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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Prci« 22^ Sgr. <; Thlr., Vierteljahrs, 3 Thlr, für das ganze Jahr, ahne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumcrirt aus diese- Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in den Expedition jMohrcn-Straße No. 34>; in der Provinz so wie im Auslande bei den. Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 20. Berlin, Montag den 16. Februar IW. n g a n d. Selbstbekenntnisse Shakespeare'S. — Diesem Schlussel Erschließt sich Shakespeare'S Herz. ES war nm das Jahr 1883, als sich zuerst eine privilczirtc Schau spieler - Gesellschaft zu London bildete. Die Königin Elisabeth stand damals in vollem Glanze, von den Heldenthatcn Sidncv'S und Ra leighs umstrahlt. Aber bei alledem ist die Errichtung jener Gesellschaft von Schauspielern eine der anmuthigstcn Zierden ihrer Regierung. Das waren hochgesinnte Bursche, — arm, wie es den Dienern einer Kö nigin geziemt,- aber stolz, wie cs Schöpfer von Könige» und Königin nen mit Recht sevn dürfen. Für sie hatte die Armuth all' ihr Schreck liches abgestreist. Man hat jenen Schauspieler im Gil BlaS, der, ruhig schlendernd, seine trockene Brodkruste erst im Bache am Wege einweicht, immer als das vollendetste Bild menschlicher Glückseligkeit bezeichnet; unsere Schauspieler stellen es nicht minder lebendig dar. Sie batten in ihrem Witz einen mächtigen Talisman, steh einen Becher guten Weines heranfzttzaubern, — wenn auch der Säckel leer war. Unter diesen Schauspielern waren mehrere ans Warwickshire Ri chard Burbadge, ibr großer Tragöde, Thomas Green, ihr bester Komi ker, Hart und Hcmingc — waren Alle aus Warwickshire. Man kann denken, mit welchem Nimbus der neue Berus dieser Leute sie in ihrer Heimat umgab. Mau denke', was es beißt: „Niemand konnte als Gentleman passtren, der nicht Dick Burbadge gekannt." — Keine ehr liche Banerssrau, die Sillengcr'S Ronde tanzen konnte, unterließ, von Dick Burbadge und Tom Green zu sprechen! Und doch sollte dieser Umstand noch erfolgreicher werden. Grecn's Geburtsort war Stratford am Avon, und zu Stratford lebte der junge Shakespeare. Es ist er hebend, sich jenen Augenblick zu denken, wo Green, als er sich seines jungen Landsmanns erinnerte und ibn anfsorderte, der Londoner Truppe sich" anzuschließcn, mit edler Selbstverleugnung schon im Geiste die größeren Triumphe geahnt, die des größeren Genins warteten. Mit einem Male, cs war im Jahr 1886, verließ Wiaiam Shakespeare sein Haus zu Stratford, sein Weib und seine drei Kinder, und wanderte ganz allein nach London, — mit was fiir herrlichen, aber ihm selbst wohl dunkeln Aussichten! Er schloß sich dem Blackfriar's-Theater an, und ward daselbst Schauspieler. Man kann sich kaum der Bermuthnng erwehren, daß nicht schon damals in seinem Geiste dunkle Vorahnungen von den Schöpfungen sich geregt, mit denen er einst die Welt segnen sollte. Aber ihre Zeit war noch nicht gekommen. Sein Wundcrgcift, der ihn Alles lehrte, lehrte ibn, seinen Weg ruhig, bcscheidcntlich, ohne An maßung verfolgen. Er beschäftigte sich damit, die Stucke Anderer zu verbessern. Denke sich nun Einer das Erstaunen der armen Autoren, wenn sie ihre Schöpfungen zurackerhielten, bereichert um Züge von die ser Meisterhand! Man gewahrte bald, daß die von ihm rcdigirlcn Stücke einer günstigen Ausnahme sicherer waren, als Pic von Anderen geschriebenen/ Bald aber erhob sich die Mißgunst auch gegen den stil len bescheidenen Mann. — „Da Hal sich eine Krähe cingcsunden", heißt cs bei einem miserablen Skribenten jener Zeit, der offenbar ans Shakespeare zielt, „die sich mit unseren Federn schmückt, und im Tiger- Herzen meint, einen Bers drechseln zu können, der sich euren besten gleichstcllcn dürfte; der, ein kompletter Jobanncs Faktotum, sich ein- 'bildct, der einzige Bühnen-Nmgcstaller („8H-Ico-soenr" mit deutlicher Anspielung aus Shakespeare) im Lande zu sevn." Dies war im Jahre 18»I. Zwei Jahre darauf warf er jene Fessel, nur für Andere zu arbeiten, ab, und strahlte plötzlich in dem vollen Glanze seiner eigenen Schöpferkraft. Derselbe war er am Schluffe seiner Babu, derselbe bei ihrem Beginne. Seine Jugend kaftnle keine Unreife, sein Aller keinen Verfall. Noch bat sich keinem Sterblichen eme folche Laufbabn erschlossen, wie sic uch jctzt dem jungen Shakespeare aujlhat. Allerdings gestaltete er das Theater des Landes nm, und die leeren Raume der Bübnc sammt den Lappen, die vor derselben hingen und statt des Vorhanges dienten, wurden unter seinem allmächtigen Wirken zu einem würdigen Plan für Könige und für Schöpfungen, "die größer sind, als Monarchen, die allen Wechsel der Welt zu überdauern bestimmt sind, und deren Rubm niemals verbleichen wird. Er wußte alle Leidenschaften des menschlichen GcmüthcS seinen Zwecken unter- zuordncn; alle Tugenden und Laster standen vor seinem Blicke enthüllt; die Natur legte ibm ibre Schätze zu Füßen; die Welt der Geister ent schleierte ihni ihre lieblichen Phantasie-Gebilde und ihre verhülltesten Mysterien; ihm kleideten die Eichen der Ardennen sich in Grün, und auf seinen Spruch umschwärmten Geister-Chöre rings das Schiff beim Sturme. Was aber crstauncnswiirdigcr ist, als dies Alles, ist die Erschei nung, daß keine allgemeine Familicn-Aehnlichkeit, kein TppnS menschli cher Einseitigkeit an seinen vielen herrlichen Gebilden sich aufsinden läßt. Alle genialen Menschen haben ihr eigcnthümlich Charakteristisches. Shakespeare allein war universell.") Die mannigfaltigen Werke aller seiner Zeitgenossen haben dnrchauS ein gewisses persönliches Gepräge des Stils, und ost genug stellten sie unter dem Bilde ihrer PhaNlastr-Ge- staltcn nur den 'eigenen GemüibS-Zustand dar. Er allein hatte sich über diese Besonderheiten der Persönlichkeit erhoben. Gleich einem Gotte und nicht einem „Manne von unserer Hinfälligkeit", rief er eine Welt in'S Dascpn, und de» reinen Aelher der höchsten Einsicht als Himmel darüber wölbend, stellte er sie hin, eine selbständige, abgeschlossene Sphäre der Menschheit. Wenn seine herrlichen Gestalten an den Blicken der Zuschauer vorübcrgingen, da dachte Niemand an Shakespeare, den Autor; nein! er dachte nur: Aber der bescheidene Schöpfer saß inzwischen wohl in der „Mermaid" oder verbrachte seine Zeit ans dem Blackfriars-Thealcr — ein stiller, anspruchsloser Manu! — Ich bin der festen Uebcrzeugung, daß die eigentliche Glorie an Shakespeare s Genius, seine Universalität, gerade aus dem gänzlichen Mangel aller Würdigung, auch bei den größten unlcr seinen Zeitgenossen, abzulciten scy. — Denn gewiß, wie schön auch manches der ihm erwiesenen Zeichen von Verehrung ist, — so galt doch kein« von ihnen dem Urheber der Werke, auf welche zwei Jahrhunderte das Siegel gedrückt, als auf das Herrlichste, was jemals von einem Menschen ist erschaffen worden. In solchen Erkenntlichkeits-Bezeugun gen herrschte immer mehr eine persönliche Zuneigung vor, als jenes Hö here Gefühl von Verehrung und liebender Huldigung, die ihm gebührt, und ihm allein gebührt. Woher käme cs sonst, daß wir keine Mitthei- lungen über Shakespeare s persönliche Verhältnisse überkommens Nie mand ist es eingefallen, uns auch nur die dürftigsten Notizen über Shakespearc's Leben auszuzcichnen, bis endlich Beltcrlon, von leiden- schaftlichcr Verehrung getrieben, viel später erst zu Stratford Untersu chungen sür den Dichter Rares anstelltc, der aus dieselben eine Biogra phie basirte, welche Malone mit mühseliger Arbeit umzustoßen suchte, indem cr wcitläuftig darthat, daß man eben Nichts über Shakespeare schreiben könne, und indem cr ganze Schwadronen von Thalsachcn auf- marschircn ließ, um darzuthun, daß eben keine Thatfache scststehe, zwei Momente ausgenommen, die sich im Kirchcnbuche von Stratford vor- finden, und von der Wirklichkeit noch sicherer bewährt sind, daß er nämlich geboren worden und — gestorben ist. Dies soll keincsweges als ein Vorwurf gegen Shakespeare'S Zeitgenossen gerichtet sehn. Hoch herzigkeit wohnt immer in mächtigen Genien, inid ich halte keinen seiner großen Zeitgenossen niedriger Scheelsucht für fähig. Sie gehör ten selbst zu den „Söhnen der Erinnerung", waren selbst die großen Erben des Rubins und haben uns selbst ein reiches Vermächlniß schö ner, ewiger Gedanken hinterlassen. Eie waren desselben Geschlechtes mit Shakespeare, nur daß cr sie stolz überragte. Ich meine vielmehr, daß der Geist, der nach einander einen Hamlet, einen Falstaff, einen Lear gezeugt, viel zu universell war, um individuelle Zuneigung zu erwecken. Die Menschen dachten bei jenen Werken an die Natur, nicht an eines ihrer Kinder. Jedes Gefühl von Bewunderung und staunender Verehrung wandle sich zu dem erhabenen Schöpfcrgeiste, aus welchem auch jene Werke als Ausflüsse erschienen; der einzige Zoll, der Shakespeare selbst dargcbrachl ward, war dec Ausdruck persönlicher Zuneigung. Bald verschaffte ibm indessen seine größere belebrität, als etwas ganz Aeußcrliches, auch eine höhere Stellung in der Gesellschaft, und er besuchte nicht länger die „Mermaid" bloß als armer Schampicler, son dern mit der Würde und Anerkennung eines beliebten Schriftstellers. Bezeichnend sind die Ackerungen Ben Johnson s. „Ich liebte den Menschen!" so lautet sein erster warmer Ausdruck in Bezug auf Shakespeare. „Ich erweise seinem Andcukcn die ehrende Anbetung,, die ihm irgend wer erweist." — Das ist jchvn eine würdigere Huld:- *) Man veraleicbe damit die merkwürdigen Morte Goethe's, die ungefähr so lauten - — „Unendlich, wie das Univcrium, das er wiedcrspicgelt, ist Shakc- sveare. Wir Alle, w i e wir sind, tonnen weder seinem Buchstaben, noch- "'/»D^Wundcr^-— Wie viele treffliche Geschöpfe giebt es hier! — Wir schön ist doch die Menschheit! S herrliche, neue Welt, dir solche Bewohner hegt!"