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62 Schluß von Dr. Finsch's Forschungsreise nach Westsilürien. 7 Uhr Abends erreichten, waren dieselben meist hübsche und stattliche Dörfer, am linken Ufer belegen, da die Bewohner viel Viehzucht betreiben, denn Feldfrüchte gedeihen hier nicht mehr. Von da ab liegen die Stationen meist am rechten Ufer und haben vorwiegend Fischereibcvölkerung, die mehr und mehr aus Ostjakcn besteht. Es ist schwer, charakteristische Kennzeichen des Typus der Ostjakcn anzugcben, denn obwoht schwarzes Haar, dnukle Augen und mittlere Statur vorherrscht, so findet sich doch soviel individuelle Abweichung, daß man sich kaum ein sicheres Urtheil bilden kann. Wir fanden Männer mit grauen und blauen Angen und dunklem Haar, dunklem Kopf haar nnd blondem Bart, endlich Blonde und sogar einen Rothkopf. Graues Kopf- und Barthaar sind nicht selten. Die hervorspringenden Backen, die meist kurze stumpfe Nase und die etwas geschlitzten Augen sprechen allerdings für mongolischen Typus; aber wir sahen auch Leute mit geboge ner Nase, die mich lebhaft an Indianer Nordamerikas er innerten, namentlich auch des schwachen Bartwuchses halber, denn Männer waren von den Weibern oft kaum zu unter scheiden. Leute, welche mit den Finnen wohlbekannt sind, versicherten uns, die größte Aehnlichkeit mit diesem Volks stamme zu finden, mit dessen Idiom ja die vocalreiche wohl klingende Sprache der Ostjakcn verwandt ist. Zu dieser großen Verschiedenheit im Typus trägt übrigens die vielfache Mischung mit Russen und, wie man uns sagte, mit Samo jeden und selbst tatarischem Blut Vieles bei, und die An thropologen mögen sich beeilen, den eigentlichen Typus dieses interessanten Volkes klarzustellen. Die Niederlassungen der Ostjakcn, welche wir berührten, bestanden meist ans Sommerlagern, d.i. aus blockhausartigen Hütten oderwigwam artigen Jurten, hohen spitzen Zelten, die über Stangen ans Birkenrinde errichtet sind. Selten finden sich mehr als ein Dutzend zusammen, die meist am Ufer einer flachen mit Weiden bestandenen Insel angelegt sind, von wo aus sich der Fischfang am ausgiebigsten betreiben läßt. Obwohl sich die Landschaft, rechts hohe aus Sand ge bildete mit Nadelwald, links flache mit Laubwald (meist Weiden) bekleidete Ufer, fast ununterbrochen gleich bleibt, so fehlt es ihr nicht an Reizen, und man empfindet trotz der Abwesenheit von Leben auf Strom und User keine Lange weile. Wir erreichten das malerisch gelegene ziemlich große Kirchdorf Malo Atlym, unweit der Mündung desAtlym- flusses, am Nachmittage des 7. Juli und benutzten die Zeit während des Abkochens zu einem Ausfluge in den das Dorf umgrenzenden prächtigen Wald, wie dies gewöhnlich an sol chen Plätzen geschieht, wo wir länger als eine Stunde hal ten müssen. Schön sind sie, diese herrlichen aus Fichten, Lärchen, Arven, Birken und Weiden gebildeten Wälder, mit ihrer Fülle von Unterholz von verschiedenen Sträuchern, unter denen der Faulbaum jetzt eben in prächtiger Blüthen- fülle prangte, aber todt. Man hört das Blaukehlchen, un sern Weidenlaubvogel, die Wachholderdrossel und den Gesang einiger anderer Bögel, von denen uns IR^klo^nöusks tris- tis, eine bis Indien herabziehende Art, und eine unserm Mnllerchen (8/lvia Karrula) verwandte, mir unbekannte Art, zur Beute fiel. Außerdem erlangten wir das Haselhuhn, bemühten uns aber vergeblich die ebenso häufigen als scheuen Bergfinken und Heckengimpel zu erlangen. Bon Säuge- thieren kam nur das Erdeichhörnchen in unsern Besitz, ob schon es an großem Wilde, Renthier, Fuchs, Wolf, Bär rc., nicht mangelt. Die Jagd in diesen Dickichten ist ebenso er müdend als anstrengend; denn so sehr der herrliche Wald auch verlockend winkt, sein Inneres beherbergt eine Plage, die ganz entsetzlich werden kann: die der Mücken! Wir hat ten sie bereiss früher kennen gelernt, aber erst hier kam die ganze Wucht nordischer Mosquitos über uns, nnd zwar so schnell, als wir Sonnenschein und warmes Wetter erhielten, was bis SamLrow nicht der Fall war. Diese Plage ist bis jetzt bei Tag und Nacht unser steter Begleiter gewesen und hat, je weiter wir nach Norden kommen, stetig zugenom- mcu. Nur in der Mitte des Stxomes herrscht Linderung, aber sobald man sich dem Ufer nähert und an Land tritt, hat man die Blutsauger Uber sich, gegen welche nur die dicken Lederhandschuhe und Schleier schützen, die freilich nicht bei jeder Arbeit getragen werden können. Das sehr hübsch am rechten Ufer gelegene Kloster Kon- dinsky, mit einer großen aus Stein erbauten drcithUrmi- gen Kirche, erreichten wir in der Frühe des 8. Juli, die letzte kirchdorfartige, von Russen bewohnte Ansiedlung bis Bereösow; denn alle weiteren Stationen bestanden nur ans ostjakischcn Fischcrhütten, mit den üblichen Gestellen zum Dörren der Fische, sich scheu verhüllenden Weibern und Mädchen, schreienden Kindern und hungernden und lungern den wolfsartigen Hunden, die im Winter zum Ziehen der Schlitten benutzt werden und im Sommer,, wie in Kamt schatka, ihr Leben selbst machen müssen. Alles Eßbare ist daher vorsorglich in entsprechender Höhe angebracht, und Vorrathshäuscr und Fischgerüste erheben sich als Pfahlbau ten, zu denen, wie bei den Dajakern und Papuas, ein mit Kerben versehener Baumstamm als Treppe führt, der bei Nichtbenutzuug umgedreht wird. Trotz des scheuen Wesens der Frauen hatten wir solche oft als Ruderer, und nicht sel ten führten sie in den eigentümlichen, durchaus praktischen Wiegen aus Birkenrinde ihre Säuglinge mit sich, die wie die betreffenden Mütter meist nur einen Nenthierpelz als einzige Bedeckung auf dem Leibe trugen. Bei den Frauen und Mädchen ist derselbe mit Glasperlen artig verziert; den kostbarsten Theil bildet aber ein buntes, großblumiges, mit Franzen verziertes Kopftuch, in welches sie sich so fest ein hüllen wie Türkinnen. Aber Nähnadeln, Zucker und der gleichen machten sie zutraulicher, am meisten indeß wohl Schnaps, für welchen beide Geschlechter der Ostjakcn stark incliniren. Gcgcn 2 Uhr (9. Juli) Nachmittags legten wir in Be- reüsow, der einzigen Stadt am untern Ob, an. Sie liegt sehr malerisch auf grünen Wiesenhügeln, umrahmt von prächtigen Lärchen- und Arvcnwaldungen, und ihre zwei stattlichen Kirchen sowie mehrere Regierungsgebäude lassen den Ort von Weitem viel bedeutender erscheinen, als er in der Wirklichkeit ist, denn er zählt nur etwa 2000 Einwohner, darunter viel Siranen, von denen die meisten jetzt der Fische rei wegen abwesend waren. Die Stadt erschien daher mit ihren geschlossenen Lagerhäusern am Strande und zum Theil verlassenen Wohnhäusern sehr öde und todt, und wir wun derten uns anfänglich, nicht das übliche „große Gefolge" hinter uns zu haben. Durch Güte des dortigen Jspravnik engagirte ich als Dolmetscher Michael Panajew, einen alten Russen mit prächtigem Petruskopfe, der außer Ostjakisch auch Samojedisch verstehen sollte und für den Fall, daß wir in Obdorsk keine bessere Persönlichkeit erhielten, sich auch zur Weiterreise verpflichtete. Außerdem verproviantirten wir uns mit Eiern und, was weit wichtiger, sogar mit Rindfleisch. Ehe die neuen Ruderer cinlrafen, besahen wir in Begleitung des Jspravnik die Stadt, in der es, abgesehen von den Grä bern Mentschikow's und Graf Osterman's, die beide hier als Verbannte starben — das des erstem Staatsmannes ist nicht mehr sicher nachweisbar —, eigentliche Merkwürdig keiten nicht giebt. Die sogenannte Kathedrale, umgeben von herrlichen Arven, die angeblich noch von Alexander Mentschi- kow gepflanzt sein sollen, gewährt ein äußerst liebliches, male-