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272 lich behaglich blickenden Mann, dem die Schauspieler und Schau spielerinnen freundlich zulächeln, mit dem sich der Direktor vertraulich unterhalt, und der, nachlässig aus den Bänken des Parterre aus,gestreckt, dem Drama aufmerksam zubörl. Er legt große Wichtigkeit darauf und erthcilt zweien oder dreien Perfonen, die ihn umgeben, und die man bei der gänzlichen Dunkelheit des Saales nicht unterfcheidcn kann, seine Instructionen. Schon seit dem Beginn der Proben des Stuckes hat der Verfasser ihn um sich herum schleichen und sich gegen ihn zwar wie eine untergeordnete Person benehmen sehen, aber doch wie eine solche, die sehr "wohl weiß, daß man, wenn man sie nur erst kennt, ans sie, als eine nützliche und selbst unentbehrliche Person, Rücksicht nehmen wird. Betrachten Sie ihn noch einmal, junger Mann, und übersehen Sie ihn nicht, denn er ist ein Richelieu, ohne den Ihr Königlhum. armer Ludwig Xlll., sehr in Gefahr kommen könnte! Behandeln Sic ibn also nicht verächtlich, begrüßen Sie den Mann und reichen Sic ihm sogar die Hand. Dumas nennt ihn „mein Freund", Victor Hugo begegnet ihm mit Auszeichnung, und Herr von Epagnp nimmt den Hut vor ihm ab. Dieser Mann ist Herr Porcher, der ein Geschäft daraus macht, für den Erfolg der Theaterstücke zu sorgen. Einige Stunden nun vor dem Beginn der Vorstellung, wenn Sie durch die dunklen Windungen der Schauspieler-Treppe, mit pochendem Herzen und den Blick von innerer Bewegung getrübt, in das Theater gelangen, werden sie zwischen der schmerzlichsten Demülhigung und dem lockendsten Ruhm zu wählen haben. Sic werden sehen, wie Herr Porcher ohne alles Geräusch und mit bescheidener Miene von der Straße auf daS Theater, vom Theater in den Saal eine» langen ge- hcimnißvollen Zug von zweideutig blickenden, hochstämmigen, breil- schultrigen und mit tüchtigen Fäusten begabten Individuen hereinläßl, die ganz vortcfflich dazu geeignet scheinen, als eine Macht für sich allein gegen einen ganzen Hausen anznkämpfen. Fragen Sie Herrn Porcher nicht, wozu diese Leute, denn er würde Ihnen nur mit einem süßen verschmitzten Lächeln antworten. Wollen Sic es wissen, so schauen Sie durch den Vorhang in den leeren, öden und malt erleuchketen Saal. Herr Porcher stellt seine Leute im Par terre ans; diese hier im Centrum, jene dort in den Ecken, die anderen nach dem Amphitheater hin. Er geht zu jedem und wiederholt ihnen seine Befehle; dann, wie ein General im Augenblick, wo die Schlacht geliefert werden soll, wie David's Leonidas auf dem Gemälde des Tbermopvlcn-Kampfes. kehrt er ans seinen Platz im Ccnlrum zurück, reibt sich das Bein und setzt sich in Bereitschaft, das Signal zum Angriff zu geben. Der Saal erhellt sich, die Thüren gehen auf das Publikum stürzt wie eine tobende lleberschwcmmung durch allc Eingänge des Saales herein, die Loqcnthurcn werden schmetternd aus- und zugeworfcn, die dreifachen Reihen werden mit Zuschauern besetzt und bilden zuletzt mit dem Parterre zusammen ein Meer von Kopsen, unter denen, wie eine Arche des Heils, Herrn Porcher's ruhige und gewaltige Stirn hervorragt. Die Musik des Orchesters ertönt; Herr Porcher hat sich mit schar fem Blick nach allen Seiten umgeschaut; Jeder ist auf feinem Posten, Auge und Ohr gespannt und die Hände frei. Nun sind gute Aussichten da, und wenn der Autor dem Herrn Porcher noch ein wenig zu Hülfe kommt, so muß Alles trefflich ablaufen. Der Vorhang geht in die Höhe, und auf die allgemeine Aufregung folgt bald tiefe Ruhe inkd feierliches Schweigen. Haben Sie jemals ein Duell zwischen zwei Gegnern gesehen, welche beide in die ^Geheimnisse der Fechttunst cingcwcihr sind? Sir drängen sich nicht, sie stürzen sich nicht auf einander, sondern mit unverwandtem Auge schauen sie zugleich auf den Gegner und aus die Spitze seines Degens lind lauern, bis eine unbedachte Bewegung desselben irgend einen Theil an seinem Körper bloßgiebt und einen siegreichen Stoß anbringen läßt. So auch Herr Porcher; er applaudirl nicht ungestüm und gleich beim ersten Ansange; und wenn das Publikum nicht die Initiative er greift, pflegen sogar seine Leute sich selten vor dem Schluß des ersten Akts laut zu machen, aber auch dann nur mit Mäßigung, denn unzei- tigcr Beifall verstimmt die freie Masse des Parterres und erregt Un willen; nun scheut zwar Herr Porcher den Streit nicht, vermeidet ibn aber so viel als möglich, weil er nur demjenigen schaden kann, dessen Geschick der Mächtige in seinen Händen hat. Wenn sich im zweiten Akt einige Aussicht aus Erfolg zeigt, so wagt Herr Porcher ein paar Streiche; lassen sich aber Nnzusricdene unter den Zuschauern vernehmen, so beschränkt er sich anfangs, wenn sie nicht etwa pfeifen, darauf, die Ucbelwollcnden durch ein St! zum Schweigen zu bringen; zischen und pfeifen sie aber, so werdcu stärkere Untcrdrücknngs- miltcl angewandt, als: „Still! still doch! schweigen Sie und zischen Sie, wenn der Vorhang gefallen scbn wird!" Wenn auch dies nichts hilft, so wird: „Hinaus, hinaus!" geschrieen. Doch kommt cS nicht oft zu diesen äußersten Maßregeln, die immer ein Anzeichen sind, daß das Stück durchfallen wird, und die alle goldene Träume des Autors auss grausamste zerstören muffen. Laust die Vorstellung ohne dergleichen traurige Ereignisse ab, so wacht Herr Porcher über den zweiten Akt, nimmt de» drillen in seinen Schutz, stürmt im vierten und trägt im snnften den Sieg davon. Will es aber mit dem Stück nicht vorwärts, so kämpft sich Herr Porcher doch ruhig und geduldig durch Zischen und Lachen hindurch, erstickt das gellende Toben des entbrechenden Sturms durch donnernden Applaus, richtet sich auf seiner Bank halb in die Höbe und verlangt den Rainen des Verfassers, ohne sich irre machen zu lassen, ohne einen Zoll breit von seinem Terrain aufzugeben und ohne sich im geringsten an die Protcstalioncn des Publikums und an sein energisch wiederholtes: „Nein, nein!" zu kehren. Nach dem Stück, wenn der Erfolg desselben nur zweifelhaft war. tröstet Herr Horcher den Autor und nimmt ibn zum Zeugen, daß seine Leute ihre Schuldigkeit ganz gehörig gctban babcn. Im Fall eines vollständigen Sieges nähert er sich ihm bescheiden, lächelnd und knit leuchtendem Gesicht und sagt, nicht etwa: „Sind Sie zufrieden?" denn ein Zweifel ist gar nicht möglich, sondern: „Sie müssen zusrieden scvn; wir haben einen glänzenden Sieg für Sie erfochten, nicht wahr?" Dann klopft ihm Herr Harel auf die Achsel und nennt ihn seinen tapfe ren Porcher, und der Autor muß ihm ost vcrbindlichst die Hand drucken. Die Rolle, welche Herr Porcher spielt, beschränkt sich nicht hieraus allein. Herr Porcher kaust den Autoren ihre Billets ab, und seine Leute sind cs, von denen man sic an der Theaterthür wohlfeiler als nie Bureau erhalten kann, wenn das Sluck nicht besonderes Glück macht, die sie aber noch lhcurer, als im Bureau, verkaufen, wenn der Zudrang so groß ist, daß man nur mit Mühe ein Billet bekommen kann. Das sind Lie sogenannten Autor-BilletS. Anfangs waren dies die Billets, welche der Direktor dem Verfasser für dessen Freunde gab. Scribe kam zuerst auf den Einfall, sich täg lich für eine bestimmte Summe solche Billets aussctzcn zu lassen, die er dann ganz offen verkaufte, was die anderen Theater-Dichter nur im Geheimen gewagt hatten. Bald folgte man allgemein seinem Beispiel, und jetzt machen die BillctS eine Klausel in den Kontrakten zwischen den Direktoren »nd Theater-Dichtern aus. Folgendes ist ter Tarik des Theaters der Porte St. Martin. In den drei ersten Vorstellungen: AM Fr. für ein Stuck von S oder 4 Akte». ILO Fr. für ein Stück von 3 Akt^i. IW Fr. für ein Stück von 2 Akten. Ü0 Fr. für ein Stück von einem Akt, In den übrigen Vorstellungen: 48 Fr. für ein Stück von'5 oder 4 Akten. 36 Fr. sür ein Stück von 3 Akten. 24 Fr. für ein Stück von 2 Akten. k8 Fr. sür ein Stück von einem Akt. Diese Billets nimmt Herr Porcher jeden Morgen gegen Vorzeigung eines Stempels von Seiten dc» Autors im Bureau in Empfang und bezahlt Letzterem den halben Preis dafür, 24 Fr. sür 48 und so weiter. In Betracht der größeren Kosten, die er bei den ersten drei Vorstellun gen Hal, erbäll er die Billets zu diesen unentgeltlich; dann ist er cs, der vermöge de» geringeren Preises der BillctS das Stück aufrecht hält. Herr Porcher ist ein ganz verständiger und gebildeter Mann, der in feinem Wese» gar nichts von einem Claqueur bat, wenn cs erlaubt ist, dieses Worl zu gebrauchen. Er ist sehr gefällig und bat den jun ge» Autoren, die fonst die erste Vorstellung ihrer Werke in ängstlicher Sorge hätten abwarlen muffen, ost Vorschüsse geleistet. CS tonnte hier einer der berühmtesten dramatischen Schriftsteller Frankreichs ge nannt wcrdcn, der von Herrn Porcher wie von einem Freunde spricht, und zwar wie von einem vertrauten Freunde, nicht nur im Thealerstnn, sondern in den Beziehungen LcS Privatlebens. Um die Geschichte einer ersten Ausführung z» vollenden, ist noch binzuzusugen, daß Ler Autor am nächsten Morgen eine Unzahl von Blumensträußen erhält, Lie ihm von Len Maschinisten, Len Thcater- Iungen und von Herrn Porcher's Leuten überbracht werden. Es ist üblich, Liefe Bouquets derjenigen Schauspielerin zuzuschicken, welche die Hauptrolle gespielt Hal. Auch Len anderen Schauspielerinnen werden Blumen übersendet, und jeder Schauspieler cmpsängl ein Danksagungs- Schreiben. Die darin gebräuchliche» Formel» lassen sich aus die cinzigc Phrase zurücksühren: „Ihnen allein ist der ganze Erfolg des Stücks zu verdanken." Nun werden es wenigstens die jungen Leute wissen, die, dem wirk lichen Leben entrückt, von Tbeatcrmbm iräumen: „Aus dem Theater der Porte Sl. Marlin kann kein Sluck Gluck machen, wenn Herr Porcher cs nichl bebt; Herrn Porcher's Hand ist co, die den Sieger krönt." Das Thcalrc sranyais hat ebenfalls seinen Porcher, so gut wie das Theater der Porte Sl. Marlin und wie allc andere Pariser Theater, von Ler großen Oper bis zu den Seiltänzern hinab. Bci Lem Tbcatre sranyais beißt der Mann Bacher. Niemand kann einen solchen Hebel missen, Niemand, selbst Dumas, selbst Victor Hugo, selbst Meliere und Corneille nicht; denn cs gicbl auch an den Tagen, wo Stücke von Meliere und Corncikle gespielt wcrdcn, Claqueurs im Tbeatrc sranxais. Das ist es also, zu Paris in der Räbe besehen, was man aus der Ferne in der Provinz beneidet und den Ruhm der dramatischen Schrift steller nennt. Henry Berthond. sßim ouoo ste I'ruiice > Bibliographie. fssönruioon «I,- bleurv. sie in Gunivstie l'ranynis«: 175" — I82t>. — 3 Bdc. 22; Fr.' liums »II siecle st'4uzusle. vu VnvaAe st'un zauloi^ » ltunie, ü I'vziuczue stu regn« st'-Vu^imte el uenstant "ne jmrlie stu rvAtte sto st illere. — Von L. CH. Dezebrv. 4 Bdc. 26 Fr. iHozrnzillie universelle ste mnsiciens et lullliu^ritziisto Aenerule ste lu lnusiczne. — Bon I. FeliS. Erster Theil. 7P Fr. Gsinziapnes ste portuznl, en 1833 et 1834. lielaliun stes zirln- riziuuv eveneineiis et stes o^erKionz militaires ste rette ßuerrv. l>ar u,i »ilirier irsnyais »ltaelle nu servier ste ltn» üliguel. — ll Fr. 8uite »u Istemuire nur l» e»t»r»ete, et ß»eri->un ste eette ni»- lnstie. «an« auerntioii ellirurFienle, zmr I» metllosto ste l,»klier ste l-i.ru.llv. Th. ll. 6 Fr. HerauSgezeben von der Redaclion Ler Allz. Preuß, SlaatS-Zeilung. Gedruckt bei A. W. Hayn.