Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration« Pr-i« 22; Sgr. (- Thir.f vierteliährlich, Z THIr. für Las ganze Jahr, ohne Er. -ihnng, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man prZnumerirt auf diese» Beiblatt der Allg. Pr. Ttaaw Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Ro. Z4l; in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Montag den 8. Juni 1835 Nord - Amerika. Die Poesie der Nord-Amerikaner. Mach der «aiu>-urgd-»o»i->») Eine nationale Literatur, und bcsondcrs eine poetische, erfordert zu ihrem Gcdcihcn ganze Jahrhundcrtc: sic ist das jiiugste Kind der müßi- gen Standen einer Nation — das Ergebnis, einer langen und bunte» Reihe alter Erinnerungen. Zur Amerika ist diese Periode noch nicht gekommen; auch durste sie wohl dort mit ihrem Erscheine» viel langer jagten, als in manchem anderen Lande In allem echt Praktischen und unmittelbar Gemeinnützigen — in wissenschaftlichen Enldecknngen, in Verbesserung der Gesetzgebung, iu statistische» Studien — wird Bruder Jonathan mit Kraft lind Glück vorwärts schreiten; ob aber auch in weniger materiellen Dingen — in Philosophie, klassischer Literatur, Porste — dies nnlerlirgt »och manchem Zweifel. Freilich mus; das Nothwcndige dem Angenehme» Vorgehen; aber der durchgreifend mer- kantilischc Sinn des Amerikaners und seine stete Beschäftigung mit Po litik sind mit der beschaulichen Muße nicht vereinbar, die ein höhere« literarisches Streben erheischt. Gewiß wird auch Amerika mit der Zeit große literarische Geister zu Tage fördern; allein die« kann nicht plötzlich geschehe»; den» nur. stufenweise Entwickelung tragt die Bürgschaft ihrer Dauer in sich, erst nach Jahrhunderten werke» die Nischen im Tempel ter Amerikanische» Fama ausgcsüllt sepn, obgleich mehrere derselben «schon jetzt würdige Insassen haben. Es ist wirklich beklagenswcrth, daß die parteilosesten Britischen Beurtbeilcr der literarischen Leistungen Amerika s bei ihren Brüder» jenseits des Meeres in den Verdacht niedriger Eifersucht gekommen sind. Hat Amerika noch jemals ein originelles Gcistcswerk an's Licht gebracht, das in dem Muttcrlandc keine enthusiastischen Bewunderer gefunden hätte? Wo ist Washington Irving s lieblicher Humor tiefer em pfunden oder warmer anerkannt worden als in England? Man wird uns entgegnen, der Verfasser des „Skizzenbuches" habe seine Populari tät der Vorliebe zu verdanke», die er sür England zeigt; lind allerdings habe» wir Briten seine schmeichelnden Bilder unseres geselligen Lebens mit angenehmer Ueberraschung betrachtet; aber gesetzt auch', Irving'« Muse hatte nie ciiicn freundliche» Blick auf Alt-England geworfen, sein Ruhm würde dadurch in unseren Augen um nichts geschmälert; immer wüßte» wir die unübertreffliche Anniulh seines Rip van Winkle, und seiner Sage vom cinzcschlafcncn Alten zu schätzen. Wir zweifeln sehr daran, ob die gewaltigen Schöpfungen Brown'« in Amerika so recht nach Verdienst geschätzt wurden, ehe das Britische Publikum ihren ganzen gcbcimnißvoUcn Zauber empfunden und in den: Verfasser des „Edgar Huntlcp," „Arthur Mervyn," und „Wieland" einen Genius erkannt hatlr, verwandt mit dem, welcher die Leiden Sl Leon s und die S"lenkämpfc Falkland s geschildert. Wo Hal man das wahrhaft Originelle und Treffliche in Coopers Novelle» freudiger be wundert, als in England? Ihm ist die Herrschaft über die Meere ein- müthig zugcsianden worden; auch in der schauerlichen Wüste, unter de» wilde» Indianern und halbwilden Pflanzern, erkennen wir ihn als Herr» und Gebieter. Aber Alles dies konnte n»S an der iuileugbarcn That- sache keinen Zweifel lassen, daß derselbe Mann, der in seinem Kreise ein mächtiger Zauberer war. zu einem ganz gewöhnliche» Menschen herabsank, sobald er darüber hinausschrill, und seinen Fuß in das civi- listrlc Leben setzte. Oder solle» wir das Kindische mancher Begebenheiten an der Küste, da« Langweilige in dieser Scene und den inclodramati- schcn Bombast in jener darum genießbar finden, weil der Verfasser unsere Phantasie mächtig ergriff, al« er sein Fahrzeug unter dem Heule» deS Sturmes und dem Brüllen der Wogen durch Felsenriffe und über Sandbänke steuerte; Man lese nur seine späteren Romane, in denen er das Interesse auf Erinnerungen aus der Vergangenheit bastren und stärkere Leidenschaften malen will — „wie z. B. de» Bravo," die „Hci- denmauer," den „Henker" — und man wird bei aller sonstigen Vorliebe für Cooper zngeben müssen, daß dieser Schriftsteller nur in Einem Ele mente herrscht, während Scott in allen Elementen mit gleicher Anmuth und Sicherheit sich bewegt. Gewiß darf Amerika auf seinen Cooper^ stolz sepn, beharrt es aber dabei, ihn seinem großen Vorbild im Osten an die Seite zu stellen, so wird Europa noch lange dagegen protestnen. Irving, Brown, Cooper, bilden ein würdiges Triumvirat aus bem Parnaffc Amerika s; aber diese Drei sind auch die einzigen Männer vou Genie, die jener Parnaß anfzuwcisen hat; in den Arne's, Adam'« Nmkminstcr'S, Madison s, Jav'S, erkennen wir, so weit uns zu schauen *"gon„i jst, nur treffliche Talente; und irre» wir in diesem Punkte, so tröstet uns die Urberzeugunz, daß ganz Europa nicht anders von ihnen denkt. In der Einleitung zu einer so eben in Dublin erschienene» Blu menlefe aus Amerikanischen Dichtern bemerkt der Herausgeber Fol gende«: „Wir haben im Allgemeinen solche Gedichte gewählt, die ver möge ihrer beschreibende» Kraft am Besten geeignet waren, uns die Neue Well von Außen und Innen kennen zu lehre». Blau wird hier de» Charakter der Amerikaner treuer gezeichnet finde», al« in irgend einer Rciscbcschreidung." Eine offenbare Selbsttäuschung! Wir un seren Theils möchten vielmehr behaupten, daß diese Gedichte einen auf fallend Britischen Charakter habe»; die moralischen Einflüsse einer von der Englischen abweichenden Verfassung, einer von der Englischen ab weichenden Natur und Lebensweise auf Gedanken und Empfindungen der Amerikaner sind bis jetzt so unbedeutend gewesen, daß man in der Thal darüber erstaunen muß. Einige pittoreske Natur-Schilderungen abgerechnet, ist Alles eben so gut Britisch als Amerikanisch. Viele unstker Landsleute — und mib ihnen auch der Herausgeber — scheinen erwartet zu haben, die Poesie eines Landes, wo Städte und Wüsten, Heerstraßen und einsame Wicsengründe, — „mit ihren Heerden, die nie einer Hürde bedürscn" —, wo Civilisatio» und Wildheit einander so dicht beglänzen — müsse etwa« ganz Besondere« und von der de« alten feudalen Europa sehr verschieden scvn. Wie kommt man aber schon jetzt zu solchen Anforderungen, da dem Amerikaner noch jeder histori sche Hintergrund fehlt? Seine Großthalen sind ja von sehr jungem Datum, und das Großartige der ihn umgebenden Natur ist an und für sich unwirksam; die schönste beschreibende Poesie verliert bald ihren Zauber und wird langweilig, wen» sie bei den Eindrücken der äußeren Natur stehen bleibt. Will der Dichter begeistern und binrcißcn, so muß er Helden und Dulder auf sein Gemälde bringen, Erinnerungen an große Sterbliche, die schon im Zwielichte entflohener Jahrhunderte erschienen. In unserem England ruht schon mehr al« hundertjähriger Staub auf den Tressen und Reisröcken aus dem Zeitalter der Königin Anna, und dennoch wär es viel gewagt, wenn einer die Feldzüge Marl borough'^ schon jetzt in einer Epopöe feiern wollte. Noch weniger ist es bis jetzt möglich, die Brigadier« von BeukerS-Hill oder Saratoga mir epischer oder tragischer Würde zu bekleiden, oder irgend eine glückliche Kreuzfahrt de« Commodore Roger poetisch zu verkläre». Will also der Amerikanische Dichter ein Epos oder Drama schreiben, so muß er in der „stolzen alten Weit jenseits des Ocean«" da« Ma terial suchen, das Amerika ihm verweigert. Mit der torischen Poesie, dem Ausdruck individueller Gefühle, ist es nicht ganz so. Dennoch bemerkt man auch hier mit Verwunderung, wie sehr das Studium Englischer Muster gewirkt hat. Der Unterschied zwischen Geist und Charakter unserer Literatur und der unserer nächsten Nachbarn aus dem Kontinente ist lauscndsach größer, al« der, welcher zwischen de» Literaturen Alt- und Neu-England« obwaltet. Obgleich nun diejenigen Leser sich wohl täuschen dürfte», die i» der obenerwähnten Blumcnlese etwas recht auffallend Nationales zu finden hoffen, so wird doch ein für wahre Dichtkunst empfängliches Publikum dieses Buch nicht ohne Befriedigung au« der Hand legen. Zwar möchten wir keinen von den vierzig Poeten, aus deren Werken die Blumcnlese znfammengclragen ist, unbedenklich rinen große» Dich ter nennen, aber Vielen unter ihnen gebührt das Lob eine« zarten tiefen Gefühls und einer fruchtbaren Phantasie, bei Mehreren findet, man selbst erhabene Stellen. So viel crgiebt sich jedoch au« Allem, daß noch kein großer Dichter in Amerika erstanden ist; den» ein sol cher thul sich in seinen kürzesten Produkten eben so wohl kund, als in seinen längsten. Unseren Milton erkenne» wir auch im „Komus" und „Allegro?' wieder, und Shakespeare s leichtestes Lied, wie z. B. „Blase, du Wintersturm".' rübrt uuS gleich einem Zauber. Bevor also an Amerika s Dichterhimmei eine Sonne ausgeht, wol len wir das sanfte Licht kleinerer Sterne willkommen heißen. Aller dings befriedigt ihre große Anzahl mehr als ihr Schein; doch verbrei ten sic zusammcnwirkend rincn merklichen Glanz über den poetische» Horizont Amerika'». Wen» der Unterschied zwischen Dichter und Dichter mehr iv der Ausführung liegt, al« iu der Art, wie ec seiucn Gegenstand erfaßt, so isi es rein unmöglich, die Eigen thümlichkeilcn der einzelnen Dichter zu charaktcrisiren, ohne ihre Gedichte selbst vorzulegcn. Die gedankenreiche Schwermuth eines Brvanl, und die wilde Glut und Energie eines Dana vertrügen allerdings zwar eine unierscheidende Charakteristik, wie sollen wir aber z. B. den Ersteren von Percival und Brainard un- ') üvlsvUowt 5rom lke povts.