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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS Preis 22 k Sgr. (^ Thlr.j vierteljährlich, T Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er- shöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man pränumerirt auf biese» Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße No. Z4l; in der Provinz so wie im Auslande hei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 7. Berlin, Freitag den 16. Januar 1835. I hi!» ", j Syrien. Die Christen in Jerusalem. Bon Zu les Amie. Wenn man nach einem Lande, nach einer Stadt, ju einem Denk. Mal hinreist, die uns angeriihmt worden, so sucht man stch meist im Voraus ein Bild zu enlwersen im Geiste von solchem Werke der Na tur oder Kunst, und kommt oft an Ort und Stelle mit einer völlig ausgebildeten und bestimmten Vorstellung an; da trifft sich» denn nicht selten, daß die Wirklichkeit weit hinter der Einbildungskraft zurückblcibt, daß man das kahl und dürftig und gemein findet, was man sich groß artig und im lebendigsten Zarbenschmucke prangend vorgestellt halte; und kommt man auch von diesem ersten Eindruck durch ein näheres Eingehen in alle Einzelnheite» ab, ja, fände man sich veranlaßt, das sogar noch zu bewundern, was man anfangs mit mangelhaftem Sinn in sich ausgenommen oder zu voreilig verdammt hatte, die erste Ent täuschung erweist sich dennoch als fortwirkend, und die Lust, die man sich versprochen, bleibt gestört und verkümmert. Man müßte sich sonach jede Vorstellung in der Phantasie unter sägen von einem Gegenstände, den man zu sehen bekommen soll. Es sind einzelne seltene Fälle, wo die geistigen Vermögen nicht ausreichen, eine gewisse Schöpfung im Voraus'zu fassen, und wo man dann auch nicht jene ebenfalls störende Enttäuschung zu erleiden bat, hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben zu seyn. Der Geist bleibt dann frei unter -dem mächtigen Reiz des unerwartet Ueberraschende», hat nicht erst nöthig, leere Hypothesen aufzugeben, und kann sich unzerstreut der Wonne des Schauens und der Betrachtung überlassen. Wer einmal in die Nähe von Jerusalem gekommen ist, vermag die Macht und Stärke einer solchen Enthüllung, solch' eines überraschenden Entgegentretens einer vorher »ie geahnten Schöpfung zu bcurtheilen; denn diese außer ordentliche Stadt, die einsam initlc» zwischen Bergen, die öde und ver lassen sind wie sie, daliegt, bietet noch gegenwärtig einen Charakter von Größe und Erhabenheit dar, den man nirgend so wiederfindet. Nach einer Tour von zwölf Stunden ungefähr gelangt man von Jaffa nach Jerusalem. Die erste Hälfte des Weges geht durch schöne Ebenen, die Rama umgeben, die andere durch Hohlwege und Abgründe — man erblickt die heilige Stadt nicht eher, als bis man auf ihrer Höhe angelangt ist, das heißt, sieben oder achthundert Fuß über der Meeresfläche. Dann, als ob stch ein Schleier höbe, oder vielmehr als würde man selber über den Schleier emporgchoben, genießt man des köstlichsten Schauspiels — still steht man, von Bewunderung ergriffen, und wer auch nur ein Minimum von Poesie in der Seele trägt, fühlt sich schon entschädigt für alle Slrapatze» der Reise, die der gewöhnliche Pilger nur erst am heilige» Grabe selber vergißt. Mit Wonne ruhen die Augen auf den Zinnen der Mauern, an den Thürmcn und de» alten Schießscharten, die sie nicht mehr zu Vertheidigen vermöchten; dann schweift der Blick durch die weite gcbirgigte kable Landschaft, sucht sie zusammen zu fassen, senkt sich in alle die tausend Thälcr, die sie im eigentlichsten Sinne durchschneiden, dringt über die Landfläche hinaus, die vor dem todlen Meere und dem Jordan liegt, und ruht endlich am Horizonte aus, auf einer langen Kette von blauen zackigen Berggipfeln. Es sind dies die Felsen des steinigten Arabiens, die die Maüerwällc und Bollwerke der Welt zu bilden scheinen — Alles in Duft gehüllt, dem der brennende Glanz des Himmels bald größere, bald mindere Durchsichtigkeit verleiht, de» er aber »ie verzehrt u»d aufsaugt. Ungeduldig, an'S Ziel der Reift zu gelangen, der Fülle des Neuen entgegenstrebcnd, setzt man sich alsbald wieder in Marsch. Der Weg führt über den Berg Zion, dessen Grund und Boden, rings von einem weiten Kirchbose bedeckt, noch um seinen alten Glanz zu trauern schciut. Dieser Kirchhof gehört den Armeniern; er erstreckt stch bis an'S Thor der Neustadt, ein Thor, einfach und roh gebaut, welches man aber in seinem gothischcn denkmalartigen Stile füglich für die Thüre einer Kirche, der Kathedrale der christlichen Welt, «»sehen könnte. Wie soll man den Eindruck, die innere Bewegung beschreiben, die man empfindet, wenn man über die Schwelle diese» Thores tritt? Es ist nicht das Gefühl von religiöser Ehrfurcht, welche« uns hie umge bende Gegenwart eines Gotteshauses einflößt, noch die Bewunderung, zu der unS riftenartige Monumente auszufordcrn pflege»; cs ist ei» ganz unbeschreibliches Gefühl, ein traurig verworrenes Gefühl von Liebe, ohne Zweifel das Resultat des Gewühls von verschiedenartigen Erinnerungen, die im Geiste drängen und umherwogen. Denn der Mensch, der nicht unter dem Einfluß einer bestimmten festen Idee, um eines einfachen Zweckes willen, aus bloßer Frömmigkeit nach Palästina kommt, kann der anders, als die Kette der verflossenen Jahrhunderte an stch vorüberziehcn lassen, den vergangenen Zustand jenes Landes mit dem gegenwärtigen verglenchc», und muß er nicht, wenn er dann de» Uubeständ der irdischen Dinge beseufzt, eine Quelle nützlicher Lehren hier finden? Wir treten in die Stadt ein; alle Ideen von zauberischer Herr lichkeit und Großartigkeit der Natur schwinden, um gewöhnlicher gemeinster Alltäglichkeit, deren Kette unterbrochen worden war, Platz zu machen; wir sind bei Menschen, und ihre Werke stehen uns gegenüber. Hier muß nun gesagt werden, daß, wenn der äußere Anblick dieser ewigen Stadt Alles übertrifft, was man sich Hohes, Erhabene» und Wunder volles verstellen kann, der Anblick ihres Innern zurückbleibt und noch immer zuruckbleiben wird hinter dem unansehnlichsten und verblichensten Bilde, da« man sich davon entwerfen mag. Das Erste, das Einen Wunder nimmt, ist die tiefe Stille, die rings umher herrscht. Ueberall Schweigen, eine fortwährende vollkommene Grabesstille. Nur dann und wann bei großen kirchlichen Festen wird es von dem Getümmel der Menge und dem Ruf der Soldaten, die die Kirchen-Polizei machen, unterbrochen, aber niemals durch das, was am beste» unseren Kultus in Europa charakterisirt, durch das Geläut der Glocken. Dieses nothwendige, wenn nicht gar unerläßliche, Zube hör des ChristenthumS hat in Palästina nicht äuskommen können, wo die Türken nicht toleranter versahren, als in den anderen Provinzen ihres weiten Reiches. Der heilige Glockenklang macht auf ihre Ohren die Wirkung, wie die rothe Farbe auf die Augen der Stiere; sogar dem Golde haben sie bei dieser Gelegenheit widerstanden; man hat cs vergeblich verschwendet, und unsere Geistlichen, ohnehin in Schmach und nnterm Drucke lebend, und eben nicht lüstern »ach der Ehre de« Märtyrthums, haben stch zu einem Dienste in stummen Kirchen ver stehen müssen. Nach der Aussage dortiger Gelehrten, die im Dienst des Gouver neurs stchcn, enthält die Stadt, obgleich sie sehr groß ist, kaum dreißig bis fünfunddreißig Tausend Menschen, °) und freilich, wenn man die Un fruchtbarkeit und Oedc der Gegend erwägt, so muß auch die Existenz dieser so äußerst geringen Bevölkerung räthselhaft scheinen. Die Straßen, mit einem natürlichen Pflaster von Felsen und Granitblöcken versehe», biclc» überall gefährliche Unebenheiten dar und stimmen wunderbar mit den zertrümmerten Häuser» und morschen Basars, die vor Alter einstürzen und kund thun, bis auf welchen Punkt man sic ohne irgend eine Art von Reparatur läßt. °°) Bei alle dem stellt sich in Jerusalem nicht jenes Gepräge, jene cigcnthümliche Außenseite des Elends dar, die so viele andere' Städte in der Levante charakterisirt — das zur Schau tragen des Elends von Seiten der Einwohner, wie in der Hauptstadt von Aegypten, findet hier nicht statt. Die Vorübergehenden, die uns begegnen, find ziemlich gut gekleidet, doch scheinen diese größtcntheils Fremde zu seyn, Pilger oder Reisende, und sind es in der That, die ihre Feierkleider angelegt haben und all' den Putz und Zierrath, der die Lappen, womit die Araber bekleidet find, so gut zu verdecken geeig net ist, aber doch keinesweges dem Eigenthümer das Ansehen von Ruhe und zufriedenem Glück zu geben vermag, das den echten Muhammedaner charakterisirt. Um den Zustand der christlichen Religion in diesem Lande richtig aufzufaffc», muß man wissen, daß die Römischen Katholiken nicht die alleiniggebietenden Herren dort sind wie in Rom; die schismalischm Armenier und Griechen haben ebenfalls ihre Stimme und überhaupt mehr Geld als jene. Es darf nicht vergessen werden, daß diese drei geistlichen Mächte, eifersüchtige Nebenbuhler unter einander und häufig noch durch die Kopte», Menoniten oder Juden in Unruhe gesetzt, übri gens unter der unmittelbaren Botmäßigkeit der Türken stehen und daß diese Herre» und Eigcnthümcr des Landes sind, nicht nur dem Namen nach, wie die regierenden Fürstenhäuser in Sardinien und Spanien, sondern dem Namen und der Sache nach, — nicht vergessen werden, daß diese geistlichen Mächte bei de» häufigen Streitigkeiten, die unter ihnen stattfinden, keine anderen Richter haben, als eben jene Türken, von denen sie um so tiefer verachtet werden, als sie eben die stete» Jengen ihrer blutigen Zwistigkeiten, schmäbligcn Verfolgungen, ost sogar vorsätzlichen Meuchelmordes unter ihnen sind. Wer kann sich hiernach noch wundern, wen» er steht, daß der Islam bei seinem ihm cigenthüm- ') Diese Zahl ist nur annähernd, denn in allen Türkischen Städten tragen die Behörden nur die Todesfälle und nie die Geburten ein ") Andere Reisende erzählen, daß im Orient, und besonders in den Bro vinzen, die unter Pascba'S stehen, ganze Ltadte verlassen liegen, weil die Häu ter nicht mehr bewohnbar waren und Niemand daS seinigeauobessern lasse» mochte, au- Furcht, stch hierdurch al- wohlhabend zu zeigen