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155 zirhcnmic», sich gär nicht genug mit den trcffiicl'e» Grundsätzen ver traut machen, die Madame Eampan in ihrer; Abhandlung über die Erziehung, in ihrem Rath an junge Mädchen, in ihrer Abhandlung über die Moral und auch in ihren kleinen Lust spielen, die sic für ihre jungen Pcnsivnairinncn geschrieben, nicder- gelezt und entwickelt hat. Man erstaunt, wenn man diese Werke liest, über die ungemeine Sorgfalt und den durchdringende» Scharfsinn, mit denen die Verfasse rin Gcmüth und Geist der jungen Mädchen bei aller Mannigfaltigkeit, Beweglichkeit, und bei allem oft so geheimnisvollen Wesen desselben, bis in die kleinsten Details studin hat. Dieser wichtige Gegenstand konnte gar nicht besser gefaßt und behandelt werden, und keine Frau — oder es mußten die unglückseligsten Verhältnisse einlrete» —, die nach den Grundsätze» der Madame Campa» erzöge» ist, wird die Er füllung ihrer heiligen Pflichten als Gattin und Mutter in der Welt verfehlen. Die bisher ungedruckte Korrespondenz dieser Dame mit der Toch ter der Kaiserin Josephine bietet zum wenigsten ein eben so großes Interesse dar, als ihre Mcmoircw. Der erste Brief ist vom II. No vember I7»7, der letzte vom 17. Februar 1822 — also ein Zeitraum von fünfundzwanzig Jahre», und während dieser Zeil, welche außer- ordentlichcu Wechsel im Schicksal des Zöglings, mit dem Madame Cam- xan diese vertraute Korrespondenz führt. Zuerst ist es die Tochter der Madame Bonaparte, an die unsere berühmte Lehrerin eine Anzahl Briese richtet, in denen schon eine durch aus mütterliche Freundschaft athmet. Später hält sie es für ihre Pflicht, dieser Schülerin, deren Stiefvater zum ersten Konsul der Re publik ernannt worden war, liebreichen rührenden Rath zu ertheile». Dann gezwungen, nach und nach neue Formeln und AusLruckswAsen anzunchmcii, in der Korrespondenz mit einer Kaiserlichen Hoheit, mit einer Königin von Holland, behält sie sich dock nichts desto weniger das Recht "vor, ihrer Schülerin mit Freimütbiakeit alle Wahrheiten zu sagen, die sie für'dieselbe sür nützlich hält; sie giebl ihr Regeln des Benehmens, schärft ihr ein, wie sie sich vor dem schmeichlerischen Gezisch ter Hofschranzcn zu verwahre» habe, spricht ihre Wohlthätigkeit, ihre Barmherzigkeit au zn Gunsten der unglücklichen Tugend, u. dgl., und gegen das Ende dieser Periode, die in den Annalen Europas als einzig und unvergleichlich dasicht, wird cs ihr dann Bedürfnis,, ihr Herz in den Buse» ihrer Schülerin auszuschüite», und sich mit ihr über ihr gemeinsames Unglück zu trösten. Man kann also in Wahrheit sagen, daß diese Korrespondenz mit der Geschichte des Konsulats, des Kaiser reichs und der Restauration in wcscnilichcr Verbindung steht. ES würde zu weil führen, wenn wir uns hier'darauf Anlassen wollten, Madame Eampan und ihre Schülerin die ganze Bah» dieser großen Begebenheiten hinab zn begleiten. Wir heben deshalb nur ein Paar Stellen aus einem oder zwei Briesen, die sich auf den Glücks- wechsel der Napoleonischen Familie beziehen, heraus. Indem Madame Eampan die höchste Bewunderung für dic großen Thate» des Kaisers an den Tag legt, läßt sie sich diese Gelegenheit nickt entgehen, ihrer Schülerin, die nun Fürstin geworden, Lehren der Mäßigung und Bescheidenheit zu geben: „In welchen Mannes Nähe leben Sie? Welchen glorreiche» Namen führen Sic, mein thcurcs Kind! Aber bewahren Sie nichts desto weniger die hohe Einfachheit, die Ihnen eigen ist. Sic kleidet so schön mitten unter der Fülle des Ruhms, und es gicbt nichts Alberneres, als sich von einer solchen Umgebung zu einem gezierten Wesen verführen zu lassen. Sic macht sich durch sich selber gellend, und mäßigt man ihren, Glanz durch ei» einfaches und bescheidenes Benehmen, so gewinnt mau, neben den äußeren Huldigungen, eine Achtung, eine Liebe, ein Interesse, die hundcrtinal mehr wcrth sind, als jene, und zur Folge haben, daß alle Well sie rühmt, ohne aus Ihre Vorzüge und Vorlheilc eifersüchtig und neidisch zn sehn; das sind große Wahrheiten. Wenige freilich üben und preisen sie, weil es Wenige gicbt, die Geist mit Herzensgüte in sich vereinigen, und weil man ihnen gesagt Hal: Ihr müßt euch würdevoll b euch men. Das Haupl der Regierung muß diese strenge Würde auch im Acußcrn zeigen, allerdings; aber für alle Andere, dic ihm nahe stehen, liegt dic Würde in der Bescheidenheit. UcbrigenS haben Sic ja Allcs, ällc Mittel des Reichlhums, aller Glanz der äußern Erscheinung steht Ihucn zu Gebote, und das ist nolhwrndig und zu gleich genügend, "aber die geschraubte» hochfahrenden Manieren, die affektirte» Manieren der ehemaligen Prinzessinnen, ihre Art zu grüßen :c. tc., o pfuh! pfuv! das macht cs nicht ans, und Sic werden nie in dies platte Geprunke verfallen, wohinter sich die Mittelmäßigkeit versteckt, und das Einzige, wodurch sic noch liebenswürdig sehn tonnte, die Hcr- zensgttle, auch verschwinden macht." Madame Campans Meinung über den Schutz, de» die Große» de» Künstlern crlheilcn sollen, möchte ebenfalls der Anführung werth sehn. Die Lehre ist nicht minder an die Gattin des ersten Konsuls, als an die von Ludwig Bonaparte gerichtet: „Fürchten Sic die Künstler, gehr» Sie schonend mit ihnen um, ich meine, mache» Sie dies Ihrer Mama bemerklich, auf dic Ihr ge- sundcr Gcist Ihucn i» vollster Ausdehnung den wohllhätigr» "Einfluß einer Freundin geben muß. Glalibcm Sie ja nicht, daß ich bei meiner Liebe für die Künste gegen die Fehler der Künstler blind bin; ich bin cs wahrlich nicht. Ich weiß wohl, daß cs keine eitleren, stolzeren Wesen gicbt; daß sic durchaus mit den höchstgcstelltcn Personen auf einer Linie stehcii wolle»; aber die Geschichte aller Jahrhunderte hat diesen Anspruch autorisirt und zum Gesetz erhoben. — Sie werden keinem großen Fürsten, keinem großen Eroberer in der Geschichte begegnen, «eben dessen Namen Sie nicht die Namen großer Künstler seiner Zeil finden werden. Alexander, Perikles gehen nist Apcllcs, Zcnris, Phidias. Nie werde» August oder Cäsar ohne Virgil und Horaz genannt. Franz I. besucht Leonardo da Vinci. Der Glanz von Lud wigs XIV. Namen empfängt seine Strahlen von den Namen Racine's, Boilcau's, Lebruns, Lcsucur's, Perrault s und Anderer. Auf solche» Beispielen beruhen ihre Ansprüche; sie sind alt und ehrwürdig, und doch will ich sie in Ihren Auge» nur des Interesses wegen geltend mache», welches mir i» Bezug auf Sie und "in Bezug auf den ersten Konsul vorschwebt. Denn die Fürsten, die diese Wahrheiten Angese hen, haben sich guter Dienste von ihnen zu erfreuen gehabt. Sie allein tragen den Ruhm des Namens in die Ferne. Die Feder, der Meißel, der Pinsel, das sind dic Mächte, die den vollen Lohn der Zukunft cr- theilc», den große Herzen so seurig wünsche». Ich habe Ihne» hun dert Mal gesägt, daß Ludwig XV1. und Maric Antoinette, die letzte» und die unglücklichsten aller unserer Monarchen, nur politische Fehler begangen halten, daß ihr Privatleben durchaus liebenswürdig war, wie Alle erfahre» habe», die i» ihre Nähe gekommen sind. Ein großer Fehler der Königin war, daß sie nur der Musik huldiglc und fördern den Schutz »»gedeihen ließ, weil sic sie liebte, und den Mode», weil sie den Putz gern hatte. Malerei, Poesie, bildende Künste^ vaterlän- dischcr Gewerbe- und Kunstflciß, das Allcs schien gar nicht für sie da zu sehn. Ich habe vielleicht unter allen Frauen am herzhaftesten davon zu ihr gesprochen. Sie hatte Anes Tages i» ihren iuncrcn Gemächern eine Dame empfangen, die ihr von den galante» Aben teuer» einer Fürstin erzählte, und sie sprach gegen mich ihren Wider willen gcgcn diese Frau aus, die so ihren Neigungen und LAden- schaslen bingegeben seh. Sic halte Recht, allerdings; aber ich war so frei, ihr zu sagen, daß alle diese galanten Abenteuer nur Kammer frauen-Geschichten bleiben würden, weil sie Sorge getragen, die großen Rusmachcr, die Geschichtschreiber, Philosophen und Künstler in ihr Interesse zu ziehen, und daß sie (Marie Antoinette) dagegen, deren Pri vatleben die Achtung aller derer verdienten, die sie hinlänglich kannte», in Folge ihrer Mißschätzmig geistiger Größen, der Schmähung »ud dem Spott der Libellisten verfalle» und daß keine Kämpfer ersten Ranges austrettn, ihren Namen auf de» Schild heben und der Nachwelt über liefern würden, in der cr einer Stelle so würdig war. Was wäre das Großes, Madame, setzte ich hinzu, wenn sie wirkliche Tugenden zu feiern hätten? die bedürfen freilich ihrer Verherrlichung nicht. — Außerdem gebe ich Ihne» noch zu bedenken, daß im gegenwärtigen Moment fast sämmlliche Künstler ersten Ranges Häupter der Partei gewesen sind, die Bonaparte unterdrückt, um einen Instand der Ordnung und der Harmonie und den gleichmäßigen und würdigen Gang einer guten Re gierung berzustellenh und wen» veriiünftigerweise nicht zu rachen wäre, ihnen zu schmeichel», als ein Mittel, welches die Gränzen wahrer Würde überschritte, so gcbiclct doch die Vernunft zum wenigsten, sie nicht zu vernachlässigen, besonders in dem Moment, wo man ihnen eben zu Folge gewichtiger Gründe das Ashl genommen hat, das ihnen Ludwig XIV. gegeben hatte." °) Außer solchen Lehren finden wir eine Menge von merkwürdige» Anekdoten, politischen und literarischen Urtheilcn, pikanten heitern Er zählungen, dic eine cmgcnchme Mannigfaltigkeit in dic Korrespondenz bringen. Die Gesetze der Vernunft und des Geschmackes sind dic durch gängig herrschenden in derselben. Der Stil konnte etwas mehr Präciston haben; man merkt cs, daß diese Briefe schnell hingeschriebe» und so abgedruckt sind, wie sic zucrst ans dcr Feder geflossen; so ist allerdings nicht immer der glücklichste Ausdruck für den Gedanken gefunden; man muß aber erwägen, daß die Verfasserin nie an die Publikation derselben gedacht. Ucbrigcns ist ihre Schreibart auf gleiche Weise von sentimen taler Emphase und trivialer Vertraulichkeit fern, und ihre Phantasie bietet ihr eine Fülle der treffendsten Bilder dar. Ihre Uebcrgänge vom Ernst zum Scherz sind besonders reizend, und sie erinnert in vieler Hinsicht, ohne auch nur im geringsten nachzuahmcn, an die Marquise von Lambert, nur mit dem Unterschied, daß ihre Rach schläge, an ein gekröntes Haupt und in einer Zeit gerichtet, die an außerordentliche» Begebenheiten vor allen frühere» reich zn nennen ist, ein allgemeines Interesse Anstöße», als Lehren dcr Moral und dcs Be nehmens, dic sich nur auf das Lebe» Ancs Privatmannes beziehen. Ueber die Sucht, als Schriftsteller auszutreten. Schwache Sterbliche, wie wir einmal sind, werde» wir alle mit irgend einer Wunderlichkeit, einer Sucht, scv cs welche cs wolle, geboren. Boieldicu, unser liebenswürdiger Musiker, hatte eine Sucht nach kleinen Mcfferchcn; Hoffmann, dieser geistreiche beißende Journalist, für den das Journal dcs Döbats noch keinen Ersatz gesunde» hat, an dreißig Stück Labacks-Dcscn, die sämmtlich mit Taback gefüllt waren und aus allen Möbeln in allen Winkeln seines Zimmers berumstanden; so trägt Herr Laffite keine andere als gelbe Westen und Herr Dupin keine andere Schuhe als mit Hackcn. Von diesen natürlichen oder künstlichen Wun- derlichkAtc», sind einzelne nun originell, andere wieder lächerlich und bizarr; aber cs gicbt auch welche, die vo» gar ernsthafter und verbäng- nißvollcr Natur sind und auf unsere Wobhabrt, unser Geschick, unsere ganze Existenz einen gar mächtigen Einfluß üben. I» diese Klasse ge hört unter Andern, die Wuth, mit der gewisse Geister sich für die Bühne, sür dic Literatur berufen glaube», obwohl ihnen gradc dic ersten Erfor dernisse hierzu von dcr Natur versagt sind. Wir werde» ei» ander Mal auf die Sucht Komödie zu spiele» zurückkomme», und wollen heut nur von dcr Wuib als Schriftsteller sprechen. Man müßte ein zweiter Charles Dupin sehn, nm ci» genaues Register aller Leute zu entwerfen, die von der Begierde brenne», sich drucken zu lasse»; cs gehörte eine »amciilose Geduld und dcr Kops Anes Mathematikers dazu, wenn man so die ganze literarische Leiter herabstcigen wollte von Lamartine und Victor Hugo bis zum Che- *) Im Ausbau Entwurf bcS Louvre hatte der erste Konsul die Wohnungen gestrichen, die mehrere Maler und Bildhauer der Akademie in diesem Schlosse »nie hatten.