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Geistlichkeit in der ganzen wenig veränderten Majestät by- zantinischer Pracht: der Metropolit von Athen (außer ihm besitzt Hellas noch 10 Erzbischöfe und 13 Bischöfe desselben Cultus) und seine Gehülfen, die Archimandriten, waren mit goldgestickten Gewändern bekleidet und hatten orientalische Mitren auf dem Haupte, die reich mit Edelsteinen besetzt sind und im Lichte der Tausende von Kerzen in den Händen der Andächtigen funkelten und strahlten. Die Griechen haben unglücklicherweise das Bestreben, durch die Nase zu singen und zu reden; die so hervorgebrach ten Töne quälen schließlich die Nerven und verhindern, daß man sich der ganzen Feierlichkeit dieser aus den ersten Jahr hunderten des Christenthums stammenden Gesänge bewußt wird. An großen Festtagen, wo das Königspaar die Kirche besucht, wird das Kyrie eleison von den reinen, sympathischen Stimmen der russischen Kirchensänger vorgetragen; daß ihre Herrscherin aber letzteren den Vorzug vor den schreienden, unangenehmen Tönen der einheimischen GcsangskUnst- ler giebt, das rechnen ihr die Athener fast als Verbrechen an. * -I- H Seit etwa zwanzig Jahren hat sich Athen in seiner äußern Erscheinung sehr ver ändert: 1850 war es noch ein großes Dorf, heute ist es eine hübsche, heitere, rein liche Stadt mit breiten Stra ßen und eleganten in Grün versteckten Häusern. Letztere haben selten mehrere Stock werke, weil eben jede Familie für sich allein wohnt; ihre Zimmer sind hoch und ge räumig, aber meist nur sehr dürftig meublirt, dem Klima entsprechend. Uebri gens haben nicht nur Stra ßen, Häuser und Läden ein vollkommen europäisches, westländisches Aussehen; auch die Einwohner haben ihre weiße Fustanella und den rothen Fez mit der la» gen blauen Troddel gegen den modernen Tuchrock und Cy- linder vertauscht. Selten nur sieht man noch einen Pallikarcn mit gesticktem Jäckchen in Athen; man muß in die Provinz gehen, um ihn aufzu suchen, oder zur Zeit der Kammersitzungen nach der Residenz kommen. Dann kann man noch einigen alten Abgeordneten vom Lande mit langen, weißen Schnurrbärten begegnen, welche stolz die alte Volkstracht beibehalten haben. — Der oben er wähnte Fortschritt ist übrigens, wie überall im ganzen König reiche, lediglich der Opferfrcudigkeit einzelner Bürger zu ver danken, welcher gegenüber das, was die städtische Behörde oder die Regierung geleistet hat, völlig verschwindet. Was letztere beiden anlangt, so beweisen tiefe Löcher und Regen risse in den Straßen, unebene Bürgersteige, verstopfte Abzugs canäle, platzende Wasserrohren n. s. w. zur Genüge ihre völ lige Unthätigkeit. Die Initiative der Bürger beschränkte sich aber nicht auf Verschönerung ihrer Wohnungen; sie gründeten vielmehr Hospitäler, Findelhäuser, Gymnasien, Mädchenschulen, Waisenhäuser, Museen, Blindenanstalten, eine Sternwarte, eine (unvollendete) polytechnische Schule rc. fast in zu großer Anzahl und zum Theil rein aus ehrgeizigen Beweggründen, um ihren Namen in goldenen Lettern am Giebel der Stiftungen prangen zu scheu. Die Folge davon war nnd ist, daß die Mittel schließlich nicht ausreichten, daß die Gebäude unvollendet blieben, daß für Bezahlung von Lehrern und Aerzten und für die innere Einrichtung kein Geld vorhanden ist und für eine sechsmal zahlreichere Bevölke rung, als Athen sie besitzt, wohlthälige und Unterrichtsanstalten existiren. Verstände es die Regierung, diesen schönen Zug der Hellenen auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen und richtig zu leiten, so würde sie in ihm eine mächtige Unter stützung finden. Worauf die Griechen am meisten stolz sind, ist die Uni versität, welche von freiwilligen Gaben errichtet wurde, als die neugeschaffene Residenz kaum aus ihren Trümmern er standen war und weder für ihren König einen Palast, noch für alle ihre Bürger Unterkunft besaß. Und die Universität, die einzige ihrer Art im ganzen Orient, be sitzt ihre Verdienste, wenn anch auf ihr die Studien mit viel geringerm Eifer nnd größerer Oberflächlich leit betrieben werden, als in Europa. Aber Jahr für Jahr hören hier mehr als 1200 junge Leute, davon etwa die Hälfte aus dem türkischen Reiche, die Rechte, die Medicin, Philologie, Ge schichte und Theologie, kehren nach drei, vier, fünf Jahren heim und geben dort warme Vertheidigcr des Fortschritts und besonders des Hellenis mus ab. Es giebt wenig Städte in der Türkei, selbst die kleinsten mit eingerechnet, wo sich nicht ein in Athen gebildeter Arzt, Schullehrer oder Advocat fände, und die Propaganda, welche sic für das leider nur zu sehr von Handwerks-Politikern beun ruhigte und ausgenutzte Hellas machen, ist wahrlich nicht zu unterschätzen. — Auf der andern Seite fehlen aber dieser zahlreichen Ansammlung junger Leute die Schattenseite» nicht. Denn die Studenten sind stets zu Unruhen geneigt, der Regierung wenig hold und dafür den Abgeordneten der Opposition ergeben, immer bereit, Minister auszupfeifen, lärmend und herausfordernd sich zusammenzu rotten und beim Nahen einiger Polizisten zu verschwinden. Bon den Unversöhnlichen gehetzt und vom Volke unterstützt, bildeten sie sich mitunter schließlich ein, daß sie die Regie rung gestürzt hätten, und fanden in diesem Bewußtsein nur einen neuen Antrieb, sich auch ferner diesen ihren Studien so hinderlichen politischen Faustkämp'cn zu widmen. Viele von diesen jungen Leuten betrachten ihre Studien nur als Mittel und Borwand, um später in ihrer Heimath eine po litische Rolle spielen zu können, und manche legen sich, um dieses Ziel zu erreichen, die größten Entbehrungen auf, indem Ornamcnte aus den Kirchen des H. Theodoros und H. Georgios in Athen.