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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS- Prei« 22^ Sgr. Thlr.j vierteljährlich, 3 Thlr. für La« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Min pränmnerirt auf. dieses Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mehren - L traße No. Z4>; in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Acmtern. Literatur des Auslandes. 10 Berlin, Freitag den 23. Januar 1835. Rußland. Kirdschali, der Räuber. Bon A. Puschkin. Kirdschali war von Geburt ein Vulgär. Zn Türkischer Sprache bedeutet Kirdschali einen Helden, einen Wagehals. Sein eigentlicher Name ist mir unbekannt. Durch seine Räubereien hatte Kirdschali sich in der ganzen Mol. bau furchtbar gemacht. Um einigermaßen einen Begriff von ihm zu geben, werde ich eine seiner Lhaten schildern. Einst in der Nacht über- pele» er und ein Arnaut ein Bulgarisches Dorf. Sie setzten es an bei den Enden in Brand und durchsuchten jede einzelne Hütte. Kirdschali mordete und der Arnaut sammelte die Beute. Beide schrieen: Kird schali! Kirdschali! Das ganze Dorf lief auseinander. Als Alexander Hpstlanti sich an die Spitze des Aufstandes stellte und Truppen zu sammeln begann, führte Kirdschali ihm einige seiner alten Gefährten zu. Der wahre Zweck der Empörung wär ihm wenig bekannt, aber der Krieg bot ihm Gelegenheit dar, sich auf Kosten der Türken und vielleicht auch der Moldauer zu bereichern — und dies schien ihm unzweifelhaft. Alexander Ypsilanti war persönlich tapfer, besaß aber nicht die nöthigen Eigenschaften, nm eine Rolle durchzuführen, die er so hitzig und unvorsichtig begonnen hatte. Er verstand es nicht, die Menschen zu behandeln, denen er befehlen mußte. Sie hatten weder Achtung noch Vertrauen zu ihm. Nach der unglücklichen Schlacht, in welcher die Blüthe der Griechischen Jugend fiel, gab Jordaki Olimbioti ihm den Rath, sich zu entfernen und nahm selbst seine Stelle ein. Ypsilanti entfloh zur Oesterreichischen Glänze und sandte von dort aus seine Verwünschungen an seine zcitherigen Theilnehmer, die er Ungehorsame, Memmen und Taugenichtse nannte. Diese Memmen und Taugenichtse starben aber größtmtheils unter den Mauern des .Klosters Serk, oder an den Usern des Pruth, in verzweifelter Bertheidignng gegen einen zehn Mal stärkeren Feind. Kirdschali befand sich in Georg Kantakufin s Truppen-Abtheilung, von welchem Anführer man dasselbe sagen kann, wie von Ypsilanti. Am Abend vor der Schlacht bei Skulcnami erbat sich Kantakusin von bem Russischen Befehlshaber die Erlanbniß, unsere Quarantaine.An stalt zu beziehen. Seine Truppen blieben ohne Anführer. Kirdschali aber, Safianos, Kantagoni und mehrereAndere bedurften keines Anführers. Die Schlacht bei Skulcnami ist, so viel ich weiß, noch von Nie manden in ihrer rührenden Wahrheit geschildert worden. Man stelle sich 700 Arnauten, Albanesen, Griechen, Bulgaren und zusammenge- raffte Menschen aller Art vor, die nicht den mindesten Begriff von Kriegskunst hatten, und sich im Angesicht von 13,000 Türkischen Rei tern zurückzogen. Dieser kleine Haufe gelangte bis zu den Ufern des Pruth und stellte zwei kleine Kanone» vor sich hin, die er in Zach im Palast des Hospodars gefunden hatte, wo sie bei feierlichen Gastmahlcn benutzt worden waren. Die Türken würden gerne mit Kartätschen ge feuert haben, wagten cs abcr nicht ohne Erlanbniß des Russischen Be fehlshabers; die Kartätschen wären gUviß über den Fluß zu uns herüber geflogen. Der Chef der Luiarantaine-Anstalt (der jetzt tobt ist), wie wohl 40 Zahl in Kriegsdiensten, hörte hier zum ersten Mal das Sausen der Kugeln. Einige derselben brummten ihm ziemlich nahe in die Oh ren. Ser Alt« ward fürchterlich wild und schalt dafür den Major des in der Anstalt befindlichen Ochotzkbschen Znfanterie-Regiments tüchtig aus. Der Major, der nicht wußte, was er thun sollte, lief an den Fluß, auf dessen jenseitigem User die Türken standen, und drohte ihnen mit dem Finger, worauf sich die ganze Abtheilnng znrückzog. Der Major, der mit dem Finger gedroht hatte, hieß Ehorlfcheffsky. Was au« ihm geworden ist, weiß ich nicht. Am folgenden Tage aber griffen die Türken die Helärisien an. Da sie cs nicht wagten, weder mit Kartätschen noch anderem Geschütz zu schießen, so bedienten sic sich ihrer blanken Waffen. Die Schlacht war blutig. Bei den Türken bemerkte man Lanzen, die sie früher nicht chatten; es waren Russische. Zn Folge eines Beschls unseres Kaisers konnten die Hetäristcn über den Pruth gehen und sich in unsere Qua- rantaine-Anstolt flüchten. Sie begannen, sich über den Strom zu retten. Kantagoni und Safianos blieben zuletzt auf dem Türkischen Ufer. Der Abends zuvor verwundete Kirdschali lag bereits in der Qnaranlaine. Safianos ward erschlagen. Kantagoni, ein sehr dicker Mann, halte durch eine Lanze eine Wunde i„ den Unterleib erhalten. Mit einer -Hand hielt er feinen Säbel in die Höhe, mit der anderen ergriff er die feindliche Lanze, stieß sie sich tiefer j» den Leib und erreichte auf diese Weise mit seinem Säbel seinen Gegner, mit dem er darauf zusammen die Seele aushauchte. Alles war beendigt. Die Türken hatten gesiegt. Die Moldau war befreit. Ungefähr 600 Arnauten zerstreuten sich in Bessarabien; obgleich sie nicht wußten, wovon sie leben sollten, waren sie Rußland doch für seinen Schutz dankbar. Sie führten ein müßiges, jedoch kein lüderliches Leben. Man konnte sie jederzeit in den Kaffeehäusern des halbtürkischcn Bessarabiens sehen, mit langen Pfeifen im Munde, und dicken Kaffee aus kleinen Tasscn trinkend. Zhre verbrämten Zacken und rochen spitzrn Pantoffeln fingen schon an, sich abzunutzen; ihre kurzen Seitengewehre aber und ihre Pistolen stolzirten noch immer ans ihren breiten Gürteln hervor. Niemand hatte sich über sie zu beklagen. Auch konnte man nicht denken, daß diese friedlichen armen Leute Ge fährten des furchtbaren Kirdschali waren, und daß dieser sich unter ihnen befand. Der in Zassy komandirendc Pascha erfuhr cs, und verlangte, in Folge der Friedens-Verträge, von der Russischen Verwaltung die Aus lieferung des Räubers. Die Polizei begann ihre Nachforschungen. Sie entdeckte, daß Kirdschali sich wirklich in Kischeneff aushalte. Er ward in der Woh nung eines cntlausenen Mönchs, eines Abends, als er gerade beim Esse» war, und im Dunkeln mit sieben seiner Gefährten zusammen saß, ver haftet und in's Gefängniß geführt. Er verhehlte die Wahrheit nicht und gab sich zu erkennen. „Aber", fügte er hinzu, „seitdem ich über den Pruth ging, habe ich nicht ein Haar fremden Gutes angcrührt, und nicht dem geringsten Zigeuner etwas zu Leide gctban. Den Türken, Moldauern und Wallachen bin ich freilich ein Räuber, den Russen aber bin ich ein Gast. Als Safianos, nachdem er alle seine Patronen verschossen halte, zu uns in die Quarantainc kam, gab ich ihm mein letztes Geld. Gott weiß es, daß ich, Kirdschali, von Almosen lebte! Warum liefern mich denn nun die Russen meine» Feinden aus?" — Hierauf schwieg er und erwartete ruhig die Entscheidung seines Schicksals. Er brauchte nicht lange zu warten. Die Russische Verwaltung, die keinen Beruf in sich fühlte, Räuber von der romantischen Seite zu betrachten, und von der Rechtmäßigkeit des Türkischen Verlangens über zeugt, befahl, Kirdschali nach Zassy abzufenigen. Ein Mann von Kops und Herz, damals noch ein junger wenig gekannter Beamter, jetzt aber Inhaber eines wichtigen Postens, gab mir eine lebendige Schilderung der Abreise des Räubers. Am Thor des Gefängnisses stand eine Post - Karutze.... (Viel leicht weiß man nicht, was eine Karutze ist. Sie ist ein kleiner, nie driger, geflochtener, offener Wagen, vor welchen man unlängst noch ge wöhnlich sechs oder acht ausgehungerte Pferdchen verspannte. Ei» Moldauer mit langem Knebelbärte' und einer Mütze von Schaffell, auf einem dieser Pferdchen sitzend, schrie unaufhörlich und peitschte aus die Thierchcn los, und diese liefen dann auch in leidlichem Trab vor wärts. Konnte eines derselben nicht weiter, so spannte er es unter fürchterlichen Verwünschungen aus, und ließ cs, unbekümmert um seiir Schicksal, ans der Straße liegen. Auf dem Rückwege war er überzeugt, cs auf der nämlichen Stelle, ganz ruhig auf der grünen Steppt gra send, wiederzufinden. Nicht selten geschah es, daß ein von ciner Sta tion mit acht Pferden abgefahrcner'Reisender nur mit einem Paar in der nächsten ankam. So war es vor fünfzehn Zähren. Jetzt sind i» dem Russisch gewordenen Bessarabien Russischer Vorspann und Russische Wagen fTelega'Sj eingcführt worden.) Eine solche Karutze nun stand am Thor des Gefängnisses im Zahr 1821, an einem der letzten Tage des Septembers. Jüdinnen mit zu- rtickgeschlagcncn Acrmeln und klappernden Pantoffeln, Arnauten in ihrer malerischen Tracht und wohlgebaute Molduanerinnen mit schwarzäugigm Kindern auf den Armen umringten die Karutze. Die Männer standen schweigend da; die Weiber schienen mit lebhafter Ungeduld etwas z» erwarten. Das Thor ging ans und einige Polizei-Offiziere erschienen auf der Straße; ihnen folgte» zwei Soldate», die den emgeschmiedetcn Kird schali herausführlcn. Er schic» 30 Zähre alt zu sehn. Die Züge seines schwarzbraunen Gesichtes waren regelmäßig und scharf. Er war groß, breitschulterig, und seine ganze Gestalt sprach für eine ungewöhnliche Körpcrkrast. Ein bunter, sein Haupt bedeckender Turban, ei» breiter Gürtel, ein Dolman von dickem blauen Tuch, ein breit gefaltetes, bis über die Knie herab- fallcndcs Hemd und schöne Pantoffeln bildeten die Ucbcrblcibsel seines Anzuges. Sein Acußcres war stolz und ruhig. Einer der Beamte», ein alter Mann in abgcblcichtcr Uniform, aus welcher drei Knöpfe umherbaumelten, klemmte den purpurrothen Ans-