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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS- Preis 22^ Sgr. Thlr-l vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pr.mumerirt auf Hirse- Beiblatt ter Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße No. 34»; in der Provinz so wie im AuSlande bei den WohNöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 34 Berlin, Freitag den 20. März 1835 Rußland. Ueber eine neue Ersteigung des Ararat. Seitdem Herr Parrot im Jahre 182» den großen Ararat bestiegen, und die Beschreibung dieser, zu wissenschaftlichen Zwecken unternomme nen Expedition herausgegeben hat, haben sich nicht bloß in Rußland, sondern auch in Deutschland und Frankreich mancherlei Zweisci dagegen erheben wollen, daß er den höchsten Gipset jenes -Berges wirklich erreicht habe. Erst kürzlich haben Petersburger Blätter es noch für nöthig ge halten, das für diese Ersteigung sprechende Ieugniß eines junge» Ar menischen Geistlichen, Namens Ehalschalur Abowian, abzudrucken, wel cher Herrn Parrot auf jener Expedition begleitet halte. Dieser spricht darin seine Verwunderung darüber aus, daß man solche Zweifel auch im gebildeten Europa habe theilen können, wo man doch kaum Kennluiß habe von dem Aberglauben der Armenier, daß es keinem Sterblichen gestaltet sep, den Ort wieder zu betreten, wo Noah'S Arche nach dem Verlaufe» der Sündstulb sich niedergelassen und daß selbst der heilige Iakob nur ein Brett der heiligen Arche habe erlangen kön nen, um" damit das berühmte Gotteshaus, welches seinen Name» tragt, zu begründen. Inzwischen haben doch jene Europäische» Zweifel keinen andere» Grund, als die aus Erusie» selbst zunächst in die Tisliffcr Zeitung und von dieser in PetcrSburgische Blätter übcrgegangmcn An griffe gegen Herr» 'Parrot, von denen namentlich der des Herrn Chopin der bekannteste ist. Ob Herr Chopin dabei aus reinem Eiser für die Wissenschaft zu Werke ging, muß dahin gestellt blei be»; so viel ist jedoch gewiß, daß die Quellen, aus denen er selbst ge schöpft, die unlautersten waren, die cs geben konnte, nämlich die Be richte der Grusicr. Diese, denen zunächst daran liegt, den Nimbus der Heiligkeit, mit welchem der große Ararat umgeben ist, nirgends zerstört oder auch nur im Emscrntestm gefährdet zu sehe», weil sie davon eine Schmälerung der Einkünfte fürchte», die ihnen oft aus den Wallfahr ten der frommen Armenier erwachsen, habe» auch noch, was man kau», glauben sollte, eine Art von wiffcnschastlichcm Neid auf Herrn Parrot. Es rühmt sich nämlich einer der Vorsteher der dem Ararat zunächst gelegenen Ortschaft Achur, Namens Meli», denjenigen hohen Punkt des Ararat, der de» Sterblichen noch erlaubt sep, zu betreten, zu dem aber guch selten jemand gelangt, nämlich die zweite Anhöhe des Berges, wirklich erreicht zu haben. Nun ist cS namentlich dieser Melin, der nicht zugebcu will, daß Herr Parrot einen noch höheren Punkt als er, und mithin auch einen größeren Ruhm erlangt habe. Wie sehr aber dieser Melin auch noch von ganz anderen Triebfedern, als vo» solcher allenfalls noch zu entschuldigenden Ruhmbegierde geleitet werde, wird sogleich aus nachfolgender Darstellung einer neuen Ersteigung des Ararat hervorgchen, die im August des vorigen Jahres ein junger, in Armenien angcstclltcr Russischer Bcamlcr, Namens Auto » o m o fs, theils aus eigener Wißbegicrde und theils zur Ehrenrettung des Herrn Parrot unternommen hat. Herr Autonomoff ist eben im Begriffe, die Beschrei bung seiner Expedition, so wie diejenige» wissenschaftliche» Beobachtun gen, die er anzustellcn Gelegenheit gehabt hat, in seiner Muttersprache herauszuaebe», und Folgendes ist eine Episode aus dieser Beschreibung. Nachdem cs unserem junge» Reisenden gelungen war, sich gegen ansehnliche Geld - Versprechungen ein paar Armenische Führer zu ver schaffen, trat cr, trotz der Warnungen aller Bewohner von Achur und namentlich des Vorstehers Melin, sich vor den Schneelawinen, vor Verblutungen in der höheren Luft-Region und vor anderen göttlichen Heimsuchungen in Acht zu nehmen, am 16. August n. St. die Reife von Achur an und kam noch an demselben Tage bis in die'Nähe der Schncelinic, wo er-bei einem Ochsen-Hirten, im Freien kampirend, übernachtete. Wir wollen nunmehr den Herrn Autonomoff in seiner naiven und fast zu nalurgctrelten Weise selbst erzählen lassen: „Am 8. (17.) August 1834 um 6 Uhr, nachdem wir gebetet und Thee getrunken halten, rüsteten wir uns, um die Schneegefilde des Ararat zu ersteige», gerade so, als wollte» wir ci»e für uneinnehmbar geltende Festung erstürmen. Die ganze vorhergcgangcne Nacht hatte ich nicht geschlafen, sondern nur einige Augenblicke lang mich selbst ver gessen; ich weiß nicht, war daran der Wind schuld, der zwischen den Feise» tobte, oder war mein Gemülb so unruhig. Dem sep indessen, wie ihm wolle; es gehört allerdings einige Entschlossenheit und Seclcn- stärke zu dem Unternehmen, däs ich Vorhalte. Am meisten beunruhigte wich die Besorgnis!, daß meine schwache Brust die scharfe Bergluft nicht ertragen würde. Die Nacht war herrlich gewesen; jenseits des beschncie- ten Berggipfels war der Mond aufgesticgcn und schien mich mitleidig -anzublicken, wie ich bald zwischen Felscn umherkroch, bald auf meinen Filzmantel mich nicderlegte und bald wieder unruhig aufstand; allmälig verschwanden die Sterne einer nach dem anderen am Himmel; ich Halle mich, wie es früher oft geschehen war, an ihrem Anblicke stärken wol len, aber vergebens; der Schneeriese mit seiner gewaltigen Gestalt töd- tcte alle meine Seelenkrasie. Es begann endlich zu dämmern. Gott sch Dank! Auf, meine Führer, auf! — Wir machten uns fertig und stiege», Gott im Herzen, bergan. Bald erreichten wir die erste Schiiccläge — sie war nicht hoch, und der von Wasser getränkte Schnee sehr hart; meinen Führern schien das Steigen auf diese Art gefährlich; sie begannen, Stufen im Schnee auSzuhauen; ich aber legte mir unter die Stiefel Eisen mit vier Spitzen, stützte mich auf eine mit einem Haken versehene Stange, und schritt gerade und sehr rasch vor. wärts. Die Führer stellten das Aushaue» bald wieder ein und schloffen sich mir an. Meine Seele zagte, als ich vor meinen Augen ein unab sehbares, von der Sonne überstrahltes Schneegefilde erblickte, und ein Vorgebirge von ganz unermeßlicher Höhe; die Hoffnung aus optischen Betrug beruhigte mich einigermaßen. Anfangs gingen wir schnell, doch bald ward uns das Atbmeii schwer: nach je zehn Schritten trat immer eine Abmattung ein, so daß wir ein wenig stillstehen mußten. Der Schnee war sehr hart, auch ging cs steiler bergan; jetzt mußten wirk lich Stufen auSgehauc» werden, wenn wir weiter hinauf wollten. — Acxle herbei! ES war schon 8 Uhr, und noch der Gipfel so entfernt, — wir konnten nicht mehr fort. „Nein", dachte ich, „es giebt eine Gränze, die kein Sterblicher mit aller Entschlossenheit überschreiten soll. Ja! die Natur bat ihre Geheimnisse, in die es kein Mensch wagen darf rinzudringen! Noch eine sehr hohe Strecke und zwei Hügel..i letztere erscheinen von unten noch steiler, als die erstere!... Was soll ich tbim? Sott ich von der Stelle zurückkchren, von welcher Professor Parrot angeblich zurückgckehrt sevn soll?. .. Was? Ich sollte meinen Zweck nicht erreichen, und war doch in den Gefilden des ewigen Schnees und sah diese kalte Sonne? UebrigenS noch ein Versuch; cs gcht nicht — ich will mich erholen: — gieb Brod her, Iohannes, — wir wollen srühstückcn." — Nun, da sind wir ja auf dem Gipfel der zweiten ho hen Stelle! Guter Gott! wie majestätisch glänzen diese zwei Eishüqel und -die äußerste Bcrgspitze! Wie herrlich muß es auf dieser Spitze oben sehn! Die ganze unten liegende Fläche, mit Sonnenstrahlen über gossen, bietet den Anblick eines Tempels dar mit unzähligen vo» Lich ter» glänzende» Altäre» — aber mein Gemülh ist kalt, niedergeschlagen — die Größe der Natur erdrückt mich!... „Herr", schrie ein Führer, „ein Abgrund, ein Abgrund!" — ES war eine große Eisspalte; wie tief, war nicht zu sehen. Golt, wenn ein falscher Tritt? . .. Nun, was wär's? das kälteste aller Gräber — und weiter nichts. . . . „Wo steht das Kreuz?" — „Dort, Herr!" sagte der Führer, mit dem Finger nach Oste» zeigend. Nachdem wir Stufen. anSgchauen hatten, tun sicherer Fuß zu fassen, — übersprangen wir die Spalte; die Führer liefen, leicht auftretend, voran, nach der Seite zu, auf der das Dorf Achur liegt — ich folgte ihnen; das Eis bebte, doch bald hörten Eis und Beben auf; wir kämen noch an meh rere andere Spalten, umgingen sie aber; der Wind wehte aus Süden und brauste wie in eine» leeren, von Metallwändc» umschlossenen Raum hinein. Dieses Brausen erinnerte mich an eine in dieser Gegend ver. breitete Sage von Alexander dem Großen, wie er Gog und Äagog in die Höhle» des große» Gebirges jagte, wo Röhren angebracht wären, durch welche der Wind blies, der die in den Höhlen Eingcsperrten in Schrecken setzte, so daß sic es nicht wagte», sie zu verlassen, und im Glauben, Alexander lebe noch, bis aus den heutigen Tag noch hier im Dunkeln sitzen. Ich hörte diese Geschichte als Kind, und fürchtete mich nicht wenig, wenn ich daran dachte, daß Gog und Magog, ihre Täu schung gewahr werdend, aus den Höhlen einmal hervorsturzen könnten; anch stellte ich mir das Blasen des Windes in den Röhren gerade so vor, als ich cs jktzt auf den Schneefelsen hörte. „Herr, da seh' ich etwas!" rief einer von den Führern. Auch ich erblickte, einige Zoll aus dem Schnee hervorragend, einen viereckigen, ziemlich starke» Pfahl von Fichtenholz. Das ist der obepe Theil de« vom Professor Parrot ausgestellten Kreuzes. Ich sah schaxfer dahin, und sagte zu mir selbst, die Berge anschauend: Was! dort oben wäre Pie höchste Spitze? Und nur noch zwei kleine und nicht steile Höhen wären zu erklimme»? Ich sehe »ach der Uhr: es war bald neun. So früh noch und schon umkehren! Warum machte ich mich denn eigent lich auf den Weg? Wozu so große Anstrengungen und Kosten? — „Führer! Marsch, vorwärts." — „Ach, Herr, ich kann nicht mehr, ich weis; de» Weg nicht, der Schnee ist tief!" — „Nur vorwärts. Der Pad.jchah (nämlich? der Kaiser von Rußland) wird Euch belohnen." — „Ach, Herr, es wird nicht gehen."