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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. PränumerativnS- Prei« 22^ Sgr. THIr., vierteljährlich, 3 Liste. für da« ganze Jahr, ohne Er höh»»,, in allen Theilen der Prcuhischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Mg. Pr. Staal« Zeitung in Berlin in der- Expedition (Mohren-Slraßc No. Z4>; in der Provinz fs wie im Auslande bei dem Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 40. Berlin, Freitag den 3. April 1838k. Schweden. Schwedische Romanen - Literatur. Azouras Tintomara. Da« Feld der Romane war vor etwa Z0 bi« 40 Jahren von den Schweden wenig bearbeitet; ihre Original-Romane beschränkten sich auf einige wenige aus älterer Zeit (wozu auch die jetzt mit Unrecht ganz vergessenen Romane von Mork gehörten), und eine Menge von Neber- setzungcn theil« Deutscher, theils Französischer und Englischer Mach werke mußte dem lesenden Publikum in Schweden diesen Mangel er setzen. In neuerer Zeit jedoch lst es anders geworden, und es haben auch im Gebiete des Romans die Schweden eine regsame produktive Thäligkeit gezeigt. Ward hier auch manches Mittelmäßige und Schlechte mit zu Tage gefördert, so sind auch der guten Sachen nicht wenige, wie besonders die historischen Romane von Mellin, die Romane der Demoiselle Bremer, Sparre's „letzter Freisegler" („den ststa Friscg- laren") und mehrere andere beweisen. Zu den gediegeneren neueren Prodnctionen der Schwedischen Ro manen-Literatur gehört auch folgendes merkwürdige, seltsam betitelte Werk: „Freie Phantasteen, welche, als ein Ganzes betrachtet, von Hrn. Hugo Löwenstjerna bald das Buch der Rose, bald eine herumirrende Hindin genannt ward" („Fria Phantasier, hoilka betraktade Jnsom ett Helt af H. Hugo Loewcnstjerna stundom kallades törnrosens bok, stun. dom en irrande Hind"). Hiervon erschien vor einigen Monaten der vierte Band noch unter dem besondern Titel: „Der Schmuck der Kö nigin, oder Azouras Lazuli Tintomara: Erzählung von Begebenheiten vor, während und nach dem Morde Gustas's III." Roman in 12 Bü chern („Drottningcns Jnvelsmvcke, cllcr Azouras Lazuli Tintomara; berättelse om händelser näst före, under och cfler, Gustaf s lll. mord"). Diese Erzählung zeichnet sich, so wie die in den früheren Theilen, durch eitlen originellen interessanten Grundgedanken, durch scharfsinnige Durch führung des Plans, Reichthum der Erfindung, und durch vortreffliche Eharaklerifirung der einzelnen, meist historischen Personen, aus. Die Hauptperson, Azouras, ist ein Mädchen, welches, so eben über die Gränze der Kindheit hinaus mit innerem Reichthum und bezaubernder Schönheit begabt, ganz und gar Natur ist, und daher alle die Güte und die Reinheit besitzt, welche Natur und Instinkt, ohne jene andere Beihülfe, schenken können. Durch eine eigenthümlichc Stellung in der Gesellschaft, wodurch dies räthselhafte Wesen genöthigt wird, immerfort die Rollen von Weib und Mann zu wechseln, wirkt sie zerstörend auf alle dieje nigen ein, die in den Kreis ihrer unabsichtlichen Bezauberung gerathen, da sie gegen ihren Willen bald in der einen, bald in der andern Nolle eine Liebe erweckt, die sie wohl wahrnimml, aber nicht versteht, und daher uncrwiederl läßt. Was dem Berf. hierbei vorschwcbie, ist wohl ein reines Naturbild der Menschen-Reinheit, für welche die gewöhnliche Trennung und die gewöhnliche Wiedervereinigung zwischen männlicher und weiblicher Individualität fremd ist, der Zustand, wo der Mensch, über alle» Streit der Bildung und Berbilduiig erhaben, ans einer höheren Lebcns- stuse mit derselben reflectionsloscn, derselben nncrschütterlich harmonischen Selbsteinheit lebt und handelt, wie cs, in niedrigerer Weise, die allgc- meiiie Eigenschaft der Thierheit zu seyn scheint. Daher hat aber anch der Becs, sein unjchuldvolles Zauberwcsen eine Heidin inmitten eines christlichen Zeitalters n»d eines christlichen Landes bleiben lassen. Die Umstände, durch welche die Möglichkeit hierzu motivirt ist, sind mit Scharfsinn ausgedacht, und die Auswege dazu, welche Gustafs III. Zeit vor jeder andern darbot, sind so glücklich benutzt, daß die poetische Wahrscheinlichkeit der Person beinahe an eine historische gränzl. Wir geben hier zur Probe nachstehenden Auszug aus dem Roman, dessen Heldin Deutsche Leser an Goethe s „Mignon" erinnern dürste, die un- sireitig dem Schwedischen Verfasser auch vorgeschwebt hat. „Fräulein Rudcnsköld und ihre Freundin saßen auf einer der Bänke in der Hellen und schönen Kirche aus dem Norrmalm, welche eilt Ucberbleibscl de« frühere» berühmten St. Klara-Klosters ist, und noch Liesen Namen trägt. Die Predigt war ans, und die mächtigen voll stimmigen Töne der Orgel, durch die geschickten Hände eines ausgezeich neten Organisten hervorgelockt, schwebten in unsichtbaren Engels-Eyören im hohen Gewölbe der Kirche, ließen sich aus die Zuhörer nieder und drangen warm in ihre Herzen ei». Azouras sprach kein Wort. Sie lang auch nicht, denn sie kannte keinen einzigen Psalm, und Fräulein Rudcnsköld sang nicht, weil sic es j» der Kirche nicht zu thun Pflegte. Während des Spieles der Orgel erlaubte sich jedoch das Fräulein, Eines und das Andere über die schöne Predigt des vr. Asplund zu äußern und über die Bekanntmachungen nachher, die so langweilig ge wesen waren. Aber al« ihre Nachbarin, ohne zu antworten, fortfuhr,- sast unbeweglich mit groß geöffneten Augen vor sich hinzustarren, f» wie man vor sich hinblickt, ohne auf etwas Bestimmtes zu sehen, da änderte das Fräulein die Rede. Plötzlich bei einem Tonfalle in der Mnstk, der eine Kadenz schloß, fuhr Azouras zusammen, blinkte schnell mit den Angenlidern, und ein leiser Seufzer verricth, daß sie voir einem inneren, bctrachlnngsvolleii, unerklärten Zustande zu ihrer Freun din und sich selbst znrückgekommcn sey. Etwa« Unbeschreibliches voir höchst trauriger Färbung, von beinahe schwarzem Teint schien j» ihre:» Augen, nnd mit einem kindischen Blick aus die Freundin äußerte sie: „„Sag' mir, was stellt dies große Gemälde dort vor?"" „„Das Altar-Gemälde? Weißt Du das nicht? Das Altar-Gc- mälde in Klara ist ja eines der schönsten, die wir besitzen."" „„Was geschieht denn dort?"" fragte Azouras. „Das Fräulein sah zur Seite; sie "wußte nicht, daß ihre Nachba rin auf der Bank ein Mädchen ohne Taufe, ohne Ehristenthum war> ohne die geringste Kenntniß in der Religion, eine Heidin, und noch, weniger als ein Heide, denn auch dieser hat seine Lehre. Fräulein Ru- denstöld glaubte, des Mädchens Frage rühre bloß von einer zufälligem Vergessenheit her, nnd antwortete, um sic zu erinnern: „„Ja, Dm sichst, es ist dies cins der gewöhnlichsten Gegenstände, aber vortrefflich gemalt, und das ist die Sache. Da oben, zwischen den übrigen Per sonen auf dem Gemälde, merkst Du eine zur Hälfte liegende Figur,, welche kodt ist, — fleh', welchen Ausdruck der Maler in jeden Zug zer legt hat — es ist der Heiland."" „„Der Heiland?"" „„Ja, Gottes Sohn, wie Du weißt, oder Gott selbst."" „„Und er ist todt?"" murmelte Azouras vor sich hi». „„Ja, ich glaube es, es ist so; cs ist göttlich, todt zu scp»!"" „Fräulein Rudcnsköld sah ihre Nachbarin mit großen Augen an. „„Du mußt diese Gegenstände nicht mißverstehen"^", sagte sie; „„es ist menschlich, zu lebcn und leben zu wollen. — Doch laßt uns vom hier Weggehen, Angst beklemmt meine Brust."" ....„„Doch nein, hier bleibe ich jetzt, bis meine Angst vergeht.. Gehe, Lieblichste, Du sollst von mir hören."" „Fräulein Rudensköld entfernte sich von ihr, ging aus der Kirchs und über den Kirchhof nach dem östlichen Thore, das zur OdenS- Straße hinausfübri." „DaS Mädchen blieb indeß in der Kirche, trat in einen Winke! unter den Treppen des Orgelwerks, sah, ohne bemerkt zu werden, die- Leute nach und nach hinaüswandcrn, und hörte zuletzt den Küster unk den Kirchcnwächlcr ihren Weg gchc». Als die letzte Kirchenthur znge- schlagen ward, trat Azouras aus ihrem Versteck hervor. Abgeschlossen von der ganzen Welt, getrennt Poli allen Menschen, fand sie sich ein sam in einem großen lichten Gebäude, wo die Mittagssonne ihr Gold aus alle Gegenstände ergoß. So unkundig sie in Betreff unserer hei ligen Kirchen - Gebräuche und der Bedeutung der Dinge war, die sie um sich her erblickte, so hatte sie doch schon einige Mal früher den» Gottesdienste, als einem Zeitvertreibe, beigcwohnt, und dabei ihre Auf merksamkeit Lem einen oder anderen Gegenstände zugcwandt. Die Per sonen, mit denen sie in den Gängen und Sälen der Oper gelebt halte^ ginge» fast nie in Gottes Haus, und im Allgemeinen war der Kirchen- besnch in dieser ganzen Zeit nicht sehr gebräuchlich. Was Wunder denn, wenn ein Kind, das keiner Gemeinde Mitglied war und voll keinem Priester ein unterweisendes Wort erhalten hatte, versäumte, waS selbst die Eingeweihten nicht fleißig beobachteten?— Sic ging bis zuw Gang der Kirche vor, und nie hatte das düster schrcckbare Gefühl der Verlassenheit sic mit solcher Macht wie jetzt erfaßt; denn es war ge paart mit der Ahnung einer großen bevorstehenden Gefahr. Ihre Brust klopfte gewaltsam; sie fühlte unaussprechliche Sehnsucht — aber wo hin? — nach ihren, wilden freien Walde, wo sie schnell wic ein Wild umhergesprungcn? — oder wohin?" „Sie trat zum Ehore nnd näherte sich dem Altar-Ringe. „„Hier- irgendwo, erinnere ich mich, daß ich einmal — aber es ist lange her und cs steht wie ein Schalten bloß vor meinem Gedächtnisse — hier sah ich viele Lenle auf den Knieen liegen; es muß ihnen zu etwas ge dient haben. Wenn ich c« auch so machte!"" Sie faltete daher ihre Hände und kniete vor dem Ehore auf das Steinpflaster nieder. Aher was sollte sie nun weiter thun oder sagen? Wozn sollte es Alles seyn? Wohin sollte sie sich wenden ?" , „Sie wußte cs nicht: Sie sah in ihre Gedanken wie in eine un ermeßlich schweigende Heimath nieder. Ach . . . eine Stütze, eine Hülse... wo, wo?" „Sie sah sich still umher; sie erblickte keinen. Sie war sicher.