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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration- Preis 22^ Sgr. Thlr.> vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ahne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man pränumerirt aus diese« Beiblatt der Allg- Pr. Staat-- Zeitung in Berlin in der Expedition lMohren - Straße Np. Z4>; in der Provinz s» wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Acmtern. Literatur des Auslandes. 14. Berlin, Montag den 2. Februar 1835 Italien. Venedig, nach Herrn von Hausiez. °) l. Mit Mestre beginnt das eigentlich Benetianische Gebiet, denn bier vertauscht man die Wagen mit Gondeln. Rach einer halbstündige» Fahrt auf einem sehr versandeten Kanal fährt man in die Lagunen rin, und mitten über dem Wasser liegt Venedig vor uns, mit seine» zahlreichen Kuppeln und viereckigen Glockcnthürmen, seinen Kirchen, feinen Inseln ohne Vegetation, Wäldern von Gebäuden gleich, die um die näheren Gruppen, auf denen sie erbaut ist, herumliegen. Dieser Anblick ist schön, doch nicht so schon, wie man sich vielleicht vor- gestelll. Venedig ist Einem so bekannt, man ist damit so vertraut durch die Menge meist übertriebener Beschreibungen von seiner Seltsamkeit, seinen Wundern, daß man an Ort und Stelle über Nichts in Erstatt, neu geräth. Ich kann wohl sagen, daß, obgleich ich diese Stadt zum erstenmal in meinem Leben sah, ich sie doch nur wiedersah, so genau kannte ich sie durch Rcisebeschreibnngen, Gemälde, Zeichnungen, Pano ramen. Ja sogar in ihrem Detail war ich so gut zu Hause, daß ich vor keinem irgendwie merkwürdigen Gebäude vorübrrging, ohne seinen Namen zu nennen. Wer kennt nicht den Dogen-Palast, den Sankt Marcusplatz, dir Dogana, den Rialto! Wie oft hatte ich es vorher geschaut und empsunden das geräuschlose Treiben auf den Kanälen! Bei alle dem aber war noch Gelegenheit genug zu Bewunderung und Erstaunen — der Anblick dieser Paläste von so' mannigfaltiger Bauart, die dem Fremden völlig neu ist, die man nirgends so wieder antrifft; bizarr und doch klassisch, eine Anwendung aller Stile, obgleich der bh- zantische der vorherrschende und sei» Stempel allen übrigen aufgedrückt ist, man muß darüber erstaunen, über die verschwenderische Pracht, mit der die seltensten Marmor-Arten zu den Gebäuden verwendet stnd, und wie geschmackvoll, wie kunstreich! Geblendet wird man von der Menge von Bronzen, Vergoldungen, der Fülle von Edelsteinen, mit der die Kirchen ansgeschmückt sind. Das kostbare Mosaik, mit dem die ganze Sankt Marcus-Kirche vom Pflaster aufwärts bis an die Schlußsteine seiner Wölbungen bekleidet ist — mau siebt und sicht sich nicht satt, und fragt sich immer wieder, wie je ein solcher Zusammenfluß von Künst lern habe vorhanden sehn können, ein so verschwenderisch ungeheures Werk zu entwerfen und auszuführen, und wie Zeil und Geld dazu her- gekommen und ausgereicht? Fährt man die Kanäle entlang, so erblickt man neben den ver fallenen Facaden der schönsten Palaste, Theile, die ganz in Trümmern liegen. Wenn man nun gewahrt-, daß selbst diese Paläste nur eine Fa?ade darbicten, und der übrige Theil nur roh und unordentlich von Backsteinen aufgeführt ist, man dann ins Innere derselben tritt, sich in einem kalten düster» Flure befindet, dann eine Marmortreppe hinaufsteigt, in einen zweiten Flur gelangt, der den Korridor zu einer Reihe von Zimmern bildet, die, unzweckmäßig abgetheill, unbequem sind, und nur die Aufsicht auf die Fazade des auf der andern Seite des Kanals gegenüberliegenden Palastes haben, und an dem man aus Ach tung, wie man sagt, gegen das Werk und den Gedanken des großen Baumeistes, der ihn gebaut (denn in Venedig steht keine Baracke, die nicht Palladis oder Sansovino gebaut haben soll), weder das Getäfel neugcmalt, noch die Vergoldung aufgefrischt — und man nun auch die "Gemälde bewundern muß, die man alle den Pleistern der Vcnctia- nischcn Schule zuschreibt, in einer Anzahl, die zehnmal größer ist, als sie sämmtlich, und hätten sie vom ersten Athemzuge bis zum letzten in einem Zuge gemalt, hätten hervordringcn können — wenn einem dies Alles gezeigt wird von einem halb zerlumpten Schließer, der uns dabei um eine Gabe anspricht, und man sich Plötzlich j„ einer Atmosphäre von trüber Dürftigkeit, ja Armuth befindet, mitten unter all diesem Aufwand und Pomp verrauschter Jahrhunderte, so steht man wohl, wie viel von dieser Bewunderung der herben Wirklichkeit gegenüber wieder abfallen muß. So ist Venedig nur noch ein Bezirk und Haufe von verfallenden Palästen, und einstnkcnden Häusern; es wird nichts Neues gebaut, nichts Altes ausgebessert. Man richtet sich unter den Trümmern ein, und behilst sich so. Au« dem Theile des Hauses, der einfällt, flüchtet man i» einen andern, der noch dauerhaft ist, und will die ganze Be- *) Aus der so eben erschienene» V»/»«« s'uu Lxllö diese« ehemaligen Mi nister« Karls X. Hausung die Besitzer nicht länger schirmen, so wird eine andere bezogen. Man kann nach der Häuscrzahl berechnen, wie lange die Stadt noch bestehen wird. Eine Unterhaltung der Gebäude aber muß man ja nicht hierbei in Anschlag bringen, denn cs wird einmal nichts auSgebessert, was baufällig ist. So wird Venedig zu Grunde gehen aus Mangel des Interesses, seine Häuser vor dem Verfallen zu schützen. Die Stadt ist in ihren Trümmern das getreue Abbild der Ver nichtung ihrer politischen Bedeutung und Macht. Alles ist hier Ver gangenheit, Alles Einsturz. Nicht mehr die Republik Venedig sicht man. Die Gräber ihrer Dogen, ihre öden Paläste, ihre halb verbli chenen Wappenschilder, ihre Portrait«, die alle zusammen in einem Saale hängen, ein ungeheures Zeughaus, m dem ein Hundert Galeeren sklaven zwei oder drei kleine Kriegsschiffe bedienen und unterhalten müsse», das ist das Ganze, was von der Republik als politischer Macht übrig ist. Alles, was man sicht, Zeichen ihrer Endschaft: der Hasen ohne Schiffe, die Magazine ohne Güter, am Zollhausc keine Bewe gung, an der Börse keinen Handel. Und was könnte auch wohl Venedig seine Größe, sein politisches Uebergewicht wiedergcbcn? Sie waren lange vorher schon unwieder bringlich dahin, ehe sein Name aus dem Verzeichniß der Staaten ge strichen wurde. An Widerstand war bei ihm nicht zu denken. Wie einer, der an einer tödtlichen Krankheit langsam dahinstirbt, ist es an Er schöpfung und völliger Entkräftung gestorben. Der Friede von Campv- Formio war nur eine Gelegenheit, nicht ein Grund seines Todes. Mit Entdeckung und Ümschiffung des Vorgebirges der guten Hoff nung im loten Jahrhundert war sein kommerzielles Uebergewicht dahin. Aus dem engen Bezirk des Mittelländischen Meeres breitete sich der Handel über alle Meere des Erdballs aus, und statt im Ccntrum des Europäischen Handels zu bleiben, das cs gewesen war, wurde Venedig zu einem außerhalb liegende» Punkte, ohne Beziehung ans andere bedeutende Punkte der allgemeinen Production und Konsumtion, ja sogar völlig außer Verbindung mit denselben gesetzt durch die Seichtigkeit seiner Ge wässer, in denen der Transport mit dem iii andern Meeren keinen gleiche» Schritt mehr halten konnte. Alles was Industrie und Gewerbe zu begüustigen geeignet ist, fehlt Venedig. Rohe Stoffe, Erzeugnisse seines Bodens, Mittel Manufak turen cinzurichten, Maschinenkraft, Thäligkeit und Geschicklichkeit der Bevölkerung zu industriellen Arbeiten — Nichts von allem diesem ist darin zu finden. Aus dem Schooße des Meeres durch die Noch der Umstände cmporgestiegen, wird Venedig durch gleiche Noth in dasselbe wieder versinken: die Invasion der Barbaren in das civilisirlc Europa war cs gewesen, die eine Schaar von Flüchtigen aus die Lagunen ge trieben hatte. Die Invasion einer entwickelteren Civilisation, die noch immer wächst und ihre Gränze und Gipfel noch nicht erreicht hat, hat Bedürfnisse hcrvorgerufcn, denen Venedig nicht mehr genügen, Hülft- guellen, zu deren Wesen und lebenskräftigem Gebrauch es sich nicht er heben kann. Ueber nichts gebietet und herrscht Venedig mehr, weder durch Waffengewalt, noch durch Reichtbum, noch durch Industrie. Es ist nichts als ein dürrer unproduktiver Ort, wo aus Gewohnheit einige tausend Individuen verzehren, was stc von anderwärts her für sich austrciben, und die hierzu noch ihre Häuser benutze», die Schauplätze des Glanzes ihrer Ahnen und die Zeugen ihrer gegenwärtigen Noth. Ihr Geld kommt in die leeren Hände, die, um nichts Anderes zu thun, das Ruder im Hmtertheil einer Gondel bewegen, und denen es schon uner träglich ist, an eine Aendcrung oder Vertauschung ihres Gewerbes nur zu denken. Alles dies wird äufhören, und dieser Zeitpunkt ist nicht mehr fern, denn die Häuser fallen ein und die Kaffen werden leer. Die Fabrikation der Glasperlen, der kleinen Kettchen und Bänder wird die Dogenstadt nicht erhalten. Und andere industrielle Hülfsquellen be sitzt sie nicht und ihre kommerziellen sind ebenfalls unbedeutend, "wie Jeder weiß. So müssen wir denn eilen, von Lage und Beschaffenheit dieser ge fallenen Stadt ein getreues Bild zu entwerfen, ehe sie i» den Sümpfe» versinkt, die sie zu festen Grundlagen ihres EmporblübcnS ehemals um- geschaffen hatte. Ich babe dies mit vielem Interesse unternommen; denn cs ist noch cine solche Fülle großer Erinnerungen dort in voller Lebcnsfrische vorhanden, daß man sich gar nicht erst matt und müde danach zu suchen braucht. So viele Denkmäler ihrer Macht, so viele Trophäen ihrer Siege stellen sich unsere» Blicken dar, daß man der Mühe überhoben ist, sich die Ursachen der ersteren und die Daten der anderen einzuprägcn. Man kann gegenwärtig die Geschichte Venedig« schreiben, denn der Kreis seiner Existenz ist durchlaufen und abge schlossen — Ursprung, Entwickelung, Dauer und Katastrophe liege» un« vor.