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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22^ Sgr. THIr.l vierteliährlich, lk Thtr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumcrirt auf diese» Beiblatt der Mg. Pr. StaaiS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße No. Z4>; in der Provinz so .wie im AuSlande bei de» Wohllöbl. Post- Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 41. Berlin, Montag den 6. April 183S. Frankreich. Wie man dem PatoiS in Frankreich den Garanö gemacht. Eine phantastische Erzählung, von Charles Nodier- Eine Neuigkeit, eine von den außerordenUichstcn, die jemals einem civilisirteu Volke angekündigt worden! — Diese Neuigkeit betrifft keine Sonneusinsterniß, nicht den Ausbruch eines Vulkans, nicht eine Sünd- fiutl), die hercinbricht, nicht das plötzliche Auflauchen einer neuen Well, wie das von Columbus heraufbeschworene Amerika, nichl den Untergang eines verschwundenen Volkes, wie die Atlantis des Platon. — Nein! es giebt etwas ganz Anderes! Die Vernichtung einer Sprache, des im Worte der Menschen sleischgewordencn Geistes, jener höheren gott- entstammten Erkenntnis, die den Menschen von den übrigen Gottes- Geschöpfen unterscheidet, — jenes unsterblichen Hauches, der Euch die Sprache gegeben, — erstickt von Restant, Wailly, Lhomond, unter Vorbehalt der allerhöchsten Zustimmung der Universität. Nur noch eine kurze Frist — und es giebt kein Patois mehr in Frankreich! Fünfundzwanzig Millionen Franzosen werden ohne Weite res ihres väterlichen angcbornc» IdiomS beraubt, um zu sprechen, wie ich und Ihr! — Ihr sagt: Was kommt denn darauf an 's — Nnn, das hat man von der Bildung! Nein, — cs giebt'kein Patois mehr! Diese natnrwahre sanfte Sprache, die wir von unseren Müttern, von unseren Ammen, von un seren ersten Freunden überkommen, deren Verlust wir schon betrauert, als ihre Ureinsachheit in unseren Schulen getrübt ward durch de» höhnischen Purismus unserer Pedanten; dieses liebliche anmuthige Idiom, das mit solchem Reize die Lücken der Rede auszufüllen ver stand, und das zu allen Zeiten ein geistreiches Wort bot, wo Lie Quellen unserer Wörterbücher versiegt waren, — dieses PatoiS ist nichl mehr! Aber — fragt Ihr — wer bat denn in der Sprache diese einzige, seitdem cS Sprachen giebt, unerhörte Revolution hervorgebracht? War eS ein neuer Tyrann,'noch erfindungsreicher und mächtiger als Chilpe- rich? War cs Thot oder Thcutates, Hermes oder TriSmegistuS? War es ein Palamedcs oder Kädmue? Es war doch nichl etwa ein zweiter Leibnitz oder Bacon? — Nichts von dem Alle»! Die Autorität, welche diescs Werk der Unmöglichkeit in wenigen Federstrichen eines Protokolls ausjiisübren beschlossen, ist das Lomitö des Bezirkes von Cahv rS. Lahors ist eine Stadt in Frankreich, sonst Hauptstadt von Qucrcy, Hauptfitz der Präfektur des Departements des Lot, mit einem Gerichtshöfe erster Instanz, mit eilf- bis zwötstansend Einwohnern, ungefähr unter dem vierundvierzigsten Grade der Breite gelegen. Bon jeher berühmt wegen seiner Tuch- und Ratin-Fabriken, wegen seines Branntweins und Nußöls, zeichnet es sich noch besonders ans durch die Trüffeln, die es produzirt, und seine dunklen Weine, die sehr geschätzt sind und von Bordeaux aus nach England und Hol land verführt werden. Endlich hat diese Stadt noch das Glück, der Geburtsort des Papstes Iohann's XXII., des göttlichen Dichters Cle ment Marot und der Mitglieder des ComiG des Bezirks von CahorS zu sevn. Das Licht ist uns heutzutage von Süden her aufgcgangen, und das ist auch der Grund, warum man in Frankreich so allgemein darin über- eingekommen, kein anderes Französisch zu sprechen, als das zu Lahors ge sprochene, — ich meine nicht im Hausgebrauche des gemeinen Volkes und der Landleutc — nm diese scheren sich die bürgerlichen Aristokraten wenig — sonder» in den amtlichen Zuschriften des BezirkS-Comilös. Hält' ich in diesem Augenblick nur etwas Ergötzlicheres zu erzäh len, cs wäre mir sehr lieb. Indeß muß man so sürlicb nehmen. Wie es eine Masse guter Leute giebt, die ein wenig Französisch zu verstehen glauben, und noch außerdem einige andere Sprachen, die in ihrer Einfalt ferner meinen, daß es nicht unter die Befugnisse eines Bezirks-bomitös gehöre, eine Sprache zu unterdrücken: — so kann ich mich nicht der Mühe überbeben, ihre Bedenken dem übrigens unantast baren Beschlusse des Bezirks-ComitöS von Lahors bescheidentlich ent- gegenzufttzen, und cs wird diesem nicht schwer fallen, das in Frage Ec- siellte im Herumgehcn, wie der große Pcripatcliker, zu erledigen. Ich nehm' es mir ernstlich vor, bei diesem Examen die ernste Gemessenheit nicht zu verlieren, die ich bei so hochwichtigen Verhandlungen zu be haupten gewohnt bin. Vorhin» imzionclore vorn. „Das BezirkS-Comitö von Lahors, in Erwägung, daß" . .. (eon- sifierant <z»o . , ,) Da sind sie nun, meine Querulanten, und fassen das Bezirks-Co- mitö von bahors bei dieser Kurial-Sprachneuerung, der schwächlichen Ausgeburt eines Kanzlei-Patois, welches niemals die Sprache von Oc attswiegen wird. „Was?" — schreien sie; denn sie haben eine Art von Heftigkeit, die dem Rechte zwar nichl übel ansteht, zumal wenn es gegen eine llienis »h -bsurcko zu operircn hat. „Ihr schreitet zw einer Reform, die im Namen der Sprachreinheit unternommen werden soll, und beginnt bei Eurem ersten Auftreten mit einem Sprachschnitzer^ um den man Euch vor dreißig Jahren aus dcr Schule geworfen hätte?" Es steht der ganzen Welt frei, die Autorität des Bezirks-Comitös von Lahors nichl mehr in Erwägung zu ziehen, als >hr eben gebührt; keinem Menschen aber steht das Recht zu, Französisch zu sagen: „Ich» ziehe in Erwägung (je consiliere «zue —), daß das Bezirks-ComitL von Lahors einen dummen Beschluß gefaßt hat." Das wäre ein dop- pelter Verstoß — gegen die Sprache und de» Anstand. Und was hat es denn nun erwogen, das Bezirks-Comite von Ca horS, welches erwägt, daß? — (lzui consickere czue?) ES bat erwogen, daß der Gebrauch des Patois einen Einfluß auf die Aussprache des Französischen ausübt; — weil cs nämlich nicht erwogen hat, daß im Gegcntheil das PatoiS ein wesentliches Mittelglied bildet zwischen dein Französchcn und seine,i Stämmen; und daß man, wenn die Ge setze der Aussprache des Französischen verloren gingen, die leitenden Prinzipien für sie in dem Patois suchen müßte. Es hat erwogen, daß die diplomatische und administrative Ein heit des Königreichs die Einheit des Idioms in allen seinen (des Idioms oder dcs Königreichs?) Theilen gebieterisch fordere. Aber es hat nicht erwogen, daß dieses, so ohne alles Bedenken hingestellte Axiom weder in dcr alten noch in der neue» Geschichte Begründung und Halt gesunden; daß es du:ch die vier mächtigsten Alleinherrscher aller Jahrhunderte, Alexander, August, Karl den Großen und Napoleon, Lü gen gestraft worden; daß, um dasselbe zu rcaliflre», wenn es anders angcht, die Sprache unter die Willkür dcr tollsten aller Diktaturen ge stellt werde» müßte, unter die dcr Phrasen des Gerichtshofes und der Barbarismen eines Bureaus; daß diese Einheit der Sprache, die un vereinbar ist mit den unberechenbare» Einflüssen der Lokalitäten, mir dcr cingcbonmi Pocsie dcr Völker, mit den organischen Fädigkeiten des Mensche», so wie mit seinen Inspirationen, — die höchstens dazu die nen kann, als ein toller Einfall dies chimärische Utopie» der Sprach- gelehrten zu ergötzen, — daß diese Einheit der Sprache den Anstrengun gen aller Bczirks-ComitöS der Welt eine kleine Schwierigkeit entgegenstellen würde, die wohl in Erwägung gezogen zu werden verdient: — eine einzige Schwierigkeit freilich nur, das kann ich euch betbcuern; aber eine zweite Schwierigkeit derselben Art wäre zu viel! Nämlich, daß es ein für allemal nicht angcht, daß cs unaussührbar, unmöglich ist. Es hat erwogen, daß die südliche» Dialekte, wie ehrwürdig sie uns auch immer seh» mögen, als Erbe von unseren Ahnen (tausend Dank für dieses verbindliche Zugeständniß!), dennoch nicht vermocht habe», sich zu den, Range der Schriftsprachen zu xrhebcn; daß sie eS nichl dahin gebracht, sich ein grammatisches System zu ordnen und eine Orthogra phie scstzustcllen; daß sie keine Leistung von Belang aufzuweisen ha ben, und daß ihr gewöhnlicher Gebrauch von den besten Geister» als eine der hauptsächlichsten Ursachen der wisscnschaslichcn Ueberlegcnheit des Nordens über den Süden von Frankreich ist bezeichnet worden. — Es versteht sich von selbst, daß ich dies Alles nur kopire. Solche Sä chelchen erfindet man nicht! Hier nun hinken mir die Arme vor Erstaunen, fast halt' ich gesagt vor Schreck. Dies erlaubt mir denn auch, in der Forni das unternom mene Examen abzuwechseln, — während ich bei Gelegenheit mühsam Athen, hole, aus dc» Gipfel dieses pyramidenförmigen Paradieses gelangt. Wie? die mittägliche» Dialekte haben sich nicht zu der Höhe der Schriftsprache» erheben können, auch nicht m den süßen Dichtungen der Troubadours, auch nicht in den schonen romantischen Epopöen, de nen wir zum welligsten den Ariosi verdanken, — auch nicht in den anmuibreichen natnnvabrktt Blüthe» des lieblichsten Patois, welches üo.rn »mij-tt, dcr Gelehrteste von alle» Gelehrten von Langncdoc, eines Glossars für würdig geachtet, — er, der in allen bekannte» Spra chen zu schreiben lind zu sprechen verstand? Und wem gilt denn nun dieser Provinzialbeschluß zu Gunsten der Ccutralisation? Uns anderen alten Sprachforschern, die wir gern de» ganze» quasi-grammatischen Bettel dcr Bezirks. Lomitös hiugeben für ei»S der f>al«atcn8 des lkol- hiufiiero, für ein 8ouiiet oder cansou des Oouckouli, für ein noöl des <Ie Io OwnnoIe. Wie? Die mittäglichen Dialekte haben es nicht dahin gebracht, rin grammatisches System zu ordnen und eine Orthographie sestznstcllen'? Eie ist also nicht bestimmt festgestellt, — die Orthographie des Polii», 8auvazo«, des trefflichen gelehrte» voujat. mit dessen Namen ich eben