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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prämttneeäüons- Preis 22^ Sgr. l; Tljtk.j vierteljährlich, 3 Thlr. für da» ganze Jähr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man präuumerirt auf diese« Beiblatt der Mg. Pr. Staat»- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße No. 34»; in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 31. Berlin, Freitag den 13. Marz 1833. Frankreich. Dupuytren. Jetzt, wo der Krabbngel Dupuytren'« Hülle eben ausgenommen, nnd die Schwelle seines Nachruhms bildet, dürste ein Rückblick aus das Leben und Wirken dieses großen Mannes nicht ohne Interesse sevn, wie denn auch säst alle periodische» Blätter dem Todten bereits ihre Huldigungen dargebracht haben, au« denen man indcß, abgesehen von den rein biographische» Notizen, de» individuellen Charakter de« Verstorbenen schwerlich ganz erkennen dürste. Nicht aber den Lobrcdner Dupuylren's wollen wir hier spielen, denn einen solchen nimmt nur der zweifelhafte, von der Hand der Parteien und vom Winde der Meinungen in einer Stunde errichtete und vernichtete Ruhm in Anspruch; der unsere« Todten aber ist bereits durch die Zeil geweiht und befestigt. Auch alle biographische Einzeln- heilen solle» hier, da man sie überall findet, übergangen werden. Dagegen wünschten wir wohl, un« mit einer gründlichen Würdigung der Arbeiten, wie mit einer richtigen Abschätzung der von diesem große» Meister unserer Kunst geleisteten Dienste zu beschäftigen; dies aber hieße, eine Geschichte dec Französischen Chirurgie während der ersten Hülste de« Ibten Jahrhunderts schreiben wollen: eine Aufgabe, die nicht improvisirt werten kann. Selbst da« Privatleben de« Dahingeschicdenen bietet ein eben so interessantes, als lehrreiche« Bild einer bedeutenden moralischen Existenz dar, au« welchem da« nachwachsende Geschlecht lernen könnte, um wel chen Preis und durch welche Mittel große Namen erworben werden, und wie die glücklichsten, geistigen Anlagen, die reichsten Schätze der Wissenschaft oft nur zu Hüifs - Werkzeugen benutzt werden, uni die Menge zu beherrsche», keine» Nebenbuhler zu dulden, die Welt zur Bewunderung hmzurcißen: ein Unternehme», welches nur durch die Beweglichkeit der Leidenschaft und durch die llnbiegsamkcit de« Willen« mit Erfolg gekrönt werden kann. Mancher hochstrcbcndc Ehrgeiz dürfte sich vielleicht durch die Abwägung der zu bringenden Opfer und de« zu hoffenden Resultat« zu seinem Besten abschrccke» lasse», und so würde diese Biographie auch ihre moralische Seite haben. Allein zu srisch ist noch die Erde, uni das Wagnis;, ein solches Sillen - Kapitel zu schreiben, zu rechtfertigen, und wir wollen uns daher hier nicht mit Dupuytren als Menschen, den der Tod hinwcggerafft, sondern mit ihm als Gelehrten beschäftigen, den er uns nicht hat rauben können. Diese freiwillige Beschränkung umfaßt immer noch ein unendlich großes Gebiet: den wissenschaftlichen Werth und Einfluß nämlich, den dieser größte Arzt seiner Zeil besessen und geübt hat. Dupuytren bat fast Nichts geschrieben; zwei oder drei Aussätze und die noch kurz vor seinem Tode vollendeten „Vorlesungen über die Berletzungen durch Kri egsw assen" °) bilden seinen ganzen tite- rürischen Nachlaß, der, wenn auch hinreichend, um den Ruhm eine« jeden Andern für immer zu befestigen, doch gewiß nie für sich allein den scinigcn in dessen ganzer Ausdehnung begründet hätte, und was seine hinterlassenen Papiere betrifft, so müssen wir gestehen, daß wir darin etwas Wichtiges zu finden mehr wünschen als hoffen. Nun bezeichne» aber i» der Wissenschaft gewöhnlich gerade die Schriften die Stufe der Vollkom menheit und de« Ruhms ihrer Verfasser, so daß, wenn c« auch zu allen Zeiten tüchtige Praktiker und ausgezeichnete Lehrer gegeben, ihr Ruf, wenn sie keine Bücher hinterließen, meist die Generation nicht überlebte, die sie gesehen und gehört halte. Gewiß aber wird Dupuy tren die Zahl dieser großen und doch unbekannten Tobten nicht ver größern, er wird nie ganz vergessen werden. An zu viele wichtige Er- findungen und Entdeckungen ist sein Name geknüpft, und zu ost bat derselbe dreißig Jahre hindurch in der Geschichte der Chirurgie durch seinen Klang alle Weltthcilc erfüllt; dennoch aber wird auch er nicht so aus die Nachwelt kommen, wie er uns jetzt vorschwebt. Seine vor züglichsten und gerechten Ansprüche auf die Bewunderung der Zcitgc- ') Für bas medizinische Publikum bemerken wir, baß der Herr Geheime Rath von Grase, als ausübender und klinncher Wundarzt Dupuytren s würdigster Acbcnbulncr, und mir demselben leit seinem vorjährigen Aufent halte in Paris durch eine, aus gegenseitige Anerkennung und persönliche Hoch achtung gegründete, Freundfmäft verbunden, sich dafür interesstrt, diese Vor lesungen, gieichlam das wissenschaftliche Teüamcnt seines verstorbenen Freun des, den Deutschen Fachgenosscn möglichst lehrreich zu machen, indem er den niir der Bearbeitung derselbe» beschäftigten Herr» Kalisch durch crlan- ternde und ergäniende Mfttheilungen aus seiner eigens» reichen Erfahrung untcrstüyt und dadurch am das einzige literarische Denkmal, welche« Du puytren selbst sich gewüt, das Wcihgeschcnk seiner Verehrung niederlcgt. DicseVorlesungen werden in Kargem in derVnchhandlung von Veit «r Comp. kn Berlin erscheinen. »offen sind in der That nur dem flüchtigen Zeugniß der Erinnerung und der vechallenden Stimme der Ueberlieferung anvcrtraul: beide aber ermatten leider nur zu schnell. Namentlich al« Praktiker und Lehrer verdiente Dupuytren eine der ersten Stellen unter den Wundärzten unserer Zeit; und gewiß nur sehr weriige können sich ihm in der Anwendung und im Unterricht un serer Kunst gleichstellen. Zwanzig Jahre hat er im Hsttel - Die», einem der ersten Institute Europa«, unwiderlegliche und öffentliche Beweise seiner Ueberlegenheil gegeben; und man kann wohl mit Recht behaupten, daß seine darin gehaltene Klinik mehr nene Ideen verbreitet und mehr Meister gebildet hat, al« tausend während dieser Zeil erschie nene chirurgische Werke. Nie vielleicht haben sich die Vorthrile der mündlichen Lehre deutlicher und größer gezeigt, al« bei ihm. Für die Laien, und leider auch für viele Wundärzte, ist die Chi rurgie nicht«, als die Kunst zu opcrire», allein das Genie deS Wund arztes liegt wahrlich nicht in seinen Fingerspitze». Wohl haben die Aerzte Jahrhunderte lang diesen Jrrthum sich zu »Schulden kommen und die Operationen sogar durch Gehülscn ausführen lassen, um ihrer ärztlichen Würde nichts zu vergeben; heut zu Tage aber stehen die Aerzte und Wundärzte eben so aus gleicher Stufe der Achtung, wie die Mctijin und Chirurgie auf gleicher Stufe der Wissenschaftlichkeit. Man giebt jetzt zu, daß es eben so viele, wenn nicht größere Kennt nisse voraussctzt, eine» Blascnstci» zu erkennen, auszuziehen und den Kranken zn heilen, al« ein dreitägige« Fieber richtig zu behandeln, so wie daß jener Beruf eben so edel al« dieser ist. Freilich sollte man diese Ansicht für so einleuchtend halten, daß da« Eegcntbeil von vorn herein als abgeschmackt erscheinen müßte; allein der menschliche Geist ist einmal der Art, daß er mehrere Jahrhunderte gebraucht hat, um diese Wahrheit allgemein anznerkennen. Die Chirurgie wird gegenwärtig als ei» mtcgrireuder Theil der Medizin überhaupt betrachtet. Die Natur selbst hat nämlich dadurch, daß sie innere und äußere Krankheiten hervorbringt, auch zwei Fächer der Heilkunst bedingt; in der Praxis aber berühren und verschmelzen sich oft gegenseitig die Rollen de« Arzte« und Wundarztes, wie jene Krankheiten selber. Wenn wir demnach Dupuytren den ersten Wundarzt unsere« Zeit alter« nennen, so nehme» wir diesen Namen in seiner größten Ausdeh nung. Die Chirurgie Hal in unseren Tagen ihr Gebiet so vergrö ßert, daß sie vielleicht jede andere Kunst und Wissenschaft an Schwie rigkeiten übertrifft; und außerdem ist ihre Anwendung so positiv, jeder Jrrthum in ihr so augenscheinlich, daß sic den Anmaßungen der Unwissen heit und des Charlatanismus säst gar keinen Spicjraum läßt und zur Erlangung eines großen Rufe« materielle Beweise nothwendig macht. Dupuptren war nun in allen einzelnen Zweigen dieser schweren Kunst ein gleich großer Meister. Er Halle einen bewunderungswürdigen Scharf blick, eine sichere Hand, unerschütterliche Kaltblütigkeit, und jenes an- gcborne Genie, welches den Künstler macht; denn wie zum Dialer und Dichter, muß man auch zum Arzt und Wundarzt geboren sehn. Zu siebcnzehn Jahren war er bereits Proscctor an der Fakultät, und von seiner frühesten Kindheit zog ibn ein innerer Drang zu der Laufbahn, welche er mit so viel Glück zurückgelcgt hat. Wie in der Medizin, ist auch in der Chirurgie die Diagnose die schwierigste Aufgabe, denn in ihr entfaltet sich die Kraft des Gei ste« nnd die Richtigkeit des Urtheils. Nur scheinbar hat der Wundarzt cs mtt äußcren Krankheiten zu thun, denn streng genommen, giebt c« keine äußere Krankheiten, so wie es am menschliche» Körper überhaupt nicht« Aeußerliches giebt, als etwa die Haulflächc. Die sogenannten chi rurgischen Affectionen haben meist ihren Sitz in der Tiefe einer Körper- Höhle; aber auch diejenige», welche unserm leiblichen Auge fich dar- bicten, müssen durch die Augen unseres Geistes gedeutet und erklärt werden. Gerade aber in der Diagnostik glänzte Dupuytren vor allen Andern hervor. Wer ibn an« Krankenbette begleitete, wird gewiß die Sicher heit seines Blicke« bewundert haben. Er beobachtete aufmerksam, aber rasch, und die Schnelligkeit seiner Entscheidungen erregte nicht minder Erstaunen, als deren Gründlichkeit. Alle seine Sinne waren in Aufre gung, und sein Krankcn-Examcn war nur kurz und umfaßte nur wenige Fragen. Auch Dupuytren hat sich freilich dem Erblhcilc des Menschen, dem Jrrthum, nicht immer entziehen können, allein er irrte vcrhältniß- mäßig sehr selten. So machte er einmal den Slcinschnitt, ohne einen Stein zn finden, dasselbe aber ist Chcseldcn, Default und Roux begeg net, und kann Jedem Vorkommen. Wir wiederholen demnach, daß in der Diagnostik Dupuytren keine» Nebenbuhler hatte. Seine klaren, genauen und stet« wolivirten Annahmen wurden fast immer durch die