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Schluß von Dr. Finsch's Forschungsreise nach Westsibirien. 68 risches Bild, und der Blick auf die stark überschwemmte mächtige Wasserfläche der Sozwa ist ein großartiger. Gegen Mitternacht verließen wir Bereüsow, an Bord geleitet vom Jspravnik und dem Kreisärzte Dr. Krzywicki, einem liebenswürdigen dcutschsprechenden Polen, dessen ärzt liche Praxis sich südlich bis Surgut, nördlich bis Obdorsk, also über ein Gebiet von mehr als tausend Werst erstreckt, freilich mit einer Bevölkerung, von welcher eine neuntel Seele auf die Quadratwerst kommt. Die dreizehn Statio nen auf der fast fünfhundert Werst langen Strecke sind mit Ausnahme des russischen Dorfes Kuschowat sämmtlich Ostjakenniederlassungen, nieist Sommerhüttcu znm Fischfang betriebe. Obwohl die Leute nicht so streng zur Beförderung von Reisenden verpflichtet sind, als zwischen Samärow und Bereosow, so hatten wir doch mit einer einzigen Ausnahme nie über bösen Willen zu klagen, und waren nicht genügend Ruderer in nächster Nähe vorhanden, so wurde nach entfern ter wohnenden geschickt. Bei den Ostjaken kamen wir über all mit Hülfe unseres Michael durch, dessen Dienste als Dolmetscher in der That jetzt unentbehrlich waren, denn die Zahl der Russisch sprechenden oder verstehenden Ostjaken wurde immer seltener. Panajcw erwies sich als ein durch und durch gründlicher Kenner der Ostjaken, der über jedes ihrer Geräthe, ihre Waffen, ihre Gebräuche und Sitten ge naue Aufklärung zu geben vermochte. Durch seine Vermit telung gelang es uns, eine Menge ethnographischer Sachen zu erstehen, was sonst ziemlich schwer ist; denn die Ostjaken sind scheu, und es bedarf besonderer Nachfrage, um das Eine oder Andere zu erlangen. Außer Schnaps, den wir nicht Hergaben, ist Taback ein beliebtes Tauschmittel, denn dies Volk ist dem Rauchen und Schnupfen leidenschaftlich ergeben. Wie bei den Kaffern sicht man nicht selten einen Schnupfer, der die eine Nasenöffnung ganz voll mit Prise und einen Pfropf von Birkenspähncn davor gesetzt hat, nm sich des Genusses desto länger und energischer zu erfreuen. In Balschoi Ustrain, der zweiten Station, fanden wir eine russische Fischerei mit der Ostjakenniederlassung ver eint. Unsere Wasserstraße wand sich unterbrochen in mit Weidendickichtcn bestandenen Ufern dahin; denn wir fuhren in theilweise überschwemmten Gebieten oder Seitenarmen des Ob, dessen Hauptstrom wir hier gar nicht zu sehen be kamen. Erst bei der vierten Station, Gonovatsjaka, bogen wir wieder in den Balschoi oder großen Ob ein. Doch war es sehr schwer, sich über dieses enorme Wassersystem ein Bild zu formen, denn selbst die Nachrichten der Ostjaken waren widersprechend und ungenau. JnKaschgorskaja, der achten Station, aus etlichen Winterhütten bestehend, die mit Ausnahme der Fenster manchen russischen Bauernhäu sern gleichsehcn, fanden wir eine erste Werkstatt ostjakischen Fleißes, zngeschnittene, mehr oder minder vollendete Renthicr- nnd Hundeschlitten, Schneeschuhe, Ruder, Boote, die trotz der Unvollkommenheit der Werkzeuge sauber und gut gear beitet sind. Namentlich gefielen uns die schlanken Canoes, die aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestehen, der mit telst Stricken aus Kicfernwurzeln mit zwei Seitenbrettern verbunden ist nnd die trotz ihrer Leichtigkeit sechs Menschen und mehr tragen. Wir erstanden hier eine sinnreiche Falle zum Fange des Hermelins und Selbstbogenschuß für den Fuchs, die unsere Bewunderung erregten. Ebenso muster haft waren die großen Fischreusen, welche wir in besonderer Vollkommenheit an der zehnten Station, Parawatskaja, sahen. Sie sind aus Stäben gespaltenen Kiefern- oder Lärchenholzcs gefertigt, und leider zu groß, um mitgenommen werden zu können; denn die Länge des einen Korbes, wel cher die halbe Reuse bildet, beträgt allein zwölf Fuß bei sechs Fuß Höhe und Breite. Wir trafen hier zugleich die ersten Rcnthiere, welche im Rauche eines Feuers gegen die Mücken geschützt lagen und bei unserer Ankunft in den Wald liefen. Es waren alles prächtige Thierc mit noch nicht völlig abgelegtem, oft mächtigem Geweih und viel größer und statt licher als die, welche man in Lappland sieht. Parawatskaja hatte aber noch einen ganz andern Reiz für uns; denn die fast ununterbrochen gleichartige, obwohl nicht ermüdende Landschaft erhielt plötzlich einen neuen belebenden Reiz in der Kette des Uralgebirges. Ganz mit Schnee bedeckt, ragt es hinter dem mächtig breiten Strome hervor. Zwischen dem letztem und dem gewaltigen Gebirgszuge mit seinen gefälligen Contouren lag ein hellgrüner Uferstrcifcn und wei terhin in tiefblauer Färbung das Waldgebiet. Tachty, die nächste Station, bot uns insofern Neues, als wir die Geschicklichkeit der Ostjaken im Bogenschießen kennen lernten. Die Bogen, aus Tannen- und Birkenholz gearbeitet, sind ebenso sauber, als die mit selbstgeschmiedeter Spitze versehenen Pfeile, welche mit Adlerfedern befiedert sind. Diese Pfeile werden gewöhnlich auf der Entenjagd angewandt und sind mit zwei geschärften Querzacken ver sehen, die das gänzliche Durchschießen des Bogels unmöglich machen. In der That ist die Gewalt dieser Pfeile eine ganz unerwartete und die Geschicklichkeit des Schützen war es nicht minder. Er traf einen dünnen Stab auf dreißig Schritt und vermochte es, den correct fliegenden Pfeil wohl an hundcrtundfünfzig Schritt weit zu schießen. Auf unserer Weiterreise nahm der Strom an Ausdehnung immer mehr zu, das rechte uns entfernter liegende Ufer erschien nur als ein schmaler grüner Streif und die ungeheure spiegelglatte Wasserfläche glich einem großen unbelebten Landsee, denn nicht einmal ein Vogel schwebte über seiner Oberfläche. Dabei die magische Beleuchtung der Sonne, welche um 10Vz Uhr hinter den Schneebergen verschwand, die Spitzen der nördlichst gelegenen niedrigsten Kette aber noch um l 2 >/z Uhr mit goldenem Saume begrenzend, während weiter östlich der Himmel von der schon wieder aufgehenden Sonne dunk ler aurorafarben erscheint als westlich, da wo sie gesunken. Um I Uhr erhebt sich die Sonnenscheibe wieder über den Horizont, und ihre Strahlen, die schon vorher hervorragende Bergkuppen schwach beleuchteten, fallen fünfzehn Minuten später als breiter goldigfeuriger Streif über die majestätische Wasserfläche. Bald darauf bemerkten wir auf der Höhe vor uns etwa zehn Gebäude und eine Kirche; es ist Obdorsk. Ohne es zu merken, laufen wir in den Poluifluß ein, der von Osten her in den Ob mündet und mit ihm Eins zu sein scheint, und haben am sanften Hange das freundliche Bild eines kleinen nordischen Städtchens unter dem Polarkreise vor uns, das uns so groß ass Bereosow und fast ebenso malerisch erscheint, nur daß ihm die liebliche Umrahmung grüner Wäl der fehlt.