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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration« Preis 22z Sgr. (Z Thte.» vierteljährlich, z Thtr. für da- ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese- Beiblatt der Allg. Pr. SlaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße No. 34>; in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 62 Berlin, Montag den 25. Mai 1835. England. Dkv hjtuäeot. fDer Student.) Eine Sammlung vermisch ter Schriften. Bon Edward Lytton Bulwcr. 2 Bände in Duodez. London, 1835. Der schöpferische Genius bat das Große, daß er nicht nur für sich denkt, sondern auch Anderen Stoff in Fülle zum Denken liefert. Seine Werke sind nicht nur eine Frucht, die er einärndtet, sondern auch eine neue Saat, die er ausstreut. Dies gilt unter den dichterischen Erzeug, mffen Englands in fetziger Zeit besonders von den Schriften des geist reichen Verfassers von Eugene Aram. Aber wie hinreißend schon auch die meisten früheren Werke Edward Lvtton Bulwer's sind, so trägt doch keines so sehr das Gepräge des originellen Denkers, als die so eben unter dem Titel „der Student" von ihm herausgegebcne Sammlung vermischter Schriften. Ibr Inhalt verbreitet neues Licht über die man- uigsaltigen darin beleuchteten Gegenstände. Es ist eine Art von Tage buch eines Geistes, der seine Stunden damit znbringt, aus den lebhaf testen Eindrücken die nützlichsten Betrachtungen hcrzuleitcn. Diese Schriften sind zwar meist schon bekannt, indem sie früher in verschie denen Blättern und Journalen zerstreut erschienen; doch gewiß wird Jeder bei neuer Durchlcsung derselben finden, daß er erst jetzt, in die ser geordneten Zusammenstellung derselben, ihre ganze Schönheit und Mannigfaltigkeit zu würdigen im Stande ist. Wie herrlich nnd doch wie verschieden sind die Erzählungen „Motivs nnd Daimonoe" und „das Berhaftsrecht"; die eine wild, romantisch und bewegt; die an dere ans der Wirklichkeit gegriffen, sein gewebt und Klugheit mit Wahrheit verbindend. Wie trefflich find einige der Abhandlungen, be sonders die „über treulose Liebe", „über die Wcltkennlniß in Menschen und Büchern" und „über die Vergänglichkeit der Jugend." Die „Un terhaltungen" fließen wie eine Melodie der bezauberndsten nnd erha bensten Musik dahin, und wenn man auch die darin ausgesprochenen Ansichten nicht immer theilen kann, so sind sie doch stets in reizender Form dargelegi. Folgendes ist ein Auszug aus der Skizze: Der Genfer See mit seinen Erinnerungen, die namentlich Deutschen Lesern noch neu sehn dürste. Es wird uns hier der ländliche Schweizer-Aufenthalt Byron's und Boltaire's geschildert, was uns zu interessanten Verglei chen Anlaß geben kann, da wir in einigen Tage» eine Probe aus Washington Irving s Schilderung der Englischen Landsitze Waller Seott's lind Byron's zu geben gedenken. „Den Morgen nach meiner Ankunft im Gasthofe, dec in einer kleinen Entfernung von Gens am Ufer des Sees liegt, fuhr ich nach dem Hause hinüber, welches einst Byron bewohnte, und das ziemlich gerade gegenüber liegt. Der Tag war ruhig, aber düster; der See fast ohne allen Wellenschlag. Am entgegengesetzten User angckommcn, steigt man eine etwas rauhe und steile Anhöhe zu einem kleinen Dorschen hinan, und sobald man um die Ecke bcrnmbiegl, steht man vor den Pforten eines Hanfes, au dessen linker Seite sich ein Weinberg erbebt, in dem damals die vollen Trauben in ihrer schönsten Reife hingen. Innerhalb des Thores sieben drei oder vier Bäume von jeder Seile aufgereiht, die einen freundlichen Eingang in den kleinen Hosraum bil den, zu dem man über ein paar Stufen hinabsteigt. Vor der inneren Thür befindet sich ein roh gearbeiteter Brunnen; dieser war jetzt ver siegt — das Wasser halte ausgchört, zu rinnen. An beiden Seilen ist ein kleiner Garten vom Hofe abgezwcigt, und neben der Thür sind Sitze von rohem Stein. Durch eine kleine Vorhalle gelangt man in einen Raum, der in drei Gemächer abgetbeilt ist. Das Hauptzimmer ist entzückend, von länglich runder Form, mit geschnitztem Holzwerk ge täfelt; die Fenster gewähre» auf drei Seiten die herrlichsten Blicke über Genf, den See und seine gegenüberliegenden Ufer. Sic öffnen sich auf eine steinerne Terrasse. Wie oft mag er aus dieser Terrasse „mit unverwandtem Auge der untergchcnden Sonne nachgeblickt" ha ben! Hier gerade war er in der schönsten Reife seines Genius, in der interessantesten Epoche seines Lebens. Er halte die Brücke hinter sich, die ihn von seinem Batcrlande trennte, aber die Brücke war noch nicht abgebrochen. Der weichliche Süden hatte ihn »och nicht entnervt. Seine Schwelgerei war noch geistig, seine Sinnlichkeit noch gesund; sein Gemüth hatte seine jugendliche Kraft und Frische noch nicht ver loren; cs war sür ibn noch mehr eine Zeil der Hoffnung als des Wir kens, und die Welt träumte noch mehr von dem, was er werden würde, als von dem, was er gewesen. Seine Werke (die Pariser Ausgabe) lagen auf dem Tisch. Ec selbst war überall! Neben diesem Zimmer ist ein kleineres Kabinci, sehr einfach und gewöhnlich möblirt. An der einen Seile, in einem Winkel, steht ein Bell, — an der anderen führt eine Thür in das Putzzimmcr. Hier, so sagte man mir, pflegte er gc-> wöbnlich zu schreiben. Und was für Werkes „Manfred" und die köstlichsten Stanzen aus dem dritten Gesänge „Childe Harold's" fallen uns sogleich ein. Wir steigen nun die Treppe hinauf und kommen durch einen Gang, an dessen Ende sich ei» Fenster bcfindel, aus dem man eine prächtige Aussicht über den See hat. In dem Gange hän gen einige merkwürdige, aber schlechte Portraits, darunter Franz I., Diana von Poitiers und Julius Scaligcr. Jetzt tritt man ins Schlaf gemach. Es kann nichts Heimlicheres geben, als die Möbel, die man hier sicht. Das Bell sicht in einem Winkel, und in einer andere» Ecke ein alles Bureau aus Nußbaumholz, wo man über einigen Fächer» noch die Aufschrift erblickt: „Briefe von LadyB—". Sein Phantasie- Leben verschwindet vor diesen einfachen Worten, und alle Widerwärtig keiten, alle Tänschungen seines wirklichen häuslichen Lebens treten uns traurig vor die Seele. Wir gedenken der neun gerichtlichen Verfol gungen in Einem Jahre — der Kränkungen, des Gezänks, der Ent- sremdung, des Geklatsches und der Lästerungen der Welt und der „zer trümmerlcn Hausgötter". Mögen die Menschen moralisircn, so viel sie wollen, aber Mißgeschick erzeugt Fehler und föhnt damit aus." „Am folgende» Tage drängte es niich, die Empfindungen in mir zu verscheuchen, in die mich der Anblick von Byron's Billa, die ich aus dem Garten meiner Wohnung sehen konnte, unwillkürlich versetzte, und ich trat eine zwar minder interessante Pilgerung an, aber nach einem weil besuchleren und vielleicht viel unvergänglicheren Hciligthum. Was Byron für eine kurze Zeit war, das war "Voltaire für ein hal bes Jahrhundert: eine Macht sür sich allein, der Polarstern der Civi- lisation, der Diktator der geistigen Republik. Er war Einer von den Wenigen, die durch Gedanken eben so viel auSrichteten, wie Andere durch Handlungen. Wer hat nächst den großen Religion--Resorma- toren einen solchen Einfluß aus die Gemüthcr der Menschen und die Geschicke der Nationen ausgcübt? Zwar nicht nach der gewöhnlichen Ansicht, wonach er und seine Kollegen a» der Revolution Ursach ge wesen seyn sollen; die Ursachen waren da, wenn auch kein Philosoph in der Zeit gelebt hätte; aber er konzentrirte sic und brachte die Frucht lur Reife. Ob zu Wöhl oder Wehe, muß die Zeit noch lehren; nur so viel können wir sagen, daß das Uebel nicht aus Philosophie, sondern aus Leidenschaft entsprang. Ein Arzt, der das Borhandenseyn einer Krankheit erkennt nnd beweist, ist darum nicht zu tadeln, wenn nach seinem Tode ein Anderer verkehrte Mittel dagegen anwendel Ein Un glück jedoch ist es für die menschlichen Dinge, daß Weise zwar die Fäulniß eines alten Systems ans Licht bringen, Quacksalber aber das neue aufbauen." „Der Empfangs-Saal ist ei» kleines Gemach, die Möbel sind noch dieselben — eben die gestickte» eichenen Stühle — eben die rothgc. blümtcn Sammel-Tapeten. Die gänzliche Gleichgültigkeit des große» Schriftstellers gegen das Schöne zeigt sich in.den elenden Sudeleien an den Wänden, die einem Englischen Dichter Nervenschauer verursacht Kälten, wenn sein Blick bei jeder Wendung aus sie gefallen wäre — und ei» ungeheurer Ofen, dcr im Zimmer steht, ein barbarisches Mach werk, reich vergoldet und mit prächtigem Plunder verziert, ist von sei ner eigene» Erfindung. Dieses Möbel trägt Voltaire s Büste. In demselben Gemach befindet sich auch das berühmte Gemälde, zu welchem er, wie die Sage geht, den Entwurf gemacht haben soll. Voltaire ist hier dargestellt, wie er dem Apoll seine Hcnriadc überreicht, während seine Feinde in den Höllen-Abgrund versinken nnd dcr Neid zu seinen Füßen erstickt. Ein merkwürdiger Beweis von der Bescheidenheit des Verdienstes und von seiner Duldung! So giebt cs also eine Hölle für die, welche nicht an Voltaire glauben! Man muß aber eine solche Zeichnung nicht im buchstäblichen Sinne nehmen. Voltaire war ein eingebildeter Mensch, aber auch ein vollendeter Weltmann.- Gewiß hat er selbst über das ganze Ding eben so gelacht, wie irgend ein Anderer. Gewiß sagte der alte Herr, wenn er es seinen Gästen zeigte, mit dem Finger auf die Dose schnellend und mit einer imbeschreiblick spöttischen Miene einen so artigen Witz über den Gegenstand, als ihn dcr größte Witzling nur erfinden konnte. Wie muß sein ganzes Ge sicht gelacht haben, wenn er dem Beschauer eine» Feind nach dem an deren zeigte. Wie ausgelassen mag er über ihren Verdammungs-Zustand gescherzt haben! In der That, cs war eine jener knabenhaft mutk- willigcn Karrikaturcn, die zu übertrieben sind, um boshaft zu erscheinen, von dec Art, die bis zuin letzten Augenblick Boltaire's großer ani malischer Lebendigkeit eigen war. Es war ein herzlicher Spaß, den er sich mit sich selbst machte, nm seine Feinde hinterher schleppen zu kön nen. Voltaire kannte die Macht des Lächerlichen zu gut, als daß er,