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159 Jetzt ist diese Frage einer anderen gewichen, der inner» religiösen Frage, welche die Freiheit des Unterrichts betrifft. Bald wird es auch Debatten über die Frage hinsichtlich der inneren Administration, d. h. über die Central-Verwaltung geben, und alsdann wird man den alten Kommunal, und Provinzial-Geist seinem Grabe, in welchem er seit dem 16 Jahrhundert ruht, entsteigen sehen. Noch später endlich kommt die industrielle und kommerzielle Frage an die Reihe. Alsdann werden die Wortführer der Handels-Freiheit die Anhänger de» Prohibi- tiv-Systems in allen Parteien zu Boden schlagen. Diese Elemente der Zwietracht werde» uns »och lange keine be stimmte Classification der Parteien Belgiens erlauben. Diejenige, die ich versucht hatte, scheint mir jedoch für den Augenblick die beste, und einzig mögliche. Kehren wir nun zur Biographie der katholischen Aristo kraten zurück. Herr de Theur, gegenwärtig Minister des Innern, de» wir bereits als Busenfreund des Herren vo» Slerx aufgcsührt haben, nimmt eine ter bedeutendsten Stellungen für seine Partei ein; den» sein Ministe rium begreift den Kultus und öffentlichen Unterricht. Herr de Theux ist mehr Geschäftsmann als Redner; er war vor der Revolution schlichter Gutsbesitzer in der Provinz Limburg, und bat keine andere Bedeutung als die ihm sei» Amt giebt. Unter seinem Einfluß wurde die Auflösung des manuzlnle univorsitaire, daS ehemals der Regierung zukam, faktisch bewerkstelligt, und diese Tbatsache, die von bedeutenden Folge» seyn wird, kann dem de Theurischeu Ministerium in Zukunft einige Cele- brität verschaffen. Lie erste Idee einer freien Universität gehört den Katholiken an. Der Erzbischof von Mechel» verstättdigte sich zu diesem Zwecke mit den Belgischen Bischösen, und sie ließen Mandate ergehen, um die Gläubi gen ihrer respektive» Diöccsen dahin zu vermöge», daß sie Aclivnaire an der freien Universität würden, die man erst jetzt, nachdem die Libe ralen in Brüssel ihr Werk nachgcabmt, die katholische Universität nennt. So sind nun beide Lehranstalten in thätige Konkurrenz gekom men, und rüsten sich zam Streite über Belgiens Zukunft. Wird der öffentliche Unterricht bei dieser Zerstückelung gewnnen? Dasür kann Niemand einstehen. Sv viel ist aber gewiß, daß die drei Königlichen Universitäten von Gent, Lüttich und Löwe» durch diesen Zwist die vor nehmsten Elemente ihres Gedeihens verloren haben. Die beiden freien Universitäten aber sind noch außer Stande, die Wunde zu heilen, welche die Revolution den Universitäten des Staates überhaupt geschlagen hat. Unter dem nichtigen Vorwand, daß der öffentliche Unterricht nur In ländern anvertrant werden dürfe, hat man z. B. in Lüttich zwei sehr verdiente Deutsche Professoren, den Philosophen Dcuzngcr und den Mi neralogen Broun aus du Liste gestrichen; Kinkel, Professor der Literatur, der Philologe Limburg-Brouwer, und der Mathematiker Ban RerS, haben als Holländer ein gleiches Schicksal erfahren. In Löwen sind die Herren Mone, Hollius, und mehrere Andere verabschiedet worden. Die katholische, unter dem direkten Sitz-Patronat des Erzbischofs von Mechel» gestiftete Universität empfing von Seile» des Römische» Stuhls eine Institutions-Bulle, die mit allem erdenklichen Glanz in Bel len publizirt wurde. Sic hielt ihre Eröffnungs-Sitzung de» 4. November 1834 zu Mechel», wo der Erzbischof selbst ei» feierliches Hochamt hielt. Ler Abbö vo» Rani, durch das Belgische Episkopat zum Rektor der »cuc» Universität erwählt, bestieg das Katheder und ergoß sich in einer latei nischen Rede, die längcr'als eine Stunde dauerte, und in welcher er darzutbnn strebte, daß die katholischen Prinzipiell dem Forlschrcitcn der Wissenschaften und Künste in keiner Art hinderlich seven. Die Univer sität ist jetzt in voller Regsamkeit, und der priesterliche Geist, der sie belebt, gäbrt allbereiis und droht übcrzilslicßcn. Die kleine Stadl Mecheln genüg! ihrer Hcrrschbcgierdc nicht mehr; sie verschling! die alle Stadl Löwen schon mil den Augen. Herr de Theur, ter dem Erzbischof nichlS abschlagc» kann, Hal den Wünschen seiner Glaubrnsbrüdcr nach- zugeben versprochen, und es ist schon so gul als ausgemachl, daß die Universitäl Löwen im kommenden Herbst der Sitz der katholische» Pro- pagander werde» wird. Wenn Gott den Projekten dieser heilige» Wic- dererweckcr des UnterrichlsweseoS da» Leben fristet, und Herr» de Theur im ruhigen Besitze seines apostolische» Portefeuille S läßt, so wird all» dem katholisch-ministeriellen Seminar eine ganze Armee voll Pfarrer hrrvoigehc», die aller Wissenschaften Meister sind, und den Laien die Sorge für alles Jrrdiscbe und Ucberirdische gern abnekmen. Die liberale Universität öffnete vierzehn Tage »ach der J»stalliru»g ihrer Nebenbuhlerin der studirendc» Jugend ihre Pforten. Ihr Secrc- tair, vormals Professor an der Pariser Normalschulc, Herr Baron, hielt die EröffimngSrcdt in dem Goihischen Saale des Brüsseler Stadthauses, beim Schalle vieler laiisend Bravos. Er nahm de» von der katholischen Partei hingkworfencn Fehdehandschuh im Name» seiner Kollegen uner- fchrocken auf, und setzte die Vortheilc einer fünften Fakultät ins Licht, die dem Studium der politischen und Staatswissenschastcn geweiht ist, und deren Errichtung die freie Universität schon beschlossen halte. Dit freie Brüsseler Universiät zählt unter unter ihren Stiftern und gelehrte» Professoren Männer von Ruf, wie Broucköre, AhrenS, Baron und den berühmten Polen Lclewcl. Es ist nur zu fürchten, daß die Appellation an den Patriotismus der Subskribenten manches taube Ohr finden dürfte. Die Partei, weiche im gemeinen Leben die liberale genannt wird, ist, wie man weiß, noch nie im vollen Sinne des Worte» liberal gewesen. Schon haben einige dieser hochgesinnten Libe ralen die Unverschämtheit gehabt, von der neuen Universität zu verlan gen, daß sie unentgeltlich lehre, indem sie großmüthig ignorirtrn, daß der akademische Lehrer gewöhnlich von Hause nicht» besitzt. Das Unzarte und Niedrige dieser Zumuthung hat auch Herr Baron in seiner Eröffmmgcredc hervorgeboben. Die Katholiken, welche unter Herrn de Teur den Einfluß der Uni versitäten zu ihrem Vorihcil verwendet haben, beherrschen in gleichem Grade die auswärtige Politik durch Herrn von Muelcnaere, Minister der au.'wärtigen Angelegenheiten, der ihrer Sache nicht weniger ergeben ist. Doch müssen wir hinzufügen, daß Herr v. Muelenaere aus einem höheren geistigen Standpunkte steht. Wenn dieser die erwerbsüchtigen Pläne der katholischen Partei unterstützt, so geschieht e» nicht aus Bi gotterie oder Charakterschwäche, sondern aus politischer Vorsicht, die ihn ein zügelloses Umsichgreifen des rcvolutionnaircn Geistes befürchten läßt. Herr von Muelenaere ist ein gewandter Diplomat, der alle Parteien zu seinem Bortheile gebraucht, und keiner derselben angchört. Jede Handlung seines Lebens trägt jenes Gepräge egoistischer Klugheit, wel ches die sogknanmen Herren vom nächsten Tage charakteristrt, be kanntlich ein Ehrentitel der systematische» Freiheit. Ale schlichter Königlicher Prokurator zu Brügge (1824) saß Herr von Muelenaere bei den Gencralstaatcn unter den Mitgliedern der Opposition, mit denen er jedoch selten votirte, we»n das Jnlcreffc seiner Provinz nicht direkt im Spiele war. Die Holländische Negierung schöpfte gleichwohl einigen Berdacht gegen ibn, und verhinderte seifte Wicdcrcrwählunz. Damals lie ße» die Wähler auf Muelenaere und Lilain XIIII. eine Medaille schlagen, mit der Inschrift: „Die Gewalt proskribirt sie, und das Volk krönt sie." In demselben Augenblick, als Muelcnaere diese populaire Huldigung zu Theil ward, begünstigte er, als Königlicher Prokurator, das Edikt ftom II. Dezember, und erklärte unumwunden, man müsse gegen de» Unfug der Presse strenge Maßregeln ergreifen. Durch diese kluge Taktik sicherte er für jede» Fall seine Zukunft. Als Brügge sich empörte, zeigte Mue- lenaerc, der noch nicht wußte, welche Partei wohl siege» werde, eine» imübcrwindiichcn Abscheu gegen jedes öffentliche Amt, gegen jede Würde, die ihn seiner wcrthcn Obskurität entreißen konnte. Nachdem aber die Holländischen Truppen daS Belgische Gebiet völlige geräumt hatten, wil ligte er ein, Gouverneur von West-Flandern zu werden. Sein Wider wille gegen Stellen und Würden »ahm in so rascher Progression ab, daß er im I. I8ZI den Stalthalterposten einer Provinz recht gern fahren ließ, um dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten vorzustehcn. Seit dem hat er das Portefeuille abgegeben und wieder angenommen, und noch jetzt ist er Minister. Sein schönstes politische» Werk ist die Dis kussion des Vertrages der 24 Artikel, welcher die Bedingungen der Trennung Hollands von Belgien regelte, und deren Annahme von Seiten der Kammer durch die Geschicklichkeit dieses diplomatischen Red ners herbcigcsührt worden ist. Dieser Staatsmann ist in seinen Manieren eben so einfach als in seinen Genüssen. Obgleich im Besitz eines großen Vermögens, lebt er doch als Flamändischer Bürger, macht seine Reisen zu Fuß, und speist mit mehreren seiner Kollegen in einer kleinen Restauration. Im Jahre 1832 wohnte er bei einem Apotheker, dessen Laden man passtren mußte, um zu dem Herr» Minister zu gelangen. Erst im gegenwärtigen Jahre hat cr sich entschlösse», die von ter Kammer bewilligten Repräsentation», Gelder anzunehmcn. Bis dahin hatte er selbige, mit dem Bemerken, daß er nicht rcprascmire» wolle, abgelehnt. Die Belgischen Zeitschriften haben unzähligc Anekdoten von seinem Geize aufgetischl. Von diesen Anekdoten «heilen wir folgende al« Probe mit. Der Minister folgte dem Leichcnzuge eines seiner Verwandten in Brügge. Er saß in einer Miclhskutschc, und sein Bedienter, der ehrerbietig hinten aus stand, ließ seine prächtige mit Silber geflickte Scharlach-llnisorm im Sonnen licht schimmer». Noch ehe der Zug den Kirchhof erreicht hatte, um- wölkte sich der Himmel, und cs begann in dicken Tropfen zu regnen. Alsbald nötbigte die Erccllcnz Ihren Bedienten, den eine solche Ehre ganz beschämt machte, an Ihrer Seite im Wagen Platz zu nehmen, und zwar so lange, bis das Unwetter die kostbare Unisonu nicht mehr bedrohte. Herr von Muelenaere steht in der besondern Guiist des Königs Leopold, der ihn, wenn er mit ihm korrespondirt, nur schlechtweg seinen th euren Freund nennt. Ale Leopold seine Hochzeit seierte, beschrieb cr ihm noch am Tage der Feier in cincm aus Compiögne datirten Briese die Details derselben. Ein großes Intervall trennt die Herren Muclcnacre und Raikem, de» Präsidenten der Rcpräscntanlcn-Kammer; dennoch werde ich vo» Jenem sofort auf Diesen übergehen. Herr Raikcm verdient in dem katholisch - aristokratische» Heere wegen seine» Gesetze» in Betreff der Gerichts-Organisation, das seiner Partei Eintritt in die Magistratur verschafft hat, eine ausgezeichnete Stelle. Trotz dieses unvergeßliche» Dienstes, den er ihnen geleistet, habe» die Katholiken indesf'en doch mehr Vertrauen auf die Gesinnungen de» Herrn Raikem, als auf sein Talent. Herr Raikcm, sonst Advokat in Lüttich, geruhte, wie so viele Andere, sobald die Revolution ausgcbrochcn war, eine» der ersten Aemtcr in seiner Provinz zu übernehmen. Er ließ sich die Robe eines General - Prokurators um die Schultern werfen, und wurde niin, der Reihe nach, Vice - Präsident des National- Kongreffcs, Justiz-Minister und Präsident der Repräsentanten-Kam mer. Herr Raikcm ist ein kurz abbrcchcndcr Redner ohne Eleganz; doch fehlt cs ihm nicht an einer gewissen Klarheit. Er wird zuweilen so populair, wie sein Kollege, Herr von Stassart, der Präsident des Senate», welcher eines Tage» in voller Versammlung der Kammer sagte: „Meine Herre»! Der chrenwerihe Herr N. N. wird beule nicht erscheinen, weil seine Frau krank und sein Söhnchen verschnupft ist/- Der eben genannte Herr von Slassart eilte nach de» Septem ber -Tagen von der Französischen Gräuzc, wo cr bi» dabin gelauert batte, bcrbei, m» die Functionen eines Gouverneur» vo» Namur zu übernehmen. Herr von Slassart war der Holländische» Regierung ans doppeltem Grunde verbaßt; denn außer dem, daß er zu den lbatigc» Mitgliedern der Opposition gehörte, batte cr auch un»er Napoleon die Stelle ein.r» Präfekten im Haag bcklcidcl, und diesem Posten so prä- scklcnmä.ßig vorgestandcn, daß die Bürger vom Haag mcbrmals nabe daran waren, ibn i» Stücke zu zerreißen. Herr von Stassart hat jedoch auch zuwcilitt eine Anwandlung von Bvnhomic, wie dcr Schabababam des Herrn Scribe. Er ergieß! sich in Prosa und in Versen über „jenes Trugbild, da» man Größe nennt," Napoleon, die Verbündeten, der