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227 schlag", sprach er, „ist dieser: die Frau Prästdeutiu zu verurcheilen, ihre» Theil zu den Geschirren zu bezahlen, weil sie dieselben bestell! hat, dagegen aber die Frau Landrälhin, weil sie die Frau Präsidentin bei der Wahl besagter Geschirre nicht zu Rache gezogen, zu verurcheilen, einen Tausch in Betreff des Kleides mit derselben einzugehen, ihr das rosa Kleid zu geben und das blaue dafür zurückzunehme». So würde der Frau Präsidentin jeder Borwand einer ferneren Weigernng, die Ge schirre zu bezahlen, benommen werden und beide Damen hoffentlich sich jufriedengestcllt finden. Dieser Vorschlag wurde vom Präsidenten mit Vergnügen angenom men, denn auf diese Weise geschah seiuer Frau volles Geüttge, eben so vom Landralh, der so nur die Hülste der Kosten zn tragen brauchte. Auch der Ober-Forstmeister gab seinen Beifall, und der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Bei alle dem war nun doch der Vorthcil auf Seilen der Präsi dentin — denn ihren Geiz brachte sie gern zum Opfer, wenn nur ihre Nebenbuhlerin gedemüthigt wurde. Und das war sie ja! War doch das rosa Kleid jetzt in ihren Händen! Wie aber wurde der armen Saint- Apmar zu Muthe, als sic ans dem Munde ihres eigenen Maunes ver nehmen musste, daß sie das schöne Kleid, welches so vortrefflich zu den Geschirren paßte, weggeben solle. So war sie denn besiegt von ihrer Nebenbnhlerin und mußte ihr weichen — sollte sich zu dem abscheu liche» blaue» Kleid mit dem schwefelgelben Besatz bequeme» und in diesem Aufzuge iu der Stadt und im Walde erscheinen. Die Aermste! es war ihr, als müßte ihr das Herz brechen; sie halte die Augen voll Thränen. — „Um GotteSwillen! liebe Frau, was ist Dir, was hast Du?" ries Saint-Aymar aus. Ihre Thränen trocknend und seine beiden Hände ergreifend, erwie- derte sie: „Ach, mein Herr! Sie thun mir ein großes Herzeleid an; Sie nehmen mir meine Ehre! Wie kann es Ihr Ernst seyn, daß ich das blaue Kleid dieser Präsidentin nehmen und ihr mein schönes rosa Taffetkleid abtreten soll? Ich weiß Alles, was Sie mir sagen können, daß ich zu arm bin, daß Sie zn arm sind, nm allein die Kosten für die Geschirre zu tragen oder ein anderes Kleid zu kaufen; nnd dies für AlleS: Ucbermorgen ist Sonntag, der Tag der Promenade, es ist keine Zeit mehr, mir ein anderes rosa Kleid kommen zu lassen, und wenn ich auch Geld hätte, eines zu bezahlen; wenn ich nicht auf ver Promenade erscheine, so fährt die Präsidentin allein, in memem Kleide und mit meinen Geschirren! Also sprechen Sic mir nicht von Trost, kein Wort — oder eines, ein einziges, das Ihnen nichts koste» soll und mich zur glücklichsten aller Frauen machen kann." Und zugleich zog sie den Äervuru ciu b'ranoe aus der Tasche. „O, aus Barmherzigkeit", fuhr sie fort, „aus Barmherzigkeit, rachen Sic mir das Wort dieses Logo- grvphs. ES handelt sich nm mein LcbcnSglück; sagen Sie mir morgen früh das Wort, nnd ich bin gerettet; aber vor allen Dingen halten Sie es geheim, hören Sie, ja ganz geheim!" Und somit ging die Schöne nach ihrem Zimmer und ließ "den Gemahl stehen, der nicht wußte, wie er bekehrt war. Der Uorcuoe. den er in der Hand hielt, überzeugte ihn, daß cr nicht träume. Das Logogryph war aufgeschlagcn, ein breiter Kniff be zeichnete das Blalt. Saint-Aymar halte eine ziemliche Gewandtheit in Auflösung schwieriger Räthsel, das war allerdings der Fall; aber diesmal schien alles Bemühen vergebens; er mochte das Räthsel so ost durchlescn, als er nur wollte, er kam damit nicht von der Stelle, der Sinn blieb ihm verschlossen. — Die Stunden flogen vorüber; er halte mir noch vierundzwanzig Stunden Zeit, seine Frau auf diese billige Art von einem so großen Schmerze zn befreien. Seine zärtliche Liebe gab ihm einen verzweifelten Entschluß ein. Er beschloß, das ganze Dictionnaire der Akademie vom ersten Buchsta ben des Alphabets an Wort für Wort durchzugehen. ES müßte doch sonderbar zngehen, dachte er, wenn ich unter allen Wörtern der Sprache nicht das Wort meines Logogryphs herausfinden sollte. Bei jedem neuen Worte, zu dem er kam, wiederholte er sich dann die Verse des LogogrvphS: „Pah!" ries er ans, „ich weiß ja schon, daß cs cin Femininum ist." Dies erleichterte ihm seine Arbeit um die Hälfte; sämmtliche MaSculina überging er. Er saß die ganze Nacht bei seiner Arbeit, und wandte all' seinen Geist und Witz, all' seine Denkkraft auf. Nic in seinem Leben hatte er mit mehr Feuer gesucht und nachgeschlagen, nicht einmal seine Reime in Richclct'S Dictionnaire. Aber schon brach der Tag an und warf sein frühes Licht auf das halb geöffnete Dictionnaire, und je Heller es draußen wurde, desto dunkler erschien dem trostlosen Forscher das Näth- scl. Was wäre aus ihm geworden, wenn sich nicht ein glücklicher Zu fall seiner erbarmt hättet „So wahr ich lebe, das Wort fängt sich mit einem A an!" Als er eS endlich gefunden hatte, da wollte er kaum seinem Glücke trauen. Zuletzt endlich, als cr das vcrhängnißvollc Wort nun zusammen gesetzt, ans einander gelegt und wieder zusammengesetzt hatte, konnte er sich nicht halten, er stieß einen lauten Schrei aus. Seine arme Frau vernahm ihn, und vor Schrecken am ganzen Leibe zitternd, so wie sie aus dcm Bett gesprungen, kam sie herbeigelauscn. Ich hab's gefunden, schrie er ihr entgegen^ sein Dictionnaire zuklappend — und sie, ohne ihm antworten zu können, warf sich in seine Arme. Die bedrängte» vollen Seelen, die gepreßten Herzen machten sich, w Schluchzen und Thränen Lust — o lasset sie fließen, es siud die Thränen der Wonne und das Schluchzen des Glückes. Welch ein Wechsel! der Tag, der so traurig zu werden gedroht, war mit einemmale ein Tag der Freude. Kaum war die Saint-Avmar aufgestandcn, so schickte sie auch schon in aller Eil ihr rosa Kleid an ihre Nebenbnhlerin und erhielt dagegen das fatale blaue mit dcm schwefelgelben Besatz. Aber von den Wolken des vergangenen Abends war keine Spur mehr auf ihrer Stirn. Mit heiterem Antlitz begab sich unsere Schöne zur du Berger, die eine sehr schlechte Nacht gehabt Halle; sie hatte vor den verzweifelten Worte»: kein Auge zugethan u»d doch nichts hcrausgekriegt; die innere Pein ließ sie noch ein zehn Jahr älter und häßlicher erscheinen, als sie war, man denke! aber als sie ihre Cousine cintreten sah, schön, ruhig, lächelnd, da schrie sie halb außer sich: „Sie habe» es gerathen, theure Cousine! Sie wissen das entsetzliche Wort" — vor Unruh' und Haß versagte ihr die Stimme. Die Saint-Aymar versetzte ganz einfach und ruhig: „Ich weiß es", liebe Cousiue — in einem Tone, als käme ihr dergleichen alle Tage vor; sie sah, wie das arme Herz der du Berger zwischen Freude uud Furcht getheilt war, und trat nun offen und ohne Scheu mit' ihrem Wunsche hervor. „Beste Cousine!" begann sie, „gestern auf dieser selben Stelle, indem Sie mich umarmten, versprachen Sie mir, Sie wollten mir nichts ab schlagen, wenn ich Ihnen das Wort des Logogryphen brächte; wohlan, ich bringe es Ihnen; Sie sollen cs ganz allein wissen, und Niemand in der Well soll etwas davon erfahren. Morgen am Sonntag, bei der Präsidentin, wenn Alles versammelt ist und sich über das Räthsel den Kops zerbricht, können Sic es lösen; ich habe sogar zwei Berse gemacht, die Sie an die Redaktion des Nercur« einsenden können als Anzeige, daß Sie sei» Logogryph errathen haben. Nun den»! dies Alles gehört Ihnen, ist unbeschränkt das Ihrige, wenn Sie mir jenes rosa Kleid, welches Sie noch nicht abgesandt haben, wie ich sehe, gegen das hübsche blaue, das ich hier mitbringc, vertauschen wollen. Sehen Sie, liebste Cousine, das blaue Kleid ist ganz neu, wie cs aus Paris gekommen, es wird die junge Dame zum Entzücken kleiden; wenn das roihe auch viel leicht mehr putzt, so bedarf ihre Schönheit dessen wohl nicht." Die Cousine crwicderte nichts, aber ein gewisses Blinzeln ihres Auges sagte der schönen Saint-Aymar genug; augenblicklich nahm sie' das ersehnte Kleid in Beschlag und legte das ihrige an die Stelle desselben. Sie war so glücklich, so froh, daß sie davonlause» wollte, ohne sich bei der du Berger zu bedanken und ohne ihr das Wort des Logogryphs mitzutheilen; die du Berger hielt sie fest und ries mit fun kelnden Augen: „Und das Wort des Logogryphs?" — eS war eine Löwin, der man ihre Jungen geraubt hat. „Hier ist es", crwicderte die Saint-Aymar: „^o-chi-lec-ln- ro!" Sic warf den ffleronr« auf den Tisch, nahm ihr Kleid unter den Arm und flog, außer sich vor Glück und Lust, davon; noch wußte sie nicht, wie sic es aushaltcn sollte, den nächsten Tag zu erwarten. Auch Mademoiselle du Berger stand einige Momente stumm vor Freude und wußte sich nicht in ihr Glück zu finden; sie traute kaum ihren Ohren. „Ja", rief sic endlich aus, „das ist cs: eVrcüitvctnrv, das enthält Alles: art, srolutecte, »rc, seteur, »re, terre, esu, die, titre, chst, rat, rate, Icare, cirs, cacliet, öesrt, cri, rne, crie, triclrac, srchor, 6^tl:ere, liier, eruelre, earte, ire, clrere, h-trecht, Hare, siehe, ene, chule, rechute, etat, tVulriclio, huitre, truite, chaire, ehsrrelte, sete, srehi, rectour, ereelie, cuir, taet, et, chsir, trsit, ecritnre, Henie, race, Ihrsee, Bure, srtere, tsrte, eehec, tache, tart, hüte, earie, traee, char, ehsrdetier, »eilst, tsrtrv, ut, re." Gab es in der ganzen Stadt noch eine so glückliche Frau, wie Madame Saint-Aymar, so war cs sicherlich Mademoiselle du Berger Endlich war es Sonntag; die Messe fängt an; die Soune steigt höher; man setzt sich zu Tisch, es schlägt Zwölf, eS schlägt EinS; endlich kommt die Stunde der Vesper. Alles in der Stadt beginnt, sich nun in Bewegung zu setzen; alle Equipagen fahren vor; eS scheint, als solle die Promenade glänzender werden als je. Und Jedermann fragt sich: „Was wird die arme Saint-Aymar anfangen? Wird sie das blaue Kleid der Präsidentin anziche»? Wird sie sagen lassen, sie sey un paß?" Inzwischen kommt die Präsidentin an, im rothen Kleide, die Pferde mit den grünen und weißen Geschirren. Jedermann bewundert die Harmonie der Equipage und des Anzugs der Dame, und alle Frauen klagen laut: „Ach, die arme Saint-Aymar!" Aber, Erstaunen über alles Erstaunen! in dem Augenblick, wo mau abfahrcn will, erscheint die hübsche Saint-Aymar und setzt sich in ihren Wagen ein, neben die Präsidentin; und nicht, wie sie die ganze Stadt erwartet hatte, in einem blauen n»d schwefelgelben Kleide, sondern in einem rosa und weißen, aber in welch einem Rosa, in welch einem Weiß! nnd nun so stolz, so lriumphirend, so heiter, so lebhaft, so glücklich, daß ihre schöne Neben buhlerin völlig, aber auch völlig in den Schatten trat. Man giebt das Zeichen, die Promenade beginnt; die Geschirre machen einen Effekt, der sich nicht beschreiben läßt. .Die Präsidentin wnßte sich vor Zorn, nnd Aerger kaum zu lassen. — Die Saint-Aymar grüßte rechts und links, sie war die Liebenswürdigkeit selber, sogar gegen ihre Rivalin — eS war eine wahre Lust, zu sehen, wie sie das liebliche Köpfchen bald hier-, bald dorthin neigte; eine grün und weiße Feder prangte darin: ein höchst geschmackvoller Putz, der Madame Darcv ganz fehlte. Der Abend kam; die Stunde des Triumphes für Mademoiselle du Berger rückte heran; die ganze Stadt erstaunte über ihre Geschicklich keit, daß sie das schwierigste aller Logogryphe gerathen, und bewun derte sogar auch höchlich jene Berse, die sic ganz allein für den fflor- vur« «h: Ihsnco versaßt hatte, und die er bisher immer noch aus« unverzeihlichste versäumt hat, der Ocffenllichkcit zu übergeben. mot äo votro vnixm« «.«zt arokiteoturo; ^'eui ü le üeviuer !>e»ueoup äo tablature. Da« Losungswort des Rathsels ist Architektur: Mit großer Muh' und Noth kam ich ihm auf die Spur. Als sich Saint-Avmar wieder i» seinem Zimmer befand, rieb er sich die Hände und sagte: „Hüll' ich doch nie gedacht, daß es ein so nützlich Ding wäre, Logogryphen zu rathen." ' Sv war das Journal im achlzehnlen Jahrhundert beschaffen, einer