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wurde. Es ist der Schanghaier Gesellschaft durchaus nicht zu verargen, daß sie diesen Verkauf abgeschlossen hat; unter den vorliegenden Verhältnissen war es ihr unmöglich, auf die Dauer mit einer einheimischen Gesellschaft zu concurri- ren, die von einer so bedeutenden und einflußreichen Per sönlichkeit, wie Li-hung-tschang es ist, unterstützt wurde. Außerdem ist der Preis unter den gegenwärtigen Handels- conjuncturen ein sehr hoher. Wenn nun auch mit diesem Kauf für die chinesische Gesellschaft manche Vortheile ver knüpft sind, so ist doch die Bahn derselben bei Weitem noch nicht vollständig geebnet. Ist auch mit dem Zurücktreten der Schanghai-Gesellschaft die Flagge der Vereinigten Staaten von der chinesischen Küste verschwunden, so existiren doch noch zwei englische Gesellschaften, die bessere Schiffe besitzen als sie, und überhaupt in jeder Beziehung sich ihr gleich- stcllen können. Auch diese Gesellschaften durch Ankauf zu beseitigen, dazu möchte vielleicht nicht einmal die Macht Li's hinreichen, da ohnehin schon bei den chinesischen Kaufleuten große Unzu friedenheit über die in Folge des besagten Kaufs und der damit verbundenen Gcldunterstützungen eingetretene Erhöhung der Steuern herrscht. Ucberhaupt hängt die Existenz der chinesischen Gesellschaft ganz von dem Leben zweier Männer ab, ihres großen Patrons Li, und ihres Vorstehers Tong- kin-siug, eines Mannes von großen Fähigkeiten und genauer Kenntniß des englischen Handels. Sollte sie einmal dieser beiden Stützen beraubt werden, so würde wahrscheinlich das ganze Gebäude zusammenstürzen. („Mail" dat. Schanghai, 10. Febr.) — Von N. B. Dennys, dem man bereits einige nütz liche Werke zur Kunde Chinas verdankt, wurde kürzlich bei Trübuer in London eine Sammlung chinesischer Sagen, Märchen, Sprichwörter und Gebräuche herausgegebcn l^lle b'ollr-Imrs okcLiim), welche neuerdings beweist, ein wie we nig richtiges Bild vom chinesischen Leben und besonders der chinesischen Culturentwickelung uns jene Ansicht giebt, welche China als etwas völlig Abgeschlossenes, durchaus Eigenar tiges, als ein Ding für sich betrachtet. Es wäre ja in der That wunderbar, wenn einem so handelsthätigen und intelli genten Volk nicht da und dort eine fremde Anregung zuflöge und wenn es selbst gegen seinen Willen wäre. Ein Cultur- volk kann sich nicht vollständig isoliren, und die tiefere Kennt niß chinesischer Verhältnisse, welche sich allgemach anbahnt, wird diesem Grundsatz für China viel weitere Geltung ver leihen, als man gewöhnlich glaubte. So findet auch Dennys in der Volksweisheit und der Volksdichtung der Chinesen mancherlei Anklänge an Arisches und Semitisches, Anklänge, die manchmal überraschend klar sind. Die Räubergeschichte aus „Tausend und eine Nacht": „Sesam, öffne dich" wird wenig verändert in China erzählt, doch, wie Dennys glaubt, in einer ältern Form als die ist, in der sie uns aus Persien überliefert ist. Der schlafende Rip van Winkle kehrt in China in sinniger Version in einem Manne wieder, der einige Jahrhunderte verpaßt, während er zwei Schachspielern in einer Höhle zusieht. Der Drache, dem man Jungfrauen opfert, spielt auch hier in den Sagen eine große Rolle, und die Deutung auffallender atmosphärischer Erscheinungen, wie z. B. Wasserhosen als Drachen, die noch heute in China gang und gäbe, dürfte sich in der Entstehungsgeschichte un serer abendländischen Drachensagen stellenweise wiederfinden. Auch die Amphityronsage kehrt in China wieder. Unter den Gebräuchen ist der Trauring bei den Chinesen ebenso ver breitet wie bei uns; in Südchina giebt die Braut dem Bräu tigam ein Paar Schuhe „zum Zeichen, daß sie sich für die Zukunft unter feine Leitung beugt", während in Europa noch bei verschiedenen Völkern die Sitte besteht, dem neu vermählten Paare Schuhe nachzuwerfen. Chinesische Sprich wörter wie: „Ein Zoll Zeit ist so gut wie ein Zoll Gold" oder „Wenn du ein Schwein tödtest, tödte es ganz" stimmen zwar auffallend mit abendländischen überein, aber hier dürfte Gemeinsamkeit der Ansichten und Bestrebungen in wirthschaft- lichen Dingen die Uebereinstimmung zur Genüge erklären. Schwerer ist zu verstehen, warum die chinesischen Geister beschwörer ihre Geister einen Schreibapparat gebrauchen las sen, der der „lüanollstts" unserer Medien sehr ähnlich ist. Daß Liebesgeschichten hier und dort denselben Kern und oft dieselbe Einkleidung haben, ist dagegen am wenigsten über raschend. Diese Dinge wachsen aus jedem Volksgcist heraus gerade wie gewisse kosmopolitische Pflanzen, deren Keime allgegenwärtig sind, jedem Boden entsprießen. Den chine sischen Geschichten dieser Art ist aber eine große Innigkeit eigen, die in den Erzählungen aus dem Familienleben wieder kehrt und deren große Bedeutung für das gesammte Leben dieses Volkes nicht zu verkennen ist. Eine Geschichte erzählt, wie ein Bootsmann die Liebe eines Mädchens gewann, an dessen Fenster er täglich vorüberfuhr. Als nun das Mädchen vor Liebesgram starb, fand man, daß ihr Herz von Eisen und in dasselbe ein Bild des Bootes, des Fensters und der beiden Liebenden eingegraben war. Daß die Innigkeit des Familienlebens in China noch nicht geschwunden ist, lehren die seltsamen Opfer, die noch immer die Kinder ihren Eltern bringen. In den chinesischen Zeitungen sind noch heute Be richte von Kindern nicht selten, die zum Besten kranker Väter oder Mütter sich ein Stück Fleisch aus dem Arme schneiden, um eine heilsame Brühe daraus zu kochen. Die Auswanderung der Koreaner in das Amurland. Die ohnehin schon armen nördlichen Provinzeu Koreas hatten in den sechsziger Jahren mehrere schlechte Ernten nach einander. Ungeachtet des hierdurch bewirkten und fast bis zur Hungersnoth gesteigerten Nothstandes fuhr die Re gierung von Korea nicht nur fort, die gesetzlichen Steuern mit eiserner Hand zu erheben, sondern sie legte den Einwoh nern sogar noch eine Extrasteuer auf. Als im Jahre 1863 die Lage der letzteren nahezu unerträglich geworden war, ent schlossen sich zwölf Familien in das russische Gebiet am Amur auszuwandern, welches trotz seiner großen Fruchtbarkeit bisher von den russischen Colonisten unbeachtet geblieben war. Diese Familien wurden von den Russen freundlich ausge nommen und auf jede Weise unterstützt und aufgemuntert, so daß die Colonie bald zum Blühen kam. Die Kunde von ihren guten Verhältnissen drang rasch zu ihren Landsleuten und veranlaßte mehrere ihrem Beispiel zu folgen. Immer größere Dimensionen nahmen die Auswanderungen an und schon 1865 zählte man 200 Koreaner im Amurgebiet. Die Regierung von Korea hatte die Sache anfangs ruhig gesche hen lassen; als aber im Jahre 1870 nicht mehr einzelne Fa milien, sondern ganze Stämme das Land zu verlassen began nen, suchte sie die schädliche Entvölkerung der ohnedem dünn bevölkerten Bezirke durch Verbote, und als diese nicht halfen, durch Zwangsmaßregeln zu hemmen. Das Eigenthum der Emigranten wurde confiscirt und gegen die zurückgebliebenen Verwandten mit den härtesten Maßregeln vorgcgangen. Allein trotz alledem nahm die Auswanderung immer mehr zu; immer neue Colonisten erschienen an der russischen Grenze und baten um Land. Sie kamen meistens halb verhungert und in Lumpen gehüllt an, so daß man ihnen alsbald mit Nahrungsmitteln aufhelfen mußte. Obgleich die russischen Be hörden nicht immer in der Lage waren dies thun zu können, da die von Europa zur See für die Truppen gebrachten Ge- treidevorräthe beschränkt waren, so ließen sich die Auswan derer durch diesen Uebelstand doch nicht zurückhalten. Im Jahre 1874 bildeten die Koreaner bereits 13 Niederlassungen mit 4000 Einwohnern. Bald wußten diese Leute die Vor züge, welche die russische Cultur vor ihrer eigenen bot, zu schätzen; russische Sitten und Gebräuche schlugen Wurzel. Die Koreaner bauten ihre Häuser im russischen Stil, nah men russische Kleider an und betrieben vor Allem den Acker bau nach Art der Russen. Auch das Christcnthum verbrei tete sich rasch unter ihnen; bereits bekennt sich die Hälfte der