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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22^ Sgr. Wrg vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf dieser? Beiblatt der Wg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straßr Ro. 34>; in der Provinz so, wie im Auslande bei des,. Wohllöbl. Post-Aemt-w- Literatur des Auslandes. 42. Berlin, Mittwoch den 8. April 183L Griechenland. Demetrio Triandofolo. Machte man sonst einen Spaziergang durch die Straßen Stam- buls, so trat hier oder dort eine Scene aus „Tausend und eine Nacht" vor unseren »lugen ins Leben. Schiffte man durch den labyrinthischen Archipel, so konnte man gewiß sehn, einem lebenden Anastasius zu be gegnen. Ein Zeitraum von wenigen Jahren hat dies gar sehr geändert. Der noch vor kurzem in seiner ganzen Erscheinung so glänzend auftre- tende OSmane ist nur noch ein Schatten seiner selber, das orthodox Orientalische ist gestürzt, wir sehen in dem jetzigen Türken ein Zwitterding von Altem und Modernem. Auch der Grieche imponirl nicht mehr wie früher. Als er einen despotischen Herrn an dem OSmanen hatte, zeigte er einen gewissen versteckten Trotz in seinem Wesen, der sich nur hinter einer berechneten Schlauheit verbarg. Jetzt legt er sein Kostüm ab, und ist weder Franke noch Rajah. Sein Charakter tritt nackter ans Tageslicht, der Reiz des Geheimnisses ist verschwunden. Das ganze Land modernisirt sich, neue Städte steigen aus der ehrwürdigen Asche der zerstörten auf, Wüsten werden kullivirt, der Mensch gicbt sich sei nem Fatum nicht mehr lässig bin, Alles arbeitet und mühi sich ab: — sür den Reisenden hat Griechenland vor der Hand an Reiz verloren, davon abgesehen, daß jede rasche Uebergangssiuse in der Kultur eine« Bölkes keinen erfreulichen Anblick gewährt. Während des langen Krieges war Syra eine Art neutraler Punkt für alle Parteien. Bon Gräuel und Verwüstung rings umgeben, hing die kleine Stadt dieser Insel, wie ein Vogelnest gesichert, aus der Spitze eines jähen Felsens. Sic war seil länge der Sitz eines katho lischen Bischoss gewesen, und erfreute sich feit undenklichen Zeiten unter dem Schutze der Könige von Frankreich größerer Privilegien, als die benachbarten Znsclstädle. Zu klug, um durch das Gefühl der Sicherheit sich einschläfcrn zu lassen, hatten die Syriotcn ihre kleine Stadt auf dem höchsten Punkte der Berge erbaut, von dem Landungs- Platze entfernt genug, um bei einem unerwarteten Besuche von Seiten der Herrscher ihre Weiber und Schätze zu sichern. Zugleich lebten sie bei der hohen Lage ihrer Stadt in einem gesunden Klima. Heiler und betriebsam, überstiegen sie bei einem nicht allzu weit ausgedehnten Spielraum in ihrem Handel und Wandel niemals eine gewisse Gränze des Wohlstandes, und ohne Streben nach übermäßigen Reichlhümern hielt man sic für vollkommen glückliche Menschen, ihre Insel galt sür eine» Sitz der Zufriedenheit. Seil der Beendigung des Krieges hat der Wohlstand abgcnommen. Seltsam genug war die Kriegszeil gerade die Zeit der Blüthe für Syra. Der Handel der Insulaner mit Waffen und Kleidern war damals sehr bedeutend; diese Friedens-Insel war der Ort, aus dem alle Parteien die Mittel zur Fortsetznng des Krie ges zogen. „ , Um den Zustand der Syriote» beneidenswerth glücklich zu machen, kam noch der Umstand hinzu, daß, während in Konstanlinopel, Smyrna, Syrien und Aegypten die Pest wülhete, Svra allein wie ein paradiesi sches Gärtchen von aller Kalamität unangesochten blieb. Es war na türlich, daß auch die Fremden, die den Archipel besuchten, hier zusam- mcnströmten, und sich in der Bucht von Syra ein Rendezvous zu ge ben pflegten. Ein wunderbares Schauspiel eröffnete sich dem Reisen den, wenn er dort landete. Man muß Calais betreten, oder in Neapel am User sich nach einem Lohnkutschcr unigesehen haben, um sür die tumultiiarische Scene, die sich dem Ankömmling darbot, einen Verglci- chungspunkt zu finden. Syra war, wie gesagt, für Jeden, der nach der Levante oder nach dem Orient überhaupt zu reisen hatte, eine unumgängliche' Station. Man traf hier Fahrzeuge nach allen Hauptstädten der Türkischen, Russischen und Syrischen Küsten. So umschwärmten denn gleich Hunderte von Schiffern den Ankömmling mit dem tobenden Zuruf: „Nach Taganrog? nach Odessa? nach Smyrna?" Ehe man sich nicht bestimmt erklärte und seinen Mann wählte, hörte der stürmische Lärm nicht aus. So war cs, als ich in der Bucht landete. Meine Bestimmung ging nach Konstantinopel, allein ich war entschlossen, einige Tage ans der Insel zu verweilen, und halte nun Noth, ein Obdach zu finden. Endlich verschaffte ich mir ein Stübchen, das eben groß genug war, um eine Matratze hinzubreiten. Hunger und Langeweile trieben mich bald in das dortige Kaffeehaus. Es war um die Mittagsstunde. Im inner» Raum der Bude stand eine Reihe von Tischen und Bänken, bas rohe Material der Gerälhe würde in,einer Bauern-Schenkc passen der an Ort und Stelle als dort gewesen sevn, wo die Reisenden Eer Nationen zusammenströmten. An der Wand waren zwei oder drei Bretter befestigt, auf denen ein halb Dutzend Flaschen voll „veri- tablo lklnun ÜL ämnaiguo" und „biosozlio 8oz,ralin»" standen. Ich mochte diese Etiketten nicht prüfen, um Lüge oder Wahrheit zu finden. Sonst war es im Raum recht leidlich. Die Mithin schenkte aus einem kupfernen Kessel fleißig ein, der Wirth stand an einem Kohlen feuer und drehte einen Bratspieß, an dem einige viereckige Stücke Ziegen- und Hammelfleisch steckten. Aus den Tuchen standen Kübel voll Reis und Oel. Man denke sich vierzig bis fünfzig Gäste an den langen Tafeln, jeder in einem andern Orientalischen Kostüm, dazwischen eine Menge Franken in ihrem schlichten Pariser Frack oder in Ueber- röcken, alle essend, trinkend, oder rauchend, mit Karten, Würfeln oder Domino beschäftigt, — und das Gemälde ist fertig. Das bunte Ge misch von hundert verschiedenen Sprachen, die hier im Gewühl der Redenden laut werden, darf nicht vergessen werden. ES war unmöglich, mit Geld und guten Worten ein Schiff, das nach den Dardanellen ging, ausjuttciben; somit war ich schon genö- thigt, noch länger, als ich gewollt, auf der Insel zu bleiben. Das Kaffehaus besuchte ich fleißig genug, nm den bunten Sccncn, die sich hier entwickelten, von meinem Platz im Winkel, den ich zu wähle» pflegte, zuzuschauen. Eines Tages entspann sich unter den anwesende» Griechen ein hartnäckiges Wortgefecht, das in einen wirklichen Kampf über ging. Dergleichen als Zuschauer zu erleben, war stets und in alle» Ländern für mich von spaßhafter Wichtigkeit. So saß ich denn in mcüum Winkel und sah zu, wie sich Griechen dabei geberden. Natürlich begann man auch hier erst mit Neckereien. Man lachte, höhnte, drohte. Was der Gegenstand des tobenden Gespräches war, konnte ich nicht verstehen. Allein drei oder vier Schiffer von benach- barten Inseln und zwei Sffacchioten (aus Sffacchia, einem Distrikt auf der Insel Candia), die sich in der Kleidung durch den schwarzen Turban vor den andern auszeichneten, waren die Zielscheibe des Hasses. Einer der Eingebornen schlug endlich mit dem unteren Ende seiner Türkcn-Pfcife dem einen Sffacchioten auf den Mund, indem er ihm Stillschweigen gebot. Einige Tropfen Blut spritzten aus dem Munde de- Geschlagenen. Da schäumten die Sffacchioten auf, ihre Gesichter glühten wie der Scharlach ihrer Schürzen. Sie suchten ihre Rücken zu decken, ergriffen Bänke und Tische und warfen sie in den dichten Schwarm der zahlrei chen Feinde. Nun war Alles in Aufruhr, die Handschars blitzten in der Luft und es fielen Hiebe, denen Ströme Blutes folgten. Zu den beiden Kandiotcn hatten sich noch andere gesellt, und sich aus Verthei- digung beschränkend, machten sie ihre» Gegnern, die stürmisch auf sie eindrängen, viel zu schaffen. Ich sprang aus den Tisch, um die nölhigc Parteilosigkeit im Getümmel zu behaupten und aus einer gewissen Vo gel-Perspective dem Kampfe zuzuschauen. An Entfliehen war nicht zu denken; die Thür war von einem Haufen Männer besetzt. Die Katastrophe nahte ihrem Ende, indem ein langgewachsener Spezziot mit seinem ungeheuren Arm einen der Kandiotcn zu Boden schlug. Die Genossen, desselben unterlagen nun auch nach und nach, und der siegende Spezziot schleppte sein Opser an der Schürze zur Thür hinaus an den Strand- Lärmend folgte ihm der ganze Schwarm. Erst nachher erfuhr ich die- Ursache des Streites; man hatte die Kandicten wegen Verräthersi i» Verdacht. Unter solchen Umständen war der Besuch der Bude keinesweges immer erfreulich. Allein was soll ein Engländer machen? Dem Inner» eines Ballons ist Luft nicht nöthiger, als einem Engländer die Füllung: des Magens, er hat vor allem vaouum einen Schauder. Demnach blieb- keine Wahl, die Bude war der Zufluchtsort meines Hungers. Einige Tage daraus traf ich mit dem langen Spczziotcn dort wieder zusammen. Ich wünschte mir eigentlich, um mit Sir John Falstafss zu reden, seine entferntere Bekanntschaft, allein er suchte die meinige, und der Mann batte bei aller Wildheit seines Wesens doch zugleich: etwas Bonhomic und einen frischen Humor, der sür ihn einnahm. Er mochte dreißig Jahre zahlen, sein Glieder-Bau erinnerte mehr an de» Farnesischen Herkules, als an den Apoll zu Belvedere. Ein unruhig blitzendes Auge unter einer hohe», schön gewölbten Siir» konnte Argwoh» erwecken. Zu der sonnverbrannten Gesichts-Farbe stand eine Reibe glänzend weißer Zäbue in grellem Kontrast. Sein Anzug war verworren schön, nachlässig wäblcrisch. Der Janina-Sbawl saß ihm etwas schräg auf dem Kopse, an seinem prächtigen Leib-Gurt hing ein kostbarer Tabacks. Beutel von Purpur und Gold, seine Pfeife hatte nur die Hälfte- der gewöhnlichen Länge, seine Waffen waren reich mit Silber beschlage». Er imponirle mir nicht wenig als cr sich srcundlich zu mir wandle und- sein allzu diencrisches: „Ich werfe mich Dir zu Füßen" aussprach-. „Euer Diener," war meine Antwort. „Kommst Du von Stambut oder aus Franken?" fragte der Grieche. Ich bejahte das letztere. „E?