Jahre schon gestorbrnc» Fräuleins Elisabeth Kullmann drucke» lassen. Das Leben und Leiden dieser junge» Dichterin giebt uns ein bewundernswürdiges Bild von dem Kampfe ihrer göttlichen Seelenkräste Mit den sic vernichten den irdischen Qualen. Fräulein Kullmann war fast aller neueren Europäischen, so wie der Lateinischen und Griechischen Sprachen «näch tig, und ihre liebste Beschäftigung waren Uebersctzungen der allen Klassi ker oder Nachahmungen dieser großen Vorbilder. Ihr Leben in einem Aller beschließend, wo Andere kann« zu studircn anfangcn, zeigle sic der erstamucn Wclt, was sie hätte leisten können, wenn es dem Schicksal gefallcn hätte, ihr Dascyn auf dieser Erde noch um cinige Jahre zur völligen Ausbildung dieses seltenen poelischen Talentes zu verlängern. Das heilige Andenken einer solchen Seele gebietet der Feder jedes Kri tikers Ruhe und Schweigen Im vorigen Jähre sind ferner noch die Porsicen des jungen Dich ters Jasükoff erschienen, in denen eine heftige-Glulb der Seele, viel poetisches Element und eine schöne Sprache, aber, meiner Ansicht nach, eine zu große Einförmigkeit der Erfindung nicht zu verkennen sind. Iwan Iwanowitsch KoSlvff, dessen Lcbcn als ein großes Beispiel erscheint, welchen Trost die Beschäftigung mit der Poesie dem Menschen selbst bei den schwersten Verlusten und Leiden gewährt, hat ebenfalls seine bis dahin in verschiedenen Journale«« und Almanachen zersirruten Gedichte in einem besonderen Baude drucken lasse». Die ') Schauspiel von Gribmedeff, dM. Töne der Lieder dieses Dichters sind nicht künstliche» Rouladen oder brillante«, Variationen eines Virtuose«, auf einem kostbaren Instrumente, wohl abcr den Klagetönen zu vergleiche», weiche der Harmonika oder der Aeolsbarfe entlockt werden! Wir kommc» jetzt zu den neueren Werken in Prosa, unter denen, dem inneren Wcrthc nach, den Russischen Geschichten und Er zählungen von Marli neky die erste Stelle gebührt; auch gehört der Versaffcr derselben entschieden zu unseren vorzüglichsten Prosaikern. Erfindung, Anlage, Erzählung, eben so schlagende als neue Gedanken, vortreffliche Charaktere, großartige Schilderungen der Natur, rührcnde und komiscne Sccncn des geselligen Lebens, praktischer Verstand, glü hendes Gefühl, scharfe Satire und sanfte Verzagtheit des Gcmüths — überdies dir strengste Genauigkeit bei Beschreibung von Lokalitäten und Details verseh,ebener Gegenden, Gcscllschastcn und Beschäftigungen — dies Alles hicr vereint, giebt den Geschichten und Erzählungcn Mar- linetv's einen Hobe» Wcr«h. Man wirst zwar dein Versaffcr überflüssi gen Witz, Unnatur und Gezwungenheit i«, einige» seiner Vergleiche und Beschreibungen vor, und vicllcicht nicht ganz mit Unrecht da, wo er das Leben in de» gewöhnlichen Visilcn-Zimmern der großen Wclt bc- schrcibt; doch kann man ihm wohl diescn Vorwurf in Bezug ans Ama- lat Bek, — auf dcn rothe«, Schleier, — auf die Bilder des See- und Kriegs-Lebens, — auf dcn Brief an Doktor Erman machen? — Un längst las ich im .kournal lies Höbst» die Rezension cifier in Paris gedruckten Ucdcrsetzung der Russischen Erzähler (Io» lindes), wo man unscrcn Schrislstcllern Mangel an Originalität verwirft. Was würden aber Eure Aristarchcn wohl gesagt haben, wen» sie Marliiisky'S Geschichte,, und Erzählungen hätten lesen können? Es versteht sich übrigens doch auch, daß die Uebcrsetzung dcn, Originale wcuigsienS einigermaßen an Werth aicichkommcn muß. In jenen G.nitt-ur» ir»»«»» sind z. B. die Worte: IsirilllLa, j-saöulruiruV, n >/ca» izVoir,") übersetzt: fflu-binhs. lil» cks cbion! sziziurterss-tu ä<» lunüöre»! mit der gelehrten Randglosse versehen, daß ..lil» «io «chiou" ans Russisch «oulcinv »in« heißc, und die Bemerkung buizugefügr: (M-st une sz>- z>oll»tiun fort coninninv, usitöe «lsn» le» ,sziz>orl» -In «nsltio ob sie» ckomeRigue» en tinssie. Ans solche Weist übersetzt man uns! und nach solche,, Uebcrsctzungcn wird die Russische Literatur, die Russisch« Bildung bcurtheilt! — Ein anderer Schriftsteller, welcher in diesem Jahre das lesende Russische Publikum auf eine angenehme Weise allarmirt, ist der Baron BrambtuS. Sie fragen natürlich: „Von wo haben Sie diesen Baron entnommen?" — Aus kein Russischen Mährchcn vom Venctianer Frän zel, welches mit folgenden Worten beginnt: „Es war einmal ein König reich, in welchem ein Spanischer König lebte, der Baron BrambcuS hieß :c." — Ist das genügend? Die ccstei. Versuche des Baron Bram- bcus wurden in der Nowosscljc abgedrnckl, und vor kurzem erschiene«, seine „Phantastischen Reisen", das geniale Produkt eines nicht gewöhn lichen Vcrstandcs und einer originellen Phantasie. Gedankcn, Bilder, Anlage — kurz Alles in diesen Erzählungen überrascht den Leser als etwas Neues und Ungewöhnliches. Schade, daß einzelne Stellen Aus drücke sprudeln, welche von unseicm kcuschcn, zimperlichen Geschmack« nicht gut geheißen werden. On o«t u-ö» «:bs»l» ici s»x G-oMo» — sagte St. Maure, als man ihn auf die Unanständigkeit einiger in sci- ncn 8uiröo» gelesenen Verse aufmerksam machte. — Was soll man lbu»? Ausdrücke, welche in Frankreich scdeS wohlerzogene Mädchen, ohne zu erröthen, anbörcn wird, würden bei uns die erfahrenste Wickcl- fran in Verlegenheit setzen. In der Roman-Literatur ist von G. Lashetschuikaff'S letz tem Lehrling der 4lc Theil erschienen und die zweite verbesserte Aus gabe gedruckt worden — ein sowohl durch den Inhalt, als durch die darin handelnden Personen anziehendes Buch, nur zu sehr Walter Scott nachgeahmt — den Stil ausgeuommen. Das unsterbliche Gerippe, von G. Wcllmann, ist cin glück licher Versuch, alte Russische Mährckc», Sagen, Traditionen, Gerüchte, Volksglauben und anderc Uebcrbleibscl aus dcr guten alten Zeit zu he- uutzen. Der Roman enthält eine vortreffliche Episode, aber in, Ganzen bat derselbe wider inneren, noch äußeren Zusammenhang, auch kam, der Held des Romans, — früher cin Narr, — dies Interesse nicht eben sehr anregcn. In diesen Tagen hat auch Mazeppa, cin Roman von Tb. W. Bulgarin, die Presse verlassen, in welchem sehr ausführlich und leben dig die Klein-Russischen Abenteuer und ihre Händel mit dcn Lcchcn und Moskallcn geschildert werden. Kamtschadalka, cin Roman von G. Kalaschnikosf, ist wohl dcr Bcachtuikg werlh, wrgen der genauen Schilderung der Sitten und Gebräuche, so wie einiger Begebenheiten in Kamtschatka. Ferner wird in diesem Jahre noch dcr Roman „die Familie Cholmsky" neu ausgclcgt. Wollen Sie aber den Inhalt desselben kennen lernen, so kaufen Sie in Paris den aus den. Englische» über setzten Roman „f-e z>»nc oe la enntro". fügen Sie demselben „och cinige National-Sccncn hinzu, in dcncn Karlen, Tricks, Rum :c. eine Hauptrolle spielen, und Sic baben das. was wir als Russisches Produkt lesen. Uebrigcns muß man zugeben, daß der Stil dieser Nachahmung lcicbt, rein, angenehm ist und die ausländischen Begebenheiten und Per sonen sehr geschickt nach Russischem Schnitt umgeärbcitet worden sind. Unter der Zahl dcr Geschichtcn, welche dutzcukweisc herauskommcn, muß man die Geschichten des Kosaken LuganSk»: der Ueberfall und die Zigeunerin, als vorzüglich nennen. Beide sind vortrefflich geschrieben, doch zeichnet sich iu letzterer dcr besondere Charakter dcr dnaillirmi Bcschrcibung der Dtvldau ans. Cassandra «st des Dich ters vortrefflichstes Produkt. Die Ucbersicht der merkwürdigsten Erscheinungen unserer Nalional- ') Kl-cnr», <-»,«>»>»1«-, povai »nruiclie,! zu Deutsch: Mtschka, Schlingel (oder Schelm), dringe Licht!